Event reports
von Julia van der Linde
Über seine Sicht der Scharia als Weg zu einer modernen islamischen Ethik sprach Mouhanad Khorchide in Soest. Zu der Veranstaltung mit dem Soziologen, Islamwissenschaftler und Professor für islamische Religionspädagogik am Centrum für Religiöse Studien an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster, hatte die Konrad-Adenauer-Stiftung in Kooperation mit dem DomBauVerein Soest eingeladen.
Zunächst sei der Begriff Scharia gar nicht religiös geprägt gewesen, erklärte Khorchide den etwa 160 anwesenden Teilnehmerinnen und Teilnehmern. Er bezeichnete zunächst lediglich den Weg zum Wasser. Ins Religiöse übertragen beschreibt Scharia nun den Weg zu Gott, auch wenn viele Menschen mit dem Begriff vor allem Rechtsvorschriften und Strafen assoziierten.
Doch würde man Menschen in Saudi Arabien und Indonesien nach ihrem Verständnis von Scharia fragen, würde man unterschiedliche Antworten bekommen, obwohl beides islamisch geprägte Länder sind, in denen die Scharia als Begründung für bestimmte Rechtsvorschriften herangezogen werde. Dies hänge vor allem damit zusammen, dass der Koran kein Rechtsbuch sei, das konkrete Rechtsvorschriften liefere. Stattdessen werde das umgesetzt, was ausgelegt werde.
Das Bild von einem angstmachenden Richtergott, der nur als Gesetzgeber und Richter handelt, teilt Khorchide nicht. Er ist nicht davon überzeugt, dass Gott eine Art Selbstbestätigung durch den sich an Gesetze haltenden Menschen brauche und andernfalls beleidigt sei. Anstatt die Scharia als juristisches System zu betrachten, sieht der Professor für islamische Religionspädagogik diese als Basis einer modernen islamischen Ethik und den Weg zu Gott, den Weg des Herzens.
Nach seinem modernen Verständnis vom Islam, das nicht unumstritten von Islamverbänden ist, bedeute Islam, sein Leben auf Gott auszurichten. Im Vordergrund auf diesem Weg zu Gott sollten vielmehr Prinzipien wie Gerechtigkeit stehen.
Man könne nicht darauf warten, dass Gott etwas für einen mache, denn Gott handle durch die Menschen. Khorchide versteht den Menschen daher als Medium der Realisierung der Intention Gottes.
Auch spricht sich Khorchide gegen ein wörtliches Verständnis des Korans aus. Vielmehr müsse man auch den zeitlichen Kontext und die Metaphern beachten. Wenn es etwa heiße, dass Mädchen die Hälfte von dem erben, was ihre Brüder erben, dann klinge das aus unserer heutigen Perspektive zunächst benachteiligend. Man müsse jedoch die Tatsache betrachten, dass Mädchen zur Entstehungszeit des Korans für gewöhnlich gar nichts erbten. Die Gesellschaft gliederte sich damals in rivalisierende Stämme. Verheiratete man die Mädchen in einen andern Stamm, sollte dabei kein Besitz dieses Stammes gemehrt werden. Dass Mädchen nun etwas erben sollte, stellte aus damaliger Sicht folglich eine deutliche Verbesserung für die Frauen dar.
Ein wortwörtliches Verständnis und die wörtliche Auslegung der Scharia als juristisches System lasse sich hingegen leicht von Extremisten missbrauchen, wie es zur Zeit beispielsweise in Syrien geschehe.
Im Anschluss an seinen Vortrag beantwortete Khorchide einige Fragen von interessierten Teilnehmerinnen und Teilnehmern. Themen waren unter anderem der islamische Religionsunterricht, die Sprachen der Predigt in den Moscheen oder die Rolle des Islams bei der Integration von Migrantinnen und Migranten.