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Der Papst aus Deutschland
Seine Bedeutung und seine Botschaft aus ökumenischer Sicht
Zustimmung, Widerspruch, Hoffnungszeichen
Ein Kommentar von
Dr. Dr. h.c. Wilhelm Hüffmeier,
Präsident des Gustav-Adolf-Werks – Diasporawerk der EKD
Veranstaltung des Bildungswerks Potsdam der Konrad-Adenauer-Stiftung am
14. September 2011 im Gemeindehaus St. Peter u. Paul, Potsdam
Meine Damen und Herren, liebe Schwestern und Brüder!
Dass Herr Raabe von der Konrad-Adenauer-Stiftung zu der innerkatholischen Sicht auf den Papst aus Deutschland von Dr. Christoph Böhr auch den Blick des Anderen, den Blick aus der evangelischen Kirche hinzugenommen hat, ist eine schöne ökumenische Geste. Vor allem entspricht sie dem, auf den der Blick sich richtet.
Am Tag nach seiner Wahl hat der Papst es in einer ersten Botschaft an die in der Sixtinischen Kapelle versammelten Kardinäle als vorrangige Verpflichtung seines Pontifikats bezeichnet, „mit allen Kräften an der Wiederherstellung der vollen und sichtbaren Einheit aller Jünger Christi zu arbeiten“. Und im Blick auf seinen bevorstehenden offiziellen Besuch in Deutschland hat er selber im Vatikan ausdrücklich darauf hingewirkt, „dass im Land, in dem die Reformation ihren Ursprung nahm, ein stärkerer ökumenischer Akzent“ gesetzt wird als ursprünglich in der Planung vorgesehen und dass „die Begegnung mit den evangelischen Christen gebührenden Raum erhält“. Er selber bekennt sich also dazu, in einer ökumenischen Perspektive wirken zu wollen.
„Gute Blicke braucht das Schifflein Kirche, Blicke, die in ihr Jesu Christi Werk in den Zeiten wahrnehmen“, hat der Hamburger Weibbischof Hans-Jochen Jaschke in einem Essay über seinen Lehrer Joseph Ratzinger als Menschen und Theologen kürzlich geschrieben (in: W. Thiede (Hg.), Der Papst aus Bayern. Protestantische Wahrnehmungen, 2010, S. 61). Um einen solchen Blick bemüht sich mein Kommentar, allerdings um einen Blick der „Sympathie in der Wahrhaftigkeit“, um den Titel der Sozialenzyklika Benedikt XVI. von 2009 leicht abgewandelt aufzunehmen.
Mit einer persönlichen Erinnerung möchte ich beginnen. Der Tag der Wahl des Papstes, der 19. April 2005, steht mir deshalb unvergesslich vor Augen, weil er mit dem Geburtstag meiner Frau zusammenfiel. Auf den Anruf eines Freundes der Familie hin saß die ganze Geburtstagsgesellschaft – damals noch in Berlin – plötzlich vor dem Fernseher. Auch eine Form von Ökumene, auch wenn wir nicht sagen konnten „Habemus papam“, sondern einfach „Habent papam“. Von den Anwesenden, darunter ein türkischstämmiger Nachbar mit seiner katholischen Frau wurde ich gefragt, was ich als evangelischer Theologe von dem gerade gewählten Papst halte. Damals habe ich geantwortet: „Der neue Papst ist ein hoch gebildeter, leidenschaftlicher und kluger Theologe. Ich bin gespannt, was er aus den Möglichkeiten, die er nun als Papst hat, macht.“ Aber ich fügte hinzu, was die Ökumene mit uns Evangelischen angehe, sei ich aus verschiedenen Gründen skeptisch. Es gebe bislang keine wirklich ermutigenden Signale von Seiten des Vatikans. Aber wir Protestanten seien auch ein nicht ganz leicht zu handhabende ökumenische Partner und dann seien da vorrangig die orthodoxen Kirchen und die Anglikaner, aber neuerdings besonders in Afrika und Südamerika auch die Pfingstkirchen, ganz abgesehen von den Problemen, die die römisch-katholische Weltkirche mit sicher selber hat. So mein Votum vor 6 Jahren. Viel geändert hat sich seither nicht. Nur dass die innerkatholischen Problem bekanntlich zugenommen haben.
