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Zur Aufarbeitung der DDR-Diktatur in Schulen

„Verbotene Autoren“ – „DDR-Bilder“ – „Zwischen Anpassung und Widerstehen“

Der Autor und Journalist Roman Grafe im Gespräch mit Schülern am Runge Gymnasium in Oranienburg

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Lesung und Gespräch mit Roman Grafe am Runge-Gymnasium Oranienburg

Die Folgen der Teilung Deutschlands und der Diktatur in der Sowjetischen Besatzungszone und der Diktatur der Sozialistischen Einheitspartei in der DDR können nur dann überwunden werden, wenn man sie kritisch aufarbeitet. Das ist bis heute im Osten Deutschlands, wo das Leben der meisten Menschen eng mit den über 40 Jahren der Diktatur verwoben ist, nicht einfach, aber dennoch notwendig. Gerade weil häufig eine aus eigenen Lebenserfahrungen herrührende Nostalgie das Leben in der Diktatur in einem eher sanften Licht erscheinen lässt, weil die Rechtfertigungen für das Geschehen in der DDR und die eigene Rolle dabei weiterhin Konjunktur haben und weil es unangenehm ist, das Leben von Eltern, Verwandten, vielleicht auch Lehrern oder Vorgesetzten in Frage zu stellen. So rührt die kritische Aufarbeitung auch noch 30 Jahre nach der Friedlichen Revolution an manche Tabus, die nicht wenige lieber ruhen lassen würden. Dass ehemaligen Funktionären und Tätern der Diktatur sowie deren politischen Nachfahren dies oft nicht gefällt, versteht sich.

Roman Grafe, Jahrgang 1968 und selbst Vater von Schulkindern, begibt sich mit seinen Lesungen und Gesprächen an Schulen mit Schülern genau hinein in diese widersprüchliche Situation. Selbst aufgewachsen in der DDR wollte er diese seit 1985 verlassen, was ihm aber erst 1989 noch vor dem Mauerfall gelang. Als Autor und Journalist hat er sich die Aufarbeitung der sozialistischen Diktatur zur Aufgabe gemacht, sachkundig, mit einem klaren Standpunkt und im kritischen Dialog . Daraus sind unter anderem einige Bücher entstanden wie:

  • Die Grenze durch Deutschland – eine Chronik von 1945 bis 1990 (Siedler Verlag, Berlin 2002);
  • Deutsche Gerechtigkeit – Prozesse gegen DDR-Grenzschützen und ihre Befehlsgeber (Siedler Verlag, München 2004);
  • Die Wandzeitung. Das Vergehen des Thomas Jonscher. Eine Geschichte aus der DDR (Zeitgeschichten e. V., Halle 2008);
  • Die Schuld der Mitläufer (Hrsg.). Anpassen oder Widerstehen in der DDR. Mit Texten von vielen bekannten DDR-Dissidenten (Pantheon, München 2009);
  • Mehr Licht. Das Lebenswerk des Roten Itting (Mitteldeutscher Verlag, Halle 2012), in dem es um die Lebensgeschichte eine unter beiden deutschen Diktaturen verfolgten Industriellen geht sowie
  • Schöne Grüße aus der DDR. Fotos von Dietmar Riemann und Texte von Roman Grafe (Mitteldeutscher Verlag, Halle 2012).

Vom 16. bis 18. Dezember 2019 war Grafe zu mehreren Themeneinheiten im Runge-Gymnasium in Oranienburg. Dabei ging es um „Verbotene Autoren“ in der DDR, ein Thema, das nicht nur für Deutschkurse erhellend ist; um „DDR-Bilder“ zum Leben in diesem Land und um „Die Schuld der Mitläufer“, wo es geradewegs um das Anpassen und Widerstehen in einer Diktatur geht.

 

„Verbotene Autoren“

Zu diesem Thema stellte Roman Grafe in einem Vortrag sieben DDR-Autoren in Wort und Bild anhand von Texten und einer PowerPoint-Präsentation mit Bildern und Liedern aus der DDR vor. Zunächst ging er auf die Unterscheidung von Funktionären der SED-Diktatur, Tätern, Mitläufern und Kritikern bzw. Verweigerern ein und auf die Folgen für letztere: Einschüchterung, Verbote, Abkanzelung, Verleumdung, Zersetzungsmaßnahmen durch die „Staatssicherheit“, Bestrafung, Ausreise oder Ausbürgerung.

