Reportajes internacionales
Nachdem Mitte Februar fest stand, dass sowohl Parlamentspräsident Bronisław Komorowski (57) wie auch Außenminister Radosław Sikorski (47) als Kandidaten für das Präsidentschaftsamt antreten und Tusk als Parteivorsitzender keine Entscheidung zwischen den beiden treffen möchte, wurde ein Prozess der innerparteilichen Auswahl angestoßen, der in dieser Form völlig neu in Polen ist. Durch eine Vorwahl sollen die Mitglieder der PO per Post und Internet bis zum 25. März abstimmen, welcher der beiden Konkurrenten aufgestellt wird. Das Ergebnis wird am 27. März verkündet.
Für die PO hätte der innerparteiliche Wahlkampf zwischen Sejmmarschall und Außenminister durchaus ein Risiko darstellen können, wenn die verschiedenen, in der Partei vorhandenen Strömungen derartig gegeneinander gekämpft hätten, dass die Partei gespalten und somit geschwächt worden wäre. Bisher zeigen sich jedoch vor allem die Vorteile dieser innerparteilichen Vorwahl. Die Medien sind gefüllt mit Berichten über die PO und deren Präsidentschaftskandidaten. Es wird kaum noch über die weiteren Bewerber berichtet. Die Parteibasis fühlt sich durch die Beteiligung ernst genommen und wird dadurch schon jetzt mobilisiert. Vor allem aber ist der innerparteiliche Ausscheidungswettbewerb ein gutes Beispiel für einen weitgehend fairen Wahlkampf, bei dem es nicht – wie so oft in Polen - um das Niedermachen des Gegners geht. Die Kosten für den Vorwahlkampf werden mit etwa 125.000 Euro beziffert. Eine vergleichsweise billige Kampagne, wenn man das positive mediale Echo betrachtet.
Seitens der größten Oppositionspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) wurde eine Beschwerde gegen die PO-Vorwahlen bei der staatlichen Wahlkommission eingereicht, da solche Vorwahlen gegen das Wahlgesetz verstießen. Dies blieb allerdings ohne Erfolg. Das Vorgehen der PiS zeigt aber, dass ihr der unerwartete und bisher erfolgreiche Schachzug der PO nicht zusagt.
Die Professionalität, mit der die PO hier agiert, deutet darauf hin, dass sie sich zu einer modernen Volkspartei entwickelt, was ihr ein großes Potential eröffnet. Auch beide Kandidaten haben bisher bewiesen, dass sie mit der Konkurrenzsituation gut umgehen können. Dies zeigte sich etwa bei der zwischen ihnen geführten Debatte auf dem Parteitag der „Jungen Demokraten“ Anfang März in Kattowitz. Beide Kandidaten respektierten den jeweils anderen, der Umgang miteinander war von professioneller Freundlichkeit geprägt, die jedoch keineswegs gekünstelt wirkte. Ein Nebeneffekt dieser Debatte war das starke mediale Interesse an dem Parteitag der Jungen Demokraten.
Dennoch kommt der inhaltliche Streit zwischen den Kandidaten mit manchmal spitzen Bemerkungen zum Konkurrenten nicht zu kurz, was zur Aufmerksamkeit der Medien beiträgt. Manches haben beide Bewerber gemeinsam. So waren beide in kommunistischer Zeit in der Opposition und mit der Solidarność-Bewegung verbunden und gehören innerhalb der PO dem stärker konservativen Lager an. Während der jüngere Sikorski die 1980er Jahre jedoch als Student in Großbritannien und anschließend als britischer Auslandskorrespondent in Afghanistan, Afrika und Jugoslawien verbrachte, die britische Staatsbürgerschaft erwarb und erst 1990 wieder nach Polen zurückkehrte, lebte der zehn Jahre ältere Komorowski mit Frau und fünf Kindern die ganze Zeit im Lande, war während des Kriegsrechts interniert und danach als Lehrer in einer kirchlichen Einrichtung tätig. Parteipolitisch war Komorowski zunächst in der Freiheitsunion und dann in der Konservativen Volkspartei führend engagiert, bevor er sich 2001 der neu gegründeten PO anschloss. Von 1990 bis 1993 fungierte er als Staatssekretär im Verteidigungsministerium, 2000/01 als Verteidigungsminister und zwischenzeitlich als Vorsitzender des Verteidigungsausschusses, später u.a. als außenpolitischer Sprecher der PO. Seit 2007 ist er Parlamentspräsident.
Auch Sikorski war 1992 einmal - noch keine 30 Jahre alt – für kurze Zeit Staatssekretär im Verteidigungsministerium und später 1998 bis 2001 im Außenministerium. 2002 bis 2005 arbeitete er im konservativen American Enterprise Institute in Washington D.C. 2005 wurde er als Kandidat der PiS in den Senat gewählt und zum Verteidigungsminister in der nationalkonservativ-populistischen Regierung von Recht und Gerechtigkeit, Selbstverteidigung und Liga der polnischen Familien ernannt. Dabei fiel er durch manch dezidierte Meinungsäußerung auf. So verglich er medienwirksam die Ostsee-Gaspipeline mit dem Hitler-Stalin-Pakt. Im Februar 2007 schied er im Streit aus dem Regierungsamt aus und schloss sich erst im Herbst 2007 der PO an, für die er dann bei den vorgezogenen Neuwahlen Ende 2007 ins Parlament gewählt wurde und das Außenministerium übernahm. Sikorski ist mit der amerikanischen Journalistin und Pulitzer-Preis-Trägerin Anne Applebaum verheiratet und Vater zweier Kinder.
