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Palästinensische Autonomiebehörde hat neuen Premierminister

de Marc Frings

Mohammad Shtayyeh folgt auf Rami Hamdallah

Am 29. Januar hat Präsident Mahmud Abbas das Rücktrittsgesuch seines Premierministers Rami Hamdallah angenommen. Der am 10. März 2019 vollzogene Machtwechsel zugunsten von Mohammad Shtayyeh verschärft indes die politische Lage. Während die Herausforderungen zunehmen, dominiert in Ramallah der Wille zur Machtkonsolidierung.

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Das Ende der Ära Hamdallah im Lichte der politischen Spaltung

Rami Hamdallah war seit 1998 Präsident der Al-Najah Universität von Nablus, ehe er 2013 an die Spitze der Regierung innerhalb der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) rückte. Seine Amtszeit fiel in die Zeit einer sich vertiefenden politischen Spaltung zwischen Fatah und Hamas. Beide Bewegungen reklamierten nach den Wahlen zum Palästinensischen Legislativrat (PLC) von 2006 den Führungsanspruch für sich; die meisten Parlamentssitze errang damals der politische Arm der Islamisten. 2007 kam es zu einem gewaltsamen innerpalästinensischen Konflikt, der schließlich zur Spaltung führte. Nach anfänglichen Startschwierigkeiten und einer unmittelbaren Rücktrittsankündigung von Hamdallah wurde schließlich unter seiner Führung eine Regierung der nationalen Einheit aus Fatah und Hamas gebildet, die im Juni 2014 ihre Arbeit aufnahm. Bereits ein Jahr später führte Präsident Abbas eine Regierungsumbildung durch, was von Seiten der Hamas als Provokation gewertet wurde.

Formell ist Hamdallah zurückgetreten, aber de facto wurde dieser Schritt vom Präsidenten erzwungen. Hierfür können drei Ursachen benannt werden: erstens ist der Rücktritt die Folge einer zunehmenden Spannung zwischen Hamas und Fatah, in deren Folge die Führung in Ramallah ihre Macht konsolidieren will; zweitens wird Hamdallah nachträglich die Verantwortung für eine gescheiterte Sozialversicherungsreform zugeschoben, die seit Herbst 2018 massive Proteste in den Straßen ausgelöst hatte und von Abbas zurückgenommen wurde; und schließlich zeichnet sich zunehmend ab, dass unter der politischen Elite die Vorbereitung für die „Post-Abbas-Ära“ vorangetrieben wird.

Der neue Premierminister: kein Technokrat, sondern Machtpolitiker

Mit Mohammad Shtayyeh übernimmt ein Politiker das Amt des Premierministers, der in jeglicher Hinsicht als Gegenentwurf von Rami Hamdallah betrachtet werden kann: Hamdallah eilte bis zuletzt der Ruf eines Technokraten voraus, der ohne politisches Netzwerk kein Gegengewicht zum starken Präsidenten bilden konnte. Er wurde weitestgehend als Marionette des Präsidenten wahrgenommen, mit miserablen Umfrageergebnissen und nur geringer politischer Ausstrahlungskraft.

Shtayyeh hingegen blickt auf eine langjährige Karriere in den Strukturen von Fatah, PLO und PA zurück: als Unterstützer der Zwei-Staaten-Lösung gehörte er seit der Madrider Friedenskonferenz (1991) diversen Verhandlungsrunden an; zuvor beteiligte er sich an der ersten Intifada, die 1987 in den besetzten Gebieten ausbrach. Von Präsident Obama zeigte er sich enttäuscht und zuletzt zeigte er sich besorgt, dass die Zwei-Staaten-Lösung die Präsidentschaft Donald Trumps nicht überleben werde. Als Mitglied des Fatah-Zentralkomitees gehört Shtayyeh seit vielen Jahren dem inneren Machtzirkel der palästinensischen Führung an. Zudem stand er bis zuletzt an der Spitze des Palästinensischen Wirtschaftsrats für Entwicklung und Wiederaufbau (PECDAR). Zuvor diente er als Minister für Finanzen und später für Arbeit in der PA-Regierung. Auch in der Fatah verantwortete er vor allem wirtschaftspolitische Felder. Diese Kompetenz wird künftig noch mehr gefordert sein: die Arbeitslosigkeit lag 2018 bei 32 Prozent, die Hälfte aller jungen Palästinenser ist ohne Beschäftigung. Während die Bevölkerung um 2,8 Prozent wächst, kühlt sich das Wirtschaftswachstum kontinuierlich ab und liegt derzeit bei nur 1,5 Prozent. Zugleich ist der Anteil der armen Bevölkerung auf knapp 29 Prozent gestiegen.[1]

