Wie steht es eigentlich um die Deutsch-Polnische Freundschaft? Wo gibt es vielleicht Nachholbedarf? Und weshalb sollten gerade junge Menschen einmal nach Polen reisen und einen Feiertag erleben?
Wir haben uns im Vorfeld unserer diesjährigen Europawoche, die 2020 das Themenschwerpunktthema „Polen“ behandelt, mit Dr. Agnieszka Łada unterhalten. Dr. Łada ist stellvertretende Direktorin des Deutschen Polen-Instituts in Darmstadt und veröffentlicht jährlich gemeinsam mit der KAS in Warschau das Deutsch-Polnische Barometer, welches auch in diesem Jahr im Juni erscheinen wird. Gemeinsam wollen wir herausfinden, wie es um die Beziehungen zu unserem Nachbarn im Osten steht und wo es eventuell noch Nachholbedarf gibt.
Konrad-Adenauer-Stiftung:
Frau Dr. Łada, wie gut kennen sich Deutsche und Polen eigentlich?
Dr. Agnieszka Łada:
Die Deutschen und die Polen kennen sich immer besser, aber immer noch viel zu wenig. Wenn man bedenkt, dass wir seit Ewigkeiten Nachbarn sind, uns sehr ähneln und auch viele gemeinsame Interessen haben, besteht in vielen Bereichen immer noch Nachholbedarf.
Konrad-Adenauer-Stiftung:
Warum sollten gerade junge Menschen einmal nach Polen reisen?
Dr. Agnieszka Łada:
Die gemeinsamen Studien des Instituts für öffentliche Angelegenheiten in Warschau und der KAS zeigen, dass junge Menschen, die von Deutschland aus nach Polen gereist sind, ein besseres Verständnis des Landes erlangen können. Da Polen ein wichtiges Nachbarland Deutschlands im Osten ist, eröffnen sich sowohl für die berufliche als auch persönliche Zukunft wichtige Perspektiven.
Konrad-Adenauer-Stiftung:
Welche Parallelen sehen Sie zwischen jungen Polen und jungen Deutschen?
Dr. Agnieszka Łada:
Generell ähneln sich die deutschen und die polnischen jungen Menschen sehr. Dies wird auch anhand der vielen Austauschprogramme deutlich. Auf beiden Seiten kommt nach kurzer Zeit die Erkenntnis auf, dass sich in vielfacher Hinsicht die Interessen, Wünsche aber auch Sorgen überschneiden. Man hört dieselbe Musik, schaut dieselben Filme und kauft in den gleichen Geschäften gerne ein.
Konrad-Adenauer-Stiftung:
Wo sehen Sie Nachholbedarf auf den beiden Seiten?
Dr. Agnieszka Łada:
Nachholbedarf gibt es sicherlich im Kontext des Interesses, dies gilt auch für beide Seiten. Früher war eine Tendenz zu sehen, dass mehr junge polnische Menschen nach Deutschland gegangen sind, um dort beispielsweise zu studieren und Deutsch zu lernen. Zahlenmäßig sind die Polen weiterhin die weltgrößte Gruppe an Deutschlernenden. Leider hat dieses Interesse in letzter Zeit etwas abgenommen. Auch wenn die jungen Deutschen mehr Interesse an Polen gewonnen haben, sind die Zahlen trotzdem sehr gering. Es besteht also Nachholbedarf beim Spracherwerb und den Reisen in das jeweils andere Land.
Konrad-Adenauer-Stiftung:
Ist die polnische Jugend eher europazentriert oder national orientiert?
Dr. Agnieszka Łada:
Auch hier unterscheiden sich die polnischen jungen Menschen nicht von denen aus Frankreich oder Deutschland, aber es gibt einige markante Merkmale. So treten zum Beispiel nationalistische Prägungen statistisch gesehen öfter bei jungen polnischen Männern auf. Mittlerweile begrenzt aber auch dieses Phänomen sich nicht nur auf Polen. Diese Gruppe stellt jedoch nur die Minderheit dar. Die Mehrheit ist weiterhin sehr proeuropäisch. Das Problem hierbei ist, dass die Gruppe der Nationalisten durch ihre Lautstärke auffällt aber nur einen kleinen Teil der jungen Menschen in Polen repräsentiert.
