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Die Ex-Sowjetrepublik möchte mit dem WHO-Beitritt erklärtermaßen die Wirtschaft diversifizieren und die Abhängigkeit von Energieexporten reduzieren. Just am selben Tag fand im Center for Strategic and International Studies (CSIS) in Washington, D.C. eine Diskussionsrunde zu eben jenem Eintritt Kasachstans in das globale Handels-system statt. Das aus vier hochrangigen Handels- und Kasachstanexperten bestehende Panel diskutierte dabei den teils steinigen Weg hin zu der letztlichen Vertragsvereinbarung, die Folgen für die kasachische Wirtschaft sowie die Auswirkungen auf die amerikanischen Handelsinteressen.
Zu Beginn der Veranstaltung, die von Andrew C. Kuchins, Direktor und Senior Fellow des Russland- und Eurasien-Programms beim CSIS, moderiert wurde, unterstrich Arun M. Kumar, Assistant Secretary for Global Markets im US-Handelsministerium, in einer kurzen Eröffnungsrede die zunehmende Bedeutung Kasachstans als Sicherheits- und Handelspartner der Vereinigten Staaten. Man habe mehrfach gesehen, wie die amerikanisch-kasachische Kooperation zu Stabilität und Wohlstand in Zentralasien beitrage. Der Beitritt Kasachstans zur WHO sei entscheidend für die Diversifizierung der örtlichen Wirtschaft und die Durchsetzung des regelgebundenen globalen Handels sowie notwendige Voraussetzung für die Implementation der Modernisierungsstrategie „Kasachstan 2050“. Laut US-Handelsministerium könne das Potential der amerikanisch-kasachischen Handelsbeziehungen nur dann vollständig ausgeschöpft werden, wenn Kasachstan ein stabiles und transparentes Geschäftsklima schaffe. Man erhoffe sich von Kasachstan daher die Umsetzung der WHO-Verpflichtungen (z.B. die Senkung von Importzöllen) sowie die Verwirklichung des von Präsident Nasarbajew auf den Weg gebrachten 100-Punkte-Plans zur institutionellen Reformierung des Staatswesens . Die Vereinigten Staaten teilten das Ziel eines starken, unabhängigen und dynamischen Kasachstans, das Sicherheit, Freiheit und Wohlstand in der gesamten Region fördert und somit letztlich auch den Interessen der USA im eurasischen Raum dienlich sei.
Im Anschluss daran rekapitulierte Cecilia Klein, Senior Director für WHO-Beitritte im Büro des Handelsbeauftragten der Vereinigten Staaten (U.S. Trade Representative), die langjährigen Verhandlungen zwischen der WHO und Kasachstan, die nunmehr erfolgreich beendet worden sind. Generell zeichne sich die Einigung durch drei positive Eigenschaften aus: Sie sei gut für das Beitrittsland, gut für die USA und gut für das internationale Handelssystem. Der fast 20-jährige Verhandlungszeitraum (die Bewerbung Kasachstans erfolgte bereits im Jahr 1996, also 13 Jahre bevor es ankündigte, in eine Zollunion mit Russland und Belarus einzutreten) sei dabei Ausdruck der hochgesteckten Regeln und Erwartungen der WHO. Das fortwährende Bestreben Kasachstans, die Bedingungen für einen Beitritt zu erfüllen, verdeutliche dabei die immense Bedeutung der WHO. Der Wert einer Mitgliedschaft in der Handelsorganisation ziehe nach wie vor zahlreiche Bewerberländer an (derzeit möchten 21 Staaten der WHO beitreten). Die Institution der WHO sei ein Forum „for negotiation, discussion and dispute settlement. You do not have to kill someone if you can’t get a raw material; you can actually discuss things with them.” In Bezug auf die nun abgeschlossenen Verhandlungen mit Kasachstan schloss Klein ihre Ausführungen mit den Worten: „I think I can say it was all worth the effort. As Kazakhstan undertakes critical domestic reforms, broadens and expands its trading relationships across the spectrum of WHO membership and assumes an important role in helping bring the WHO membership together, we can work together to realize future successes.”
Aitolkyn Kourmanova, Visiting Fellow des Russland- und Eurasien-Programms beim CSIS, erläuterte ausschließend die Auswirkungen des WHO-Beitritts auf die kasachische Wirtschaft und die Entwicklung des örtlichen Geschäftsklimas. Durch die Öffnung des Landes für den globalen Handel werde es wirtschaftlich profitieren. Die Mitgliedschaft in der WHO sei auch eine gänzlich andere Erfahrung für Kasachstan als diejenige in der Eurasischen Wirtschaftsunion (EAWU) (neben Kasachstan gehören Armenien, Kirgisistan, Russland und Belarus der EAWU an). Erstere zeichne sich durch einen „open space“ aus, während die EAWU ein „open bloc“ sei. Die WHO biete Kasachstan also weitreichendere Anreize, ihre Wirtschaft zu diversifizieren. Zwar seien die wirtschaftlichen Vorteile nicht unmittelbar spürbar; langfristig werde die WHO-Mitgliedschaft jedoch die Importe verbilligen, Schattenwirtschaft reduzieren und ausländische Direktinvestitionen erleichtern. Auch die meisten Nachbarn Kasachstans und die wichtigsten internationalen Handelspartner seien bereits Mitglieder der WHO (besonders hervorzuheben sind hierbei Kirgistan, China, Ukraine, Russland, Tadschikistan und Usbekistan). In Zukunft werde somit 90% des kasachischen Außenhandels innerhalb der Welthandelsorganisation abgewickelt. In Kombination mit den institutionellen Reformen der Regierung werde sich die Einbindung Kasachstans in die Regularien der WHO positiv auf die generelle Entwicklung des Landes auswirken.