Auf der Linie dieser Einschätzung will ich deshalb im Folgenden drei Dinge näher entfalten: 1. den Respekt und die Zustimmung, die viele Protestanten gegenüber dem Wirken Papst Benedikts XVI. empfinden, 2. die Skepsis bis hin zum Widerspruch gegenüber den ökumenischen Grundsätzen des Papstes, um schließlich 3. mit einer theologisch begründeten Hoffnung zu schließen. Zunächst
I. Respekt und Zustimmung
Papst Benedikt XVI. erscheint mir als jemand, dessen Wort und Haltung Zeugnis von einer unerhörten geistlichen Sammlung geben. Seine Konzentration auf das Zentralthema der Kirche, nämlich darauf, dass „Gott gesehen“ und geglaubt „wird“ (Salz der Erde, S. 69) beeindruckt, auch wenn der Protestant mehr mit Paulus betont, dass der Glaube aus dem Hören kommt (Röm. 10, 17). Doch das ist kein Widerspruch. Derselbe Paulus will ja mit seinen Worten nichts anderes, als Jesus Christus vor Augen malen (Gal. 3,1). Worte, die nichts sehen lassen, sind leer. In seinem Jesusbuch entwirft Joseph Ratzinger einen – wie der katholische Theologe Thomas Söding es formuliert hat – „großen farbigen Jesus-Film in Stereo“ (bei M. Gehlen, Tagesspiegel vom 15. 4. 2007, S. 10). Die unerhörte Sammlung des Papstes geht also – ein urevangelisches Anliegen – von der Bibel aus. Ihr gilt nicht nur das Interesse des Theologen, sondern auch des Predigers Joseph Ratzinger, der immer wieder Worte findet, die Menschen anrühren. Seine prägnante Sprache vermittelt Autorität. Als Bischof von Rom hat er am Sonntag Lätare im März 2010 die evangelisch-lutherische Gemeinde in Rom in ihrer Christuskirche (übrigens ein Geschenk Preußens an Rom) besucht und dabei in freier Rede den Evangelientext aus Johannes 12, 20-26 ausgelegt.
Ganz ähnlich habe ich ihn einmal erlebt, als er noch Präfekt der Kongregation für die Glaubenslehre war und wir ihn mit dem Präsidium der Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa – der Leuenberger Kirchengemeinschaft in den Räumen des einstigen Hlg. Offizium besuchten. Auf Fragen aus unserer Mitte zum Verhältnis von Paulus zu den übrigen Aposteln und zur Vielfalt und Einheit im Urchristentum antwortete er mit einer spontanen 15minütigen Auslegung der Apostelgeschichte. Das kann nur jemand, der in der Bibel wohnt.
In der Predigt in der lutherischen Gemeinde hat Benedikt auch kurz von der Einheit gesprochen, die wir Katholiken und Protestanten schon haben und deshalb pflegen sollten: nämlich, dass wir „hier miteinander beten, miteinander die gleichen Lieder singen, miteinander das gleiche Wort Gottes anhören, es miteinander auszulegen und zu verstehen suchen dürfen, daß wir auf den einen Christus hinschauen, den wir sehen und dem wir gehören wollen, und daß wir so doch Zeugnis davon geben, daß er der Eine ist, der uns alle gerufen hat und dem wir im Tiefsten alle zugehören.“ Die „geistliche Ökumene“ hat Kardinal Kasper diese Gemeinsamkeit gelegentlich genannt (zit. bei W. Huber, Im Geist der Freiheit, S. 137). Sie wird auch das Treffen des Papstes mit Vertretern und Vertreterinnen der Ev. Kirche in Deutschland am 23. September im Erfurter Augustinerkloster bestimmen.
Der Papst selber hat in einem TV-Interview Anfang August 2006 in Castel Gandolfo vom Reifen zu einer „inneren Einheit“ gesprochen, „die, so Gott will, auch äußere Formen von Einheit bringt“ (Focus 14.8. 2006, S. 40). Ein Plural, der einen evangelischen Christen aufhorchen lässt. Nur eine sprachliche Nachlässigkeit? Bei Papst Benedikt kaum denkbar.
