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Das internationale Verfassungskolloquium zur beninischen Verfassung des 11. Dezembers 1990 fand vom 8. bis 10. August 2012 unter der Leitung der Association Béninoise de Droit Constitutionnelle (ABDC) und mit Unterstützung der Konrad Adenauer Stiftung (KAS) in Cotonou statt. Zu Ehren des Lebenswerks von Professor Ahanhanzo-Glélé, einem der Gründer der Verfassung, tag-ten im Palais des Congrès Experten des internationalen und afrikanischen Verfassungsrechts sowie Mitglieder der beninischen Regierung und Vertreter westafrikanischer Verfassungsgerichte. Unter den Experten war auch der von der KAS geladene Professor Andreas Paulus, Richter im ersten Senat des Bundesverfassungsgerichts in Karlsru-he. Das Kolloquium, unter dem Thema, “Die beninische Verfassung des 11. Dezembers 1990: Ein Modell für Afrika?”, sollte einen Austausch zu verfassungsrechtlichen Themen ermöglichen sowie das Verständnis der Verfassung unter der Bevölkerung Benins vertiefen.
Die beninische Verfassung ist in ihrem 22-jährigem Bestehen weitgehend unverändert geblieben. Die Bewegung “Ne touche pas à ma constitution” als Reaktion auf Versuche, die Verfassung zu ändern, hat in der Bevölkerung Benins Anklang gefunden, unter anderem auch aufgrund der mehrfachen Änderungen mancher Verfassungen in der Region. In Niger, zum Beispiel, trat vor zwei Jahren eine neue Verfassung in Kraft, der bereits sechs weitere vorangegangen waren. Unter diesem Gesichtspunkt war das Leitthema des Kolloquiums höchst relevant: Könnte die beninische Verfassung eine ge-eignete Vorlage für die Verfassungen ande-rer Länder Afrikas sein – oder ist sie das womöglich bereits? Beruht die Basis einer Verfassung lediglich auf dem Schutz fundamentaler Rechte, oder wird sie stark von Kultur und Geschichte des jeweiligen Landes beeinflusst? Der Modellcharakter der beninischen Verfassung sollte im Laufe der Konferenz untersucht werden, um diese und ähn-liche Fragen zu beantworten.
Die Eröffnungszeremonie bot den Organisatoren und mitwirkenden Partnern die Gelegenheit, die wichtige Rolle des wissenschaftlichen Austauschs in der Region hervorzuheben. Obwohl nicht in jeder Ansprache eine Revidierung der beninischen Verfassung befürwortet wurde, so waren sich jedoch alle Redner einig, dass eine erneute Analyse zur Stärkung der Demokratie und der Verfassung selbst unabdinglich ist. Professor Frédéric Joël Aïvo, Präsident der Association Béninoise de Droit Constitutionnelle (ABDC), Robert Dossou, Präsident des beninischen Verfassungsgerichts, und Professor Ibrahima Fall, ehemaliger stellvertretender Generalsekretär der Vereinten Nationen, huldigten den Ehrengast Professor Ahanhanzo-Glélé. Mit seinem Beitrag zur verfassungsgebenden Versammlung von 1990 wird er von vielen als der Vater der beninischen Verfassung angesehen, jedoch warnten einige Teilnehmer im Laufe der Konferenz vor einer exzessiven Personifizierung der Verfassung.
Professor Ahanhanzo-Glélé beeindruckte mit seinem Bestreben nach einer beninischen Verfassung frei von blind übernommenen Elementen. Robert Dossou, Präsident des beninischen Verfassungsgerichts, bestätigte seinerseits die Notwendigkeit, nach über zwei Jahrzenten ohne Veränderungen “die Bilanz zu ziehen”. Elke Erlecke, Leiterin des Regionalprogramms Politischer Dialog Westafrika der Konrad Adenauer Stiftung, drückte ihre Freude aus, an dieser hochpoli-tischen Veranstaltung teilzunehmen und erinnerte an die veränderten politischen Umstände der letzten zwanzig Jahre, die für eine Überholung der Verfassung sprechen.
Nach der Eröffnungsfeier standen Geschichte und Theorie im Mittelpunkt; die erste Diskussion beschäftigte sich mit den historischen Wurzeln der beninischen Verfassung und der verfassungsrechtlichen Theorie in Afrika. Ein wiederholt aufgegriffenes Thema des ersten Tages waren die Menschenrechte: viele Teilnehmer befürworteten die große Rolle und den weitläufigen Schutz, welche die beninische Verfassung den Menschenrechten zuspricht. Dies ist vor allem gewährleistet durch das individuelle Klagerecht, welches es jedem beninischen Bürger ermöglicht, einen Fall direkt an das Verfassungsgericht zu bringen. Das Verfassungsgericht sollte durch die Verfassung des 11. Dezembers ein Instrument zur Erhaltung der fundamentalen, individuellen Rechte werden, und nicht eventuell die Straflosigkeit der Regierung oder ihrer Stellvertreter gewährleisten. Im Laufe dieser Diskussion wurden jedoch auch offen einige Probleme der Gewaltenteilung angesprochen, die in Benin nicht in jeder Hinsicht gesichert ist.
