Comptes-rendus d'événement
„Früher war vermeintlich alles besser!“ hört man zuweilen noch Bürger in den neuen Bundesländern bezogen auf das Gesundheitssystem der DDR sagen, doch auch hier klaffen Mythos und Wirklichkeit deutlich auseinander. Den Mythos pflegte die DDR und SED-Funktionärselite in ihrer Staatspropaganda offensiv. Die Ausbildung im Gesundheitswesen der DDR entsprach dem Stan-dard der Zeit, doch gab es erhebliche Mängel im Bezug auf den Zustand der Einrichtungen, Tech-nik und Medikamenten- und Verbrauchsmaterialversorgung. Um einen unverfälschten Blick auf die Vergangenheit zu erlangen und möglicher Unwissenheit über die wirklichen Zustände des Ge-sundheitswesens zur Zeit der DDR zu begegnen, lud die Konrad-Adenauer-Stiftung am 15.05. in das Altenburger Klinikum zur Veranstaltung „DDR- Gesundheitswesen zwischen Mythos und Wirklichkeit“. Medizinhistoriker, Journalist und Arzt Dr. Rainer Erices, der die Akten der DDR-Gesundheitsfunktionäre und Staatssicherheit aufgearbeitet und ausgewertet hat, gab an diesem Abend eine realistische Zustandsbeschreibung des DDR-Gesundheitswesens. Der Altenburger CDU-Landtagsabgeordnete Christoph Zippel, der auch gesundheitspolitischer Sprecher seiner Fraktion ist, würdigte die Wichtigkeit der Aufarbeitung des Themas und moderierte anschließend den Abend.
Das Gesundheitswesen der DDR- Eine Zustandsbeschreibung
Kostenlose Gesundheitsversorgung in Polykliniken, einheitliche medizinische Versorgung für alle Patienten, eine gute Ausbildung der Ärzte. Das Gesundheitswesen war einer der wichtigsten Berührpunkte der Bürger mit dem Sozialismus und somit bedeutender Gegenstand der SED-Propaganda. Deshalb konnte man es auch offiziell nicht beschneiden, als sich die Probleme der DDR-Planwirtschaft in den 80er Jahren zunehmend verschärften. Die Folgen waren erhebliche Mängel im Gesundheitswesen. Dabei seien die größten Problembereiche, beschreibt der Medizinhistoriker, unter anderem, die Versorgung mit Medikamenten und Verbrauchsmaterialien, die Gebäudezustände, die Hygiene und die Devisenbeschaffung, sowie die Verstrickung zwischen Ärzten und dem Staat gewesen.
Medikamente wurden sowohl exportiert, als auch aus dem Westen importiert. Trotz dessen sei es zu Engpässen gekommen. Laut der Akten, so Erices, konnten allein in Dresden 7 500 Rezepte nicht eingelöst werden. Aber auch andere medizinische Gegenstände und Materialien wie Spritzen, Verbandsmaterial, Katheter und Einmalhandschuhe seien Mangelware gewesen. In Krankenhäusern habe es Sterbefälle gegeben, da Beatmungsgeräte fehlten und auch die Pflegeheime seien überlastet gewesen.
Auch das Gesundheitswesen musste später, genauso wie andere Sektoren, aufgrund der Verschuldung und Wirtschaftsschwäche der DDR Devisen erwirtschaften, um den Staat zu unterstützen, beschrieb der Mediziner. Medikamente aus dem Westen wurden im Osten getestet und ab 1983 sei Handel mit Blut- und Blutprodukten betrieben worden, aber auch andere Dreiecksgeschäfte, wie der Handel mit Knochenmaterial oder Plazenten, seien nicht unüblich gewesen. Die Geschäfte wurden, laut Erices, über das Ministerium für Außenhandel abgewickelt. Eine wichtige Figur soll dabei Alexander Schalck-Golodkowski gewesen sein, der eine enge personelle Bindung zu den Mitarbeitern pflegt habe.
Auch an anderer Stelle habe es personelle Verflechtung gegeben. Ein Großteil der leitenden Ärzte sei in der SED gewesen und damit berufsbedingt offiziell aber auch vielfach inoffiziell für das MfS tätig gewesen. So habe der Medizinhistoriker bei 13 Bezirksärzten im Raum Leipzig Spitzeltätigkeit nachweisen können. Doch nicht alle Ärzte konnten und wollten sich mit dem bestehenden System arrangieren. Im Laufe der 80er Jahre kam es zur dritten großen Ärzteabwanderung. Ausgelöst durch die schlechte materielle Ausstattung, sowie permanente psychische und physische Überlastung, habe sich die Situation auch durch fehlende Wohnungen weiter zugespitzt. Im Bezirk Leipzig habe deshalb ein signifikanter Ärztemangel geherrscht. Den wachsenden Ausreiseanträgen versuchte man zunächst politisch-ideologisch gegenzusteuern, wo diese Bemühungen allerdings keinen Anklang fanden, lies man die Ärzte ziehen.
Nachdem sich der Zerfall des Gesundheitswesens unaufhaltbar fortsetzte appellierte der damalige Gesundheitsminister Ludwig Mecklinger an das SED-Politbüro, dass nur eine ökonomischere Denkweise des Systems dessen Zusammenbruch verhindern könnte, wozu auch die Entideologisierung des Zugangs zum Arztberuf gehörte. Spätestens Ende Oktober 1989 sei jedoch allgemeinhin klar gewesen, dass die Ära der Deutsch Demokratischen Republik sich ihrem Schlusspunkt näherte.
Seinen Vortrag abschließend plädierte der Medizinhistoriker für eine kritische Betrachtung des damaligen Gesundheitswesens. Darüber hinaus solle man aber nicht vergessen, dass dieses dem Staat untergeordnet war.
Im anschließenden Gespräch
Unter den Gästen im Publikum waren etliche Ärzte, die selbst während der DDR-Zeit studiert hatten und später in Kliniken und Praxen der Region beruflich tätig waren. Diese äußerten sich zu ihren Erlebnissen und konnten teils von ähnlichen Zuständen und Ereignissen berichten, die Dr. Erices zuvor in seinem Beitrag geschildert hatte. Betont wurde, dass das Ausbildungssystem an sich, anders als die medizinische Versorgung, wohl dem Standard der Zeit entsprach.