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Juliane Liebers

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"Die Verfassung zum Sprechen bringen"

13. Berliner Rechtspolitische Konferenz

Nächstes Jahr wird das Grundgesetz 70 Jahre alt – und seitdem sie am 24. Mai 1949 in Kraft trat, unterlag die deutsche Verfassung steter Veränderung. Bis heute hat sich der Text fast verdoppelt. Über den Wandel, die Pflege, die Grenzen und die Auslegung der Verfassung sowie die Rolle des Bundesverfassungsgerichts sprachen der Präsident des Gerichts, Professor Andreas Voßkuhle, und der Vorsitzende der Konrad-Adenauer-Stiftung, Professor Norbert Lammert, zu Beginn der Berliner Rechtspolitischen Konferenz.

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„Das Grundgesetz ist nichts Gegebenes, sondern etwas Aufgegebenes“, merkt Andreas Voßkuhle gleich zu Beginn an und meint damit, dass das Grundgesetz in den Jahrzehnten seiner Existenz nicht nur erweitert, sondern auch stets neu ausgelegt und interpretiert wurde. Der Bedarf dazu ist nach wie vor hoch, wie Voßkuhle an jüngsten Beispielen verdeutlicht: In den Bereichen Europäische Integration, Digitalisierung, Ehe und Familie, geschlechtliche Identität und Diskriminierungsschutz hat sich die Lebenswirklichkeit nun einmal verändert.

Beispielsweise „das Familienverständnis von heute hätte die Damen und Herren des parlamentarischen Rates (der das Grundgesetz verabschiedete) erstaunt“, so Lammert. Aufgrund der veränderten Lebenswirklichkeiten könne das Bundesverfassungsgericht nicht schweigen, so Voßkuhle, denn „dieses ist als verfassungsrechtlich bestimmter Letztinterpret dazu berufen, die Verfassung zum Sprechen zu bringen, sie in der Zeit zu halten.“

 

Gestaltungsehrgeiz „nicht in beliebigen Dimensionen“

Zwar müsse der Wille des Verfassungsgebers immer auch berücksichtigt werden, dennoch gelte: „‘Keine Herrschaft der Toten über die Lebenden‘, sondern eine vergangenheitssensible und zukunftsorientierte Herrschaft der Lebenden über die Gegenwart ist die Devise!“ Sowohl Verfassungsänderungen als auch Neuinterpretationen und Auslegungen müssten sich jedoch in Grenzen halten, sind sich der Bundestagspräsident a.D. und der Präsident des Bundesverfassungsgerichts einig: Der Gestaltungsehrgeiz finde „nicht in beliebigen Dimensionen“ statt, betont Lammert. Und auch das Bundesverfassungsgericht entscheide unter Beachtung der Grenzen der Verfassungsauslegung und nehme die Begrenzung der Verfassungsinterpretation ernst, ergänzt Voßkuhle.

Immer wenn sich Juristen und Politiker mit der Verfassung auseinandersetzen, wenn neue Gesetze erlassen werden oder die Verfassung geändert werden soll, erlebt man eine Spannung zwischen Gesetzgeber und Verfassungshüter, eine „produktive Spannung“, wie Lammert findet. Er wünscht sich aber eine größere Disziplin des Verfassungsgesetzgebers und bemängelt dessen Übermut, die „Grenzen der Verfassung auszutesten“, wenn beispielsweise eine Mehrheit für Verfassungsänderungen vorhanden sei, werde von dieser gnadenlos Gebrauch gemacht.

 

„Die Zukunftsfähigkeit liegt dem Grundgesetz im Blut“

Was Deutschland derzeit von anderen Staaten unterscheide, sei dessen hohe und stabile politische Kultur: Einerseits werde das Bundesverfassungsgericht nicht missbraucht, indem zum Beispiel Politiker dort hingeschickt werden, um im Partei- oder Regierungsinteresse Einfluss auf Entscheidungen zu üben, so Voßkuhle. Andererseits bestätigt Lammert den „völlig ungebrochenen Respekt“ gegenüber dem Gericht: Politiker würden Entscheidungen vielleicht missbilligen, ihre Geltung werde aber nicht infrage gestellt. Verfassungsgerichte seien fragile Institutionen, deren Aufbau ein langer Weg. Aber man könne sie – durch politische Maßnahmen, aber auch durch Respektlosigkeit – innerhalb eines Jahres kaputt machen, warnt Voßkuhle.

Lammert wirbt dafür, dass jede liberale Gesellschaft ein Mindestmaß an Verbindlichkeit braucht – mindestens also die Verfassung als Kodifizierung. Für Voßkuhle ist die Verfassung das Grundgerüst des sozialen Zusammenlebens, das auch künftige Generationen einen können soll: „Die Zukunftsfähigkeit liegt dem Grundgesetz im Blut – dass es aber auch eine Zukunft hat, dafür müssen wir alle hier im Raum jeden Tag aufs Neue sorgen.“

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Dr. Katja Gelinsky

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