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Henri Ménudier, lange Jahre Professor für Deutschlandstudien an der Universität Sorbonne III in Paris und deutschlandpolitischer Berater des französischen Staatspräsidenten Mitterand, erläuterte beim Forum "Politik & Sicherheit" in Potsdam am 28. September 2015 den französischen Blick auf das vereinte Deutschland. Das Forum wird von der Konrad-Adenauer-Stiftung Brandenburg in Kooperation mit der Gesellschaft für Sicherheitspolitik, der Deutschen Atlantischen Gesellschaft und dem Reservistenverband Brandenburg veranstaltet. Rund hundert Teilnehmer nahmen an dem Forum zur Deutschen Wiedervereinigung teil.
Nach 1945 habe, so Ménudier, das Wort von General de Gaulle gegolten, dass es nie wieder ein großdeutsches Reich geben sollte. Später, im Kalten Krieg, habe hinter den Lippenbekenntnissen zur deutschen Einheit die Einschätzung gestanden, diese werde sowieso nicht kommen. Als sie dann doch möglich wurde, habe Mitterand sich schließlich auf die Seite derer in Frankreich gestellt, die meinten, die deutsche Einheit werde so oder so kommen und sei nicht zu stoppen, nur durch Bedingungen zu lenken. Zu diesen Bedingungen hätten eine demokratische Entscheidung auch in der DDR gehört, die Einbeziehung der Rechte der vier Siegermächte, die Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze im Osten, der Verbleib des vereinten Deutschlands in der Nato und der Wunsch nach einer politischen Vertiefung der Europäischen Union, wie sie dann mit dem Maastricht-Vertrag Anfang 1992 auf den Weg gebracht wurde. In diesem Kontext sei die häufig kritisierte Reise Mitterands, auch in seiner damaligen Eigenschaft als EU-Ratspräsident, in die DDR unmittelbar vor Weihnachten 1989 und sein Treffen mit Gorbatschow wichtig gewesen. So habe sich der französische Präsident vor Ort selbst ein Bild von der Situation in der DDR machen und die Haltung des sowjetischen Generalsekretärs der Kommunistischen Partei in Erfahrung bringen können. Da die französische Botschaft in Berlin zu dieser Zeit von dem Weiterbestehen einer reformierten DDR ausging und Gorbatschow die deutsche Einheit noch strikt ablehnte, seien diese Gespräche von Bedeutung für die Ausrichtung der Politik Mitterands gewesen, der am Ende die Wiedervereinigung konstruktiv begleitete.
Zentrale These von Prof. Ménudier war: in Frankreich herrsche heute ein ambivalentes Bild vom vereinten Deutschland vor. Hinter dem an sich positiven Bild des europäischen Partners machten sich insbesondere bei Problemen und Spannungen im beiderseitigen Verhältnis die Verwerfungen der Vergangenheit immer wieder bemerkbar, die drei Kriege zwischen 1870 und 1945, die tiefe Spuren hinterlassen hätten. Politisch bewundere man zwar die Stabilität und Kompromisskultur des deutschen Systems und die Verlässlichkeit des europäischen Partners, zuletzt hätten jedoch die Entscheidungen von Kanzlerin Merkel in der Energiepolitik und bei der Flüchtlingsfrage, wo Deutschland ohne Abstimmung mit seinen europäischen Partnern radikale politische Richtungswechsel mit Folgen auch für die Nachbarländer vollzogen habe, für Irritationen gesorgt. In Bezug auf die Flüchtlingsfrage komme hinzu, dass man wohl in Deutschland die Folgen nicht realistisch genug eingeschätzt habe. Zwiespältig sei der Blick auch im Bereich von Finanzen und Wirtschaft: einerseits werde die Wirtschaftskraft, Reformfähigkeit und solide Haushaltslage bewundert, andererseits würden der in französischer Perspektive zu starke Ordo-Liberalismus und die Austeritätspolitik Deutschlands kritisiert. Bei den Linken wie Rechten in Frankreich seien Merkel und Schäuble mittlerweile die Sündenböcke für die Europakrise. Außenpolitisch werfe man in Frankreich Deutschland gerne mangelndes Engagement vor. Als führendes Land müsse man eben auch (militärische) Aufgaben übernehmen, die unangenehm sein können und könne nicht wie eine größere Schweiz agieren und sich raushalten, so werde öfter in Frankreich moniert.
Grundsätzliche Kritik äußerte Henri Ménudier bezüglich der Europapolitik Deutschlands und Frankreichs. Merkel und Holland führten eine Art Feuerwehrpolitik durch, was aber nicht genüge. Wichtig seien viel mehr Impulse für die Handlungsfähigkeit der europäischen Institutionen, gemeinsame europäische Strategien und politische Inhalte. Diese fehlten weitgehend. Die EU sei an sich ein großer Erfolg, werde heute allerdings mit etlichen Zerfallserscheinungen konfrontiert: die Euro-Krise, die Flüchtlingsfrage, Abspaltungstendenzen in Spanien und Großbritannien, internationale Krisen und nicht zuletzt auch das Aufkommen rechter Europakritiker, wie in Frankreich der Front National. Umso mehr sei in Europa politische Führung notwendig, die bislang ganz wesentlich von Deutschland und Frankreich ausgegangen sei. Gäbe es keine feste Führung, dann könne es angesichts der großen Herausforderungen schlimm werden.
Schließlich die Frage, warum Frankreich sich bei der Aufnahme von Flüchtlingen eher zurückhalte. Bei 7-8 Prozent Muslimen im Land und den damit verbundenen Integrationsproblemen und den Regionalwahlen am 13. Dezember vor Augen, sei die Flüchtlingskrise in Frankreich ein heißes und sehr ernstes Wahlkampfthema geworden. Vor allem der rechte Front National bekomme dadurch Aufwind und liege laut aktuellen Umfragen schon bei ca. 33 Prozent. Von daher gebe es wenig Wille und Spielräume für eine Politik der offenen Tür, wie sie Deutschland betreibe, was zunächst in Frankreich durchaus positiv aufgenommen worden sei, wenig später sei aber angesichts der Konsequenzen die Stimmung in Frankreich recht schnell umgeschlagen.
Prof. Ménudier hielt auf dem Forum den Teilnehmern einen kritischen Spiegel von außen vor. Gerade in einem so eng vernetzten Europa ist diese Perspektive von außen von enormer Bedeutung, um das europäische Verständnis und gemeinsame Handeln zu fördern.