Aber der Protestant wüsste gern Genaueres. Benedikt sprach damals auch von den „großen ethischen Richtlinien“, um die sich die Christen „miteinander in der Gesellschaft“ mühen müssten. Die unerhörte Sammlung und Konzentration auf die Heilige Schrift, die beim Papst beeindruckt, blendet also die Welt nicht aus, sondern bezieht den Glauben, die Hoffnung und die Liebe auf sie. Dafür steht vor allem die schon erwähnte Sozialenzyklika „Die Liebe in der Wahrheit“ von 2009. Der damalige Ratsvorsitzende der EKD, Wolfgang Huber, hat sie ähnlich wie die vorgegangenen beiden Enzykliken über die Liebe und die Hoffnung ausgesprochen positiv gewürdigt. Bei unserem ehemaligen Ratsvorsitzenden und Berliner Bischof lief der Lebensweg bekanntlich fast umgekehrt wie bei Joseph Ratzinger, nämlich von der Sozialethik zur geistlichen Mitte der Kirche. Aber am Ende haben sie sich getroffen: Wer Glaube an Jesus Christus sagt, muss das geistliche Zentrum der Kirche in Gottesdienst und Katechese stärken und zugleich immer auch der politischen und sozialen Weltverantwortung, global und lokal, dienen.
Es bleiben dabei freilich auch deutliche, aber erträgliche Unterschiede, etwa im Blick auf die Rolle des sog. Naturrechts in der katholischen Soziallehre oder im Blick auf die vom Papst in „Die Liebe in der Wahrheit“ geforderte „echte politische Weltautorität“ (Nr. 67). Ihr gegenüber gibt Huber einer politischen Weltorganisation wie der UNO den Vorzug, weil darin die „existierende Pluralität“ der Kulturen und Wertvorstellungen mit der Notwendigkeit, Konsense zu finden, besser zur Geltung komme als in der Zumutung eines Wahrheitsanspruchs und sei des christlichen (W. Huber, in: Benedikt XVI., Die Liebe in der Wahrheit: Ökumenisch kommentiert, 2009, 200f). Solche Unterschiede und noch stärker solche in der Individualethik (z.B. Sexualität, Homosexualität, Ethos der Ehe) können aber die vielen Gemeinsamkeiten für den Schutz des Lebens, auch des ungeborenen Lebens, und zur weltweiten Verwirklichung der Menschenrechte nicht verdecken.
In seinen Interviews und Ansprachen hat der Theologe Ratzinger unter dem Stichwort „die Zeichen der Zeit deuten“ auch immer wieder Analysen der westlichen Gesellschaften, denen die kirchliche Verkündigung gilt, vorgetragen. Mit Diagnosen wie „Diktatur der Beliebigkeit“ (Salz der Erde, S. 71) oder „der Milieus“ (Einführung ins Christentum, S. 203) oder des „Relativismus“ oder der Risikoscheu vor langfristigen Bindungen (Focus 14.8.2006) bis hin zur heutigen „Gottesfinsternis“ trifft er zweifellos Grundzüge der Zeit. Auch wenn man solche Analysen manchmal für allzu grobschlächtig hält, nötigen sie doch immer zum Nachdenken darüber, wo und warum man ihnen zustimmen bzw. nicht zustimmen kann. Hier ergreift einer deutlich Position. Das gebietet Respekt, zumal der Papst aufgrund seiner Deutungen der „Zeichen der Zeit“, aber auch der unmittelbaren Wahrnehmungen ihrer Nöte – ähnlich wie sein Vorgänger Johannes Paul II. mit seinem „Habt keine Angst!“ – eine Art öffentlicher Seelsorger ist. Darin bringt er oft genug die Stimme der ganzen Christenheit zur Geltung, ist also de facto durchaus auch ihr Sprecher. Wo aber liegen dann die Probleme, die Protestanten mit diesem Papst haben? Dazu der Punkt II meiner Ausführungen.
II. Die Skepsis und der Widerspruch
Was meine, unsere Skepsis und unser Bedauern betrifft, so geht es um Fortschritte in der evangelisch-katholischen Ökumene. Da sind die seit dem Deutschlandbesuch von Papst Johannes Paul II. vor über dreißig Jahren – milde gesagt – unbeantwortet gebliebenen Bitten der evangelischen Seite um eucharistische Gastbereitschaft und sei es nur für konfessionsverschiedene bzw. -verbindende Ehepaare sowie um eine angemessene Würdigung gemeinsamer Sonntagsgottesdienste ohne Eucharistie. Trotz gewaltiger theologischer Anstrengungen zur Überwindung gegenseitiger Lehrverurteilungen und trotz der gegenseitigen Anerkennung der Taufe in Deutschland seit 2007 gibt es bislang keine offiziellen Signale zur Erfüllung dieser Bitten. Im Gegenteil.