Bislang ist Mohammad Shtayyeh nicht als Widersacher von Präsident Abbas in Erscheinung getreten. Mit Blick auf die politische Spaltung nimmt der Präsident eine harte Verhandlungsposition gegenüber Hamas ein, die keinen Raum für Kompromisse erahnen lässt. Innerhalb der Fatah wird erwartet, dass Shtayyeh diesen Kurs mittragen wird. Mit seinem internationalen Hintergrund – er promovierte an der Universität Sussex – und Initiativen zur besseren Geberkoordinierung in der Entwicklungszusammenarbeit ist er für das Ausland kein Unbekannter.

Zudem repräsentiert Shtayyeh mit 61 Jahren die mittelalte Fatah-Garde, die die erste Intifada geprägt hat und als Scharnier zu einer umfassenden demokratischen und personellen Erneuerung fungieren könnte, um so der Jugend – 70 Prozent in den besetzten Gebieten sind 30 Jahre oder jünger – einen Weg in die politischen Entscheidungsprozesse zu eröffnen. Mit diesem Profil, so der erste Eindruck, könnte der neue Premierminister wichtige und überfällige Impulse setzen. Indes wird er sich an das Korsett der PA gewöhnen müssen: die Macht liegt nicht beim Premierminister, sondern vorrangig im Präsidentenpalast. Es ist Mahmud Abbas, der letztlich in zentralen Feldern alleine entscheidet.

Versöhnung rückt in noch weitere Ferne

Die Spaltung ist mittlerweile tief in Politik und Gesellschaft eingedrungen. Bis heute konnte keine Initiative die erforderliche Versöhnung zwischen den verfeindeten politischen Bewegungen Fatah und Hamas auf den Weg bringen. Sie ist indes dringend nötig, da von allen Seiten immer wieder betont wird, dass erst mit ihrer Überwindung das Projekt einer demokratischen Erneuerung mit einer gesamtgesellschaftlichen Vertretung – sowohl innerhalb der Palästinensischen Autonomiebehörde als auch bei der Palästinensischen Befreiungsorganisation – vorangebracht werden kann. Ein von Ägypten vermitteltes Versöhnungsabkommen von Oktober 2017 führte zwar zu anfänglichen Erleichterungen für die Zivilbevölkerung in Gaza, scheiterte letztlich aber doch am Unwillen von Fatah und Hamas, schmerzhafte Konzessionen einzugehen. Spätestens im März 2018, als in Gaza ein Attentatsversuch auf Hamdallah und den Chef der palästinensischen Geheimdienste Majed Faraj verübt wurde, standen die Zeichen wieder auf Verhärtung.

Aber schon zuvor zeichnete sich ab, dass Hamas und Fatah kein Interesse am Ausgleich haben und zugleich machterhaltende Strategien vorantreiben. Während die islamistische Hamas seit 2017 mit einem neuen Programm („politisches Dokument“), einer neuen Führungsspitze in Folge von internen Wahlen und dem Kapern des zunächst zivilgesellschaftlich organisierten „Großen Marschs der Rückkehr“ Aufwind hat,[2] hinkt der säkulare Block schwer angeschlagen hinterher. Personelle und programmatische Veränderungen blieben trotz diverser Gelegenheiten bei Fatah und PLO aus. Es scheint, dass Präsident Mahmud Abbas seine Macht soweit konsolidiert hat, dass er zu Lebzeiten nicht mehr abtreten wird und somit auch das Versöhnungskapitel seinem Nachfolger überlässt.