Sodann beschrieb Roman Grafe dieses Vorgehen am Beispiel von sieben Autoren konkret:

  1. Bei Wolf Biermann und seinem Lied „Die Stasi-Ballade“, mit dem Ost-Berliner Straßenlärm im Hintergrund, dem „Sound der Diktatur“, und bei seinem Gedicht "Rücksichtslose Schimpferei (1962), in dem es heißt: „das Kollektiv liegt schief“. Die Folgen: zwei Mordanschläge auf den Liedermacher und Autor, Auftrittsverbot und schließlich die Ausbürgerung.
  2. Bei Reiner Kunze: der sich mit dem Schießbefehl an der Grenze auseinanderzusetzen wagte und der organisierten Lüge in der DDR die Stirn bot; hier wurde auch die Rolle von Hermann Kant, des Parteifunktionärs und Vorsitzenden des Schriftstellerverbandes der DDR, beleuchtet, als Befürworter und Exekutor staatlicher Sanktionen gegen Schriftstellerkollegen. Die Folgen: die Zersetzung durch Behandlung der Tochter durch die Stasi, schließlich die Ausreise; diese wurde von Hermann Kant mit dem menschenverachtenden Satz kommentiert: „Kommt Zeit, vergeht Unrat“.
  3. Bei Günter Ullmann mit seinem Gedicht „Toleranz“ (1977): „du störst dich an langen haaren / lauter musik / meiner nase / daß an der mauer / nicht auf papierblumen / geschossen wird / juckt dich nicht"; oder dem Gedicht „Probleme“ (1979): „bei müllers ist der fernseher kaputt / bei meyers das Auto / herr schulz braucht neue Jeans / seine frau einen neuen mantel / was wissen schon die in den gefängnissen / von unseren problemen“; schließlich mit seinem Stück: „wir sind schuld an unserer unschuld“. Ullmann blieb in der DDR, wurde dort in der Psychiatrie verschlossen. Gelegenheit auf das Schicksal der rund 250.000 politischen Häftlinge in der DDR einzugehen, Menschen, die sich dem System verweigerten. Gelegenheit, die Druckmechanismen zu benennen, so etwa, wenn Eltern die Wegnahme ihrer Kinder angedroht wurde.
  4. Georg Seidel: Dramatiker. „Alles mit Draht umwickelt, das Land, damits nicht auseinanderfällt“. Die Folge: Absetzung seiner Stücke.
  5. Uwe Kolbe: Veröffentlichungsverbot, ging Anfang der 1980er in den Westen: „Komm, gehen wir“.
  6. Freya Klier: Regisseurin, der Bruder nimmt sich nach einem Gefängnisaufenthalt das Leben, 1985 Berufsverbot, später Inhaftierung, erpresste Ausreise 1988.
  7. Stephan Krawczyk, Liedermacher, Schriftsteller, Ehemann von Freya Klier, Inhaftierung mit seiner Frau und Ausreise. Mit ihm zusammen tritt Roman Grafe so manches Mal auf.

Auf diese Weise, aus der Perspektive der verbotenen Autoren und ihrer Geschichten, entstand für die Schüler ein eindrückliches Gegenbild zu der oftmals im Familienkreis oder der Öffentlichkeit verharmlosten und nostalgisch betrachteten Diktatur der DDR. Die Texte entnahm Roman Grafe aus dem von ihm herausgegebenen Buch: Die Schuld der Mitläufer.

 

„DDR-Bilder“

Anhand von Fotos aus dem Bildband von Dietmar Riemann: Schöne Grüße aus der DDR. Fotografien 1975–1989, für die Roman Grafe Begleittexte verfasst hat, sprach er in dieser Themeneinheit mit den Schülern über die Bilder und das Leben in der DDR sowie die eigene Kenntnis davon durch Verwandte, Filme, Bücher. Das brachte ein Schüler schön auf den Punkt: „Man weiß es, obwohl man es nicht selber erfahren hat“.