Das sei zunächst an einem einzigen Wort deutlich gemacht, dem berühmten „subsistit“ in dem Dokument über die Kirche des II. Vatikanum. Das lateinische Wort bedeutet „real verwirklicht“. Im II. Vatikanum hatte es geheißen, die „einzige Kirche Christi, die wir im Glaubensbekenntnis als die eine, heilige, katholische und apostolische bekennen“, sei „verwirklicht in der katholischen Kirche“ (Lumen gentium Art. 8). Einer unsrer hervorragenden Theologen, der Tübinger Professor Eberhard Jüngel, den Richard von Weizsäcker einmal scherzhaft den „Ratzinger der Protestanten“ nannte, hat in einem Interview unmittelbar nach der Wahl des Papstes seine Hoffnung darauf gesetzt, dass der im Blick auf dieses berühmt-berüchtigte „subsistit“ Möglichkeiten aufzeigen könnte, die auch die katholische Kirche zu der Erkenntnis befreien, dass die „eine, heilige, katholische und apostolische Kirche“ Jesu Christi auch in anderen geschichtlich gewordenen Kirchen real verwirklicht ist. Angesichts der allerdings innerkatholisch ausgerichteten Erklärung „Dominus Jesus“ (Nr. 16) aus dem Jahr 2000 war Jüngel zwar seinerseits skeptisch. Aber er hoffte, „dass sich Benedikt XVI. an diesem Punkt noch etwas besinnen wird“ (idea Nr. 48/2005 vom 21. April). Zwei Jahre später wurde diese Hoffnung durch die vom Papst gebilligten „Antworten zu einigen Aspekten bezüglich der Lehre über die Kirche“ (29.6.2009) der Kongregation für die Glaubenslehre erneut zunichte gemacht.
Was Benedikt selber betrifft, steht natürlich nun im Vordergrund der Papst der Ansprachen und Homilien, der Katechesen und bewegenden Gesten, der Papst auf Weltjugendtagen, der lachende Papst mit jungen und alten Menschen an den Händen, der Papst, der von Priestern missbrauchten Menschen um Vergebung bittet, zum Teil auch mit ihnen weint, wiederum der seelsorgerliche Papst. Dahinter ist der ehemalige Präfekt der Glaubenskongregation, salopp ausgedrückt der sog. Panzerkardinal, aber geblieben.
In seinen Büchern erscheint er sozusagen in der Mischung von Prediger und Glaubenshüter. Sein Jesusbuch z. B. führt nicht wirklich zum historischen Jesus, sondern zeigt uns vor allem den römisch-katholisch eingehegten Jesus Christus, der nicht nur den sog. Einheitsdienst des Petrus, sondern auch die Eucharistie mit dem doch erst sehr viel jüngeren Transsubstantiationsdogma eingesetzt hat. Die dabei gebrauchte Methode ist leider historisch fragwürdig, weil sie statt Zweifel und relative Urteile auszuhalten, schlicht die Deutung der biblischen Worte durch die römische Kirche als deren wahren Sinn ausgibt.
Ich darf an dieser Stelle noch einmal an die schon erwähnte Begegnung mit dem Präfekten der Glaubenskongregation vor gut 15 Jahren erinnern. Nach jener gut 15minütigen Katechese der Apostelgeschichte war das Gespräch beendet. Rückfragen oder gar eine Aussprache gab es nicht. In Rom gibt es eben Bescheide. Als wir aber die Räume der Glaubenskongregation verließen, flüsterte mir ein Professor für Neues Testament aus Nordirland spitz zu: „If he had given this in an examen he would have failed“. Warum? Weil der Präfekt die relativ späte Sicht der Apostelgeschichte absolut gesetzt hatte und mit keinem Wort auf die Differenzen zwischen der Apostelgeschichte und Paulus selber etwa in Gal. 1 und 2 oder 1. Kor. 15 eingegangen war. Um bei Paulus zu bleiben, der nun mal der Apostel der Protestanten ist, noch ein Wort zur „Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre“ des Vatikans und des Lutherischen Weltbunds aus dem Jahr 1998, die so ganz ohne wirkliche ökumenische Konsequenzen blieb. Es war der katholische Neutestamentler Michael Theobald, der unmittelbar vor dem Abschluss der Erklärung, an der Joseph Ratzinger bekanntlich maßgeblich beteiligt war, daran erinnerte, dass der paulinische Sinn dieser Lehre nur bedeuten kann: „nehmt euch gegenseitig vorbehalt los als Kirchen Jesu Christi an. So allein werdet ihr eurer Berufung gerecht“ (ZThK 95, 1998, S. 116). Sein Appell verhallte ungehört.