Obgleich die Fatah in der öffentlichen Wahrnehmung Boden gutmacht, darf nicht übersehen werden, dass sie keine geschlossene Bewegung mehr ist: innerhalb der Partei bemühen sich mehrere Einzelpersönlichkeiten um die beste Ausgangslage für die Post-Abbas-Zeit. Auch strebt seit einigen Jahren der 2011 ins Exil verbannte und aus der Fatah ausgeschlossene Politiker und ex-Sicherheitschef des Gazastreifens, Mohammed Dahlan, nach einer neuerlichen Konfrontation mit Präsident Abbas. Insbesondere in Gaza genießt Dahlan in Teilen der Fatah hohes Ansehen. Wegen seiner dortigen familiären Wurzeln unterhält er zudem gute Beziehungen zur aktuellen Hamas-Elite, die er schon seit Kindheitstagen kennt. Im Fall von Legislativwahlen stünde deshalb die Gefahr im Raum, dass die säkulare Kraft mit mehreren Wahllisten anträte und so den Islamisten den Sieg überlassen würde.

Auf den neuen Premierminister reagierte die Hamas mit Ablehnung. Fawzi Barhoum, Sprecher der Bewegung in Gaza, kritisierte die Ernennung scharf: „Die neue Regierung, die ohne einen Konsens (zwischen den Fraktionen) gebildet wurde, zeigt das unilaterale Vorgehen von Abbas und sein Machtmonopol auf. Abbas umschifft das zuvor unterschriebene Versöhnungsabkommen, bereitet die endgültige Teilung des Gazastreifens vom Westjordanland vor und vergrößert die Teilung innerhalb der palästinensischen Bevölkerung.”[3] Die Hamas stellte klar, dass sie die „separatistische Regierung“ nicht anerkennen werde, da diese ihrer Meinung nach ohne nationalen Konsens gebildet wurde. Barhoum forderte im Namen der Hamas die Bildung einer Einheitsregierung mit allen palästinensischen Fraktionen und das Abhalten von Wahlen zum PLC.[4] Insgesamt bemühte sich die Hamas um eine dezidiert indifferent wirkende Außendarstellung: auf dem stets sehr aktiven Twitter-Account der Bewegung äußerte man sich nur in Form einer kurzen Nachricht, während der Großteil der Tweets in den vergangenen Tagen den politischen und wirtschaftlichen Beziehungen zu Katar, der Zusammenarbeit mit Ägypten und der Auseinandersetzung mit Israel galt.

Zwischen Blockade und regionaler Kontrolle: Hamas’ Agieren in Gaza

Die Hamas befindet sich derzeit in einer Zwickmühle: einerseits profitiert sie von der Schwäche und internen Zerstrittenheit der Fatah sowie von ihrer Strategie, sich als politische Bewegung zu porträtieren, die sich um die Belange der notleidenden Bevölkerung in Gaza kümmert und dafür regionale Allianzen schmiedet. Andererseits aber steht sie mit dem Rücken zur Wand, weil sie – ebenso wie die zwei Millionen Bewohner des Gazastreifens – die Auswirkungen der effektiven Kontrolle durch Israel und Ägypten deutlich spürt. Allein UNRWA, das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen für die Palästinenser, leistet Nahrungsmittelunterstützung für eine Million Bewohner Gazas. Die Wirtschaft ist weitestgehend kollabiert und auch für ihre eigenen Angestellten kann die Hamas nur eingeschränkt sorgen. Dadurch sind die Islamisten zwangsläufig auf externe Hilfe angewiesen. Das Emirat Katar, das selbst seit Juni 2017 in das Visier Saudi-Arabiens und verbündeter Golf-Monarchien geraten ist, unterstützt die Hamas weiterhin am intensivsten, treibt den Wiederaufbau nach drei verheerenden Kriegen voran und hat zuletzt 90 Millionen USD zur Verfügung gestellt, um die Haushaltslage Gazas zu entspannen.[5] Bemerkenswert: die ersten Tranchen fanden im vergangenen November ihren Weg über Israel in den Küstenstreifen – Reisetaschen dienten als profane Versandart. Erst in der heißen Wahlkampfphase, in der sich Israel derzeit befindet, bestätigte Ministerpräsident Benjamin Netanjahu, was längst vermutet wurde: das Geld, so der Likud-Politiker in der Knesset, werde von der israelischen Regierung bewusst nach Gaza durchgelassen, um die innenpolitische Spaltung der Palästinenser aufrechtzuerhalten.[6] Auch Ägypten trägt zu diesem Machtspiel bei: als im Januar 2019 die PA-Sicherheitskräfte vom palästinensisch-ägyptischen Grenzübergang Rafah abgezogen wurden, verband die Autonomiebehörde dies wohl mit der Hoffnung, dass Ägypten die Grenze zum Sinai erneut schließen würde.[7] Stattdessen passierte nichts, weil Ägypten die Grenze offenhielt, um den humanitären und wirtschaftlichen Kollaps zu verhindern.