In den Gesprächen ging es um die andere Lebensart unter den Bedingungen des Sozialismus, um Nachbarschaft, Urlaub, Zeit, Farben, äußere Tristesse und Lebensfröhlichkeit, Autos/Trabis, Gerüche, die Grenze, den „Mauerfall“, Propaganda, gelenkte Medien und Parallelwelten. Das Nebeneinander von persönlich guten Erfahrungen – „es war gut, weil es mir gut ging“ – und den gesellschaftlichen Umständen in der Diktatur kam zur Sprache. Auf diese Weise entstand ein differenzierter Zugang zum Leben in der DDR, der auch die eigenen Erfahrungen der Schüler berücksichtigte.

Der Fotograf Dietmar Riemann gehört ebenfalls zu den DDR-Dissidenten, die in dem von Grafe herausgegebenen Buch: Die Schuld der Mitläufer zur Sprache kommen und zwar mit dem Beitrag: „Ich wollte nicht mehr mitmachen. Geschichte einer Verweigerung.“

 

„Zwischen Anpassung und Widerstehen“

Hier wurde zunächst einmal im Gespräch mit den Schülern der Begriff „Mitläufer“ geklärt, sodann die Faktoren gesammelt, die ein Mitläufertum begünstigen. Weiter ging es mit den Begriffen Widerstehen (nicht mitmachen) und Widerstand (dagegen handeln).

Im Folgenden las Roman Grafe aus seinem Vorwort: „Das Schweigen der Mehrheit“ zu dem von ihm herausgegebenen Buch: Die Schuld der Mitläufer. Diskutiert wurde über die Motive für das Schweigen, die Devotheit der breiten Masse oder die Entschuldigungen: man habe doch keine Wahl gehabt, man habe nichts gewusst z.B. von den vielen politischen Gefangenen etc., man habe Befehle befolgt, man sei überzeugt gewesen von der guten Sache des Sozialismus, man habe dem Land gedient usw. Zwischen Anpassung und Widerstehen wurde die sog. „Jedermanns-Möglichkeit“ erwogen, ja oder nein zu sagen.

Am Beispiel des Fotografen Dietmar Riemann erläuterte Grafe die Entwicklung von der unpolitischen Anpassung zum Nichtmehrmitmachen, den Zwiespalt zwischen: „Euch geht es doch gut, Ihr habt doch alles“ und „dem tristen Alltag dieses kranken Staates“ bis zum Entschluss der Ausreise, um der Tochter nicht „das ständige Eingemauertsein“ zuzumuten.

Grafe schilderte einerseits das selbst erlebte Gefühl der Ohnmacht in der DDR, in der Hand von anderen zu sein, ausgeliefert zu sein; er vertrat aber auch die These, man habe da bleiben und anständig bleiben können. So habe etwa niemand zu den Grenztruppen gemusst. In Oranienburg war von 1962 bis 1990 das Grenzausbildungsregiment 40 im Stadtschloss stationiert, 1938 bis 1945 war dort eine SS-Polizeischule untergebracht. Jeder hätte auch nein sagen können, dafür allerdings Nachteile in Kauf nehmen müssen. Geläufige Rechtfertigungen von Mitläufern in der Diktatur der DDR wurden auf diese Weise in Frage gestellt und mit den Schülern diskutiert, die durch ihre familiären Hintergründe oft einen persönlichen Bezug zu diesen Themen hatten.

Bemerkenswert war, wie nachdenklich und differenziert sich viele Schüler in die Gespräche einbrachten und die aufgeworfenen Fragen reflektierten. Ein großer Dank an die beteiligten jungen Lehrer des Runge-Gymnasiums, dass sie diese notwendige Aufarbeitung ermöglicht und begleitet haben.

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Stephan Georg Raabe

Stefan Georg Raabe

Leiter des Auslandsbüros Bosnien und Herzegowina in Sarajevo

Stephan.Raabe@kas.de +387 33 215 240
Roman Grafe spricht vor Schülern über die Geschichte der DDR

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