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Antisemitismus, Verschwörungsmythen und die Rolle der Medien

Vortrag von Dr. Michael Blume

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Gerade zu gesellschaftlichen Krisenzeiten erleben Verschwörungsmythen einen regelrechten Aufschwung und massenhaften Zulauf. Dabei lässt sich jedoch leider immer wieder feststellen, dass Verschwörungsglaube tief mit Antisemitismus verwurzelt und der Gedanke an eine jüdische Weltverschwörung nach wie vor präsent ist. Antisemitismus ist jedoch nicht nur eine Gefahr für Jüdische Gemeinden auf der ganzen Welt, sondern auch für das gesellschaftliche Zusammenleben. Die Rolle der Medien, besonders der Social Media, scheint diesen Trend noch zu verstärken. Zu diesem Thema hat das politische Bildungsforum Thüringen in Kooperation mit dem Katholischen Forum Thüringen ein Online-Seminar mit dem Titel: Antisemitismus, Verschwörungsmythen und der Rolle der Medien veranstaltet. Als Experte war Dr. Michael Blume, Beauftragter gegen Antisemitismus in Baden-Württemberg, geladen. Moderiert wurde die Veranstaltung von Niklas Wagner, Leiter des Katholischen Forums Thüringen. 

Dr. Michael Blume begann seinen Vortrag mit einem Hinweis darauf, dass die Problematik des Antisemitismus in den letzten Jahren zunehmende Dringlichkeit erfahre. Dies ließe sich auch daran erkennen, dass politisch motivierte Straftaten zwar allgemein zurückgegangen seien, sich antisemitische Straftaten jedoch um 25% gesteigert hätten. Verschwörungsmythen und Antisemitismus seien stark miteinander verbunden. Daher stelle sich die Frage, warum über Jahrhunderte hinweg die jüdische Gemeinde mit der vermeintlichen Weltverschwörung in Verbindung gebracht wird. Dr. Blume erklärte diesen Zusammenhang anhand des Alphabets und der Rolle der Bildung im Judentum und in der Bibel. Demnach gründete Sem, der Sohn Noahas, mit seinem Enkel Eber das erste Lehrhaus in Jerusalem, wo sie den Menschen das Alphabet beibrachten. Dr. Blume führte aus, das Alphabet könne als erste Medienrevolution der Welt angesehen werden, da es aus lediglich 30 Buchstaben besteht, alle Sprachen der Welt damit ausgedrückt werden könnten und es von jedem Kind erlernt werden könne. Somit habe das Alphabet zu einer Demokratisierung geführt und die Idee der Bildung mit dem Judentum verbunden. Das Judentum wurde zur ersten Religion der Schrift und Bildung. Dies habe dazu geführt, dass Jüdinnen und Juden in der Geschichte oft besonders erfolgreich waren, denn im Gegenteil zu Menschen anderer Religionen waren sie in der Lage zu lesen und zu schreiben. Der Semitismus sei demnach die Mythen- und Medientradition auf der Basis des Alphabets, erläuterte Dr. Blume.

Die Wurzel des Antisemitismus liege auch in dem beschriebenen Bildungsvorsprung der Jüdischen Bevölkerung gegenüber anderen Gruppen. Demnach kämen, bei der Frage welcher Gruppe eine mögliche Weltverschwörung zuzutrauen sei, für viele nur die Juden in Frage. Dr. Blume erklärte den Teilnehmenden, dass es beim Verschwörungsglauben eine Pyramidenstruktur gäbe. Letztlich stehe dadurch immer eine Gruppe an der Spitze, welche alle vermeintlichen Pläne lenkt und die Welt regiert. So könne es zwar verschiedene Gruppen geben, die an dieser Weltverschwörung teilnehmen, wie die Illuminaten, Freimaurer usw., aber am Ende werde dennoch immer um eine Obergruppe verantwortlich gemacht. Weiterhin wies Dr. Blume darauf hin, dass eher von Verschwörungsmythen als Verschwörungstheorien gesprochen werden sollte, da es sich bei diesen nicht um wissenschaftliche Theorien handele, die sich rational widerlegen ließen. 

Ein Blick in die Geschichte zeigt, dass es schon ab dem 4. Jahrhundert Pogrome gegen Jüdinnen und Juden gegeben habe. Gerade die Römerzeit, aber auch das Christentum, habe eine lange antisemitische Tradition. Auffällig ist, dass gerade zu gesellschaftlichen Krisenzeiten, wie zum Beispiel der Pest oder den Kreuzzügen, die Jüdischen Gemeinden zum Sündenbock gemacht würden. Diese Tendenz lässt sich auch in der gegenwärtigen Corona-Krise feststellen. Außerdem betonte Dr. Blume, gäbe es einen Unterschied zwischen antijudaistischen und antisemitischen Positionen. Im Gegensatz zum Antijudaismus gehe der Antisemitismus davon aus, dass Juden eine „jüdische“ Herkunft oder Hautfarbe hätten. Es käme diese Ideologie nach also nicht darauf an welchen Glauben sie teilen, sondern lediglich auf ihre Herkunft und Ahnentafel. 