So haben Ägypten und Israel gemein, dass sie einen isolierten und nicht mit dem Westjordanland vereinten Gazastreifen leichter kontrollieren, seine humanitäre Lage stabilisieren und eigene Sicherheitsinteressen durchsetzen können. Denn weder Tel Aviv noch Kairo haben ein Interesse daran, dass Gefahr von Gaza auf ihre Territorien ausgeht. Zugleich kontrollieren sie so die Machtbefugnisse der Hamas. Denn beiden Anrainern ist klar: nur Hamas ist in der Lage, die derzeit geltende Waffenruhe durchzusetzen und weitere Gewalt zu verhindern.

Machterhalt statt Verbesserungsmaßnahmen

In Ramallah wird derzeit auf zweifache Weise eine Machtkonsolidierung vorangetrieben. Schon im Dezember 2018 hatte Präsident Abbas die Auflösung des Legislativrats angekündigt. Das de facto-Parlament der Palästinenser war zwar seit 2007 nach der Machtübernahme der Hamas in Gaza und der Spaltung nicht mehr arbeitsfähig, diente aber als weithin sichtbares Symbol der gesellschaftlichen Einheit, weil hier Vertreterinnen und Vertreter aus Westjordanland, Gaza und Ost-Jerusalem gemeinsam auftraten. Die Hamas erkannte die unilaterale Entscheidung Abbas’ zur Auflösung des PLC nicht an und setzte ihre separaten Parlamentssitzungen in Gaza fort.

Die Auflösung, die Abbas mit Verweis auf eine Entscheidung des von ihm kontrollierten Verfassungsgerichts begründete, bedeutete zugleich einen Angriff auf das politische Gefüge: das palästinensische Grundgesetz sieht nämlich keine PLC-Auflösung vor, weil Parlamentarier solange ihr Mandat auszuüben haben, bis ein neuer Legislativrat zusammentritt. Zudem fällt dem PLC-Sprecher die Rolle des Interimspräsidenten zu, sollte Mahmud Abbas nicht mehr in der Lage sein, sein Amt auszuüben. Abbas’ Entscheidung wurde auch deshalb mit Argwohn betrachtet, weil bislang ein Hamas-Politiker das Amt des PLC-Sprechers ausübte und es ihm somit zugefallen wäre, neue Präsidentschaftswahlen vorzubereiten und einen demokratischen Machtübergang sicherzustellen. In Ramallah wird nun allgemein erwartet, dass im Falle einer Vakanz im Präsidentenamt der Premierminister aufrückt. Nicht zu erwarten ist derweil, dass Abbas seine Ankündigung umsetzt und es tatsächlich bis Juni zu Neuwahlen des Legislativrats kommt.

Herausforderungen einer neuen Regierung

Es ist derzeit noch unklar, wie schnell Premierminister Shtayyeh ein neues Kabinett präsentieren wird. Bereits im Januar, als erste Gerüchte einer Regierungsumbildung die Runde machten, kursierten im politischen Ramallah diverse Listen mit potentiellen Ministernamen. Sie alle hatten gemein, dass lediglich Abbas-treue Politiker – vornehmlich Männer, die der alten Garde angehören – Erwähnung fanden. Denn nicht nur Hamas und Islamischer Jihad, sondern auch PFLP als zweitgrößte Fraktion innerhalb der PLO hat Abbas‘ Entscheidung öffentlich kritisiert. Außer Fatah, so die Prognosen, werden nur kleine und unbedeutende PLO-Bewegungen Minister entsenden. Das wird mit ein Grund dafür sein, weshalb die Bevölkerung kritisch auf die neue Regierung schaut und davon ausgeht, dass die politische Versöhnung weiter verschleppt wird. 40 Prozent der Palästinenser zeigen sich mit der Ernennung von Shtayyeh zum Premierminister unzufrieden und 47,5 Prozent glauben nicht, dass unter ihm die Versöhnung voranschreiten wird.[8] Welche Szenarien sind somit möglich?