Die amerikanische Perspektive auf die Einigung lieferte Michael Lally, Executive Deputy Assistant Secretary für Europa, den Mittleren Osten und Afrika im US-Handelsministerium. Konkret erläuterte er die Auswirkungen des Beitritts Kasachstans zur WHO auf amerikanische Unternehmen. Generell sei der kasachische Markt äußerst attraktiv für ausländische Direktinvestitionen. Mit einem vergleichsweise hohen Bruttoinlandsprodukt von 225 Milliarden Dollar (2013) befinde sich Kasachstan auf demselben wirtschaftlichen Niveau wie Tschechien. Im Jahr 2014 betrug der kasachisch-amerikanische Handelsaustausch bereits zwei Milliarden Dollar. Im ersten Quartal 2015 waren die USA darüber hinaus der größte Investor in Kasachstan (1,1 Milliarden Dollar vs. 243 Millionen Dollar aus Russland, das Platz vier belegt). Attraktiv für US-Unternehmen sei Kasachstan vor allem in den Wirtschaftszweigen „Bodenschätze“ und „Transportwesen“. Durch den WHO-Beitritt werde das Interesse an dem zentralasiatischen Land jedoch auch in anderen Branchen steigen. Besonders die geografische Lage und die Größe Kasachstans seien ideale Voraussetzungen für Investitionen. Durch das regelbasierte Handelssystem der WHO mit ihren detailliert definierten Mechanismen für grenzüberschreitenden Handel und Investitionsförderung sowie dem internen Streitschlichtungsgremium („Dispute Settlement Body“) werden sich die bisher herausfordernden Geschäftsbedingungen in Kasachstan für ausländische Unternehmen verbessern. Die Vorteile des Beitritts werden jedoch erst in fünf bis zehn Jahren in die politischen Prozesse, das wirtschaftliche Tagesgeschäft und die kasachische Mentalität „einsickern“.
William H. Courtney, Präsident des amerikanisch-kasachischen Handelsverbands und früherer US-Botschafter in Kasachstan, fokussierte sich in seinen Äußerungen auf die strategischen Folgen des kasachischen WHO-Beitritts für die eurasische Region. So änderten sich gegenwärtig die wirtschaftlichen Vorzeichen in Zentralasien. China sei mit seiner riesigen und äußerst diversifizierten Wirtschaft eine aufstrebende Macht, während der Rohstofflieferant Russland an Gewicht verliere. Kasachstan habe zu beiden Mächten enge politische und wirtschaftliche Beziehungen und befinde sich daher an einer Art Schnittstelle in der sich neu formierenden Konstellation in der Region. Aufgrund der in diesem Erdteil weitverbreiteten autokratischen Regime habe Eurasien noch einen weiten Weg vor sich, um wettbewerbsfähiger und attraktiver für ausländische Investoren zu werden. Die Beispiele Tadschikistan und Kirgistan zeigten, dass eine WHO-Mitgliedschaft nicht zwangsläufig zu mehr Handel und Investitionen führt. Vielmehr müssten die Regeln und Normen der WHO vollständig implementiert und Prinzipien wie die Verbesserung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, Transparenz und Rechtsstaatlichkeit nachhaltig umgesetzt werden.
Botschafter a.D. Courtney sprach auch die Folgen der Ukrainekrise für Kasachstan an. Generell profitiere Eurasien von guten amerikanisch-russischen Beziehungen. Der gegenwärtige Konflikt stelle Kasachstan und die anderen Staaten Zentralasiens jedoch vor ernsthafte Herausforderungen. Die Sanktionen des Westens gegen Russland haben Kollateralschäden innerhalb der eurasischen Ökonomien verursacht. Dies sei jedoch unvermeidbar, solange Moskau in der Ostukraine interveniert. Eurasien müsse daher die wirtschaftlichen Beziehungen zu China sowie die Kanäle in Richtung Südkaukasus und Iran verstärken. Insgesamt begegneten die eurasischen Staaten derzeit komplexen Herausforderungen, die gleichwohl auch mit neuen Chancen einhergingen: „By cooperating with others and liberalizing their own economies, Eurasians can enhance their living standards and their security.”
Auf der Veranstaltung wurde die enorme Bedeutung des Eintritts Kasachstans in das regulierte Handelssystem der WHO deutlich. Die Panelisten waren sich darüber einig, dass sowohl Kasachstan als auch die Vereinigten Staaten auf lange Sicht von diesem Beitritt profitieren werden. Sollte sich Kasachstan an die Regeln und Normen der WHO halten und die notwendigen wirtschaftlichen und institutionellen Reformen voranbringen, werde das Land seine Wirtschaftskraft steigern und Investoren anziehen. Vor dem Hintergrund der geografischen Lage und des Ressourcenreichtums der Ex-Sowjetrepublik seien auch die USA an einem offenen, transparenten und dynamischen Kasachstan interessiert.
Ein Beitrag von Lucas Netter
Verantwortlich und Redaktion: Dr. Lars Hänsel
Hintergrundinformationen:
Center for Strategic and International Studies (CSIS) (2015): “Central Asia in a Reconnecting Eurasia: Kazakhstan’s Evolving Foreign Economic and Security Interests”, online unter: American Chamber of Commerce in Kazakhstan (2014): “Improving Kazakhstan’s Investment Climate: Top Ten Barriers to Foreign Investment”, online unter: