Event reports
von Julia van der Linde
Sein liberales Verständnis vom Islam legte Mouhanad Khorchide am 13.06.2016 vor rund 220 Gästen in der Sankt Reinoldi Kirche in Dortmund dar. Zu der Veranstaltung mit dem Soziologen, Islamwissenschaftler und Professor für islamische Religionspädagogik am Zentrum für Religiöse Studien an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster, hatte das Regionalbüro Westfalen der Konrad-Adenauer-Stiftung in Kooperation mit der evangelischen Stadtkirche Sankt Reinoldi und dem evangelischen Erwachsenenbildungswerk Westfalen und Lippe e.V. eingeladen.
Scharia, häufig als prinzipiell allumfassendes und zeitlos gültiges Regelwerk zur Lebensführung verstanden und mit brutalen Körperstrafen assoziiert, bezeichne zunächst lediglich den Weg zur Wasserquelle, betonte Khorchide zu Beginn der Veranstaltung. Auf religiöser Ebene sei Gott die Quelle des Lebens, weshalb Scharia hier als der spirituelle Weg zu Gott zu verstehen sei. Wichtig seien in diesem Zusammenhang Werte wie Barmherzigkeit, Gerechtigkeit, Freiheit und Bewahrung der Menschenwürde. Dass der Koran kein Rechtsbuch ist, das konkrete, auf heutige Gesellschaften anwendbare Rechtsvorschriften lieft, verdeutlichte der Islamwissenschaftler am Beispiel von Saudi Arabien und Indonesien – dem Staat, in dem die meisten Muslime weltweit leben und in dem der Übergang zu einer demokratischen Regierungsform gelungen ist. Beide islamisch geprägte Staaten ziehen die Scharia als Begründung ihrer Rechtsprechung heran, kommen dabei jedoch zu unterschiedlichen Ergebnissen und würden die Interpretation des anderen wohl nicht vollständig teilen. Es werde umgesetzt, was interpretiert werde.
Sein Scharia-Verständnis, so Khorchide, leite sich vor allem aus seinem Gottesbild ab. Das Bild von einem angstmachenden Richtergott, der Selbstbestätigung in den Menschen sucht, die sich an Gesetze halten um Gott zu gefallen, teile er nicht. Anstatt die Scharia als juristisches System zu betrachten, sieht der Professor für islamische Religionspädagogik diese als Basis einer modernen islamischen Ethik und den Weg zu Gott, den Weg des Herzens. Dafür müsse man die Aussagen der Suren in ihren historischen Kontext einordnen, anstatt sie aus diesem herausgerissen wörtlich verstehen. „Wenn ich meinem achtjährigen Sohn eine Tafel Schokolade dafür verspreche, dass er fleißig lernt, dann ist es dabei nicht meine Intention, dass er mit 24 Jahren glaubt, er bekäme Schokolade, wenn er fleißig an seiner Doktorarbeit schreibt“, veranschaulichte Khorchide. Ebenso müsse man den Koran in einen Kontext einordnen. Wohl niemand würde auf moderne Fortbewegungsmittel verzichten, weil der Koran im siebten Jahrhundert als solche nur Pferde, Esel und Maultiere kennt. Dennoch gäbe es im Islam auch Regeln, wie zum Beispiel das derzeitige Fasten im Ramadan.