Noch mehr PA-Druck auf die Hamas

Auf die Autonomiebehörde rollt in diesen Wochen ein Krisentsunami zu: die USA und Israel haben zuletzt Gesetze verabschiedet, die die Finanzkraft der ohnehin schon geschwächten PA weiter einschränkt. Die Israelis werfen der palästinensischen Führung vor, mit staatlichen Mitteln Terror zu unterstützen. Deshalb plante man, in den kommenden Monaten 140 Millionen USD zurückgehalten, die der PA eigentlich aus Zolleinkünften zustehen.[9] Diese Summe entspricht nach israelischer Berechnung den PLO-Ausgaben für Gefangenen- und Märtyrerrenten im vergangenen Jahr.[10] Die PA entschied darauf hin, solange sämtliche Überweisungen abzulehnen, bis man die volle Summe erhält. Die USA haben 2018 gleich zwei Gesetze verabschiedet, die es den Palästinensern faktisch unmöglich machen, noch Finanzhilfe aus Washington anzunehmen.[11] Eine Denkfabrik kam im Februar zu dem Ergebnis, dass sich in der Folge das Finanzdefizit des PA-Haushalts auf 800 Millionen USD im Fiskaljahr 2019 verdoppeln wird.[12] Noch ist unklar, wie die Autonomiebehörde diese finanzielle Schieflage auffangen will. Nicht ausgeschlossen ist, dass sie vor allem Finanztransfers nach Gaza einschränken wird, um den Staatsbankrott abzuwenden. Schon in der Vergangenheit schreckte man nicht davor zurück, Stromlieferungen zurückzuhalten und Gehaltszahlungen sogar an Fatah-treue PA-Mitarbeiter zu drosseln. Phasenweise lagen Teile des Gazastreifens daraufhin nahezu komplett im Dunkeln. Präsident Abbas könnte mit Verweis auf israelische und US-amerikanische Repressalien solche schmerzhaften Entscheidungen begründen und so die Hamas einmal mehr als schwache Organisation brandmarken, die aus eigener Kraft nicht handlungsfähig ist.

Der politische Kalender: Gewalt in Vorbereitung

Am 30. März jährt sich der Beginn des „Großen Marschs der Rückkehr“. In Gaza bereitet sich derzeit die politische und zivilgesellschaftliche Szene auf größere Protestzüge vor. Der Jahrestag reicht bereits nah an die Wahlen zur israelischen Knesset (9. April) heran, sodass nicht ausgeschlossen ist, dass es zu einem neuerlichen militärischen Eskalationsszenario kommt. Zum Forderungskatalog der Protestler zählte von Beginn an das „Recht auf Rückkehr“ der palästinensischen Flüchtlinge. Da 1.2 Millionen Bewohner des Gazastreifens über den Flüchtlingsstatus verfügen und die USA die UNRWA-Hilfe komplett eingestellt haben, ist es durchaus möglich, dass hier erneut innen- und außenpolitische Frustrationen zusammenfallen. Die humanitäre, wirtschaftliche und Energielage ist auch heute desolat, sodass der Nährboden für Protest und Gewalt ohnehin in Gaza vorhanden ist.

Mehr Autoritarismus im Westjordanland

Während vor allem das islamistische Regime, das sich in den vergangenen Jahren in Gaza ausbreiten konnte, argwöhnisch beobachtet wird, darf nicht unberücksichtigt bleiben, dass auch im Westjordanland der Autoritarismus um sich greift. Eine Studie von Human Rights Watch hat erst kürzlich belegt, dass Menschenrechtsverletzungen, Folter und Rechtswillkür in Gaza wie im Westjordanland zu häufigen Instrumenten der Regime zählen.[13] Mit dem Eindruck, die Hamas eingeengt zu haben, ist nicht auszuschließen, dass autoritäre Trends im Westjordanland weiter um sich greifen. Zugleich ist eine vergleichbare Entwicklung in Gaza zu beobachten, die in vielerlei Hinsicht noch gravierender ausfällt.