Konrad-Adenauer-Stiftung:
Warum bewerten Polen und Deutsche laut Deutsch-Polnischem Barometer 2019 die internationale Rolle der USA so unterschiedlich?
Dr. Agnieszka Łada:
Das hat vor allem historische Gründe. Bereits vor dem ersten Weltkrieg sind viele Polen in die USA ausgewandert. Nach dem ersten Weltkrieg haben die Vereinigten Staaten dann die Rückkehr Polens auf die Landkarte stark unterstützt. Auch im Zweiten Weltkrieg haben viele Polen mit den Amerikanern zusammen für ihre Freiheit gekämpft. Auch im Kommunismus waren die USA der Hoffnungsträger der Polen, dass das kommunistische System besiegt werden kann. Und nach 1989 haben sie geholfen, die polnische Demokratie aufzubauen. Heute prägt dieses Bild die Angst vor der militärischen Macht Russlands. Die zahlreichen amerikanischen Truppen wären dann in der Lage, eventuelle Angriffe abzuwehren.
Konrad-Adenauer-Stiftung:
Spielt die russische Geopolitik im aktuellen Verständnis die zentrale Rolle?
Dr. Agnieszka Łada:
Die russische Politik liefert immer wieder Beweise, dass es schwierig ist, eine solide Vertrauensbasis aufzubauen. Steigende Militärausgaben, die Machtkonsolidierung des russischen Präsidenten Vladimir Putin und die Beispiele Georgien und Ukraine zeigen, dass Russland im Stande ist, anzugreifen. Besonders in Polen erzählen die Ukrainer, die eine Gruppe von ungefähr eine Million Menschen ausmachen, dass die Angst vor Russland allgegenwärtig ist. Dies wirkt sich natürlich auch bei den Polen aus.
Konrad-Adenauer-Stiftung:
Welchen polnischen Feiertag sollte man einmal miterlebt haben?
Dr. Agnieszka Łada:
Ich würde drei unterschiedliche Feiertage anführen, um Polen gut zu verstehen: Der erste, für die deutsch-polnische Beziehung schwierigste Feiertag, ist der 1. September. Die Bilder, wie Polen bereits wenige Tage nach dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges ausgesehen hat, prägen nicht nur die Berichterstattung, sondern auch das Bild der Polen von ihrer Vergangenheit. Ein weiterer Feiertag, der für Polen große Bedeutung hat, ist Allerheiligen, der 1. November. An diesem Tag steht vor allem die Familie im Mittelpunkt und es wird gemeinsam den Verstorbenen gedacht. Ein ähnliches Begehen des Feiertags konnte ich zum Beispiel in Deutschland nicht oder nur selten beobachten. Der dritte Feiertag von hoher Bedeutung für Polen, Ostern, ist auch sehr fokussiert auf die Familie. So geht man zusammen mit einem Korb mit Lebensmitteln in die Kirche und lässt diese segnen, isst dann gemeinsam und verbringt Zeit miteinander.
Konrad-Adenauer-Stiftung:
Spielt die Erinnerungskultur eine zentrale Rolle?
Dr. Agnieszka Łada:
Ja, dies ist wieder historisch bedingt. Das Gedenken an schlechte Zeiten weckt auch die Erinnerung daran, wie die Polen gemeinsam durch diese schwierige Zeit gekommen sind. Sowohl die Teilungen Polens und das damit folgende Verschwinden des Landes von der Karte von 1795 und 1918, als auch andere Krisen wecken dann ein stolzes Gefühl. Ohne dieses zentrale Motiv zu verstehen, welches sich grundsätzlich von der Erinnerungskultur in Deutschland unterscheidet, kann man auch die aktuellen Debatten in Polen nicht verstehen.
Konrad-Adenauer-Stiftung:
Welche Rolle spielt die aktuelle Politik in der Erinnerungskultur?
