Detlef Pollack, 1955 in Weimar geboren, ist Professor für Religionssoziologie an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster, welcher in mehreren Essays in überregionalen Medien eine Debatte zu dieser Frage ausgelöst hat, vertritt die Auffassung, dass die Ausreisewilligen die Vorreiter der Friedlichen Revolution waren. Die Fluchtbewegungen 1989 als auch die Ausreiseantragsteller zu Beginn der 80er Jahre forderten die SED-Diktatur mehr heraus als die Bürgerrechtler, welche noch 1989 eher einen reformierten Sozialismus in der DDR anstrebten, als die Wiedervereinigung mit der Bundesrepublik. Anhand einiger Beispiele vertrat Prof. Pollack die These, dass die Bürgerrechtler 1989 gerade in Leipzig erst sichtbar wurden, als die Montagsdemonstrationen bereits etabliert waren. Dass die Geschichtsschreibung die Bürgerrechtler jedoch mehr fokussierte als die Ausreisewilligen und die einfachen Bürger ohne Oppositionsbezug, läge seiner Meinung nach daran, dass ein akademischer Elitennarrativ erzeugt worden ist, der die akademisch gebildeten DDR-Bürger in das Zentrum rückt.
Dr. Peter Krause, Direktor des Schlosses Ettersburg und Zeitzeuge, sekundierte, dass in den akademisch gebildeten Kreisen der DDR der Rückhalt für eine selbständige sozialistische DDR am größten war, während gerade in der Arbeiterschaft und selbst in der Armee in den niederen Rängen, dies nicht so gegeben war. Dies sei aus seiner Sicht auch ein Grund, warum es keinen Versuch gab, die Friedliche Revolution gewaltsam niederzuschlagen, da die SED wusste, dass hier wenig Loyalität zu erwarten war. Dr. Peter Krause führte dazu weiter aus, dass die Ausreisewilligen die ersten Demonstranten waren und damit größere Risiken eingingen, als die später hinzustoßenden Bürgerrechtsgruppen. Mit Ausnahmen einiger Städte wie Plauen, waren die Hauptinitiatoren der Bewegungen mehrheitlich Akteure ohne Anschluss an Bürgerrechtsgruppen gewesen, die überdies numerisch klein waren. Kritisch sahen sowohl Pollack als auch Krause die Tatsache, dass viele Bürgerrechtler die Großdemonstration am 4.11.1989 auf dem Berliner Alexanderplatz mit dem Aufruf „Für unser Land“ unterstützten und damit mit selbst ernannten Reformkräften der SED kooperierten, welche mit vermeintlichen Reformen, den Sozialismus in der DDR retten wollten.
Im Laufe der Debatte, die vom ehemaligen Thüringer Landesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen Christian Dietrich moderiert wurde, erörterten und diskutierten die Referenten viele Einzelbeispiele und nahmen Bezug auf aktuelle Debatten. Dabei wurde gefordert, die einseitige Fokussierung auf die Bürgerrechtsgruppen aufzugeben und mehr die Hintergründe für viele Bürger in der ehemaligen DDR zu hinterfragen. Dies sei auch für Zukunft und Gegenwart wichtig, um das gesamtdeutsche Verständnis gegenseitig zu verbessern. Die Betrachtung aller Aspekte, Akteure und Motive während der Friedlichen Revolution sei dafür unabdingbar.