Nicht ganz neue Regierung
Am Donnerstag, den 1. April 2021 hat die slowakische Staatspräsidentin Zuzana Čaputová den bisherigen Finanzminister Eduard Heger (OĽANO) zum Premierminister ernannt. Da sich alle vier Koalitionsparteien auf weitere Zusammenarbeit einigten, gibt es im neuen Kabinett nicht viele neue Namen. Der Premierminister a.D. Matovič übernimmt in einer Art Rochade das Finanzressort und das Gesundheitsministerium bekommt wie erwartet eine neue Führung. Ansonsten bleibt alles beim Alten. Sogar die Programmerklärung der Regierung soll, wenn überhaupt, nur geringfügig angepasst werden.
Streit folgt auf Streit, Matovič überspannt den Bogen
Ob damit der offene Streit zwischen den Koalitionspartnern beigelegt werden kann, ist die Frage. Denn die zugespitzte offene Auseinandersetzung zwischen dem bisherigen Premierminister und OĽANO -Chef Matovič und dem Chef der liberalen Koalitionspartei SaS Sulík im März 2021 war nur der Höhepunkt ihrer Rivalität, die man seit der Regierungsbildung vor einem Jahr immer wieder auch öffentlich gespürt hat. Als Beschleuniger dieser Entwicklung wirkten die Meinungsumfragen. OĽANO hat innerhalb von 9 Monaten nach der Parlamentswahl im Februar 2020 beispiellos mehr als die Hälfte an Zustimmung eingebüßt. Die Liberalen dagegen konnten ihre Umfragewerte verdoppeln, insbesondere dadurch, dass sie sich seit Monaten mit Widerstand gegen harte Lock-Down-Maßnahmen der Regierung profiliert haben. Igor Matovič wird wiederum seinen Anteil an der Krise wegen seiner unberechenbaren Kommunikation und dem auf Mikromanagement orientierten Führungsstil zugeschrieben. Die kleinen Koalitionspartner SaS und Za Ľudí haben so schließlich ihre Geduld mit dem Premierminister verloren.
Während der Koalitionskrise im März wurden alle Regierungsoptionen ausgelotet. Mit dem eskalierenden Streit erschienen vorgezogene Neuwahlen beinahe als die wahrscheinlichste Option. Dabei hat die Regierung gerade mal einen Viertel der Wahlperiode hinter sich und ihre Arbeit scheiterte im Wesentlichen nicht an inhaltlichen Themen, sondern an persönlichen Auseinandersetzungen. Matovič hat sich am Ende für einen Rückzieher entschieden und machte Platz für seinen Vertrauten Heger. Vorgezogene Neuwahlen zum jetzigen Zeitpunkt wären angesichts der aktuellen Zustimmung für alle Regierungsparteien wohl mit dem Gang in die Opposition verbunden. Aktuell führt in den Umfragen die sozialdemokratische HLAS-SD (Stimme – Soziale Demokratie) – eine in 2020 aus der sozialdemokratischen SMER-SD ausgegründete Partei. Das wichtigste Anliegen von Matovič – der Kampf gegen die Korruption im Staatsapparat – würde mit der erneuten Machtübernahme durch SMER-SD und HLAS-SD nach nur einem Jahr wohl ins Leere laufen.
Das frühzeitige Ende der Wahlperiode versucht die aktuell mit zwei Parteimarken operierende slowakische Sozialdemokratie durch eine Volksabstimmung über vorgezogene Neuwahlen zu erreichen. Dafür haben sie in letzten Monaten einige hunderttausend Unterschriften für ihre Petition gesammelt. Eine breite Unterstützung in der Bevölkerung werden sie aber angesichts ihrer mit Korruptionsvorwürfen belasteten Regierungszeit kaum erreichen können.
Der neue Premierminister – Eduard Heger
Die Augen richten sich jetzt auf den neuen Mann auf dem Premierministerposten, Eduard Heger. Der 44-jährige studierte Wirtschaftswissenschaftler bewegt sich auf dem politischen Parkett knappe sechs Jahre. Vorher managte er ein auf Export orientiertes slowakisches Unternehmen. Der praktizierende Christ und Familienvater von vier Kindern passt vom Profil her zu den Christdemokraten, seine politische Laufbahn verband er jedoch mit der offenen Plattform OĽANO von Igor Matovič, dem er auch in seinen schwierigen Zeiten treu geblieben ist.
