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Ausgangspunkt der Studie ist das wahrscheinliche Ende der verhältnismäßig stabilen Weltordnung, wie sie seit dem Ende des Kalten Krieges vorherrscht. Ironischerweise entstanden laut Atlantic Council und IMEMO die größten Risiken für Sicherheit und Stabilität aus dem Erfolg der Globalisierung, das heißt durch den weltweiten Austausch von Informationen, Währungen, Gütern und Menschen. Während Volkswirtschaften und Nationen zusammenwachsen, Vermögen vom globalen Norden und Westen in den Süden und Osten umverteilt wird, und so mehr Menschen und Staaten Chancen geboten werden, stellt die Globalisierung die internationale Staatengemeinschaft gleichzeitig vor neue und größere Herausforderungen.
Herausforderungen
Laut den Think Tanks sind eine der größten Herausforderungen für die internationale Gemeinschaft die weltweit um sich greifenden Konfliktherde. Insbesondere die Rivalitäten zwischen den Vereinigten Staaten und Russland, China und seinen Nachbarstaaten, und zweitrangigen Mächten wie Indien und Pakistan, laufen Gefahr, sich zu Atomkriegen zu entwickeln. Weiterhin sind die religiösen Spannungen zwischen Sunniten und Schiiten, sowie die zwischen Kurden und Arabern sich verschlechternden Beziehungen, und der Anstieg von bewaffnetem islamistischen Extremismus destabilisierende Faktoren. Während die ersten zwei Jahrzehnte nach dem Ende des Kalten Krieges durch den Rückgang von bewaffneten Konflikten charakterisiert waren, birgt also deren neuerlicher Anstieg die größten Langzeitrisiken für Weltwirtschaft und Globalisierung.
Als ein weiteres Risiko benennt die Studie die Umstrukturierung der Weltwirtschaft. Insbesondere die steigende Relevanz des chinesischen Renminbi (RMB) zur dritten Reservewährung neben Euro und amerikanischem Dollar, bedeutet neuerlichen Druck für die Finanzwelt. Hinzu kommen die alternden Gesellschaften der westlichen Welt, die wachstumshindernde Auswirkungen haben können und die Haushalte der Staaten zunehmend belasten werden.
Desgleichen ist zu erwarten, dass der internationale Energiemarkt von Preis- und Investitionsunsicherheiten gekennzeichnet werden wird. So könnte der weltweit ansteigende Ölverbrauch bis 2035 seinen Höhe-punkt erreichen sollten China und Indien sich wie erwartet entwickeln.
Schlussendlich haben neue Technologien, wie Roboter und Automatisierungen, das Potential, weltweit Jobs zu kosten. Während dadurch kurzfristig soziale und politische Probleme entstehen, könnten langfristig innerstaatliche Ungleichheiten durch das Schaffen von spezialisierten Jobs und höheren Bildungsstandards ausgeglichen werden.
Szenarien und Ausblick
In Hinblick auf die daraus resultierenden Szenarien fasste Edward Luce, Haupt-US-Kolumnist der Financial Times, die Studie als „pessimistisch“ zusammen. Während die Möglichkeit bestünde, die Globalisierung weiter ganzheitlich voranzutreiben und global davon zu profitieren, seien weniger optimistische Szenarien wahrscheinlicher: Einerseits könnte die Welt in regionale Blöcke zerfallen
und durch geringere Kooperation eine Deglobalisierung eintreten. Andererseits könnte eine neue Bipolarität entstehen, in der der Westen einer Kooperation zwischen Russland und China gegenüber stehen würde.
Während Mathew Burrows, Direktor der Strategic Foresight Initiative beim Atlantic Council, diesen Pessimismus als realistische Einschätzung des Berichtes bewertete, betonte er, dass es Mittel und Wege gäbe, die Zukunft anders zu gestalten. Zum Beispiel, fügte Feodor Voitolovsky-, stellvertretender Direktor für internationale Politik beim IMEMO, hinzu, müssten Weltmächte wie Russland und die Vereinigten Staaten dazu gebracht werden, verantwortungsvoll und weitsichtig zu kooperieren, um Gegner wie ISIS effektiv und langfristig zu bekämpfen. Laut Alexander Dynkin, Direktor des IMEMO, scheiterten solche Pläne jedoch am asymmetrischen Weltverständnis der Vereinigten Staaten und Russlands. Zum Zeitpunkt der Diskussion im Dezember 2015, so Dynkin, warfen die USA Russland vor, in Syrien einen Diktator zu unterstützen, während Russland forderte, eine politische Verwandlung bei Erhalt der staatlichen Institutionen einzuleiten. Den wenig optimistischen Prognosen der Experten zum Trotz, lässt die Teilnahme beider Staaten an der International Syria Support Group vermuten, dass diese Hürde zumindest in diesem Fall aus strategischen Gründen teilweise überwunden wurde.
Ein weiterer potentieller internationaler Kooperationsmoment liegt in der Zusammenarbeit Russlands mit China. Während Feodor Voitolovsky betonte, dass Russland nach Möglichkeiten sucht, sich in ausländische Märkte auszudehnen, warf Mathew Burrows den USA vor, die strategischen Gemeinsamkeiten Russlands und Chinas nicht anzuerkennen. Laut Burrows liegt das vor allem in der liberalen Weltordnung begründet, die primär aus der Perspektive des Westens liberal scheint.
Neben solchen Diskrepanzen in der Wahrnehmung, sind auch die Verschiebungen in der globalen Machtverteilung realistisch wahrzunehmen, so die Experten. Laut Robert A. Manning, Senior Fellow der Strategic Foresight Initiative beim Atlantic Council, müssten die USA ihren relativen Machtverlust anerkennen, und ihre Außenpolitik daran anpassen.
Diese Diskussion zusammenfassend, stellte Feodor Voitolovsky heraus, dass die mit der Globalisierung einhergehenden wirtschaftlichen Veränderungen weltweite politische Folgen mit sich bringen werden und müssen. Optimistischer schlussfolgernd, betonte Robert A. Manning, dass eine effektiv organisierte globale Verbreitung der Macht durch-aus gemeinsame Ziele hervorbringen könnte. Auf die Frage aus dem Publikum ein-gehend, ob so eine Machtumverteilung zum Beispiel durch Telekommunikationsinnovationen und potentielle Crowdsourcing Kampagnen für Außenpolitik beschleunigt werden könnte, erklärte Mathew Burrows, dass solche Entwicklungen eher zurückhaltend betrachtet werden sollten, da sie bis dato generell die Perspektiven der Individuen limitiert, Vorurteile geschürt und die öffentliche Meinung polarisiert hätten.
Neben Innovationen in der Telekommunikation, seien auch die Entwicklungen im Energiesektor aufgrund ihrer Relevanz genau zu beobachten, so Manning weiter. Insbesondere die zukünftige Unabhängigkeit der Weltwirtschaft vom Öl, sowie Innovationen in Speichermöglichkeiten für Energie wären ausschlaggebend für verschiedenste politische, religiöse und wirtschaftliche Konflikte.
Die Diskussion beschließend, betonte Feodor Voitolovsky, dass vor allem kurzfristige wirtschaftliche Entwicklungen ausschlaggebend für die Zukunft sind. Es sei zu erwarten, dass weitreichende Verhandlungen, wie zu TPP und TTIP, zukünftige Kooperationen prägen werden, und es daher ratsam ist, diese möglichst multilateral anzulegen.
Eine gekürzte Version der Studie finden Sie hier (auf Englisch)
http://www.atlanticcoun-cil.org/images/publications/Global_Sys-tem_on_the_Brink.pdf