Kurz vor drei Uhr morgens titelte die Onlineseite der Bild-Zeitung: „Trump gewinnt!“ Zuvor hatten CNN und Fox News den Ex-Präsidenten zum klaren Gewinner der Vorwahlen in Iowa erklärt. Zu diesem Zeitpunkt waren nicht einmal fünf Prozent der Stimmen ausgezählt. Die beiden TV-Sender beriefen sich stattdessen auf eigene Prognosen. Unklar war nach den ersten Eilmeldungen jedoch, wer auf dem zweiten Platz landen würde: Floridas Gouverneur Ron DeSantis und Nikki Haley, frühere Gouverneurin von South Carolina, lagen in den Projektionen am frühen Dienstagmorgen deutscher Zeit praktisch gleichauf. Dem Unternehmer Vivek Ramaswamy wurden hingegen keine Chancen auf den zweiten Platz ausgerechnet. Wenige Stunden später warf Ramaswamy das Handtuch und es zeichnete sich ab, dass DeSantis gut 2.000 Stimmen mehr bekommen hatte als Haley.
Überraschend war das alles nicht: Donald Trump lag nach den von FiveThirtyEight seit Mai letzten Jahres gesammelten Umfragewerten[1] kontinuierlich weit vor seinen parteiinternen Mitbewerbern. In den letzten Umfragen vor der Abstimmung kam der Republikaner durchschnittlich auf 52,7 Prozent. Ron DeSantis war bis August letzten Jahres unangefochten der Zweitplatzierte. Seitdem konnte Nikki Haley aber deutlich aufholen. Zuletzt lag sie mit 18,7 Prozent in den Umfragen sogar knapp zwei Prozent vor DeSantis. Ein Kopf-an-Kopf-Rennen um den zweiten Platz bahnte sich deshalb bereits seit Wochen an. Die Umfrageergebnisse für Vivek Ramaswamy kamen seit Mai letzten Jahres über einstellige Werte praktisch nie hinaus.
Die wichtigste Frage der nächsten Tage und Wochen ist, ob Nikki Haley für Donald Trump die Top-Rivalin sein wird oder sich Ron DeSantis als Hauptgegner positionieren kann. Und was bedeuten die Vorwahlen in Iowa überhaupt für die Chancen auf eine Präsidentschaftskandidatur?
Keine Vorentscheidung
Iowa ist mit einer Fläche von rund 146.000 Quadratkilometern gut doppelt so groß wie Bayern. In dem Bundesstaat im Mittleren Westen der USA leben aber nur gut drei Millionen Menschen – weniger als ein Prozent der Gesamtbevölkerung des Landes. Normalerweise steht Iowa deshalb nicht gerade im Rampenlicht der Weltöffentlichkeit. Spätestens ein Jahr vor jeder Präsidentschaftswahl ändert sich das. Denn seit Anfang der siebziger Jahre finden in Iowa die ersten Vorwahlen statt. Dafür reisen unzählige Journalisten an, um wochenlang über jeden Auftritt und jede Äußerung der Kandidatinnen und Kandidaten zu berichten. Dabei markiert Iowa zwar den Auftakt der Vorwahlen, keineswegs aber eine Vorentscheidung.
Von den neun Kandidaten der Demokratischen Partei, die zwischen 1976 und 2020 die Vorwahlen in Iowa gewonnen haben (Jimmy Carter zweimal - 1976 und 1980), wurden immerhin sechs beim Nominierungsparteitag als Präsidentschaftskandidaten aufgestellt, haben aber nur zwei (Jimmy Carter 1976 und Barack Obama 2008) dann auch die Präsidentschaftswahl gewonnen. Bei den Republikanern ist das Bild noch deutlich durchwachsener: Von den acht Kandidaten der Partei, die zwischen 1976 und 2020 die Vorwahlen in Iowa für sich entscheiden konnten (Bob Dole zweimal - 1988 und 1996), wurden nur vier beim Parteitag nominiert und hat davon nur George W. Bush im Jahr 2000 dann auch die Präsidentschaftswahl gewonnen.
Umgekehrt bedeutet eine Wahlniederlage bei den Vorwahlen in Iowa nicht zwangsläufig das Aus für die Präsidentschaftswahl. Ronald Reagan (1980), George H.W. Bush (1988), Bill Clinton (1992), Donald Trump (2016) und Joe Biden (2020) haben in Iowa jeweils verloren und zogen dann trotzdem ins Weiße Haus ein.
Aussagen darüber, was Iowa im Rennen um die Präsidentschaftskandidatur bedeutet, sind insofern mit Vorsicht zu genießen. Der Bundesstaat stellt nur 40 der insgesamt gut 2.400 Delegierten beim Nominierungsparteitag der Republikaner im Juli. Ein Sieg bei den Vorwahlen in Iowa war in der Vergangenheit auch deshalb keine Garantie für einen erfolgreichen Präsidentschaftswahlkampf, weil der Bundesstaat hinsichtlich seiner Bevölkerungsstruktur nur sehr eingeschränkt mit dem Rest der USA vergleichbar ist. Die Demokraten haben daraus Konsequenzen gezogen.
