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In der Forumsreihe „Politik & Sicherheit“, die von der Konrad-Adenauer-Stiftung in Kooperation mit Gesellschaft für Sicherheitspolitik Potsdam, dem Reservistenverband Brandenburg und der Deutschen Atlantischen Gesellschaft veranstaltet wird, ging es am 19. September um die Frage: „Russland – Bedrohung oder sicherheitspolitischer Partner?“ Eingeladen als Referenten waren Brigadegeneral Reiner Schwalb, bis vor kurzem Militärattaché an der Deutschen Botschaft in Moskau und Oberst Edgars Einiks, Militärattaché an der Botschaft der Republik Lettland in Berlin, die jeweils eine Lageanalyse präsentierten. Gekommen waren über 130 Teilnehmer, was zeigt, auf welches Interesse das Thema stößt.
In seiner Einführung verwies der Landesbeauftragte der Adenauer-Stiftung für Brandenburg, Stephan Raabe, auf die Konflikte, in denen Russland involviert sei und die gerade im alten sowjetischen Machtbereich in Mittelosteuropa Befürchtungen auslösten: dazu gehören die Auseinandersetzungen in Transnistrien in der Moldau, in Abchasien und Südossetien in Georgien, in der Ukraine mit der völkerrechtwidrigen Annexion der Krim, der militärische Einsatz an der Seite des Assad-Regimes in Syrien, der Versuch der Einflussnahme auf die Präsidentenwahlen in den USA und aktuell auf die Volksabstimmung in Mazedonien am 30. September, verschiedene Hackerangriffe sowie die Vergiftung von Ex-Agenten oder Oppositionellen im Ausland. Gernot Erler, SPD-Politiker und von 2014 bis April 2018 Russland-Beauftragter der Bundesregierung habe deshalb auf einer Veranstaltung der Deutschen Atlantischen Gesellschaft in Berlin im April gesagt: „Die antiwestliche Politik Russlands wird nicht mehr hingenommen“. Und General Reiner Schwalb habe auf derselben Veranstaltung von einer „Paranoia der Bedrohung von innen und außen“ gesprochen, die er in Russland wahrnehme. Zu fragen sei vor diesem Hintergrund, wie man mit dem europäischen Nachbarn Russland, der wieder in den alten Kategorien von „Einfluss-Sphären“ denke und handele, umgehen solle.
General Schwalb erläuterte zunächst, dass Russland als Einheit betrachtet werden müsse in seiner ganzen Ausdehnung von Europa bis nach Asien. Zudem sei es wichtig, die unterschiedlichen Perspektiven Russlands und des Westens jeweils wahrzunehmen. So habe die Ukraine-Krise für Russland mit dem – in russischer Sicht - vom Westen beförderten Sturz des ukrainischen Präsidenten Wiktor Janukowytsch am 22. Februar 2014 begonnen, während der Westen in dem von Russland unterstützen bewaffneten Separationsstreben in der Ost-Ukraine und der Annexion der Krim durch Russland am 18. März 2014 die Ursache der Krise sehe.
Der ehemalige deutsche Militärattaché gliederte seinen Vortrag in drei Teile: Was sehen wir? Was hören wir? Welche Folgerungen sind angezeigt? Im ersten Teil ging er auf die militärischen Großübungen Russlands ein, seine relativ überschaubaren Militärausgaben, die mit 42 Milliarden Euro nicht sehr viel höher als die deutschen seien, auf das begrenzte Personalpotential (ca. 870.000 Soldaten bei 310.000 Wehrpflichtigen), die relativ schwache Wirtschaftskraft, die Truppenverlagerungen an die ukrainische Grenze, die militärische Unterstützung der Separationsbewegung in der Ost-Ukraine und die patriotische Erziehung in einer eher „unheiligen Allianz“ mit der orthodoxen Kirche. Die Schilderungen vermittelten den Eindruck, dass die militärische Stärke Russlands bei genauer Betrachtung Anzeichen Potemkinscher Dörfer aufweise.
Bezogen auf den Konflikt in der Ost-Ukraine berichtete Schwalb von Waffenlieferungen Russlands an die Rebellen und Rückzugsräumen, die den Rebellen von Russland zur Verfügung gestellt worden seien, die er selbst beobachtet habe. Seit Sommer 2015 seien jedoch keine Geräte mehr übergeben worden, was nach Auffassung des Generals zeige, dass Russland das Minsker Abkommen vom 12. Februar 2015 durchaus einzuhalten gedenke. Außerdem deute der Ausbau einer Bahnverbindungslinie auf russischer Seite darauf hin, dass Russlands nicht vorhabe, sich die Ost-Ukraine einzuverleiben.
Im zweiten Teil, was zu hören sei, ging General Schwalb auf die Traumata bzw. Wendepunkte russischer Geschichte ein: 1812 die Okkupation durch Napoleon, 1917 die Oktober-Revolution und 1941 den Angriff Deutschlands. Zu bedenken sei, dass Russland historisch weitgehend autoritär bzw. im 20. Jahrhundert totalitär regiert worden sei und es im Land selbst keine Reformation oder Aufklärung gegeben habe. Ein Schlüssel zum Verständnis des Vorgehens im Herrschaftssystem Putins liege in den nationalen Interessen, die 1. durch Sicherheit und Stabilität nach innen und außen, 2. durch Respekt vor dem Land und 3. durch wirtschaftliche Entwicklung definiert seien. Von daher strebe Russland nach einer Sicherheitszone vor seinen Grenzen und sei im Zweifel auch mit negativem Respekt, also Angst der Nachbarn, zufrieden, wenn es positiven Respekt nicht erwerben könne. Das Ziel der wirtschaftlichen Entwicklung stehe in diesem System vor allem im Dienst der ersten beiden, weniger im Streben nach Wohlstand der Bevölkerung.
