Seminar
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Nach der Begrüßung der Teilnehmer durch den Suhler Oberbürgermeister Dr. Jens Triebel, der Eröffnung durch die Geschäftsführerin der Bundesstiftung Aufarbeitung, Dr. Anna Kaminsky und Einführung in die Tagung durch Dr. Jens Hüttmann von der Bundesstiftung wurde auf dem Podium über das Thema „Geteilte Geschichte. Eine deutsch-deutsche Perspektive auf die jüngste Zeitgeschichte?“ diskutiert.
Lebensweltliche Vergleiche
Die deutsch-deutsche Geschichte vor 1989 könne nicht allein aus der Perspektive der Bundesrepublik Deutschland geschrieben werden. Prof. Dr. Frank Bösch vom Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam machte darauf aufmerksam, daß vor 1989 „deutsche Geschichte“ an den Universitäten in Westdeutschland die Geschichte der Bundesrepublik Deutschland meinte, die DDR blieb ausgeklammert. Prof. Dr. Dorothee Wierling von der Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg erinnerte, daß noch Anfang der 1990er Jahre vor einer deutsch-deutschen Vergleichsgeschichte gewarnt worden sei. Prof. Dr. Hermann Wentker vom Institut für Zeitgeschichte berichtete am Beispiel einer Studie über Landwirtschaftsausstellungen in West und Ost, daß sowohl in der Bundesrepublik Deutschland wie in der DDR Vieles „im Banne der Politik“ gestanden habe. In der DDR „nur etwas mehr“. Alle Diskutanten betonten die Bedeutung eines „lebenswirklichen“ und „gegenwartsbezogenen“ sowie vergleichenden Zugriffs auf das Thema, nicht zuletzt mit Blick auf die Behandlung in Schulen.
„Weiche Themen“ seien auf dem Vormarsch. Eine Studie zum Genuss von Kaffee in West und Ost wurde angeführt, auch für den Sport gibt es entsprechende Ansätze. Prof. Bösch berichtete über ein Projekt, das die Nutzung von Computern durch den BND und die Stasi vergleicht. Er forderte eine Historisierung der Bundesrepublik Deutschland, gemeint ist damit offenbar eine kritische Auseinandersetzung mit der „Erfolgsgeschichte Bundesrepublik Deutschland“. Prof. Wirling hob hervor, die Bundesrepublik habe sich „durchgesetzt“, deshalb seien die Debatten durch ein „Machtgefälle“ geprägt.
Auf dem Podium wurde allerdings zu wenig über die Gefahren einer Verharmlosung des SED-Regimes durch vergleichende Studien „lebensweltlicher“ oder „gegenwartsbezogener“ Themen gesprochen. Was wäre, würden ähnlich „lebensweltliche“ Vergleiche mit dem Nationalsozialismus gezogen?
Gegenwartsbezug. Ein anderes Wort für die Politisierung des Geschichtsunterrichts?
Im folgenden Gespräch zwischen Dr. Hüttmann und Dr. Christoph Hamann vom LISUM Berlin-Brandenburg dreht sich alles um die Frage: Braucht die historisch-politische Bildung Gegenwartsbezüge? Eingangs kritisierte Hamann die Studie Prof. Klaus Schroeders vom Forschungsverbund SED-Staat zum geringen Wissen von Schülern über die Geschichte des SED-Regimes und die Genese der Diktatur. Daß Schüler wenig über Geschichte wüssten, sei zu allen Zeiten schon so gewesen, meinte Hamann u.a. mit Bezug auf Umfragen unter angehenden Geschichtsstudenten in den 1960er Jahren. Ob nicht bereits die Fragebögen der damaligen Umfragen von gänzlich anderem Schwierigkeitsgrad waren, als dies in heutigen Umfragen der Fall ist, blieb allerdings offen.
Die gegenwartsbezogene, „lebensdienliche“ Vermittlung sei für die „Nachhaltigkeit“ des Unterrichts nötig, aber auch risikoreich. Diese Bewertung bezog sich nicht zuletzt auf die zunehmend in den Lehrplänen verankerten Längsschnitte, die etwa das Thema Migration über die Jahrhunderte verfolgen. Die Risiken bestünden darin, 1. unangebrachte Gleichsetzung zu betreiben, 2. eine simple Fortschrittsgeschichte zu transportieren oder 3. Geschichtsbilder zu „verordnen“. Auch in diesem Gespräch spielte die Forderung eine Rolle, „kein festes DDR-Bild“ zu vermitteln und vor allem zu lehren, daß Geschichte „ein Konstrukt“ sei. Dies wurde u.a. mit dem Beutelsbacher Konsens begründet.
Das Mittelalter etwa sei nicht so gegenwartsnah zu vermitteln, wie es angeblich nötig wäre, um das Interesse von Schülern zu wecken. Darüber hätte trefflich diskutiert werden können. Ob etwa junge Menschen gefordert werden müssen, ob man ihnen etwas abverlangen sollte, oder ob man allein noch ihren vermeintlichen gegenwartsbezogenen „Interessen“ hinterherrennt. Warum, wäre angesichts der Ergebnisse der Studie John Hatties etwa zu fragen, sollte ein guter Lehrer nicht auch das Mittelalter für Schüler ansprechend vermitteln?
