Der Europa-Talk aus Thüringen ist ein vierteljährlich wiederkehrendes Veranstaltungsformat des politischen Bildungsforums Thüringens der Konrad-Adenauer-Stiftung. Dieser Termin widmete sich, aufgrund der aktuellen Ereignisse und Putins Krieg in der Ukraine, der Situation vor Ort und der ungebremsten Solidarität weltweit. Es soll aufgezeigt werden, wie und wo geholfen wird und wie man sich auch selbst einbringen kann.
Dazu begrüßte am Freitagnachmittag der Moderator Benjamin Grau seine Gäste, die Thüringer Europa-Abgeordnete Marion Walsmann, Ilona Mamiyeva vom Verein Ukrainische Landsleute in Thüringen und Tim B. Peters, Leiter der KAS-Außenstelle in Kiew.
Zunächst bat der Moderator den Leiter der KAS-Außenstelle Kiew die aktuelle Situation in Kiew und der Ukraine zu schildern. Dieser berichtet, dass er in regelmäßigen Kontakt mit seinen Kolleginnen und Kollegen vor Ort stehe und die Szenen, die sich dort abspielen dramatisch seien. Die russische Armee rücke weiter vor, es gebe viele Schusswechsel, die Menschen würden weiterhin Schutz vor den Angriffen in U-Bahnstationen und in anderen Schutzräumen suchen und einige Städte wie Mariupol seien belagert. Trotzdem sei der Widerstand der Ukrainer ungebremst und die Moral ungebrochen. Ihn persönlich mache die ganze Situation fassungslos und er betonte, dass es dennoch immer eine sehr individuelle Entscheidung der Ukrainerinnen und Ukrainer sei, ob sie fliehen oder dort bleiben um zu kämpfen. Er könne beide Entscheidungen auch seiner Ortskräfte gut nachvollziehen.
Walsmann ergänzte aus europäischer Sicht, dass auch die Politik überrascht und schockiert über die aktuellen Entwicklungen sei, die niemand für möglich gehalten habe. Sie berichtete von einer sehr emotionalen Sondersitzung im Parlament zu der der ukrainische Präsident Selenskyj zugeschaltet war. Das Parlament verurteile die Invasion Russlands zutiefst und habe deshalb Sanktionen finanzieller und persönlicher Art gegen Puten und seine Umgebenen beschlossen, die es so in dieser Form noch nie gegeben habe. Sie sei optimistisch, dass diese Sanktionen wirken und finde, dass die Weltgemeinschaft ganz deutlich machen müsse, dass sie Putins Angriffskrieg nicht akzeptiere. Insgesamt kennzeichne der Krieg eine Zeitenwende in Europa.
Der Moderator richtete seine nächste Frage direkt an Walsmann, was die Politik tun könne, um die Flucht zu erleichtern. Die Politikerin antwortete, dass die EU viele bürokratische Hürden abgebaut habe und ein einjähriger Aufenthalt unter erleichterten Visa-Bedingungen möglich sei. Damit verbunden könnten die Geflüchteten auch sofort mit der Arbeitsaufnahme beginnen oder zur Schule gehen. Außerdem habe die Europäische Kommission 500 Millionen Euro für die humanitäre Hilfe und 1,2 Milliarden zur Integration und für die Unterstützung der Nachbarländer der Ukraine freigegeben. Außerdem biete die kassenärztliche Vereinigung kostenlose Beratung und Behandlung physischer und psychischer Art an und viele Transportlinien würden kostenlose Tickets bereitstellen.
Ilona Mamiyeva stellte ihren Verein vor und erklärte, dass sie momentan viele Hilfstransporte an die ukrainische Grenze und auch in die Ukraine brächten sowie den Flüchtlingstransfer organisieren würden. Sie betonte, dass es wichtig sei, dass die Hilfe koordiniert und abgesprochen werde, damit kein Helfender ins Leere fahre. Aus Misstrauen gegenüber fremden Helfenden würden manche Ukrainer beispielsweise Mitfahrgelegenheiten ausschlagen. Deshalb sei es sehr wichtig, dass man als helfende Person zunächst ihren Verein kontaktiere. Peters betonte im weiteren Verlauf auch nochmal, dass man sich an Hilfsorganisationen wenden solle, die sich gut mit der Thematik auskennen, damit die Hilfe auch effektiv ist: „Vieles sei gut gemeint, wichtig ist, dass es auch gut gemacht ist“.
