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"Die Menschen erwarten mehr Sicherheit" – Staatliche Förderung im freiheitlichen Verfassungsstaat

od Dr. Katja Gelinsky

14. Berliner Rechtspolitische Konferenz

Wieviel Förderung und welche Förderung braucht unser Verfassungsstaat, um die multiplen Herausforderungen für unsere freiheitliche Grundordnung zu bewältigen? Darüber diskutierten Richterinnen und Richter, Politiker, Staatsrechtler und Ökonomen auf der diesjährigen „Berliner Rechtspolitischen Konferenz“. 

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Unsere liberale Demokratie und die sie tragenden Institutionen und unsere offene Volkswirtschaft stehen in doppelter Hinsicht unter Druck: Im Inland wächst der Anteil derer, die an der Zukunftsfähigkeit unseres freiheitlichen Modells Zweifel hegen oder ihm gar misstrauen. Zugleich vervielfachen sich Unwägbarkeiten und Gefährdungen von außen. Politik ist in dieser komplexen Gemengelage besonders gefordert.  Zuweilen lege sie sich jedoch selbst Fesseln an, bemerkte der Vorsitzende der Konrad-Adenauer-Stiftung, Prof. Norbert Lammert, kritisch in seiner Begrüßungsrede am Festabend der „Berliner Rechtspolitischen Konferenz“. Lammert verwies auf die zunehmende Tendenz, in umfangreichen Koalitionsverträgen detaillierte Vereinbarungen zu den Vorhaben für die nächste Legislaturperiode zu treffen. Es sei angezeigt, diese fragwürdige Praxis und ihre Folgen für das parlamentarische System und seine Gestaltungsfähigkeit eingehend zu untersuchen.

Politische Handlungsfähigkeit ist umso dringlicher, da die Errungenschaften von Demokratie und Freiheit angesichts der Verschiebungen im globalen Machtgefüge in vieler Hinsicht – gegen autoritäre Mächte, Terrorismus, Nationalismus und Isolationsimus – verteidigt werden müssen. Mehr denn je seien Freiheit und Sicherheit zusammenzudenken, forderte der Präsident des Bundesnachrichtendienstes, Dr. Bruno Kahl, in seinem Festvortrag „Fundamente sichern. Staatliche Prioritäten in Zeiten wachsender internationaler Bedrohungen“. Im anschließenden Podiumsgespräch hob der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses des Bundestages, Dr. Norbert Röttgen, die Bedeutung europäischer Handlungsfähigkeit hervor. Es gehe um „Sein oder Nichtsein“ angesichts des „Chaos in der Welt“ – der „größten Friedensbedrohung für das 21. Jahrhundert“. Europa müsse seine „introvertierte Natur“ aufgeben und sich der Frage stellen, „wer oder was wollen wir sein in der neuen Ordnung, die gerade ausgekämpft wird“. Röttgen  sieht Europa  derzeit „in der schlechtesten Verfassung seit 1957“. Europa sei „stark paralysiert“ und nicht einmal mehr einig über seine eigene Identität, so der Befund des CDU-Außenpolitikers. Es sei an der Zeit, in Europa eine „Gruppe der Willigen und Fähigen“ zu bilden, die vorangehe und sich zunächst in zwei bis drei Punkten auf ein gemeinsames außen- und sicherheitspolitisches Vorgehen verständige. Neben Deutschland, Frankreich „und möglichst auch Polen“ nannte Röttgen ebenfalls Großbritannien – auch nach dem Brexit. Kritisch bemerkte er, Deutschland habe sich bislang nicht genügend engagiert, um eine europäische außen- und sicherheitspolitische Kooperation zustande zu bringen. Diese sei auch mit Blick auf die innenpolitischen Herausforderungen nötig. Angesichts vielfältiger Bedrohungen würden die Erwartungen der Bürgerinnen und Bürger an den Staat, Sicherheit zu gewährleisten immer größer.

Thomas Köhler, Leiter der Hauptabteilung Politik und Beratung, betonte in seiner Eröffnung des Konferenztages, es bedürfe einer staatlichen Ordnung, um Freiheit zu sichern. Auch zu viele staatliche Einzelmaßnahmen könnten diese Ordnung gefährden.

