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"Zwischen Liebe und Zorn"
Ein Musikstück der Gruppe Renft von 1973 gab dem Lieder-Geschichtsabend der Konrad-Adenauer-Stiftung in Brandenburg über Rockmusik in der DDR zwischen Anpassung und Auflehnung seinen Titel: "Zwischen Liebe und Zorn". In einem gut zweistündigen Programm präsentierten Dr. Volker Höffer und Jörg Schliephake, beides studierte Historiker und Hobby-Musiker, die sich zum Musik-Duo "Zeitlos" zusammengeschlossen haben, rund 20 Rockmusikstücke aus der DDR zwischen 1965 und 1989. Die Musik und die Erläuterungen zu den Zeithintergründen durch Volker Höffer, der im Hauptberuf die Rostocker Außenstelle der Stasi-Unterlagenbehörde leitet, führten die gut 70 Zuhörer im Kulturtreff Moorscheune in der Prignitz am Samstag, den 10. März, zurück in die Zeit der DDR, die auf diese Weise in einer ganz anderen Art beleuchtet wurde und zum Klingen kam.
Waren es für die Mehrzahl der Teilnehmer Erinnerungen an die eigenen Jugendzeiten, die durch die Musikstücke wieder erweckt wurden, so erschloss sich für andere eine eher fremde Welt, hatte doch die DDR ein eigenes Genre deutschsprachiger Rockmusik hervorgebracht. Neben Renft (Als ich wie ein Vogel war, 1974) waren Stücke von Team 4 (Sag mir, wo du stehst 1968/89), Scirocco (Sagen meine Tanten, 1969), der Puhdys (Geh zu ihr, 1973), von Magdeburg (Kalt und heiß, 1974), Karussell (Ehrlich will ich bleiben, 1977), Lift (Nach Süden, 1978), Karat (Und ich liebe dich, 1983), City (Susann, 1987) oder Pankow (Langeweile, 1988) und Sandow (Born in the GDR, 1988) im Repertoire der Musiker vertreten.
"Als ob nichts gewesen wäre"
Die „Klaus Renft Combo“ ist ein gutes Beispiel für die Hintergründe und auch manche Abgründe, die an diesem Abend ebenfalls zur Sprache kamen. Ihre Lieder waren kritisch und populär, der Osten sang sie, die Band hatte - wie andere auch - Kultstatus in der DDR. Bereits 1958 von Klaus Renft gegründet, wurden die Auftritte der Band schon bald verboten. Die Musiker galten als renitent. Auch eine Umbenennung half da nichts. 1967 wurde das Verbot allerdings aufgehoben. Aufgrund der zeitweiligen Liberalisierung der Kulturpolitik und einiger Kompromisse konnte die Renft-Band Anfang der 1970er Jahre ihre für lange Zeit einzigen beiden Studioalben veröffentlichen. Renft trat bei dem vom Regime veranstalteten "Festival des politischen Liedes" und auch bei den prestigeträchtigen Weltjugendfestspielen in Ost-Berlin 1973 auf. Da viele Liedtexte aber zwischen den Zeilen Kritik am „real existierenden Sozialismus“ enthielten und die Band immer weniger Lust auf Linientreue hatte, wurde die Gruppe 1975 erneut verboten. Zwei Bandmitglieder bürgerte man nach neun Monaten Haft im Stasi-Gefängnis in Berlin-Hohenschönhausen und der Androhung von weiteren Haftjahren aus. Andere Band-Mitglieder verließen daraufhin "freiwillig" die DDR. Als Nachfolge-Band spielte die Gruppe Karussell, die sich 1977 mit den ehemaligen Renft-Mitgliedern Peter Gläser und Jochen Hohl gründete. 1990 fand sich die Band zu einer Wiedervereinigungs-Tournee durch die DDR erneut zusammen. 1999 veröffentlichte Renft nach fast 25-jähriger Pause ihr drittes Studioalbum "Als ob nichts gewesen wäre". 2003 feierte man mit einem Konzert auf Rügen ihr 45-jähriges Bestehen.
