Nach Eröffnung der Veranstaltung und Vorstellung des Referenten durch Felix Kraft sowie Grußworten von Frederik Schmitt, skizzierte Nico Lange, Senior Fellow bei der Zeitenwende-Initiative der Münchner Sicherheitskonferenz, zunächst drei Thesen: Erstens folge Krieg militärischer und keiner politischen Logik; dass „wir“ (also insbesondere Deutschland) hier eine militärische Frage lösen müssten, behage „uns“ aber überhaupt nicht. Daraus folge zweitens, dass „Zeitenwende“ bedeute, dass eben keine Normalität mehr vorherrsche, es nicht mehr so sei wie vor Russlands Angriff auf die Ukraine – doch „wir“ wollten weiterhin unsere Gemütlichkeit behalten. Was müsse noch passieren, bis verstanden werde, wie ernst die Situation sei und dass sie prioritär zu behandeln sei? Denn drittens wüssten wir nicht, ob wir uns am Anfang, in der Mitte oder am Ende des Krieges befänden, aber müssten begreifen, dass wir diese Frage beeinflussen könnten.
Die aktuelle Lage stelle sich wie folgt dar: Putin habe versucht, die Existenz der Ukraine zu beenden. Dieses Ziel sei erst einmal nicht erreicht worden, weil er mit falschen Annahmen den Krieg begonnen habe – weder mit dem ver-bissenen Widerstand der Ukrainer noch mit der westlichen Unterstützung habe er gerechnet. Aber obwohl er bislang seine militärischen und politischen Ziele nicht erreicht hat, werden weiterhin Städte in Schutt und Asche gelegt und werde er nicht kleinbeigeben, da er aus seiner Sicht eine „historische Mission“ erfülle: die Wiederherstellung des russischen Imperiums. Teil des Planes ist die Absicht, die Sicherheitsarchitektur Europas zu zerstören. Verhandeln mit ihm sei zwecklos, aber was könne, besser: müsse, stattdessen getan werden?
Nico Lange machte eindrücklich deutlich, dass zuerst die Ukraine militärisch so ausgestattet werden müsse, dass Russland tatsächlich ernsthaft auf dem Schlachtfeld unter Druck gerate, damit überhaupt eine Gesprächsbereitschaft erzwungen werden könne. Parallel müsse sich Europa endlich ehrlich die Frage stellen und beantworten, was für eine Sicherheitsordnung es eigentlich wolle. Aus seiner Sicht müssten für die Erhaltung des Status Quo vier Wege beschritten werden: Erstens eine Ausstattung der Ukraine, wegen der sich Russland keinen Angriff mehr trauen wür-de (Beispiel wehrhaftes Israel). Zweitens die Erlaubnis, ihre Waffen nach dem Völkerrecht einsetzen, also auch militä-rische Ziele im Lande des Aggressors angreifen zu dürfen. Drittens der Beitritt der Ukraine zur EU und zur NATO, da die Sicherheitskomponente der EU allein zu schwach sei. Und viertens müsse alles dafür getan werden, dass die USA ihre unverzichtbare Rolle für die Sicherheit Europas weiter aufrechterhielten, und dafür müssten wir selbst entschie-den mehr investieren. Über diese Maßnahmen sei schließlich Frieden durch Abschreckung herzustellen – Sicherheit sei wichtiger als andere, und dem müsse alles untergeordnet werden.
Besonders eindrücklich waten Langes persönlichen Betroffenheiten, lebte er doch sowohl eine Zeit in Russland als auch in der Ukraine. Dass er bereits Freunde in der Ukraine verloren hat, aber auch in Russland seine Bekannten unter dem Regime leiden („Ein Drittel ist mittlerweile tot, ein Drittel im Gefängnis und ein Drittel hat das Land verlas-sen“), wirkte bei den Teilnehmern lange nach, weil so die Unmittelbarkeit und die Realität deutlich vor Augen geführt wurden.