Dieser Abend gehörte zu den zahlreichen Workshops, Gesprächen und Podien, die die Konrad-Adenauer-Stiftung im Rahmen der Kampagne zur „ChancenZeit“ durchgeführt hat und weiterhin anbieten wird. Mit der ChancenZeit greift die Konrad-Adenauer-Stiftung die öffentliche Debatte um ein freiwilliges oder verpflichtendes Gesellschaftsjahr auf. Bereits 2018 brachte Annegret Kramp-Karrenbauer die Einführung eines verpflichtenden Dienstjahres ins Gespräch, ab 2019 dann konkret unter dem Begriff des „Deutschlandjahres“. Der ursprüngliche Hintergrund des Vorschlags war, durch den Gesellschaftsdienst den sozialen Zusammenhalt zu stärken. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat sich Anfang Juni 2022 für die Einführung einer sozialen Pflichtzeit ausgesprochen. Und wir haben 2023 die verschiedenen Vorschläge und Stimmen aufgegriffen und diejenigen zu Wort kommen lassen, die es in erster Linie betrifft: Fast 1.900 Teilnehmende, darunter 900 Jugendliche im Alter von 14 bis 19 Jahren, haben bei insgesamt 23 World-Cafés und 13 Landeshauptstadtforen aus verschiedenen Perspektiven diskutiert. Die Veranstaltungen wurden deutschlandweit von unseren Büros der Politischen Bildung organisiert und durchgeführt.
Mittlerweile haben sich die Themenschwerpunkte erweitert: Zum sozialen Aspekt gesellten sich nach den Naturkatastrophen an der Ahr und Erft und der völkerrechtswidrigen russischen Invasion neue, weitreichendere Aspekte hinzu. Auch in der Reihe „Köln & Köpfe“ hat sich ein thematischer Bogen gespannt, der die Resilienz und Widerstandsfähigkeit, die Haltung zu unserer Demokratie, unserem Rechtsstaat und unseren Freiheiten in den Blick nimmt.
Im März 2023 hatten wir den Bundestagsabgeordneten Roderich Kiesewetter zu Gast. Eigentlich zogen wir mit ihm Bilanz nach einem Jahr Krieg Russlands gegen die Ukraine. Aber am Ende der Veranstaltung stand auch die Widerstandsfähigkeit der Zivilbevölkerung im Mittelpunkt.
Mit Innenminister Herbert Reul, Feuerwehr und THW sprachen wir im Januar über die Fähigkeiten und Einsatzmöglichkeiten der Blaulichtorganisationen, die bei Krisen und Katastrophen Leben retten und Infrastruktur wiederherstellen – und ob mehr Knowhow bei einem Großteil der Bevölkerung helfen könnte, im Ernstfall die Reichweite zu steigern.
„Die Stärkung von nationaler Sicherheit und gesellschaftlicher Resilienz sind zentrale Überlegungen für ein solches Gesellschaftsjahr“, betonte Serap Güler in ihrem Grußwort.
Angesichts der sicherheitspolitischen Herausforderungen für unser Land lenkten wir im dritten Teil der Reihe den Blick auf unsere Bundeswehr und unsere militärische Verteidigungsfähigkeit und diskutierten wir über die Einführung eines Wehrdienstes in Deutschland. Es geht hier um weitaus mehr als um die Frage eines freiwilligen oder verpflichtenden Jahres. Es geht um Landes- und Bündnisverteidigung an Land, in der Luft, im digitalen Raum, um Sicherung der staatlichen Integrität, um Abschreckung – um die Frage der Kriegstüchtigkeit nicht im Ernstfall klären zu müssen.