Die Stasi spielte mit
Doch die Stasi der DDR spielte fast die gesamte Zeit mit. Im März 2007 enttarnte sich das Bandmitglied Peter „Cäsar“ Gläser öffentlich als Inoffizieller Mitarbeiter (IM) der Staatssicherheit. 22 Jahre lang hatte er als IM „Klaus Weber“ auch bei der Stasi "gesungen". Die Verpflichtungserklärung unterschrieb er Mitte der 1960er Jahre als 17-Jähriger „voller Ideale“. Erst 1989, kurz vor seiner Ausreise in den Westen, beendete der Musiker die Verbindung mit der Stasi. Für Gläsers Bandkollegen hatte sein Verrat teilweise schlimme Folgen. Er trug zur Bandauflösung 1975, zur folgenden Ausreise einiger Band-Mitglieder, vor allem aber zur Verhaftung der Liedtexter Gerulf Pannach und Christian „Kuno“ Kunert bei wegen angeblich staatsfeindlicher Hetze. Auch später noch nach der Ausreise spionierte Gläser seine Kollegen für die Stasi aus und versuchte sie - erfolglos - zu instrumentalisieren. Später zeigte er - wie viele der Stasi-Denunzianten - wenig Einsicht oder Reue. Nur „Kuno“ gegenüber habe er „wirklich ein schlechtes Gewissen“, erklärte Gläser einmal. Sonst will er aber niemandem geschadet und nur belanglose Informationen weitergegeben haben. Allerdings offenbarte Gläser seine Stasi-Tätigkeit seinen Kollegen bereits 1990. 2008 starb er an den Folgen von Krebs.
Sicherheitsrisiko Rock
Eigentlich hatte die DDR das potentielle Sicherheitsrisiko Rockmusik ganz gut im Griff: Keine Gruppe durfte professionell ohne Erlaubnis spielen, die Konzerte wurden kontrolliert, die Texte gegengelesen. Die äußere Kontrolle genügte dem System aber nicht, man wollte auch intern die Dinge verfolgen. So wurden heimliche Stasi-IMs in den Gruppen angeworben oder platziert, mindestens einer in jeder Band, vor allem, wenn sie in den Westen durfte. Die Band Karussell, in gewisser Hinsicht Nachfolger von Renft in der DDR, hatte mit dem Gitarristen Peter Gläser und dem Keyborder Wolf-Rüdiger Raschke ("IM Wolf Kaiser") gleich zwei IMs, die nichts voneinander wussten.
Auch bei den Puhdys, einer der erfolgreichsten DDR-Rockbands, war die Stasi über den Keyboarder und Saxophonisten Peter Meyer mit dabei. Unter dem Decknamen „IM-Peter“ informierte Meyer von 1973 bis 1989 über Interna, wie erst 1993 bekannt wurde. Erst dann setzte der Musiker auch seine Bandkollegen in Kenntnis. Als Chef der Sektion Rockmusik beim DDR–Komitee für Unterhaltungskunst und mit seinen Stasi-Kontakten hatte für die Rockmusik nur Freiräume schaffen wollen. Er habe aber niemanden "angeschissen", erklärte Meyer. Das mag ein Fehler gewesen sein, wichtig sei jedoch der Effekt gewesen. Wenn es Probleme gegeben habe oder Westreisen zu regeln waren, habe er mit den Leuten aus dem Zentralkomitee, dem Kulturministerium oder eben mit der Stasi gesprochen.
Bei der Ost-Berliner Band Pankow, von der etwa der Song "Langeweile" von 1988 stammt, erfuhr Sänger André Herzberg 1996 aus seiner Stasi-Akte, dass einer seiner engsten Freunde, der Pankow-Gitarrist Jürgen Ehle, über die Jahre als "IM-Peters" für die Stasi spioniert hatte - im guten Glauben, etwas für Pankow und andere befreundete Musiker tun zu können, wie er sagte. Beide spielen seit der Wiedervereinigung der Band 2004 wieder zusammen trotz dieses Vertrauensbruchs. Die Bedingung Herzbergs dafür war, dass alles auf den Tisch kam und Ehle sich erklärte.
Es ist merkwürdig: Nicht selten scheint es so, als wenn die Stasi-Gehilfen nachträglich noch in Schutz genommen würden. Haben Sie - wie Puhdys Meyer und Pakow-Ehle - nicht vielleicht sogar tatsächlich "Freiräume" für die Rockmusik in dem perversen System der DDR "gesichert" und Schlimmeres verhindert? Oder sind dies nur Schimären? Und was ist mit den Vertrauensbrüchen, die mit der Stasi-Tätigkeit verbunden waren? Auch hier harrt vieles noch der Aufarbeitung. Bei den Bands und Musikern, deren Karriere nach der friedlichen Revolution erfolgreich weiterging, mag diesbezüglich manches im milden Licht erscheinen, bei anderen dagegen sind noch Fragen und manche Rechnungen offen. Erzählen tut not, um hinter die Kulissen zu schauen und verstehen zu lernen.
Daran wurde an diesem Abend in der Moorscheune in der Prignitz fast nebenbei erinnert. Doch die Musik sprach ihre eigene Sprache und weckte auch jenseits von Geschichte und Gesellschaft, jenseits der oft politisch doppeldeutigen Liedtexte persönliche Erinnerungen und Stimmungen bei den Zuhörern.