Dr. Agnieszka Łada:
Die heutige Politik nutzt die Tatsache, dass die Erinnerungskultur so wichtig für viele Polen ist. Die Entscheidungsträger erhalten aber auch das entsprechend positive Feedback aus der Bevölkerung, weil sie sich vertreten sehen. Es ist sogar Teil der polnischen Mentalität, sich einerseits heldenhaft, aber auch in der Rolle des Opfers zu sehen. Die Politik der PiS-Partei wiederholt dies, zeigt Verständnis und schafft Möglichkeiten zu gedenken. Ich halte es für wichtig, dass die Geschichte stets Teil der Erinnerung bleibt, jedoch nicht in den Vordergrund rückt und die Zukunft bestimmt.
Konrad-Adenauer-Stiftung:
Wie ein Bericht des KAS-Auslandsbüros in Warschau aufzeigt, lässt sich Polen mit Blick auf die Wahltendenzen der Bürger in West und Ost aufteilen. Sehen Sie hier Parallelen zu Deutschland?
Dr. Agnieszka Łada:
Die Ost-West-Spaltung Polens ist definitiv erkennbar und verläuft ähnlich der Grenze der Teilungen Polens. Die jeweiligen Besatzer haben langfristig einen Einfluss auf die Mentalität der Bevölkerung in ihren Gebieten ausgeübt, die Russen im Osten und die Preußen im Westen. Trotzdem muss darauf geachtet werden, dass man nicht von einer homogenen Wählermasse in Ost- beziehungsweise Westpolen ausgehen kann. Eine gewissen Ähnlichkeit mit Deutschland wird hier suggeriert, doch im Kontext der Geschichte sind die aktuellen Tendenzen nicht 1:1 vergleichbar.
Konrad-Adenauer-Stiftung:
Welche Rolle spielen ländliche und urbane Räume in dieser Wahltendenz?
Dr. Agnieszka Łada:
Auch in Polen ist eine Teilung zwischen urbanen und ländlichen Räumen zu beobachten. Besonders die großen Städte unterscheiden sich von den kleineren Städten und ländlichen Räumen. Vor allem bei den letzten Kommunalwahlen wurde dies deutlich. In den größeren Städten hat dabei die linksliberale Opposition gewonnen und in kleineren Städten sowie in ländlichen Räumen die PiS-Partei. Natürlich sind die Wählergruppen in beiden Räumen nicht homogen, weshalb auch hier eine deutliche Trennung nicht möglich ist.
Konrad-Adenauer-Stiftung:
Vielen Interessenkonflikten innerhalb der EU zum Trotz bilanziert das Deutsch-Polnische Barometer 2019 eine große Wertschätzung zwischen Deutschen und Polen. Lässt sich die gesellschaftliche Einstellung von denen auf politischer Ebene trennen?
Dr. Agnieszka Łada:
Die deutsch-polnischen Beziehungen sind sehr vielfältig und das muss man berücksichtigen. Auf der politischen Ebene gibt es weiterhin problematische Themenfelder, obwohl wir uns nicht in einer Krise, wie beispielsweise der Einwanderungswelle von 2015, befinden. Damals entfachte ein heftiger Streit zwischen den Regierungen. Wir beobachten in der Tat zurzeit eine abgekühlte Phase der Beziehungen. Trotzdem muss man deutlich machen, dass wirtschaftliche und gesellschaftliche Kooperationen weiterhin Bestand haben. Ein Pole oder ein Deutscher denkt also, wenn es um die deutsch-polnischen Beziehungen geht, nicht rein an den politischen Kontext. Auch diejenigen, die die PiS-Partei unterstützen und die deutsche Europapolitik kritisieren, können gleichzeitig Städtepartnerschaften unterstützten und für Firmen des jeweils anderen Landes arbeiten. Wir müssen besonders darauf achten, dass wir positive Nachrichten fördern und uns nicht allein auf kritische Stimmen fokussieren.
Konrad-Adenauer-Stiftung:
Ist die allgemeine Stimmung zu europäischen Herausforderungen in Polen heterogener oder homogener als in Deutschland?