Der zweite Tag behandelte hauptsächlich das Verhältnis und Zusammenspiel der Ver-fassung, der Politik und dem Gesetz. Die erste Diskussion des Tages widmete sich dem Thema “Verfassung und politsiche Institutionen”, gefolgt von zwei weiteren zu den jeweiligen Themen “Verfassung und pluralistische Wahlen” und “Verfassung und Justiz”. Stichwort des Tages war zweifellos Unabhängigkeit – die Unabhängigkeit der Verfassungsrichter, des Gerichts, und der Medien. Während eine unabhängige Justiz für alle Teilnehmern einen überaus wichtigen Bestandteil des demokratischen Systems darstellte, hoben einige auch eine unabhängige Presse besonders hervor. Die Herausgabe vorläufiger Wahlergebnisse an die Medien, zum Beispiel, wurde als eine wichtige Methode hervorgehoben, den Wahlvorgang transparenter zu gestalten und Unregelmäßigkeiten zu verhindern.
Am letzten Tag wurden spezifischere Themen behandelt. Zum Thema “Der Mut des beninischen Verfassungsrichters in Frage” analysierten die Teilnehmer die Reichweite und Aktualität der Arbeit der Verfassungsgerichte. Die hierarchische Struktur der Justiz wurde hier als problematisch empfunden, da das Verhältnis zwischen Verfassungsrichter und Verfassung sehr eng sein muss, die Entscheidungen des Richters jedoch keiner Prüfung unterzogen werden müssen. Sollte ein „juge opportuniste“ zum Verfassungsgericht gelangen, könnte dieser über sein Mandat hinaus, die Verfassung auszulegen, die Integrität der Verfassung durch eine Verzerrung ihrer Bedeutung gefährden. Andererseits sei die weitläufige Befugnis des Verfassungsrichters jedoch wichtig, um die Balance zwischen Legislative, Judikative und Exekutive zu halten. Diese bereits in vorhergegangenen Diskussionen erwähnte Problematik der Beschränkung politischer und juristischer Macht ist in einer Region, in der schon etliche Diktatoren an die Macht gelangten, von besonderer Bedeutung.
Ein spezieller Runder Tisch zur Rolle der Verfassung bei der Lösung von Krisen und Konflikten in Afrika fand am Nachmittag statt. Aufgrund der aktuellen politischen Lage in Mali und der von mehreren Diktaturen geprägten Geschichte Westafrikas mangelte es nicht an relevanten Fallbeispielen, wobei der Fall Mali besonders auf die Grenzen des Verfassungsrichters hinwies. Der Präsident des Verfassungsgerichts Malis betonte, dass jeder Verfassungsrichter seine Aufgabe nur erfüllen kann, solange die Verfassung des Landes nicht außer Kraft gesetzt ist. In jedem Fall setzte die Verfassung jedoch wichtige Richtlinien fest, welche die Bewältigung einer Krise ermöglichen oder erleichtern. Dennoch wurde ebenso eine eventuelle Verschuldung einer politischen Krise durch die Verfassung, wie etwa in Zimbabwe oder Kenia, diskutiert.
Andreas Paulus, Professor des Öffentlichen Rechts an der Universität Göttingen, deutscher Bundesverfassungsrichter und Gast der KAS, nahm an der letzten Diskussion zu Verfassung und Rechtsvergleich teil. Prof. Dr. Paulus hielt einen Vortrag zur Stabilität der deutschen Verfassung und der Rolle des deutschen Verfassungsgerichts und ermöglichte somit einen direkten Vergleich zwischen den deutschen und beninischen Institutionen. Über das Kolloquium hinaus nahm Prof. Dr. Paulus während seines Aufenthalts in Cotonou weitere wichtige Termine wahr: Im Gespräch mit Robert Dossou, dem Präsidenten des beninischen Verfassungsgerichts, und im Rahmen eines Treffens mit Stipendiaten der Konrad Adenauer Stiftung tauschte sich der Richter über das Verfas-sungsrecht und die Rechtsstaatlichkeit in Benin und Deutschland aus.
Der feierliche Abschluss des Kolloquiums bot den Teilnehmern sowohl eine Zusammenfassung der Diskussionspunkte als auch eine Reflektion über die wichtige Rolle der Konferenz für mögliche zukünftige Revisionen der verschiedenen Verfassungen Westafrikas. Dass eine starke, gerechte Verfassung in jedem Land einen unabdinglichen Beitrag zum Schutz der Menschenrechte und der Demokratie leistet, wurde von allen Teilnehmern anerkannt; sowie der Erneuerungsprozess als fester Bestandteil der Verfassung auch. Die Frage, ob die beninische Verfassung ein Modell für Afrika ist, wurde nicht eindeutig beantwortet – verschiedene Redner bezeichneten sie jeweils als das Modell schlechthin, als ein Modell von vielen, oder auch nur einen Bezugspunkt für die Verfassungen anderer Länder. Doch obwohl nicht jede Diskussion zu einstimmig getragenen Schlussfolgerungen führen konnte, so verkörperte dieser Austausch auf höchster Ebene einen Wegweiser der Zukunft nicht nur für Benin, sondern auch für Westafrika und den afrikanischen Kontinent.