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Reportajes internacionales

Neue Regierung im Irak

de Lucas Lamberty
Der Irak hat eine neue Regierung. Mehr als zwölf Monate nach den Parlamentswahlen im Oktober 2021 wählte das irakische Parlament am 27.10. mit Mohammed Shia al-Sudani einen neuen Ministerpräsidenten. Damit geht eine politische Hängepartie zu Ende, die die irakische Politik im vergangenen Jahr maßgeblich blockiert hat. Die Herausforderungen im Land sind groß. Ob das Kabinett von al-Sudani die notwendigen Veränderungen umsetzen kann, bleibt abzuwarten. Deutschland und Europa sollten die neue Regierung bei den benötigten Reformen unterstützen.

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Im Ranking der Staaten mit der längsten Zeit ohne gewählte Regierung führt Belgien unangefochten an erster Stelle. Fast zwei Jahre dauerte die Regierungsbildung in Brüssel, bis sich im September 2020 ein neues Kabinett formiert hatte. Doch auch der Irak spielt in dieser zweifelhaften Bestenliste vorne mit. Der eigene Rekord von 289 Tagen ohne Regierung, den das Land 2010 aufgestellt hatte, wurde 2022 überboten. Mehr als ein Jahr dauerte die Bildung einer neuen Regierung unter Ministerpräsident Mohammed Shia al-Sudani, die am vergangenen Donnerstag vom Parlament bestätigt wurde.


Dem vorausgegangen war eine politische Krise in Folge eines gescheiterten Regierungsbildungsversuchs der schiitisch-arabischen Sairoun-Bewegung von Muqtada as-Sadr, die als eigentlicher Sieger aus den Wahlen 2021 hervorgegangen war. Sadr hatte erstmals versucht, eine Mehrheitsregierung zu bilden und mit dem Prinzip der nationalen Einheitsregierung, das zuvor immer zum Einsatz gekommen war, zu brechen. Sein Versuch scheiterte am Widerstand anderer schiitischer, teilweise Iran-naher Parteien, die sich im „Coordination Framework“ (CF) zusammengeschlossen hatten. Im Juni 2022 zog Sadr seine Abgeordneten aus dem Parlament ab und verlegte seine Opposition auf die Straße. In der Folge kam es Ende Juli zur Erstürmung des Parlaments durch Anhänger Sadrs sowie Ende August zu bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen Sadristen und CF-nahen Milizen in der „Grünen Zone“ in Bagdad sowie im Süden des Landes.

 

Die neue Regierung

Der Rückzug der Sairoun-Bewegung aus dem Parlament hat sich als folgenschwerer Fehler Sadrs entpuppt. Nach Ausscheiden der Sadristen gelang es al-Sudani innerhalb von vier Monaten, eine neue Regierung auf die Beine zu stellen. Al-Sudani ist kein Unbekannter in der irakischen Politik. Er entstammt der schiitischen Dawa-Partei und beteiligte sich in den 1990er Jahren am Aufstand gegen das Regime von Saddam Hussein. Nach Niederschlagung des Aufstands ging er nicht wie viele seiner Mitstreiter ins Exil, sondern verblieb im Land. AlSudani verfügt über Erfahrung auf allen Regierungsebenen. Er begann 2004 als Bürgermeister der Stadt Amara, bevor er Gouverneur der Provinz Maysan wurde. Zwischen 2010 und 2014 gehörte er als Minister für Menschenrechte sowie von 2014 bis 2018 als Minister für Arbeit und Soziales den Regierungen von Nuri al-Maliki und Haider al-Abadi an.

Bei der nun von ihm gebildeten Regierung handelt es sich wie gewohnt um eine nationale Einheitsregierung, in der ein Großteil der irakischen Parteien vertreten sind. Die stellvertretenden Ministerpräsidenten werden mit Außenminister Fuad Hussein, Erdölminister Hayan Abdul Ghani und Planungsminister Mohammed Tamim von einem Kurden, einem Schiiten und einem Sunniten gestellt. 