Dr. Agnieszka Łada:
Die Polen sind generell sehr pro-europäisch. Trotzdem diskutieren sie nicht so vielfältig, wie man es beispielsweise in Deutschland tut. Dies hat mehrere Gründe: Man berichtet über die EU in Polen weniger, auch die Themenschwerpunkte der Vergangenheit fokussierten sich primär auf wirtschaftliche Entwicklung. Die Debatten, die heute in Deutschland geführt werden, werden Polen erst später erreichen. Der Klimaschutz zum Beispiel nimmt zwar eine immer wichtigere Rolle ein, doch der Ausbau wirtschaftlicher Infrastruktur hat für viele Polen einen deutlich höheren Stellenwert. Es fehlt zum Teil auch an gegenseitigem Verständnis, dass die beiden Länder in ihrer Debattenkultur unterschiedlich weit entwickelt sind. Die Heterogenität zeigt sich innerhalb des polnischen Diskurses schon zwischen der Regierung und der Opposition. Die sehr polarisierten Diskussionen wirken sich von der Politik auch innerhalb der Gesellschaft aus.
Konrad-Adenauer-Stiftung:
Junge Menschen in Deutschland proklamieren immer öfter, dass es sich bei unserer aktuellen Lage um eine Art von „Klimanotstand“ handele. Wie sieht es hier bei der polnischen Jugend aus?
Dr. Agnieszka Łada:
Eine Umweltbewegung ist in Polen nicht so verbreitet und zahlenmäßig stark wie in Deutschland. Die polnischen Bewegungen und grünen Parteien sind erst am Anfang. Dies liegt unter anderem daran, dass die Erwachsenen das Thema Klimaschutz immer noch kritisch sehen und in der Politik die grüne Partei sehr schwach ist. Im Gegensatz zu Deutschland ist der Klimaschutz in Polen noch kein ausgeprägter Teil der öffentlichen Debatte. Es gibt weiterhin noch sehr vieles zu tun, unter anderem auch im Bildungsbereich.
Konrad-Adenauer-Stiftung:
Werden diese Initiativen von der Politik unterstützt?
Dr. Agnieszka Łada:
Unterstützung gibt es vor allem von den linken Parteien, die generell in Polen nicht stark vertreten sind. Die Umweltbewegung wird vor allem von NGOs und kleineren Initiativen unterstützt. Dies liegt möglicherweise auch daran, dass im Gegensatz zu Deutschland keine breite Struktur der öffentlichen und politischen Bildung besteht. Große Stiftungen und Institutionen, die sich mit dieser Thematik beschäftigen, sind auf polnischer Seite nur sehr spärlich vorhanden, weshalb es oft an Unterstützung mangelt.
Konrad-Adenauer-Stiftung:
Zum Abschluss und wenn Sie es einmal sehr generell auf den Punkt bringen müssten: Im welchem Aspekt ähneln sich Deutsche und Polen am meisten?
Dr. Agnieszka Łada:
Vergleicht man uns generell, dann ähnelt vor allem die Lebensweise. Wir verbringen unsere Tage ähnlich und handeln sehr pragmatisch-wirtschaftlich. Hier unterscheiden wir uns zum Beispiel von den Südeuropäern.
Konrad-Adenauer-Stiftung:
Es lohnt sich also einmal mehr, „über den Tellerrand zu schauen“ und sich die Hand zu reichen!
Dr. Agnieszka Łada:
Ich denke es lohnt sich in zweifacher Hinsicht: Einerseits ähneln wir uns sehr und man kann sich überraschen lassen, wie interessant unser Nachbarschaftsverhältnis tatsächlich ist. Dieses wird nämlich von vielen unterschätzt. Andererseits lohnt sich immer eine Reise nach Polen. Auch hier ist vielen noch der östliche Nachbar unbekannt. Man muss nicht unbedingt weit reisen, um Neues zu erleben. Es gibt schöne Landschaften zu sehen und lebendige Städte zu erleben. Besonders touristisch gesehen hat Polen viel zu bieten und ist in jedem Fall eine Reise wert.
Das Interview fand Mitte April 2020 statt.
Die Fragen stellte Christian Kutzscher.