Was wird die Europäische Union in Zukunft zusammenhalten? Diese grundlegende Frage durchzog die Bürgerdialoge über Europa, die wir in Hildesheim am 8. April und in Celle am 9. April organisiert haben.
Die Bürgerdialoge sollten als Forum dienen, um mit interessierten Bürgerinnen und Bürgern über Europa und die Europäische Union ins Gespräch zu kommen. Vor und während der Veranstaltung war das Publikum aufgefordert, Fragen und Meinungen zu formulieren, die im Anschluss mit Persönlichkeiten aus der Zivilgesellschaft, Politik und Wissenschaft diskutiert wurden.
In Hildesheim kamen 75 Menschen zum Bürgerdialog. Eine der häufig gestelltesten Fragen war, wie können Jugendliche für die europäische Idee begeistert werden. Skepsis wurde darüber geäußert, ob junge Menschen sich noch bewusst über die Erfolge der EU beispielsweise für den Frieden seien. Kurzum: Ist die EU ein Opfer ihrer eigenen Erfolge? Dem widersprach Laura Wanner als stellvertretende Bundesvorsitzende der Jungen Europäischen Föderalisten vehement. Sie habe vielmehr den Eindruck, dass gerade der Brexit zu einem stärkeren Bewusstsein bei Jugendlichen geführt habe. Vielen sei klar geworden, in welchem „Luxus“ wir leben. Die ehemalige CDU-Bundestagsabgeordnete Ute Bertram warb in diesem Zusammenhang dafür, Jugendliche noch stärker mit anderen europäischen Gesellschaften und Ländern bekannt zu machen z.B. durch kostenlose Interrail-Tickets.
In Celle beteiligten sich 60 Menschen am Bürgerdialog. An diesem Abend wurde lange über das Zugehörigkeitsgefühl zu Europa diskutiert. Wortmeldungen sahen in der fehlenden Identifikation vieler Menschen mit der EU ein erhebliches Problem. Eine Bürgerin fragte: Müssen wir noch stärker als bisher auf eine europäische Identität hinwirken? Der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Nationalstiftung Prof. Dr. Eckart Stratenschulte argumentierte, dass es für viele Menschen mittlerweile völlig normal sei, zwischen einem lokalen, nationalen und supranationalen Zugehörigkeitsgefühl zu wechseln. Viele aus der „Generation Erasmus“ sehen kein Problem darin, sich als Niedersachsener, Deutsche und Europäer zu verstehen. Eine europäische Identität sei dann die Summe aller nationalen Identitäten, so Eckart Stratenschulte. Die Journalistin Lena Düpont aus Gifhorn mahnte an, dass man den Austausch in Europa nicht nur für Studentinnen und Studenten fördern muss, sondern noch stärker Auszubildende und andere gesellschaftliche Gruppen mit einbeziehen sollte.
Die grundlegende Frage, wie wir die Europäische Union in Zukunft zusammenhalten, fasste Eckart Stratenschulte in drei zentralen Punkten zusammen: Die EU muss sozial, sicher und souverän sein, erst dann wird sie eine Zukunft haben. Das sei aber nur zu verwirklichen, wenn sich die Union stärker ihre Macht- und Einflussmöglichkeiten in der Welt bewusst wird. Eine solche Union läge laut Eckart Stratenschulte im originärem Interesse Deutschlands: „Denn wenn die EU untergeht, wird es wie auf der Titanic sein. Wir als Deutsche sitzen dann vielleicht in der 1. Klasse mit Champagner, aber untergehen würde wir so oder so.“ Lena Düpont fügte dem hinzu, dass es wichtig sei, sich Zeit zum Nachdenken zu nehmen. Zwischen all den Krisen und Herausforderungen brauche man auch Phasen, in denen man gründlich überlegt, wie soll die EU weiterentwickelt werden. Tobias von Gostmoski, der Vorsitzende der Jungen Europäischen Föderalisten, wünschte sich in diesem Zusammenhang, dass in der öffentlichen Debatte noch stärker über die Zukunft Europas diskutiert werden würde. Er bedauerte es, dass weiterhin über das ob und nicht das wie in Bezug auf die Zukunft der EU diskutiert wird. Dadurch würden zukunftsweisende Themen, wie die Innovationskraft oder die soziale Verantwortung der EU, in den Hintergrund geraten.
In beiden Europadialogen zeichnete sich eine proeuropäische Stimmung bei den Wortmeldungen ab. Viele Teilnehmer und Teilnehmerinnen haben in ihren Beiträgen zum Ausdruck gebracht, dass sie die Europäische Union als sehr wichtig für den Zusammenhalt Europas und die friedliche Zukunft Deutschlands halten. Weitere stark diskutierten Themen in Hildesheim und Celle waren Migration, Außen- und Sicherheitspolitik, Europa im Alltag, Zusammenhalt stärken und die Weiterentwicklung der EU. Geäußerte Kritik z.B. an der Bürokratie zielte eher auf eine Weiterentwicklung der vorhandenen Strukturen als auf eine grundlegende Neuordnung der EU. An beiden Abenden erlebten wir lebhafte Debatte, die häufig noch im Anschluss in kleineren Gruppen weitergeführt worden sind. Es hat sich gezeigt, dass das Thema Europa viele Menschen bewegt.
Die Bürgerdialoge über Europa in Niedersachsen sind eingebettet in ein bundesweites Projekt der Konrad-Adenauer-Stiftung, in dem ähnliche Veranstaltungen in ganz Deutschland organisiert worden sind. Aus der Diskussion sollen Handlungsempfehlungen entstehen, die Anfang 2020 im Rahmen einer großen internationalen Konferenz an die Politik herangetragen werden.