Bezüglich des Präsidentenamtes liegen die Unterschiede beider Kandidaten vor allem in ihrer Vorstellung, wie sie dieses Amt auszufüllen gedenken. Während Komorowski seinen Schwerpunkt auf innenpolitische Themen und die Rolle des Präsidenten als eines vermittelnden Landesvaters legt, der das Amt im Inneren stärken möchte, will Sikorski sich vor allem auf die Außenpolitik und Außendarstellung Polens konzentrieren und dadurch Polen zu einer stärkeren Position in Europa und der Welt verhelfen. Der ambitionierte Sikorski neigt trotz der als Außenminister geübten Diplomatie mehr zu prononcierten Positionen und dezidierten Auftritten. So will er Polen eine Führungsrolle in Europa verschaffen und die EU zu einer „Supermacht“ entwickeln. Komorowski steht dagegen für freundliche Verbindlichkeit und Berechenbarkeit.
Einer am 19. März 2010 in der Gazeta Wyborcza veröffentlichten Umfrage zufolge, die im Auftrag der PO durchgeführt wurde, wünschen die Polen sich einen Präsidenten, der gerecht, kompetent, patriotisch und intelligent ist. Er sollte ein Gespür für gesellschaftliche Probleme haben, weise und entschlossen sein. Auch werden ein gutes Auftreten, Verantwortungsbewusstsein und Vertrauenswürdigkeit als gewünschte Eigenschaften angegeben. Beiden Kandidaten der PO werden laut Umfrage viele dieser Eigenschaften zugeordnet, allerdings fehle es beiden am Gespür für die gesellschaftlichen Probleme. Zudem werden beide als nur wenig exponierte Patrioten angesehen. Allerdings wird auch festgestellt, dass die Wähler sich nach der Präsidentschaft des nationalkonservativen und stärker parteiisch orientierten Lech Kaczyński vor allem eine versöhnliche und kompromissbereite Präsidentschaft wünschen.
Es ist nicht eindeutig abzusehen, wer die parteiinterne Wahl für sich entscheiden und als Präsidentschaftskandidat der PO aufgestellt wird. Von den rund 45.000 Parteimitgliedern sollen fast 40 % erst nach dem Wahlsieg der PO 2007 in die Partei eingetreten sein, darunter viele junge Leute, wie überhaupt die junge Generation unter den PO-Mitgliedern dominiert. Die Granden der PO halten sich mit Positionierungen zurück. Im Gegensatz zu Sikorski, erhält Komorowski jedoch Unterstützung von politischen Autoritäten wie Prof. Władysław Bartoszewski, dem zweifachen früheren Außenminister und außenpolitischen Berater des Premiers, und von Altpräsident Lech Wałęsa. Auch die Frauen der PO-Gruppe im Europaparlament haben sich für Komorowski stark gemacht. Und von Premier Tusk heißt es, er bevorzuge ebenfalls Komorowski als den berechenbareren Kandidaten. Laut einer aktuelle Umfrage des CBOS-Insituts sind 45 % für die Präsidentschaft Komorowskis, nur 28 % für Sikorski. Beide liegen dabei jeweils vor den Konkurrenten der anderen Parteien einschließlich des amtierenden Präsidenten Lech Kaczyński, dessen erneute Kandidatur noch nicht fest steht.
Auch das TV-Finale des Vorwahlkampfes, das am Sonntag, den 21. März im Privatsender TVN24 in Form einer eingefriedeten Diskussion über die Bühne ging, stärkte die Position Komorowskis. Insgesamt wurde die Debatte, bei der aus über 1.000 per Internet eingegangenen Fragen, sieben ausgewählt und den Diskutanten gestellt wurden, als eher langweilig bewertet. Beide Kandidaten waren gut vorbereitet. Der Umgang miteinander blieb höflich, wenngleich Komorowski durch manche Belehrung seine Überlegenheit gegenüber Sikorski zu demonstrieren versuchte. Am Ende sah laut Meinungsumfrage des Fernsehsenders TVN eine Mehrheit von 60 % der Zuschauer genauso wie die Mehrheit der Kommentatoren Komorowski als Sieger. Auch die FAKT, die polnische BILD-Zeitung, verkündete als Aufmacher: „Komorowski hat gewonnen“. So gilt er nun als Favorit in der Ausscheidung.
Doch entscheiden werden die PO-Mitglieder. Man darf also weiter gespannt sein auf den Ausgang der Vorwahl, der am 27. März bekannt gegeben wird. Aber bereits jetzt hat die PO durch die geschickte Inszenierung dieses Vorwahlkampfes gewonnen. Die Partei geht nicht zerrissen, sondern gestärkt aus dieser Kandidaten-Konkurrenz hervor.
Mitautorin Anne Velder ist seit März 2010 als Trainee im Auslandsbüro Polen der Konrad-Adenauer-Stiftung tätig.
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