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Nebelkinder und starke Frauen

Prof. Dr. Michael Braun

Ulrike Draesner erzählt im studio online vom weiblichen Gesicht des Krieges

Was kann man von Vermissten schreiben, die selbst nicht mehr sprechen können? Wohin können Vertriebene sich ‚zurückheimaten’? Wie lebt man mit langen Verlusten, wie erzählt man Krieg? Und wann kann der Krieg für ein Mädchen aufhören, das ihn nicht erlebt hat, aber groß wurde im Schweigen der Eltern darüber?

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Megosztás

Ulrike Draesner zoomte diese Fragen ganz nah heran in ihrem neuen Roman „Die Verwandelten“. Im 13. studio online stellte sie zwei Kapitel aus diesem Buch vor. Sechzig Zuhörende von Breslau bis Bergamo, von Sevilla bis Stettin, von Strasbourg bis Thessaloniki verfolgten gebannt, was die Autorin von Zwangsmigration und vom Schweigen der Kriegsenkel zu erzählen hatte.

„Die Verwandelten“ ist der dritte Roman in einer Reihe, die sich jetzt als Triptychon von Kriegserinnerungen und Vertreibungstraumata lesen lässt. In ihrem Migrationsroman „Sieben Sprünge vom Rand der Welt“ (2014) hatte der Krieg ein männliches Gesicht, in dem Künstlerroman „Schwitters“ (2020) ging es um ein Künstlerschicksal im Exil. Nun ist es eine Geschichte von starken Frauen aus drei Generationen und zwei miteinander verflochtenen Familienzweigen, die sich inmitten der Schrecken des 20. Jahrhunderts ständig neu erfinden müssen. Deshalb werden sie zu „Verwandelten“: durch Gewalt veränderte Menschen mit neuen Körpern, Familien, Identitäten. Sie wissen genau, wer sie gewesen waren, aber im Unterschied zu den vergewaltigten Frauen in Ovids „Metamorphosen“ schenkt ihnen Ulrike Draesner eine eigene Sprache. Und eine Geschichte, von der sie erzählen können. Sie handelt von den blinden Flecken der Herkunft, von Zwangsadoption und Heimatverlust, aber auch von glücklichen Wiedererkennungsmomenten. Reni und Alissa begegnen sich in Breslau beim Streuselkuchenessen als Halbschwestern, ihre Töchter Dorota und Kinga bei einer Vortragsveranstaltung in Hamburg als Halbcousins.

Im Gespräch mit dem Literaturreferenten sprach Ulrike Draesner von den realen Vorbildern des Romans (einer polnischen Verlegerin), von ihren akribischen Recherchen in Polen und dem „Schutzmantel“ der Fiktion: einem treffenden Bild für die poetische Einbildungskraft, die den Roman mit Metaphern und Leitmotiven durchfeuert, einem Bild von Adolf Menzel und Eichhörnchen etwa.

Nach einer Stunde hatten die Zuhörenden aus einem faszinierender Roman über Mütter im Krieg, über verwandelte Töchter und aufklärende Nebelkinder gehört. Und tags darauf wurde „Die Verwandelten“ für den Preis der Leipziger Buchmesse 2023 nominiert.

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