Verfassungsreform im Eilschritt
Mit seiner diesjährigen Rede zur Lage der Nation am 15.01.2020 leitete Wladimir Putin in einem ungewöhnlich raschen Prozess eine umfassende Verfassungsreform ein. Bereits Anfang März schloss eine eigens gebildete Arbeitsgruppe zur Ausarbeitung von Vorschlägen zur Verfassungsänderung ihre Arbeit ab. Zwei in der Staatsduma vertretene systemoppositionelle Parteien, die russisch-nationale LDPR und die Kommunisten, verhielten sich anschließend unterschiedlich. Die LDPR trug die Verfassungsänderungen mit; die KPRF dagegen stimmte in der Staatsduma in den ersten beiden Lesungen gegen die Änderungen. In der entscheidenden dritten Lesung am 11. März 2020 enthielt sich die Kommunistische Partei der Stimme. Anschließend akzeptierten der Föderationsrat und der Staatspräsident die Verfassungsänderung. Der für das Inkrafttreten erforderliche letzte Schritt, ein Referendum, war ursprünglich für April geplant, konnte aber aufgrund der Corona-Epidemie nicht wie geplant gegangen werden. Der gesamte Prozess wirkt wie vom Zeitdruck bedrängt, ein Eindruck, der sich durch die Verschiebung der Volksabstimmung um nur wenige Wochen auf den 1. Juli 2020 noch verstärkt hat. Denn noch immer leidet Russland unter einer vergleichsweise hohen Zahl von Corona-Fällen. Wladimir Putins noch bis 2024 verbleibende vierjährige Amtszeit dürfte nicht ursächlich für die zeitliche Not gewesen sein. Vielmehr werden durch die geänderte Verfassung im Vorfeld der Parlamentswahlen 2021 Mechanismen innerhalb des Staatsapparates teilweise grundlegend geändert. Der deutlich sozial-konservativere Verfassungstext entspricht zudem den Wertevorstellungen von Bevölkerungskreisen, die dem augenblicklichen staatlichen System in Russland positiv gegenüberstehen. In den Metropolen, und dort vor allem unter der studentischen Jugend, wurden im Vorfeld der Abstimmung hingegen deutliche Unzufriedenheit artikuliert. ...
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