Zu den Hauptakteuren unserer parlamentarischen Demokratie gehören traditionell die politischen Parteien. Diese seien jedoch „fundamental geschwächt“; die Volksparteien befänden sich in einer „schweren Krise“, so der gemeinsame Ausgangsbefund auf dem ersten Podium „Staatliche Förderung und demokratische Willensbildung: Neuvermessung im Verhältnis politischer Parteien und Nichtregierungsorganisationen?“. Zugleich konstatierten die Mitwirkenden, der Richter des Bundesverfassungsgerichts, Peter Müller, der Staatsrechtslehrer Florian Meinel (Universität Würzburg), der frühere Bundestagsabgeordnete für Bündnis 90 /  Die Grünen und Vorstand der „Bürgerbewegung Finanzwende“, Dr. Gerhard Schick, sowie der Erste Parlamentarische Geschäftsführer der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag, Michael Grosse-Brömer, einen „Siegeszug neuer Bewegungen und eine erhöhte Wirkmächtigkeit von Nichtregierungsorganisationen“ (NGO). Es sei an der Zeit, über neue rechtliche Regelungen für NGO, etwa über Transparenzvorschriften und Fragen der Gemeinnützigkeit nachzudenken. Dabei gelte es auch die Vielfalt der NGO zu berücksichtigen. Trotz der Schwächen im System der politischen Parteien könnten Nichtregierungsorganisationen diese auf absehbare Zeit nicht ersetzen, da NGO strukturell nicht darauf angelegt seien, die demokratische Integrationsleistung der Parteien zu erbringen.     

Die Politik muss auch Antworten darauf finden, wie sie das Freiheitsversprechen der Verfassung mit den Verpflichtungen des Sozialstaates in Einklang bringt. Über „Eigenverantwortung versus Verhaltenslenkung – Leitbilder für die Sozial- und Gesundheitspolitik“ diskutierten die Teilnehmer des zweiten Podiums: Die Richterin des Bundesverfassungsgerichts, Prof. Dr. Gabriele Britz, der Staatsrechtslehrer, Prof. Dr. Steffen Augsberg (Universität Gießen), der Verhaltensökonom, Prof. Dr. Steffen Altmann (Forschungsinstitut zur Zukunft der Arbeit, Bonn), sowie der Richter am Landessozialgericht, Prof. Dr. Mathias Ulmer. Einig war man sich darüber, dass der Gegensatz zwischen persönlicher Verantwortung und staatlicher Verhaltenslenkung in der Praxis häufig nicht so scharf sei wie die theoretische Gegenüberstellung nahelege. Die Debatte darüber war jüngst durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu Kürzungen von Hartz IV-Leistungen bei versäumten Mitwirkungspflichten der Empfänger wieder ins Blickfeld einer breiteren Öffentlichkeit gerückt. Das Gericht hielt es prinzipiell für legitim, dass der Staat Menschen dazu bringe, etwas an ihrer Hilfsbedürftigkeit zu ändern, da Arbeitslosigkeit für den Staat ein Ressourcenproblem sei.  Zugleich verwies das Gericht jedoch darauf, dass Sanktionen ihre Grenzen in der staatlichen Pflicht zur Sicherung des Existenzminiums fänden. Zum Umgang mit Hartz IV-Empfängern hieß es auf dem Podium, man müsse sehr genau hinschauen, warum Mitwirkungspflichten nicht erfüllt würden. Es mache einen Unterschied, ob dies aus Unwissenheit, Nachlässigkeit oder aus Widerstand geschehe. Oft sei „Feinstarbeit im Menschlichen“ durch die Verwaltung nötig, um Menschen aus der Hilfsbedürftigkeit zu holen, ohne sie staatlicherseits zu bevormunden. Dafür fehlten jedoch die staatlichen Ressourcen, vor allem geschultes Personal. Auch in der Gesundheitspolitik steht der Gesetzgeber vor der Aufgabe, persönliche Verantwortung und Interessen Dritter zu gewichten. Kontrovers diskutiert  wurde vor allem, ob der Gesetzgeber zur Erhöhung der Organspendenbereitschaft die bisherige Zustimmungsregelung durch eine Widerspruchregelung ersetzen solle.

Fragen nach der Zweck- und Rechtsmäßigkeit staatlicher Interventionen stellen sich auch in der Wirtschaftspolitik. Über „staatliche Förderung von Schlüsseltechnologien: Zwischen Apathie und Aktionismus“ diskutierten die Ökonomin Iris Plöger, Mitglied der Hauptgeschäftsführung des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI, Prof. Dr. Dr. h.c. Klaus Rennert,
Präsident des Bundesverwaltungsgerichts, die Rechtswissenschaftlerin Prof. Dr. Heike Schweitzer (Humboldt-Universität zu Berlin), und der Bundestagsabgeordnete und Parlamentarische Staatssekretär a.D., Oliver Wittke. Wie lassen sich wirtschaftliche und technologische Kompetenz und Wettbewerbsfähigkeit in einem Umfeld sichern, in dem die deutsche Wirtschaft und Industrie durch die Konkurrenz aus China und die Amerika-First-Politik von President Trump unter Druck geraten ist? Da wo kein „level playing field“ mehr existiere, müsse die Möglichkeit bestehen, sich vor ausländischen Wettbewerbern zu schützen, wurde argumentiert. Mahnend hieß es dazu, diesem Konkurrenzdruck dürfe jedoch nicht das Erfolgsmodell einer regelgebundenen Industriepolitik geopfert werden. Vielmehr bedürfe es auch im Bereich Wirtschaft und Industrie einer gemeinsamen europäischen Strategie, die Freiheit und offenen Marktzugang schütze.   

 

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