Eine Mehrheit der Ministerposten – 13 von 23 – wird von schiitischen Arabern besetzt. Neben fünf direkt vom Ministerpräsidenten nominierten Ministern rekrutieren sich die restlichen acht Posten aus der „State of Law“-Koalition von Nuri al-Maliki sowie von politischen Armen mehrerer schiitischer Milizen, die allgemein als Iran-nah gelten. Darunter ist erstmalig auch ein Vertreter des politischen Arms der Miliz Asaib Ahl al-Haqq. Die Organisation hat sich 2006 von den Sadristen abgespalten und wurde in der Folge von Quds-Kräften, den für Auslandsoperationen spezialisierten Einheiten der iranischen Revolutionsgarden, ausgebildet und ausgerüstet. 2020 wurde Asaib Ahl al-Haqq von den USA als Terrororganisation eingestuft. Die Organisation wird in Zukunft das Ministerium für Höhe Bildung führen. Der gemäßigte Flügel des CF um den ehemaligen Ministerpräsidenten Haider al-Abadi sowie den schiitischen Kleriker Ammar al-Hakim ist nicht in der Regierung vertreten. Al-Hakim hatte bereits im Zuge des Regierungsbildungsprozesses erklärt, nicht Teil der Regierung werden zu wollen. 

Die sunnitischen Araber stellen sechs Ministerien. Darunter befindet sich auch das Verteidigungsministerium. Die Ministerien sind zwischen der Azm-Koalition des aus der zentralirakischen Provinz Salah Al-Din stammenden Muthanna al-Samarrai, der Siyada-Koalition unter Führung Khamis al-Khanjars aus der nördlichen Provinz Ninawa und der Takadum-Bewegung um Parlamentspräsident Mohamed al-Halbousi, der aus der Provinz Anbar kommt, aufgeteilt. Die irakischen Kurden verfügen über vier Ministerien. Neben dem von der KDP gestellten Außenministerium kontrolliert die Patriotische Union Kurdistans das Justizministerium. Über die Zuordnung der zwei weiteren Ministerien – Wiederaufbau sowie Umwelt – konnte bislang zwischen den beiden Parteien keine Einigung erzielt werden. Das letzte Ministerium – das Ministerium für Vertreibung und Migration – fällt an eine christliche Vertreterin.

 

Ein ambitioniertes Regierungsprogramm

Das Kabinett von al-Sudani hat zu Beginn seiner Amtszeit ein ambitioniertes Regierungsprogramm vorgelegt. Zu den Prioritäten der Regierung zählen der Kampf gegen Korruption, die Schaffung von Arbeitsplätzen, die Unterstützung sozial Bedürftiger, eine Reform der Wirtschaft mit Stärkung des Privatsektors sowie die Bereitstellung von staatlichen Dienstleistungen für die Bürgerinnen und Bürger. Die Prioritätensetzung liegt damit auf Linie der Vorgängerregierungen.

 

Besondere Beachtung finden drei Punkte im Regierungsprogramm:

  • Das Programm spricht sich für eine Stärkung der sogenannten Volksmobilisierungskräfte, die sich fast ausschließlich aus schiitischen Milizen zusammensetzen, innerhalb des irakischen Sicherheitssektors aus. Die Milizen wurden teilweise bereits in den 1980er Jahren im Rahmen des ersten Golfkriegs gegründet und kämpften damals auf Seiten des Iran gegen das Regime von Saddam Hussein. Insbesondere ab 2014 erlebten sie im Kampf gegen den Islamischen Staat eine deutliche Aufwertung. Sie sind größtenteils Iran-nah und und trotz ihres teils irregulären Charakters mittlerweile zu einer festen Säule des regulären irakischen Sicherheitssektors geworden, wobei sie mitnichten der vollständigen staatlichen Kontrolle unterliegen.
  • Im Vorfeld der Regierungsbildung hatte al-Sudani weitreichende Zugeständnisse an die kurdischen Parteien gemacht. So soll unter anderem der Streit über den unilateralen Export seitens der Kurdischen Regionalregierung durch die Einsetzung einer Expertenkommission entschärft werden. Im Rahmen dieser Kommission internationaler Experten soll eine nachhaltige Lösung zur Auslegung der irakischen Verfassung in der Angelegenheit erfolgen, die weiten Interpretationsspielraum bietet.
  • Das Programm sieht Neuwahlen bereits in einem Jahr vor. Die Ansetzung der Wahlen kommt allerdings nicht der Regierung zu, da sich das Parlament hierfür selbst auflösen muss. Es ist wenig wahrscheinlich, dass dies geschieht.