Projektpräsentationen
Am zweiten Tag der Messe folgten in zwei Zeitblöcken 46 parallele Projektpräsentationen. In vielen Präsentationen und vor allem auch in Gesprächen standen die Opfer der SED-Diktatur im Zentrum. In der Rubrik „Surfen, Smartphone et al.“ präsentierte Dr. Andreas Schulze vom Politischen Bildungsforum Sachsen-Anhalt das neue Extremismus-Portal der Konrad-Adenauer-Stiftung, das demnächst im Internet verfügbar sein wird. Dieses Portal stößt auf großes Interesse. Angesichts der zunehmenden Polarisierung in der Gesellschaft und der Auseinandersetzungen von Extremisten auf den Straßen ergibt sich ein Bedürfnis nach kritischer Auseinandersetzung mit Rechts- und Linksextremismus sowie mit dem Islamismus.
Ein Volk? Stellvertreterumfragen
Am letzten Tag der Messe sprach Prof. Dr. Everhard Holtmann von der Universität Halle-Wittenberg zum Thema „Sind wir ein Volk? Einstellungen und Stimmungslagen der Menschen in Deutschland vor und nach der deutschen Einheit.“ Quintessenz seiner Ausführung ist, daß sich die Deutschen in Ost und West, ganz besonders die jungen, immer mehr annähern in Werthaltungen und ihren Bewertungen von Demokratie und Wirtschaft. Er präsentierte dies u.a. anhand der Stellvertreterumfragen, die in der Bundesrepublik mit von DDR-Besuchen zurückkehrenden Bürgern durchgeführt worden waren. Interessant ist dabei, daß die Mehrheit der Ostdeutschen offenbar immer die Bundesrepublik Deutschland als „Wunschbild“ vor Augen hatte, eine positive Grundhaltung überwog. Dies erleichterte später auch die deutsche Einheit. Holtmann präsentierte diese „Angleichung“ allerdings lediglich auf einer Datenbasis bis 2014. Auf die Frage, ob das nicht wegen der Empörung aufgrund der Flüchtlingskrise anders aussehe, gerade in Ostdeutschland das Vertrauen in die Demokratie dramatisch zurückgehe, antwortete er, dabei handele es sich um ein vorübergehendes Phänomen.
Der Aufarbeiter
Zum Abschluss der Messe folgte auch in diesem Jahr ein Gespräch Rainer Eppelmanns mit dem thüringischen Ministerpräsidenten Bodo Ramelow. Es war auf der letzten Messe im Sinne eines Fortschrittsberichts vereinbart worden. In diesem Jahr zog Bodo Ramelow mehr Applaus auf sich als Rainer Eppelmann. Er präsentierte sich als Aufarbeiter, als Macher, obwohl sich die Moderatoren bemühten, kritisch nachzufragen.
Rainer Eppelmann bemängelte den Rückgang von Ausstellungsbuchungen durch Thüringer Schulen seit dem vergangenen Jahr. Er forderte, die SED-Diktatur zum Prüfungsthema in allen Schulen zu machen. Bodo Ramelow meinte u.a., das sei Aufgabe der Kultusminister. Er brachte zahlreiche Beispiele, wie er die Aufarbeitung von Einzelfällen oder Entschädigungsfragen (Zwangsadoption) voranzutreiben suche. Vor allem – das betonte er bereits im vergangenen Jahr - im Wege einer Absprache mit den Ministerpräsidenten der ostdeutschen Bundesländer. Schwierig sei etwa der Zugang zu Gerichtsakten etc. aufgrund der Bestimmungen zum Persönlichkeitsschutz. Die thüringische Staatskanzlei sei freilich keine Institution der Aufarbeitung, sie können nur unterstützend tätig werden. Sein Credo lautete wie im vergangenen Jahr: Wer Aufarbeitung wolle, dürfe keine juristische Drohung gegen – sich bislang versteckt haltende - Täter stehen lassen, da sie sich sonst einem Gespräch und dem Austausch verschlössen. Letztlich wäre damit aber zusätzlich wohl verbunden, den Tätern keine moralische Erhebung zu signalisieren. Das wäre allerdings kaum vorstellbar und angesichts der Opfer des SED-Regimes auch eine Zumutung.
Rainer Eppelmann verwies auf einen besonders problematischen Punkt: Für viele Jugendliche sei der Begriff „Diktatur“ nahezu ausschließlich mit Auschwitz verbunden. Dagegen müsse dringend etwa getan werden. Hier liegt in der Tat ein Kernproblem einer bis heute verbreiteten Verharmlosung des SED-Regimes, nämlich die Spiegelung am Nationalsozialismus mit dem Ziel der Relativierung von SED-Unrecht. Und hier sollte die wichtige Aufklärungsarbeit der Bundesstiftung Aufarbeitung zukünftig stärker ansetzen. Bodo Ramelow übrigens sagte, er denke bei dem Begriff „Unrechtsstaat“ immer an Fritz Bauer, das sei ihm der größte Held. Der folgende Applaus war der stärkste an diesem Tag.