Post-Abbas-Szenarien – und warum Shtayyeh gerade jetzt Premierminister wird

Der skizzierte Autoritarismus kollidiert mit Gedankenspielen zur Post-Abbas-Zeit. Diese werden zunehmend im öffentlichen Raum diskutiert. Eine kleine Gruppe führender Fatah-Politiker ringt derzeit um die Nachfolge des Präsidenten. Neu ist, dass man offensichtlich nicht mehr auf den „Tag X“ wartet, um in Erscheinung zu treten. Während hinter den Kulissen Bewaffnungstrends kleinerer Gruppen und Loyalitätskonflikte innerhalb des wichtigen Sicherheitsapparats vorangetrieben werden (ein Drittel des PA-Haushalts fließt in die verschiedenen Sicherheitsgruppen), verschiebt sich auf der Ebene der politischen Topographie die Relevanz des Machtzentrums: Ramallah wird immer weniger zur Bühne für Machtspiele. Stattdessen suchen die Männer der zweiten Reihe Unterstützung in den Flüchtlingslagern des Westjordanlandes und in den Reihen frustrierter Fatah-Anhänger in Hebron und Nablus. Die Autonomiebehörde wird hier zu einem bloßen Vehikel, weil es nicht mehr um Politikgestaltung, sondern um Zugang zu Finanzmitteln, Sicherheitsstrukturen und diplomatischen Kanälen geht.

Mohammad Shtayyeh kann gewiss dieser Gruppe zugerechnet werden. Dass er schon jetzt den Schritt an die Öffentlichkeit wagt und in ein formell wichtiges Amt aufsteigt, zeigt eine gewisse Nervosität auf: auch dem ex-Premier Hamdallah wurde zuletzt unterstellt, dass er – nachdem er lange Zeit nur als Politik-Manager in Erscheinung getreten war – eigene Machtansprüche vorangetrieben hat. Shtayyeh hat sich zwar erst einmal Luft verschafft und hat so eine gute Ausgangslage eingenommen. Aber zugleich ist er nun in den Mühlen der alltäglichen Politik gefangen. In vielen Teilen des Westjordanlandes ist die PA kaum noch präsent und hat sogar Schwierigkeiten, die Sicherheit der Bevölkerung sicherzustellen. Shtayyeh muss sich daran messen lassen, die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen, die Wirtschaftsleistung zu fördern und Regierungsstärke zu beweisen. Derzeit geht eine Mehrheit davon aus, dass ihm dies nicht gelingen wird.[14]

Kein internationales Momentum

Während lediglich jene regionalen Akteure die palästinensische Politik beeinflussen, die eigene (Sicherheits-)Interessen vorantreiben, gibt es derzeit keinen ambitionierten Akteur auf internationaler Ebene, der konstruktive Ziele verfolgt. Aus dem Umfeld von US-Präsident Trump ist zu hören, dass frühestens nach den Knesset-Wahlen Details zum in Washington erarbeiteten Friedensplan zu erwarten sind. Spekuliert wird, dass es nicht mehr um Souveränität und Staatlichkeit für die Palästinenser gehen wird, sondern vielmehr um Wirtschaftserleichterungen. Die interne Spaltung der EU über die Palästina-Frage und die Europawahlen im Mai lassen keine Initiative aus Brüssel erwarten. Russland wiederum positioniert sich in Nahost-Fragen im Widerspruch zu Washington. Dies ist zwar primär in Syrien und bezüglich Iran zu beobachten, aber auch zum israelisch-palästinensischen Konflikt nimmt Russland eine dezidiert andere Position ein: im Februar lud man Vertreter von zwölf palästinensischen Parteien, darunter Hamas und Fatah, nach Moskau ein, um Fragen von nationaler Bedeutung zu diskutieren.[15] So muss weiterhin daran erinnert werden, dass die internationale Staatengemeinschaft in der Verantwortung steht, die Machbarkeit einer friedlichen Konfliktregelung unter Berücksichtigung bisheriger UN-Resolutionen und des Völkerrechts zu verteidigen. Nur so kann ein demokratischer Erneuerungsprozess in der palästinensischen Politik flankiert werden.