In seinem Impuls stellte Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius fest: „Wir müssen uns als Land, als Gesellschaft, als Bündnis mit einer Bedrohungslage auseinandersetzen, die wir nicht für möglich gehalten haben.“ Pistorius forderte, die Debatte nicht nur politisch, sondern gesellschaftlich zu intensivieren, um nach 35 Jahren Friedensdividende eine ganze Generation lernen zu lassen, mit der neuen Situation umzugehen. Es stimme, die Bundesrepublik sei spät aufgewacht, die baltischen und skandinavischen Länder hätten den Weckruf 2014 gehört, während wir noch einmal die Snooze-Taste gedrückt hätten. „Wir haben zu lange an unsere Sicherheit geglaubt, anstatt in sie zu investieren“, so Pistorius. Putins Ziel sei es, 1,3 Millionen Menschen in Waffen zu haben. Er habe auf Kriegswirtschaft umgestellt. Unsere Antwort müsse Abschreckung durch kriegstüchtige, verteidigungsfähige Streitkräfte sein, um auf die imperialistischen Aussagen und Drohungen zu reagieren. Weitere Bedrohungslagen – im Nahen Osten, globale Machtverschiebungen, die Spannungen zwischen China und den USA – zwingen zum Handeln. Pistorius: „Eine Bedrohung, die man nicht wahrnimmt, verschwindet nicht, sie wird größer.“
Den jahrelangen Schutz der NATO-Partner während des Kalten Krieges müsse Deutschland nun zurückgeben: Die Stärkung der Ostflanke furch eine kampfbereite Brigade mit 5.000 Männern und Frauen in Litauen trage dazu bei, Sicherheit und Freiheit zu verteidigen. Wir alle müssten begreifen, dass der Staat sich nicht selbst verteidigen, sondern nur die Rahmenbedingungen schaffen kann. Daher müssen die Streitkräfte aufwachsen. Zur Aufstockung seien Zeit, Machbarkeit und Kapazitäten in den Blick zu nehmen: Angesichts der mit der Aussetzung der Wehrpflicht abgeschafften Strukturen zur Wehrerfassung und -überwachung sowie der rückgebauten Kasernen und gesenkten Ausbildungskapazitäten könnten 5.000 Personen im ersten Jahr ausgebildet werden.
Der Plan sei es, alle wehrpflichtigen Männer, die 18 Jahre alt werden, einen digitalen Fragebogen zukommen zu lassen, der wahrheitsgemäß zu beantworten ist. Frauen erhalten diesen Fragebogen ebenfalls, die Beantwortung ist aufgrund der nicht bestehenden Wehrpflicht allerdings freiwillig. Pistorius geht davon aus, dass von den 350.000 jungen Männern eines Jahrgang 30-40.000 zu einer Musterung eingeladen und nach Berücksichtigung der Fähigkeiten, Talente und Neigungen 5.000 Personen ausgewählt werden, den Wehrdienst mindestens sechs Monate zu leisten. Es brauche sechs bis acht Jahre, um bei steigenden Ausbildungskapazitäten auf 200.000 Reservisten zu kommen. Der Plan geht nun in die Ressortbeteiligung; die Verabschiedung des Gesetzes ist für Frühjahr 2025 geplant, so dass die digitale Abfrage bereits im nächsten Jahr erfolgen kann. Es sei die pragmatisch umsetzbare Herangehensweise, würden doch Debatten zu Grundgesetzänderungen (Verpflichtung von Frauen, Dienstpflicht) die Rekrutierung zu sehr verzögern. In der nächsten Legislaturperiode sei aber Zeit, um über diese Ideen zu sprechen.
„Wir würden uns alle wünschen, dass es schneller geht, aber der Anfang ist gemacht“, kommentierte Oberstleutnant i.G. Marcel Bohnert, stv. Vorsitzender des Deutschen Bundeswehr Verbandes, in der anschließenden Podiumsdiskussion. Die Aufgabe der Bundeswehr sei es, die Partner an der Ostflanke zu unterstützen und die „Drehscheibe Deutschland“ für Transporte sicherzustellen. 2029/30 müsse Deutschland kriegstüchtig sein. Man dürfe aber nicht vergessen, dass Deutschland durch russische Desinformation, Sabotage und Spionage längst Angriffen ausgesetzt sei. Er warb dafür, den 2025 erstmalig stattfindenden Veteranentag am 15. Juni zu nutzen, um diese Debatten noch stärker in die Gesellschaft zu tragen, Austauschformate mit der Bundeswehr zu schaffen.
Die Konrad-Adenauer-Stiftung trägt gern ihren Teil dazu bei, die sicherheitspolitische Kompetenz in der Gesellschaft wieder zu stärken, Foren für Fragen und Gespräche zu bieten und die Begegnungen mit der Bundeswehr zu intensivieren. Der Abend hat gezeigt, dass ein hohes Grundverständnis existiert, die neuen Herausforderungen anzunehmen und nach der Analyse nun in die Umsetzung von Lösungen zu kommen.
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