 

Die Regierung hat sich einen ambitionierten Zeitplan zur Umsetzung des Programms vorgenommen. Darin sind die genauen Schritte festgelegt. Der Plan sieht auch eine Aufhebung der von der Vorgängerregierung von Mustapha al-Kadhimi, dem im Ausland anerkannten aber im Irak weitestgehend unpopulären Ministerpräsidenten, im Rahmen der Übergangsperiode getroffenen Entscheidungen vor. Darunter fallen insbesondere Personalbesetzungen, die nach Oktober 2021 von der Übergangsregierung getroffen wurden. Noch in den ersten Tagen seiner Amtszeit hat al-Sudani damit begonnen, den Plan umzusetzen.

Es bleibt abzuwarten, ob es der Regierung unter al-Sudani gelingen wird, das Programm vollständig zu implementieren und damit weitreichende Reformen anzustoßen. Auf dem Papier verfügt al-Sudani durch die Unterstützung der Koalition des CF auch im Parlament über eine entsprechende Basis, um Reformen umzusetzen. Gleichfalls dürfte es schwierig werden, bei der Vielzahl der Akteure mit unterschiedlichen Interessen, die sich teilweise konträr gegenüberstehen, weitgehende Änderungen durchzusetzen. Die weitreichenden Versprechungen, die er für die Koalitionsbildung machen musste, wird er kaum halten können. Gleichwohl kommt al-Sudani seine große Erfahrung zu Gute. Im Gegensatz zu den meisten seiner Vorgänger verfügt er über Regierungserfahrung und weiß, wie er seine Prioritäten in der irakischen Administration durchsetzen kann.

Grundsätzlich steht al-Sudani unter Zugzwang. Er hat eine Vielzahl an Maßnahmen versprochen und die irakische Bevölkerung erwartet wesentliche Verbesserungen. Schon jetzt hat der Wahlkampf für die nächsten Parlamentswahlen begonnen. Auch wenn es aktuell unwahrscheinlich erscheint, dass die nächsten Wahlen bereits in einem Jahr stattfinden, steht al-Sudani damit von Beginn an unter Druck. Er muss Ergebnisse liefern. Gleichzeitig werden die Sadristen aus der außerparlamentarischen Opposition alles daransetzen, gerade dies zu verhindern und selber wieder zur stärksten Kraft bei der nächsten Wahl zu werden.

 

Bedeutung für die deutsch-irakischen Beziehungen

Die Bildung der neuen Regierung ist zunächst eine gute Nachricht für die deutsch-irakischen Beziehungen. Damit verfügt Berlin in Bagdad wieder über einen festen Ansprechpartner. Gerade mit Blick auf die notwendigen Reformen bringt al-Sudani viel Erfahrung mit und könnte – anders als seine Vorgänger – zu einem starken Ministerpräsidenten avancieren, der Veränderungen einleiten kann. Daran kann die deutsche Außenpolitik anknüpfen. Der Ruf Deutschlands im Irak ist gut – auch bei den an der Regierung beteiligten Akteuren. Gleichwohl könnten die Beziehungen durch die Beteiligung der von US-Seite als Terrororganisation designierten Asaib Ahl al-Haqq in Zukunft komplizierter werden. Bereits in den ersten Tagen suchte al-Sudani mehrmals das Gespräch mit der amerikanischen Botschafterin – offenbar auch, um Zweifel zu beseitigen. Das macht Hoffnung. Letztendlich werden die ersten 100 Tage zeigen, in welche Richtung sich der Irak unter seiner neuen Regierung in Zukunft entwickeln wird.

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