Sie haben für die diesjährige Präsidentschaftswahl ihren Vorwahlkalender geändert. Während der vergangenen fünf Jahrzehnte fand ihre erste Abstimmungsrunde wie bei den Republikanern immer in Iowa statt. Nach dem neuen Kalender markiert für die Demokratische Partei jetzt South Carolina den Beginn ihrer Vorwahlen. Die Abstimmung findet dort am 3. Februar statt.
In South Carolina leben nicht nur zwei Millionen Menschen mehr als in Iowa, sondern ist auch der Bevölkerungsanteil der schwarzen (26 Prozent) und hispanischen (sieben Prozent) Minderheit deutlich höher. Im Gegensatz dazu ist Iowa ein vorwiegend weißer Bundesstaat; der Anteil der Bevölkerungsminderheiten beträgt dort insgesamt nur zehn Prozent. Damit repräsentiert South Carolina viel stärker als Iowa nicht nur die Bevölkerungszusammensetzung der USA insgesamt, sondern auch der demokratischen Wählerschaft.
Riskante Testumgebung
Iowa ist im Vergleich zu den meisten anderen Bundesstaaten deshalb eine Besonderheit, weil die Vorwahlen dort nicht als geheime Abstimmung mit Wahlzetteln im Wahllokal stattfinden, sondern als aufwändiger „Caucus“ mit knapp 1.800 Nachbarschaftsversammlungen in Bibliotheken, Schulen, Kirchen, Gemeindezentren und Privathaushalten. Dort wird am Wahltag nach ausführlichen Diskussionen über die politischen Positionen der Parteien und ihrer Kandidatinnen und Kandidaten dann namentlich bzw. offen abgestimmt.
In der Vergangenheit hat das Caucus-Verfahren in Iowa wiederholt zu Pannen geführt. 2012 war bei den republikanischen Vorwahlen am Wahlabend zunächst Mitt Romney zum Sieger erklärt worden. Zwei Wochen später stellte sich dann heraus, dass Rick Santorum die parteiinterne Abstimmung mit nur 34 Stimmen Vorsprung gewonnen hatte. Vor vier Jahren war die Auszählung der Stimmen für die Demokraten ein völliges Debakel: Wegen einer fehlerhaften Wahlapp dauerte es mehrere Tage, bis die Partei nach dem Caucus das endgültige Ergebnis verkünden konnte. Joe Biden landete in Iowa damals nur auf einem schwachen vierten Platz. Sein Sieg bei den Vorwahlen in South Carolina rettete dem Demokraten 2020 schließlich die Nominierung zum Präsidentschaftskandidaten. Auch das dürfte ein Grund dafür gewesen sein, South Carolina jetzt an den Beginn des Vorwahlkalenders der Demokraten zu setzen.
Angesichts des aufwändigen Caucus-Verfahrens war für Donald Trump in Iowa nicht nur der Wahlsieg selbst ein Erfolg, sondern auch der Umstand, dass trotz eisiger Temperaturen und verschneiter Straßen bereits frühzeitig so klare Ergebnisse verkündet werden konnten. Eine technische Panne wie die der Demokraten vor vier Jahren wäre für den republikanischen Ex-Präsidenten eine Ohrfeige gewesen.
Nach Iowa hoffen Trump, DeSantis und Haley jetzt, den Schwung und das Momentum aus der ersten Vorwahl nach New Hampshire mitzunehmen. Dort findet die Abstimmung am 23. Januar statt. New Hampshire ist als zweiter Stimmungstest im Vorwahlkalender der Republikaner aus zwei Gründen bedeutsam: Die Bevölkerungsstruktur des Bundesstaates stimmt weitgehend mit der von Iowa überein. Vor allem Ron DeSantis, der in Iowa bis zum Caucus am Montag in jedem Wahlkreis unterwegs war, kann darauf hoffen, seine im persönlichen Kontakt mit den Wählerinnen und Wählern gesammelten Erfahrungen in New Hampshire gewinnbringend einsetzen zu können. Für Nikki Haley geht es bei den nächsten Vorwahlen darum deutlich zu machen, dass sie von den drei republikanischen Kandidaten im eigentlichen Präsidentschaftswahlkampf die besten Chancen gegen Joe Biden hätte. Nicht selten wird insofern Iowa mit seinem komplizierten Caucus-Verfahren als „Test für die organisatorische Stärke“ des jeweiligen Teams gewertet, während New Hampshire als „Test für die Wählbarkeit“ der Kandidatinnen und Kandidaten gilt.
Wer in den beiden Bundesstaaten gut abschneidet, hält für die darauf folgenden Vorwahlen nicht nur die freiwilligen Wahlkampfhelfer motiviert bei der Stange, sondern signalisiert gleichzeitig den Medien, sich im Feld behaupten und Wahlkampfthemen auf nationaler Ebene bespielen zu können. Nur wer über die Vorwahlen in New Hampshire hinaus als aussichtsreicher Kandidat oder Kandidatin gilt, darf überdies darauf hoffen, mit Spendengeldern die Kriegskasse für den eigentlichen Präsidentschaftswahlkampf ausreichend füllen zu können und von wichtigen anderen Politikern öffentlich unterstützt zu werden. Iowa war dafür nur der Auftakt, bei dem Donald Trump mit Abstand am schnellsten aus den Startlöchern gekommen ist.
[1] https://projects.fivethirtyeight.com/polls/president-primary-r/2024/iowa/
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