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Stiftung Wissenschaft und Politik Berlin

Comptes-rendus d'événement

Der vergessene Krieg im Jemen

Bürgerkrieg, Stellverterterkrieg und humanitäre Kathastrophe

Das Forum "Politik & Sicherheit" beschäftigte sich am 18. Dezember 2019 in Potsdam mit der Rolle des Jemen-Krieges.

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Der seit fünf Jahren im Jemen geführte Krieg taucht immer mal wieder in den Nachrichten auf. Dann ist oft von einer ungeheuren humanitären Katastrophe die Rede in dem Land im Süden der Arabischen Halbinsel, das ein Drittel größer ist als Deutschland und rund 30,5 Millionen Einwohner hat, zwei Drittel davon unter 30 Jahren. Denn für Waffen und Kriegführung ist Geld vorhanden, für die Verpflegung der Bevölkerung aber nicht: knapp zwei Drittel der Bevölkerung sind vom Hunger bedroht und auf Hilfe aus dem Ausland angewiesen, ca. zehn Millionen Menschen sollen sich in akuter Hungersnot befinden. Hungersnot und Cholera-Epidemien werden letztlich von denen ausgelöst, die den Krieg führen.

Doch die Situation im Jemen ist in Europa kaum ein Thema. Die westliche Öffentlichkeit nimmt von dem Geschehen dort nur wenig Notiz. Niemand wird hier von Flüchtlingsströmen aus dem Jemen aufgeschreckt. In manchen linken Foren dient der Krieg zur Propaganda gegen die USA, die in den Augen dieser Ideologen meist per se für das Übel in der Welt verantwortlich ist, oder auch gegen den deutschen Rüstungsexport nach Saudi Arabien. Die vielfältigen Ursachen und Hintergründe dieses Krieges finden aber nur wenig Beachtung. Genauso, dass die von der UN geleistete humanitäre Hilfe im Jemen zu 28 Prozent (968,4 Millionen $) von Saudi Arabien und zu 26 Prozent (907,6 Millionen $) von den USA bezahlt wird, wie der jüngste Bericht (Nr. 13, 1.11.2019 – 18.12.2019) des Amtes der Vereinten Nationen für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten (OCHA) im Jemen zeigt (https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/Humanitarian%20Update_13_Final_0.pdf).  Rund 111 Millionen $ (3,2 %) kommen aus Deutschland und 171 Millionen $ (4,9 %) von der EU wie Zeit Online am 26. Februar 2019 berichtete (siehe: https://www.zeit.de/politik/ausland/2019-02/hilfsgelder-jemen-vereinte-nationen-un-geberkonferenz-jemen-unterstuetzung).  

Grund genug für das Forum „Politik & Sicherheit“ in Potsdam, das unter Federführung der Konrad-Adenauer-Stiftung in Kooperation mit der Gesellschaft für Sicherheitspolitik, der Deutschen Atlantischen Gesellschaft und dem Reservistenverband der Bundeswehr durchgeführt wird, vor Weihnachten, dem Fest des Friedens, die unübersichtliche Lage im Jemen-Krieg einmal genauer zu beleuchten. Referenten waren Mareike Transfeld, die selbst acht Jahre im Jemen gelebt hat. Sie ist Doktorandin an der Berlin Graduate School Muslim Cultures and Societies an der Freien Universität Berlin. Und Dr. Edmund Ratka, der als Länderreferent im Team Naher Osten und Nordafrika der Konrad-Adenauer-Stiftung für den Jemen zuständig ist.

In ihrem gut halbstündigen Vortrag erläuterte Mareike Transfeld die unübersichtliche Lage im Jemen-Krieg, der mittlerweile nach UN-Angaben mehr als 10.000 Menschenleben, darunter das Leben von Tausenden Zivilisten, forderte. Nichtregierungsorganisationen sprechen von einer weit höheren Zahl von Toten. Frau Transfeld  ging dabei zunächst auf die Hauptakteure ein: die von Saudi Arabien unterstützte und international durch die UN anerkannte Exilregierung unter Präsident Hadi und die vom Iran und bis 2017 auch vom ehemaligen Präsidenten Salih unterstützten Huthi-Rebellen sowie die Südliche Bewegung unter Führung der Vereinigten Arabischen Emirate, die aus Resten der Regierungstruppen, südjemenitischen Separatisten und Milizen besteht. Die historischen Hintergründe: die Teilung des Jemen in einen Süd- und Nord-Staat bis 1990 (Sozialistische Volksrepublik und Arabische Republik), die religiös-konfessionellen Unterschiede von sunnitischem (Saudi Arabien) und schiitischem Islam (Iran) sowie die Rolle der Stämme mit ihren Interessen und Milizen wurde erklärt. Nach Einschätzung von Frau Transfeld seien die machtpolitischen und wirtschaftlichen Interessen der verschiedenen Stämme im Jemen relevanter für den Konflikt als die konfessionellen Unterschiede.