Auf eine Zuschauerfrage, wie man auch außerhalb von Thüringen helfen könne, erklärte Mamiyeva, dass es bundesweit Vereine wie ihren gebe, an die man sich wenden können. Zudem gebe es auch noch viele andere Hilfsorganisationen. Walsmann ergänzte, dass eine Geldspende manchmal auch zielgerichteter sei und betonte, dass das zivilgesellschaftliche Engagement, das vor allem in Kundgebungen und Demonstrationen stattfand, immens wichtig seien, um der ukrainischen Bevölkerung Mut zu machen und sich ihr gegenüber solidarisch zu zeigen. Aber auch um die russische Bevölkerung aufzufordern sich gegen Putin zu stellen. Eine zweite Publikumsfrage, was auf einen zukomme, wenn man sich entscheidet Geflüchtete bei sich zuhause aufzunehmen, beantwortete die Europaabgeordnete dahingehend, dass man sich an Sozialämter sowie die Stadt- und Kreisverwaltung wenden solle, die die Verteilung koordinieren.
Der Moderator fragte den Büroleiter der KAS aus Kiew, wie die Ukrainerinnen und Ukrainer die weltweite Solidarität vor Ort wahrnehmen würden. Peters erwähnte, dass die Kommunikationswege ins Land noch sehr gut funktionieren würden und die Menschen vor Ort deshalb auch die Solidaritätswelle mitbekommen und spüren, was wichtig sei. Diese Verbindungen müssten unbedingt aufrechterhalten werden. Putins Kampf gegen das westliche Gesellschaftsmodell werde auf dem Boden der Ukraine ausgetragen, betreffe aber uns alle. Russland sei bereits in einigen westlichen Ländern, auch in Deutschland, verantwortlich für Destabilisations-Kampagnen gewesen. Das Mindeste sei es in einem freien Land wie Deutschland, sich aktiv zu positionieren, so Peters.
Walsmann ergänzte, dass diese Welle der Solidarität, die durch die europäischen Parteienfamilien erfolge, dazu führe, dass Streitigkeiten untereinander momentan keine Rolle spielen würden. Stattdessen sei die europäische Verteidigungsbereitschaft groß in einer Zeit, in der Putin den Kalten Krieg neu eröffne.
Welche Forderungen habe Frau Mamiyeva an die Politik? Sie wünsche sich, dass schon jetzt über eine gemeinsame Zukunft der Ukraine und der EU nachgedacht und an den Wiederaufbau gedacht wird. Die Europaabgeordnete machte an dieser Stelle deutlich, dass Frau von der Leyen eine klare Perspektive der Ukraine in der EU sehe.
Beim Blick in die Zukunft sei es laut Mamiyeva wichtig, dass die Geflüchteten gut integriert werden. Dies gelinge mit Beschäftigung durch Arbeit, Schule und Kindergarten. Ihr Verein sei gerade dabei ein Kulturzentrum zu schaffen, um Freizeitgestaltung und Bildung anbieten zu können. Dabei sind sie auf die Hilfe von Menschen aus Thüringen angewiesen, die bei der Freizeitgestaltung und dem Integrationsprozess unterstützen können.
Der Moderator bat nun alle Gäste noch einmal kurz ihre Punkte zusammenzufassen. Peters begann und sagte, dass es auch wichtig sei, die Ukrainerinnen und Ukrainer als Menschen zu betrachten, die sehr viel durchgemacht haben und denen es zum Teil auch schwerfalle, ihr Schicksal als Geflüchtete für sich persönlich anzunehmen. Es erfordere viel Fingerspitzengefühl und man sollte die Geflüchteten Menschen immer als Individuum betrachten. Walsmann betonte, dass man den Menschen vor allem Stabilität und Halt geben und sie aktiv in die Gemeinschaft mit einbeziehen sollte. Dies können beispielsweise durch einen Nachmittagskaffee, der von einer Kirchengemeinde o.ä. organisiert werde, geschehen. Außerdem betonte sie, dass es wichtig sei, die bestehenden Verbindungen nach Russland zu nutzen, um die Menschen dort aufzuklären, damit sie sich von Putins System distanzieren. Mamiyeva schloss sich den Worten ihrer Vorredner an und bedankte sich herzlich für die ganze Unterstützung, die sie als Verein erhalten.
Benjamin Grau bedankte sich bei seinen Gästen für das angenehme Gespräch und wies auf weitere Informationen über den Verein und die Stiftungsarbeit hin, die Sie hier als Link auf der Homepage finden.