[1] Palestinian Academic Society for the Study of International Affairs, PASSIA Diary 2019, S. 383, 407, 416.

[2] Zwischen dem 30. März 2018 und Januar 2019 starben bei Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und israelischen Soldaten 260 Palästinenser und zwei Israelis. Knapp 30.000 Palästinenser wurden verletzt. Zahlen nach UN-Ocha (https://www.ochaopt.org/content/humanitarian-snapshot-casualties-context-demonstrations-and-hostilities-gaza-30-march-2018).

[3] Abgerufen auf www.hamas.ps/en/post/1971/ (13.03.2019).

[4] Ebd.

[5] Nidal al-Mughrabi, Qatar pays Gaza salaries to ease tensions; Israel says money’s not for Hamas, 09.11.2018, Reuters, https://www.reuters.com/article/us-israel-palestinians-gaza/qatar-pays-gaza-salaries-to-ease-tensions-israel-says-moneys-not-for-hamas-idUSKCN1NE1ET.

[6] Lahav Harkov, Netanyahu: Money to Hamas part of strategy to keep Palestinians divided, in: The Jerusalem Post, 12. März 2019, https://www.jpost.com/Arab-Israeli-Conflict/Netanyahu-Money-to-Hamas-part-of-strategy-to-keep-Palestinians-divided-583082.

[7] 2017 hielt Ägypten aus Angst vor terroristischer Kooperationen zwischen Islamisten des Gazastreifens und salafistischer Gruppen des Sinais die Grenze weitestgehend geschlossen. Nur an 36 Tagen wurde die Ein- und Ausreise gestattet. Dies hat sich seit Sommer 2018 verbessert: im vergangenen Jahr war die Grenze an 198 Tagen geöffnet. Zahlen nach UN-Ocha (https://www.ochaopt.org/data/crossings).

[8] Umfrage von KAS-Ramallah und der Denkfabrik PCPSR vom 19.03.2019, vgl. https://www.kas.de/web/palaestinensische-gebiete/home.

[9] Die gesetzliche Grundlage hat die Knesset im Juli 2018 mit dem „Law for the withholding of funds paid to the Palestinian Authority in relation to terrorism from funds transferred to it by the Israeli Government (5778-2018)” geschaffen.

[10] Ahmad Abu Amer, What’s the holdup on passing 2019 Palestinian budget? In: Al-Monitor, 18. März 2019, https://www.al-monitor.com/pulse/originals/2019/03/palstine-budget-approval-emergency-discussion-israel-deduct.html.

[11] Der Taylor Force Act (März 2018) nimmt eine ähnliche Haltung wie das o.a. Knesset-Gesetz ein und der Anti-Terrorism Clarification Act (ACTA, Oktober 2018) sieht vor, dass die PLO und die PA gerichtlich für vormalige Terrorakte belangt werden können.

[12] Tony Blair Institute for Global Change, The Impact of Recent Israeli and US Counter-Terrorism Measures on PA Fiscal Stability, 18 February 2019, S. 2.

[13] Human Rights Watch, Two Authorities, One Way, Zero Dissent, 23 October 2018, https://www.hrw.org/report/2018/10/23/two-authorities-one-way-zero-dissent/arbitrary-arrest-and-torture-under#.

[14] 50 Prozent geben in einer repräsentativen Umfrage an, dass er die Wirtschaftslage nicht verbessern wird, vgl. KAS-PCPSR-Umfrage, https://www.kas.de/web/palaestinensische-gebiete/home.

[15] Marianna Belenkaya, Moscow keeps calm with Palestinian reconciliation, undermines Trump’s ‘deal of the century’, Al-Monitor, 17 February 2019, https://www.al-monitor.com/pulse/originals/2019/02/russia-palestine-talks-us.html.

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Interlocuteur

Marc Frings

Comptes-rendus d'événement
5 mars 2019
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À propos de cette série

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