Seit Februar 2015 haben die schiitisch-zaiditischen Huthi-Rebellen, die sich ideologisch an der islamistischen Hisbollah im Libanon und dem islamistischen Regime im Iran orientieren, in Verbindung mit jemenitischen Al-Qaida-Kämpfern die Macht im Nordwesten um die Hauptstadt Sanaa übernommen, wo der ganz überwiegende Teil der Bevölkerung des Jemen lebt. Dort üben sie eine repressive islamistische Herrschaft aus. Seit Ende März 2015 fliegt die sogenannte „Arabische Militärallianz“ als Antwort darauf Angriffe auf die Huthi-Milizen, konnte die Rebellen aber bisher nicht zurückdrängen. Die Allianz wird von Saudi-Arabien angeführt. Ihr gehören aber auch Ägypten, Bahrain, Katar (bis 2017), Kuwait, die Vereinigten Arabischen Emirate, Jordanien, Marokko (bis 2019), Sudan und der Senegal an. Sie wird von den USA, Frankreich und Großbritannien logistisch unterstützt. Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen hat am 14. April 2015 bei Enthaltung Russlands die von Jordanien eingebrachte Resolution 2216 angenommen, die ein Waffenembargo gegen die Huthi-Rebellen im Jemen verhängt und den Rückzug der Rebellen aus den von ihnen besetzten Gebieten fordert. Auf dieser Grundlage seien die Möglichkeiten für eine diplomatische Lösung, auf die gerade die USA seit Ende 2018 verstärkt drängt, jedoch sehr beschränkt, meint Mareike Transfeld. Der Krieg stecke also in einer Sackgasse.

Edmund Ratka ordnete den Krieg im Jemen in seinem Beitrag in den Rahmen der internationalen Politik ein: den machtpolitischen Gegensatz zwischen dem sunnitisch-wahabitischen Saudi Arabien und dem schiitischen Iran, die große arabische Krise, die Bekämpfung von Al-Qaida und des „Islamischen Staates“, den tendenziellen Rückzug der USA unter Präsident Trump und den drohenden Umbruch der geopolitischen Ordnung in der Region. Immerhin prahlen Vertreter des Iran damit, das Teheran heute vier arabische Hauptstädte kontrollieren würde: Bagdad, Beirut, Damaskus sowie Sanaa. Das durch den Rückzug der USA entstandene Machtvakuum in der Region wie auch das innere Machtvakuum im Jemen selbst durch die Schwäche der Regierung des Präsidenten Hadi eröffne Räume für derartige Konflikte und mache den jemenitischen Bürgerkrieg zugleich zu einem zumindest regionalen Stellvertreterkrieg, in dem eben auch verschiedene  äußere Faktoren und Motive eine Rolle spielten. Im Grunde führe das das Königreich Saudi Arabien im Jemen einen Krieg gegen den Iran, sagen viele Experten. Andererseits weist Guido Steinberg von der Stiftung Wissenschaft und Politik auf die spezifisch innerjeminitischen Fronten hin, die für eine Beilegung des Konflikts ebenso entscheidend seien (siehe: https://www.zeit.de/politik/ausland/2018-12/jemen-buergerkrieg-usa-saudi-arabien-friedensgespraeche/komplettansicht).

Auf dem Podium wurden dann in einem Gespräch mit den Referenten die Rollen der USA, Russlands, der UN, der EU und Deutschlands in dem Konflikt näher behandelt. Die USA drängt mittlerweile ihren Bündnispartner Saudi Arabien zu Verhandlungen zur Beilegung des Konflikts, Russland will seinen Status als Ordnungsmacht im Nahen und Mittleren Osten ausbauen und spekuliert vielleicht darauf, am Golf von Aden irgendwann wieder militärisch präsent zu sein, um Einfluss auszuüben, die UN ist weitgehend machtlos, die EU ist mit Anderem beschäftigt und Deutschland mit seinen - allerdings relativ geringfügigen und beschränkten - Rüstungsexporten nach Saudi Arabien zumindest indirekt involviert.

In der weiteren Diskussion mit dem Publikum ging es noch einmal um die Interessen des Iran und Saudi Arabiens, um den Mord an dem saudischen Journalisten Jamal Khashoggi am 18. Oktober 2018 im saudischen Konsulat in Istanbul, der wahrscheinlich vom saudischen Kronprinzen Mohammad bin Salman in Auftrag gegebene wurde, um die Entwicklungshilfe und Armutsbekämpfung  im Jemen, um Fragen der deutschen Rüstungspolitik und schließlich um den Angriff vom 15. September auf die Raffinerien und Ölfelder im Osten Saudi-Arabiens, zu denen sich die Huthi-Rebellen bekannt haben. Nach Lage der Dinge besteht wohl wenig Hoffnung auf eine baldige Beilegung dieses Krieges, die eine Verständigung zwischen Huthi-Rebellen und der Regierung Hadi voraussetzen würde.

Das Forum "Politik & Sicherheit" in Posdam befasst sich vier bis sechs mal im Jahr mit Fragen der internationalen Politik und Sicherheitspolitik.

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Interlocuteur

Stephan Georg Raabe

Stefan Georg Raabe

Leiter des Auslandsbüros Bosnien und Herzegowina in Sarajevo

Stephan.Raabe@kas.de +387 33 215 240
Podium: Mareike Transfeld, Stephan Raabe, Dr. Edmund Ratka KAS Potsdam
Beim Nachgespräch: Dr. Kurt Hecht, Gesellschaft für Sicherheitspolitik; Mareike Transfeld; Dr. Edmund Ratka; Stephan Raabe KAS Potsdam

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