Historisch höchst problematisch ist auch, so klagen evangelische Kirchengeschichtler, des Papstes Umgang mit den Kirchenvätern. Zu dem Buch von Benedikt „Die Kirchenväter – frühe Lehrer der Christenheit“ schreibt der Kirchenhistoriker Wolfram Kinzig am 28. Oktober 2008 in der FAZ, dass darin eine „historisch-kritische Sicht des frühen Christentums“ systematisch „im Dienste der reinen Lehre“ des werdenden Katholizismus verdeckt wird und der Kirchenvater Cyprian „mittels Paraphrasen und Zitatmontagen“ als „Theoretiker des römischen Primats“ präsentiert wird, obwohl der „nicht im Traum daran dachte, sich der Jurisdiktion oder der Lehrautorität Roms zu unterwerfen“.
Akademische Differenzen? So kann man es sehen und der Papst selber gibt in seinen Büchern immer wieder Anlass, die Wissenschaft in solch ein Licht zu stellen, obwohl er doch ein Protagonist der Vernunft ist und es hier um geschichtliche Vernunft geht. Im Blick auf die Ökumene werden wir aber erst dann entscheidend weiter kommen, wenn die Kirchen miteinander erkennen und akzeptieren, dass das Christentum in seinem Ursprung viel komplexer und pluraler war, als das in Benedikts Darstellungen des Jesus von Nazareth, aber auch des Paulus oder der Kirchenväter erkennbar wird. Diese Herkunft bleibt unsere Zukunft. Ob der große Theologe auf dem Stuhl des Papstes noch ein Signal aussendet, wonach er sein durch und durch römisch-katholisches Bild vom Ursprung des Christentums einer auch nur vorsichtig öffnenden Revision zu unterziehen bereit ist? Eine Selbstrelativierung der römischen Kirche wäre die Folge. Sie ist eine Voraussetzung für die weitere positive Entwicklung der Ökumene. Das wäre eine Stärkung der Hoffnung für unser Miteinander. Dazu nun Teil III meiner Ausführungen.
III. Die Hoffnung
Begonnen sei hier noch einmal mit einem Positivum. Das II. Vatikanum hatte die Protestanten noch „von uns getrennte Brüder“ genannt. Brüder, weil die Konzilsväter auch bei uns „Elemente und Güter“ wie „das geschriebene Wort, das Leben der Gnade, Glaube, Hoffnung und Liebe und andere innere Gaben des Heiligen Geistes“ wirken sahen (Unitatis redintegratio, Art. 3). Inzwischen ist aus den getrennten Brüdern ganz von selbst weithin die vorbehaltlose Anrede als Brüder und Schwestern geworden. Was für ein Fortschritt: Von den Häretikern, deren Lehre das tridentinische Anathema galt, hin zu dieser familiären Bezeichnung. In dieser Entwicklung steht offenbar auch der Papst von ganzem Herzen. Das hat eine Hoffnung begründende Dynamik. Wohin kann die führen?
Der Chefredakteur der Frankfurter Rundschau, Joachim Frank, ehemals Student der Theologie in Rom, hat sich dieser Tage in der evangelischen Monatszeitschrift „zeitzeichen“ ähnlich skeptisch wie ich hinsichtlich dessen geäußert, was Protestanten von Papst Benedikt erwarten können. Aber Frank schließt dann unter Hinweis darauf, dass die Päpste einen Sinn für symbolkräftige Gesten haben, mit einem „verwegenen Gedanken“. Ich zitiere: „Was wäre, wenn Papst Benedikt XVI. genau 490 Jahre nach der Bannbulle gegen Martin Luther, ein Dekret in der Tasche hätte, mit dem er die Exkommunikation des Reformators durch den Medici-Papst Leo X. aufhebt? Eine Bulle Benedikts namens „Ecce quam bonum“, inspiriert vom Beginn des 133. Psalms: ‚Siehe, wie fein und lieblich ist’s, wenn Brüder einträchtig beieinander wohnen’“ (Zeitzeichen 9/2011, S. 11). Frank nennt diese Hoffnung eine Hoffnung auf Wunder, die es allerdings nur selten gibt, aber von denen man doch träumen dürfe.