Neben aller inhaltlichen Arbeit wird er sich als Premierminister zwei Herausforderungen stellen müssen. Früher oder später wird er auch eine andere Meinung als sein Parteichef und jetziger Finanzminister Matovič haben müssen. Loyalität zu wahren und gleichzeitig eine eigene Linie zu vertreten wird von ihm einen Balanceakt erfordern. Noch anspruchsvoller wird es sein, die Lage zwischen den beiden Kabinettsmitgliedern und Parteichefs Matovič und Sulík nicht wieder eskalieren zu lassen.
In der Tat ist Heger ein anderer Politikertyp als Matovič – weniger emotional, Kompromiss suchend, kein Mann theatralischer Ankündigungen, und dennoch rhetorisch gewandt. Sein inhaltliches Fokus-Thema nimmt er aus dem Finanzministerium mit: die EU-Fonds einschließlich des EU-Recovery Fonds so zu nutzen, dass die Menschen im Land den positiven Effekt persönlich spüren. Hier hat die Slowakei in den vergangenen Jahren zu wenig getan.
Heger hat während seiner relativ kurzen politischen Laufbahn bewiesen, dass er mit seinem Amt wachsen kann. Ob ihm das auch dieses Mal gelingt, wird zwar nicht nur von ihm abhängen, doch ein Scheitern können er und seine Regierung sich nicht erlauben. Denn eine dritte Chance innerhalb dieser Wahlperiode wird die Koalition aufgrund des bereits verspielten Vertrauens kaum noch bekommen. Wie es dann mit dem Erfolgsprojekt OĽANO weitergehen würde, wäre abzusehen.
Gibt es noch Raum für Gestaltung, oder naht ein vorzeitiges Ende?
Der Kampf gegen die Pandemie hat die Slowakei insbesondere in den letzten Monaten viele Kräfte und zu viele Menschenleben gekostet. Die Lage im Gesundheitswesen hat sich zu Ostern zwar endlich stabilisiert und Mitte bis Ende April sind weitere Lockerungen geplant. Vom Normalzustand ist das Land aber noch weit entfernt.
Dennoch wird der Blick nach vorne gerichtet werden müssen. Die Slowakei ist durch die zweite Welle der Pandemie offenbar mit geringeren Auswirkungen auf die Wirtschaft gekommen, diese hat aber länger als die erste Welle im Frühjahr 2020 gedauert. Die slowakische Wirtschaft schrumpfte in 2020 um 5,8%, etwas weniger als der EU-Durchschnitt (6,2%) oder Eurozonen-Durchschnitt (6,6%). Das Land erwartet für 2021 ein Wachstum von 4,3%. In der zweiten Jahreshälfte wird auch mit ersten Impulsen aus dem EU-Recovery Fonds für die Volkswirtschaft gerechnet.
Längerfristig steht die Slowakei vor einigen Herausforderungen. EU-Fonds gilt es, effizienter zu nutzen, so dass in kommenden Jahren öffentliche Finanzen ohne Auswirkung auf die Wirtschaftsleistung konsolidiert werden können. Die Staatsverschuldung liegt immerhin deutlich tiefer, als der Eurozonendurchschnitt, doch ist sie innerhalb von einem Jahr um mehr als 10% des BIP gestiegen. Auch die im Vergleich mit einigen anderen Ländern in der Region wenig diversifizierte und exportorientierte slowakische Wirtschaft erwies sich in der aktuellen Krise als weniger widerstandsfähig als zum Beispiel im Vergleich zu Polen, wo die Inlandsnachfrage deutlich stärker ist.
Das sind nur zwei Beispiele, die zeigen, dass die Koalition viel Arbeit vor sich hat. Sie hat sich für ihre Regierungszeit noch viel vorgenommen, bisher aber nur wenig umgesetzt: Bis auf den Kampf gegen die Korruption im Staatswesen und Reformen in der Justiz hat sie ein Jahr lang eher reagiert als aktiv gestaltet. Die wichtigen Reformen, etwa die Steuer- und die Rentenreform verzögern sich.
Mit der ersehnten Einkehr der Normalität wird es notwendig sein, die Koalition zur Ruhe zu bringen, den Gerüchten über vorzeitige Wahlen nicht noch mehr Futter zu liefern und den Blick gemeinsam nach vorne zu richten. Von den Versprechen mutiger Politik für die Menschen bleibt man ansonsten weit entfernt.