Eine vom Bundesministerium für Bildung und Forschung beauftragte Studie vom März 2024 zeigt, dass zwölf Prozent der Studierenden in Deutschland Gewaltakte der Hamas als legitimen Befreiungskampf ansehen. Gleichzeitig stellt die Studie fest, dass sich viele jüdische Studierende an ihrer Hochschule unsicher fühlen. Hochschulgruppen aus dem linksautonomen Spektrum diffamieren den Staat Israel, verharmlosen die Hamas und diskreditieren jüdische Studierende. Der Bundesverband der Recherche- und Informationsstellen Antisemitismus verzeichnete vor allem an Berliner Hochschulen einen Anstieg antisemitischer Vorfälle. Aber auch bundesweit steigt die Zahl der antisemitischen Übergriffe. Die Vorfälle reichen von Schmierereien an der Kölner Universität bis zu Störungen akademischer Feiern in Hamburg. Ein besonders gravierender Fall ereignete sich am 2. Februar 2024, als einem jüdischen Studenten außerhalb des Campus der Freien Universität Berlin von einem Kommilitonen schwere Gesichtsverletzungen zugefügt wurden.
„Zahnloser Tiger“ Zwangsexmatrikulation
Ungeachtet strafrechtlicher Konsequenzen führte der Vorfall aufgrund fehlender rechtlicher Eingriffsmöglichkeiten in Berlin nicht zu studienbezogenen Sanktionen. Andere Bundesländer ermöglichen die hochschulinterne Sanktionierung von Studierenden, wenn deren Aktivitäten einschlägige Ordnungstatbestände erfüllen. Darunter fällt unter anderem der Tatbestand der Straftat, auch außerhalb der Hochschule, sofern diese gegen Mitglieder der Hochschule gerichtet ist und eine Gefahr für die gesamte Hochschulgemeinschaft darstellt. Die Zwangsexmatrikulation als bisheriges Hauptinstrument der hochschulinternen Sanktionierung ist aber ein „zahnloser Tiger“, da sie aufgrund ihres grundrechtseingreifenden Charakters kaum verhängt wird. Der Berliner Senat plant daher, sein Hochschulordnungsrecht zu erweitern, um den Universitäten eine flexiblere Handhabe gegen Verstöße zu ermöglichen. Ein differenzierter Maßnahmenkatalog, ähnlich dem in Nordrhein-Westfalen, soll die Verhältnismäßigkeit von Sanktionen gewährleisten und unterschiedliche Verstöße angemessen adressieren. Angesichts der bundesweit zunehmenden antisemitischen Übergriffe an Hochschulen wäre es zu begrüßen, wenn die Berliner Debatte eine bundesweite Reform des Hochschulordnungsrechts anstößt. Die unzureichende Reaktion auf Vorfälle in Nordrhein-Westfalen unterstreicht allerdings, dass dies allein auch nicht ausreicht, um angemessen auf Fälle zu reagieren und potenzielle Täter abzuschrecken.
Selbstverständnis der Hochschulen
Die bislang geringe Zahl an Fällen, in denen Hochschulen Ordnungsmaßnahmen im Zusammenhang mit antisemitischen Vorkommnissen verhängt haben, ist auch in ihrem Selbstverständnis als autonome und selbstverwaltende Bildungseinrichtungen begründet. Hochschulen betrachten sich nicht als Ordnungsinstanzen, zögern daher, disziplinarische Maßnahmen gegen Studierende zu verhängen und meiden die Konfrontation mit aktivistischen Personen und Gruppierungen. Hanna Veiler, die Präsidentin der Jüdischen Studierendenunion Deutschland, beklagt: „Wir sehen Universitäten, die absolut ratlos sind und keine Mechanismen haben, um den derzeitigen Antisemitismus zu bekämpfen“. Der Berliner Vorschlag sieht deshalb die Bildung hochschulinterner Gremien vor, die antisemitische und andere Übergriffe bewerten und bei Feststellung solcher Übergriffe disziplinarische Ordnungsmaßnahmen verhängen. Diese direkt im akademischen Leben verankerten Gremien könnten dank ihrer Nähe und Dialogerfahrung mit der Hochschulgemeinschaft rasche und angemessene Reaktionen gewährleisten.
Recht auf verbindliche Untersuchung durch das Gremium
Erfahrungen mit bereits existierenden Hochschulgremien (Ordnungs- oder Exmatrikulationsausschüssen) in anderen Bundesländern sind aber ernüchternd. In den meisten Fällen bleiben sie inaktiv. Um hier Abhilfe zu schaffen, sollte die Zuständigkeit der Hochschulen für Ordnungsmaßnahmen erweitert und als zentraler Aspekt ihrer Selbstverwaltung gesetzlich festgeschrieben werden. Diese Erweiterung würde Ordnungsmaßnahmen fest im Selbstverständnis der Hochschulen verankern. Zudem müssten Hochschulen gesetzlich verpflichtet werden, bei Verstößen mit Hilfe von internen Gremien konsequent zu handeln. Vorstellbar wäre, dass Betroffenen gesetzlich das Recht auf verbindliche Untersuchung durch das Gremium zugesichert wird und diese Gremien dazu verpflichtet werden – dies macht der Berliner Fall deutlich –, auch außeruniversitäre Ordnungsverstöße auf ihre Relevanz für die Hochschule zu prüfen.
Rahmenbedingungen des Hochschulordnungsrechts
Es ist untragbar, dass jüdische Studierende antisemitischen Angreifern auf dem Campus deutscher Hochschulen begegnen müssen. Instrumente des Hochschulordnungsrechts, insbesondere die Zwangsexmatrikulation, können hier Bausteine zur Verbesserung der individuellen Sicherheitslage von Betroffenen sein. Dies setzt – neben abgestuften Ordnungsinstrumenten – aktive interne Bewertungs- und Sanktionsgremien, bessere gesetzliche Rahmenbedingungen und ein problem- und verantwortungsbewusstes Selbstverständnis der Hochschulen voraus.
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