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Barack Obama und seine Regierungsmitglieder reagierten auf das Vorgehen Putins in der Ukraine unter anderem mit der Kritik, dass der russische Präsident sich an Strategien aus dem 19. Jahrhundert bediene. Abgesehen von der Tatsache, ob dies wahr sei oder nicht oder wie die russische Ukrainepolitik bewertet werden solle, irritierte Professor William C. Inboden die Grundaussage dieser Kritik. Der Direktor des Centers for History, Strategy and Statecraft an der University Texas-Austin verstehe nicht was grundsätzlich falsch am 19. Jahrhundert sei – es gab keine biologischen und chemischen Waffen, es gab keine Bedrohung eines nuklearen Krieges und auch keinen islamischen Terrorismus. Die Aussagen der Obama-Administration würden seiner Meinung nach implizieren, dass die Welt im Laufe der Geschichte besser und besser werde. Inboden meine nicht, dass sich die Welt nicht in vielerlei Hinsicht im Vergleich zum 19. Jahrhundert zum positiven verändert habe, nur glaube er dass sich die Geschichte nicht so gradlinig bewegt, wie die Aussagen der Obama-Administration andeuten. Dieser „progressive worldview“ sei laut Inboden unter anderem dafür verantwortlich, dass die US Außenpolitik unter Obama fehlgeleitet sei.
In dieser Grundannahme stimmt Dr. Kim R. Holmes, Fellow der Heritage-Foundation, mit Inboden überein. Die beiden Wissenschaftler sehen darüber hinaus einen Ideologiefehler der Strategie Obamas. Er sei der erste Präsident der USA, der glaube, dass die Vereinigten Staaten ein Teil des Problems der internationalen Unordnung sei und habe daher das Ziel die USA von ihrer Rolle als „world leader“ zu lösen. Diese Idee halten Holmes und Inboden für grundlegend falsch und folgten daher am 28. Januar der Einladung der Heritage-Foundation zu einer Diskussionsrunde über ihre Thesen. Vorausgegangen war eine vierteilige Aufsatzreihe, die im Herbst und Winter des vergangenen Jahres in der Zeitschrift Foreign Policy veröffentlicht wurde.
In ihren Aufsätzen entwerfen Inboden und Holmes das Bild einer Welt am Scheideweg, aus der sich die USA nicht zurückziehen dürfe. Mit dem Titel „The U.S. needs a new Foreign Policy Agenda for 2016“ machen sie deutlich, dass es nicht nur kleineren Kurskorrekturen bedürfe, sondern dass Washington zurück zu einer „strategy of international leadership“ schwenken müsse. Dies beinhalte ebenso eine Neuorientierung der nationalen Wirtschafts- und Sicherheitspolitik, was so viel meint wie einer Eliminierung staatlicher Vorschriften und Regulierungen im Bereich der Wirtschaft und Energieproduktion oder ein größeres Budget für die nationalen Sicherheitskräfte, sowie die Wiederherstellung von Abschreckung und Frieden durch Stärke und strategische Grundsätze in der Außenpolitik. Die beiden Wissenschaftler gehen von einem Axiom zwischen Diplomatie und „military power“ aus. Sie schreiben: „Diplomacy and military policy should be seen as part of the same continuum of strategy and policy.“
Sie werfen Obama vor, die strategischen Grundsätze der amerikanischen Außenpolitik zu verletzen – ganz im Sinne eines „progressive worldview“. Von Truman über Eisenhower, Kennedy bis hin zu Clinton und Bush seien diese zuvor kontinuierlich vertreten worden. Dieser jüngste Trend müsse rückgängig gemacht werden. Was das in Bezug auf die NATO-Politik bedeuten würde, führen sie nicht weiter aus, doch auf der Diskussion wird Holmes zumindest konkret, wie er sich unter diesen Bedingungen die Rolle der USA in Europa vorstellt. Er hätte sich gewünscht, dass Washington von Anfang an mehr in den Assoziierungsprozess der EU gegenüber der Ukraine involviert gewesen wäre. Das wäre ein Zeichen für Putin gewesen und zur Annexion der Krim wäre es womöglich gar nicht gekommen.
Obama habe mit seiner Politik mit dazu beigetragen, dass sich die Welt im Vergleich zu 2008 in einem unsichereren Zustand befinde, so Inboden und Holmes weiter. Sie verweisen dabei auf den aus ihrer Sicht zu schnellen Rückzug der USA aus dem Irak, was Präsident Obama in seiner „State-of-the-Union-Address“ vom 20. Januar 2015 noch als Erfolg verbuchte, oder die Passivität der USA zu Beginn des syrischen Bürgerkrieges. Sie machen die Obama-Administration nicht allein für die gestiegene Unordnung in der Welt – ein Begriff, der seit Henry Kissingers Buch World Order gerne verwendet wird – verantwortlich. Die US Außenpolitik der letzten Jahre habe aber dazu beigetragen, dass sich immer mehr „zones of non-governance or jihad“, wie es Kissinger nennt, gebildet haben.
Mit dieser Kritik am amerikanischen Rückzug als „world leader“ geht einher, dass Inboden und Holmes beispielsweise den europäischen Staaten nicht zutrauen, die Sanktionen gegen Russland ohne eine amerikanische Führung durchzuhalten. Sollte sich nach acht Jahren Obama an der US Außenpolitik nichts ändern, würde die Welt mittelfristig vor einem chaotischen Szenario stehen: Die USA wären isoliert, China und Russland würden das Weltgeschehen kontrollieren und ein immer stärker werdender „Islamischer Staat“ würde die freie Welt in ihrer inneren Sicherheit bedrohen.
Damit es dazu nicht kommt fordern Holmes und Inboden einen überparteilichen „effort“ für eine neue Außenpolitik. Dass es eine Fortsetzung der Außenpolitik Obamas nicht geben wird, halten sie allerdings bereits für sicher. Die wahrscheinliche Präsidentschaftskandidatin der Demokraten, Hillary Clinton, habe bereits angefangen zu Obamas Politik auf Distanz zu gehen, eine Rolle die ihr als ehemalige Außenministerin unter Obama freilich nicht immer leicht falle. Für die Republikaner gilt nach der Absage Mitt Romneys wohl Jeb Bush als aussichtsreichster Kandidat. Doch egal wer für die „Grand Old Party“ in das Präsidentschaftsrennen 2016 gehen wird, müsse sich nach Ansicht von Holmes und Inboden in der Foreign-Policy deutlich von Obama abheben. Sie sind der Meinung, dass im Wahlkampf die außenpolitischen Positionen der Kandidaten einen großen Einfluss haben werden. Inboden, Holmes und die Heritage-Foundation als einer der größten konservativen amerikanischen „think tanks“ nehmen sich zum Anspruch, durch ihre Initiativen das Themensetting der Vorwahlkämpfe zu beeinflussen – daraus machen sie auch keinen Hehl. Mit der gezielten Veröffentlichung der Aufsatzreihe und der öffentlichen Diskussion haben sie dafür den ersten Grundstein gesetzt.
Link zum vierten und letzten Aufsatz von Kim Holmes und William Inbolden: http://foreignpolicy.com/2014/10/17/the-u-s-needs-a-new-foreign-policy-agenda-for-2016-part-four/