Der Begriff des Antisemitismus entwickelte sich im 19. Jahrhundert zunächst in Bezug auf die Sprachwissenschaften. Er wurde daraufhin jedoch schnell rassistisch aufgeladen und zweckentfremdet. Weiterhin sprach Dr. Blume das Verhältnis des Christentums und Judentums an. Auch die Kirche habe in diesem Zusammenhang zur Etablierung von Antisemitismus beigetragen. Viele Vorurteile, welche noch heute kursieren, seien im Mittelalter aus der christlichen Lehre entstanden. Daran ließe sich erkennen, dass sich der Antisemitismus mit jeder Religion oder Glauben verbinden lasse. In jüngster Zeit hätten die Kirchen jedoch angefangen, sich mit ihrer antisemitischen Geschichte auseinanderzusetzen und arbeiten diese gemeinsam mit Jüdischen Gemeinden auf. 

Grundsätzlich könne jede Person dem Glauben an Verschwörungsideologien verfallen. Menschen die in ihrer Kindheit unsichere Beziehungen oder Gewalt erfahren haben, würden jedoch vermehrt dazu neigen Verschwörungsmythen zu glauben. Je länger Menschen sich in diesen Strukturen befänden, desto schwerer sei der Ausstieg für sie. Daher sollten außenstehende Personen versuchen, frühzeitig einzugreifen und Hilfe anzubieten. Mit Blick auf Verschwörungsideologien stellte Dr. Blume ein 4-Stufen-Modell vor. Die erste Stufe des Modells bezeichnet das Abblocken. Dabei handele es sich um eine Strategie, die zunächst wenig mit Verschwörungsmythen zu tun hat und von allen Menschen angewendet würde. Denn niemand sei dazu in der Lage, sich dauerhaft mit negativen Nachrichten und Ängsten zu beschäftigen. Um im alltäglichen Leben zurechtkommen zu können, müssten daher schreckliche oder besonders leidvolle Dinge abgeblockt werden. Im Verschwörungsglauben handele es sich um eine besondere Art des Abblockens. Als problematisch empfundene Themen werden abgespalten und die Schuld an ihnen wird einer Gruppe zugeordnet. Auf der zweiten Stufe dem Dualismus werde die Welt aufgeteilt in eine Wir-gegen-die-Mentalität. Indem an Probleme, wie die Corona Pandemie, einfach nicht mehr geglaubt und die Schuld daran gleichzeitig einer Gruppe zugeordnet wird, erscheint die Welt plötzlich ganz einfach. Man braucht keine Angst mehr zu haben, sondern kann diese abspalten. Doch gleichzeitig muss eine Erklärung gefunden werden, wieso diese bestimmte Gruppe dazu fähig ist, Dinge zu inszenieren oder zu lenken. Das führe unweigerlich zum dritten Schritt, in dem schließlich der Antisemitismus ins Spiel kommt. Dabei radikalisiert der Antisemitismus seine Anhänger und es kommt zu einer Täter-Opfer-Umkehr. Somit werden die Rassisten radikalisiert und stellen sich dabei selbst als Opfer und ihre Gewalt als Notwehr dar. Der vierte Schritt, die sogenannte Tyrannophilie, bedeutet eine Zuflucht zu einem auserwählten Anführer, welcher die „böse“ Gruppe vernichten soll. Die betreffenden Menschen sehnen sich nach Schutz und schließen sich daher einem Tyrannen an, dem wiederrum alles erlaubt ist, um die Errettung zu gewährleisten. 

Darin zeige sich auch die große Gefahr des Antisemitismus, der nicht nur Jüdinnen und Juden, sondern die gesamte freie Gesellschaft bedroht. Denn Antisemiten werden immer wieder andere Gruppen als Sündenbock finden und beschuldigen. Antisemitismus, erläutert Dr. Blume, zerstöre Gesellschaften und das Miteinander unter den Menschen und sollte daher von allen gleichsam bekämpft werden. Auf die Frage, wie man Menschen, die sich Verschwörungsmythen hingezogen fühlen, helfen könne, antwortete Dr. Blume, dass eher gefragt als argumentiert werden sollte. Man solle die Angst der Menschen ernst nehmen und ihnen eher Fragen stellen und sie zum Nachdenken anregen, anstatt sie anzugreifen. Sonst könne es eher zu einem Rückzug und Radikalisierung der Person kommen. Weiterhin beantwortete Dr. Blume Fragen zur Holocaust-Pädagogik, zur Holocaustleugnung sowie zur antisemitischen Auslegung der Bibel und des Korans. 

Herr Wagner und Herr Bauer bedankten sich bei den Teilnehmenden für ihr reges Interesse und ihre spannenden Fragen, sowie bei Dr. Blume für seinen Vortrag. Herr Bauer wies dabei die Teilnehmenden auf eine Veranstaltung am 28.April zum Thema Judentum verstehen – Die Feier des Schabbat und die schöpferische Ruhe hin. 

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Landesbeauftragte und Leiterin Politisches Bildungsforum Thüringen

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