Stärke zeigen, Dialog führen und bei der Terrorbekämpfung kooperieren
Im dritten Teil ging General Schwalb auf die Folgerungen aus den Beobachtungen der Lage in Russland ein. Er nannte drei Handlungsoptionen für den Westen: 1. Stärke zeigen ohne Dialog; 2. Selbstbeschränkung und Dialog; 3. Stärke zeigen bei gleichzeitiger Selbstbeschränkung und Streben nach Dialog und Transparenz. Für letzteres plädierte der Referent, wobei als Zwischenziel vor allem eine Intensivierung der Sicherheitsbeziehungen in der Terrorismusbekämpfung in Frage komme.
Russland sei – nach Einschätzung von General Schwalb - nicht auf Krieg aus, da es sich seiner Unterlegenheit gegenüber der NATO bewusst sei. Ein grundsätzliches Problem sei die Wahrnehmung von Bedrohung auf beiden Seiten. Hier könne nur ein vertrauensstiftender Dialog helfen. Die zentrale Frage sei, ob wir Sicherheit vor oder mit Russland anstreben wollten. Im jedem Falle müsse der Westen jedoch geschlossen und verbindlich auftreten. Schwalb schloss mit einem Wort von Bundeskanzler Konrad Adenauer aus den 1950er Jahren: Wenn es gelänge Russland zu vermitteln, dass der Westen erstens keine Bedrohung darstelle für das eigene Land (auch die eigene Herrschaft?)und zweitens selbst stabil und einige dastehe, dann sei schon sehr viel erreicht. Heute sei die Situation wiederum genauso wie damals von Adenauer beschrieben.
Oberst Edgars Einiks, der lettische Militärattaché, erläuterte die Wahrnehmung Russlands in den drei Baltischen Staaten, die durch die Okkupation durch die Rote Armee im Frühjahr 1940 im Zuge des Hitler-Stalin-Paktes und die totalitäre Fremdherrschaft über ein halbes Jahrhundert ihr eigenes Trauma haben. Er stellte zunächst klar, dass die drei Staaten sich kulturell-historisch nicht als ein Teil Osteuropas, sondern Nord- bzw. Westeuropas sähen. Das primäre Ziel der russischen Regierung sei die Stabilität des eigenen Herrschaftsregimes, wozu alle zur Verfügung stehenden Mittel eingesetzt würden. In den Baltischen Staaten beobachte man mit großem Unbehagen eine unverhältnismäßige militärische Aufrüstung im Westen Russlands, die Verstärkung offensiver Fähigkeiten wie etwa die Schaffung einer Hubschrauberbasis und die Stationierung von Waffensystemen, wiederkehrende Grenzverletzungen im Luftraum, einen Mangel an Transparenz, Medienpropaganda, hybride Aktionen wie Cyberattacken und eine aggressive Außenpolitik. Russland zeige kein Interesse an Kooperation und Vertrauensbildung, sondern wolle sich offensichtlich „Respekt“ verschaffen durch den Aufbau einer furchteinflößenden Drohkulisse und gesellschaftspolitisch Einfluss ausüben. Seit April 2018 sei als eine Antwort darauf die Nato-Vorne-Präsenz in den drei Baltischen Staaten einsatzfähig mit drei Einheiten von ca. 400 bis 1.000 Personen, die jeweils halbjährlich abgelöst werden, während auf der anderen Seite mehrere Armeen mit vielen Tausenden von Soldaten stünden. Der Präsident Lettlands Raimonds Vējonis habe betont, dass sich sein Land nicht noch einmal kampflos einem Einmarsch ergeben würde. Diesbezüglich bauten die drei Baltischen Staaten auf das Verteidigungsbündnis der Nato. Zwar sehe man auch die wirtschaftlichen und militärischen Schwächen Russland, so Oberst Einigs. Mit großen Militärübungen wie „ZAPAD 2017“ wolle Russland einerseits Stärke demonstrieren, andererseits aber auch von eigenen Schwierigkeiten ablenken. In den Baltischen Staaten wolle man aber für alle Fälle möglichst gut gewappnet sein.
In der folgenden Diskussion mit dem Publikum wurden vielfältige Fragen gestellt mit Blick auf militärische Einsatzfähigkeit, Reservisten, glaubhafte Abschreckung, mögliche vertrauensbildende Maßnahmen etc. Trotz der Gesamtstärke der Nato gibt es regional mit Blick auf die Baltischen Staaten ein eindeutiges militärisches Übergewicht Russlands. Was passiere, so eine Frage, wenn Russland offen oder verdeckt die Baltischen Staaten besetze. Für die beiden militärischen Vertreter steht dann die Bündnissolidarität außer Frage. Ein solcher Konflikt sei nicht regional zu begrenzen. Das müsse Russland klar vor Augen stehen. Zudem sei ein konventioneller Krieg gegen die NATO Staaten für Russland nicht zu gewinnen. Um es aber gar nicht soweit kommen zu lassen, müsse Vertrauen auf beiden Seiten aufgebaut werden, so General Schwalb.
Bei kühlen Getränken wurden an diesem heißen Spätsommerabend die gewonnenen, doch recht differenzierten Einsichten in Gesprächen vertieft. Beim nächsten Forum „Politik & Sicherheit“ im November soll es um die Großmacht China gehen.