Ein allzu „verwegener Gedanke“? Man muss sicher darunter bleiben. Vielleicht genügt es schon, dass Benedikt ähnlich wie sein Vorgänger Johannes Paul II. vor 31 Jahren in Mainz lobende Worte für den Reformator findet und zeigt, dass er sein alles in allem negatives Bild Luthers, der Reformation und des Protestantismus (ich erinnere an die Regensburger Rede) deutlich mehr ins Positive gerückt hat und dabei zugleich deutlich sagt, welche Schuld die damalige Papstkirche an der Reformation trägt. Für unser Selbstbewusstsein als Kirche Jesu Christi brauchen wir das nicht. Aber für unser Miteinander wäre es gut. Die reformatorischen Kirchen haben jedenfalls den Spieß, was die Verwirklichung der wahren Kirche Jesu Christi angeht, nicht einfach umgedreht und gesagt, die sei nur in Wittenberg, Genf oder Straßburg real verwirklicht, wiewohl die Reformatoren dazu Grund gehabt hätten. Vielmehr sah Luther wahre Kirche trotz seiner Papstkritik auch in der römischen Kirche verwirklicht. Dabei ist es für uns trotz des I. Vatikanum von 1870 geblieben. Das ist, mit Weihbischof Jaschke gesprochen, unser guter Blick auf das Werk Jesu Christi im katholischen Schifflein Kirche.
Ich schließe mit Gedanken zu einem Zitat aus der päpstlichen Enzyklika „Auf Hoffnung gerettet“ aus dem Jahr 2007. Dort heißt es gegen Ende hin: „Unsere Hoffnung ist immer wesentlich auch Hoffnung für die anderen; nur so ist sie wirklich auch Hoffnung für mich selbst. Als Christen sollten wir uns nie nur fragen: Wie kann ich mich selber retten? Sondern auch: Wie kann ich dienen, damit andere gerettet werden und dass anderen der Stern der Hoffnung aufgeht? Dann habe ich am meisten auch für mich selbst getan“ (Nr. 49). Die Sätze sind gegen ein individualistisches Hoffnungsverständnis, nachdem vorher schon betont worden war, dass „unsere Existenzen … ineinander“ greifen, durch „vielfältige Interaktionen miteinander verbunden“ sind. „Keiner lebt allein. Keiner sündigt allein. Keiner wird allein gerettet. In mein Leben reicht immerfort das Leben anderer hinein: in dem, was ich denke, rede, tue und wirke. Und umgekehrt reicht mein Leben in dasjenige anderer hinein: im Bösen wie im Guten.“
Solche Gedanken müssen auch für das Miteinander der Kirchen gedacht werden. Unsere Kirchen sind – nicht nur in Deutschland – bald 500 Jahre „miteinander verbunden…: im Bösen wie im Guten.“ Gerade in den meisten unserer evangelischen Gottesdienste wird jeder Katholik die Grundstruktur der römischen Messe wiedererkennen, um nur ein Beispiel zu benennen. Wir bekennen gemeinsam das sog. apostolische Glaubensbekenntnis. Wir haben die eine Taufe. Dies alles und die vielen gemeinsamen Worte unserer Kirchen in Deutschland sind weitere Beispiele für wechselseitige gute und ehrliche Blicke. Sind das nicht vom Heiligen Geist gewirkte Zeichen der Zeit? Ist es nicht der Kirche des Papstes, die vom Heiligen Geist geleitet zu sein beansprucht, aufgegeben, auch diese Zeichen zu deuten? Mir scheint, dass Benedikt mit dem II. Vatikanum wenigstens im Grundsatz bereit ist, das zu tun. Es braucht aber Zeit, dafür die richtigen Formen zu finden. Der Vorschlag der evangelischen Kirchen lautet Kirchengemeinschaft mit der römischen Schwesterkirche. Die inhaltliche Basis könnte m. E. eine Kurzfassung der „Strukturen des Christlichen“ aus Joseph Ratzingers Buch „Einführung in das Christentum“ aus dem Jahr 1968 sein. Das wäre freilich eine Kirchengemeinschaft mit dem Papst, nicht unter ihm, analog dem Verhältnis von Petrus und Paulus. Insofern hat die katholische Gemeinde St. Peter und Paul in Potsdam den ökumenischen Namen schlechthin.