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Frankreich und der Krieg im Nahen Osten

Anja Czymmeck, Nele Katharina Wissmann, Dimitri Mauchien

Ein Land in Sorge

Seit dem 7. Oktober als die Terrororganisation der Hamas Israel angegriffen hat, ist auch in Frankreich zu spüren, wie sehr dieser Krieg sich auf die Gesellschaft auswirkt und sie beschäftigt. Nach einer erneuten tödlichen Messerattacke eines IS-Anhängers auf einen Lehrer an einer Schule im nordfranzösischen Arras verhängte Frankreich die höchste Terrorwarnstufe und landesweit wurden 7000 Soldaten mobilisiert. Inzwischen kam es zu zahlreichen Bombendrohungen gegenüber Flughäfen, Schulen oder touristischen Orten, wie dem Schloss von Versailles und dem Louvre und die französische Exekutive warnte vor einem „Import“ des Konflikts im Nahen Osten nach Europa und Frankreich. Darüber hinaus fanden in vielen französischen Städten pro-palästinensische Demonstrationen statt. Der französische Innenminister Gérald Darmanin schickte nach dem Angriff der Hamas gegen Israel an die Präfekten aller Departements Telegramme, in denen er forderte, dass die pro-palästinensische Demonstrationen verboten werden sollten. Außerdem forderte er, dass die Organisatoren dieser Versammlungen und die „Unruhestifter“ systematisch festgenommen werden sollten. Auch die Polizeipräfektur von Paris hatte versucht, geplante Demonstrationen in der Hauptstadt zu verbieten. Allerdings kam es am 19. Oktober nach der Entscheidung des Verwaltungsgerichts mit der Begründung, dass „die Achtung der Demonstrationsfreiheit und der Meinungsfreiheit, die den Charakter von Grundfreiheiten haben (....) mit dem verfassungsmäßigen Erfordernis der Wahrung der öffentlichen Ordnung in Einklang gebracht werden muss“, dann doch zu einer Kundgebung. Am 28. Oktober versammelten sich in Paris trotz des Verbots der „Demonstration zur Unterstützung Palästinas“ tausende Demonstranten. Es kam zu 21 Festnahmen und rund 1400 Bußgeld-Aussprachen durch die Ordnungskräfte.

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Grundlinien der französischen Politik gegenüber Israel und den palästinensischen Gebieten

Frankreich hat sich stets um eine ausgewogene Position zwischen Israel und den arabischen Ländern bemüht, trotz der unter Staatspräsident François Hollande begonnenen pro-israelischen Verschiebung der außenpolitischen Strategie, die sich nun auch in der klaren Positionierung von Staatspräsident Emmanuel Macron für die Sicherheit Israels widerspiegelt.

Frankreich vertrat seit jeher die Auffassung, dass der Konflikt im Nahen Osten nur durch die Schaffung eines unabhängigen, existenzfähigen und demokratischen palästinensischen Staats gelöst werden kann, der in Frieden und Sicherheit an der Seite Israels besteht.[1] Am 22. November 1974 stimmte Frankreich für die Anerkennung der PLO (Palästinensische Befreiungsorganisation) als beobachtendes Mitglied in der UNO.

François Mitterrand sprach sich 1982 als erster französischer Staatspräsident vor der Knesset für das Ziel der Schaffung eines palästinensischen Staats aus. 2010 wertete Frankreich den Status der palästinensischen Gebiete durch die Akkreditierung  eines Botschafters in Frankreich auf und im November 2012 stimmte Frankreich für die Gewährung des Beobachterstatus als Nicht-Mitgliedstaat bei den Vereinten Nationen sowie im September 2015 für das Hissen der palästinensischen Flagge bei der UNO.

Frankreich tritt für die Einhaltung des Völkerrechts und insbesondere der einschlägigen Resolutionen der Vereinten Nationen ein und möchte in diesem Sinne:

  • eine Zwei-Staaten-Lösung (Resolution 181 der VN-Generalversammlung),
  • eine gerechte Lösung für die Flüchtlinge (Resolution 194 der VN-Generalversammlung),
  • die Beendigung der israelischen Besetzung (Resolution 242 der VN-Sicherheitsrates
  • die Aufrechterhaltung des Status von Jerusalems (Resolutionen 476 und 478 des VN-Sicherheitsrates).

Die Doktrin der Zweistaatenlösung wurde stets parteiübergreifend in Frankreich vertreten.

 

Macrons Solidaritätsbesuch in Israel und Plädoyer für einen internationalen Anti-Hamas Plan

Unmittelbar nach dem Angriff der Hamas verurteilte Staatspräsident Emmanuel Macron diesen und erklärte, dass „Frankreich mit Israel und den Israelis solidarisch ist und sich deren Sicherheit und ihrem Recht auf Selbstverteidigung verpflichtet fühlt“. Die französische Außenministerin Catherine Colonna reiste am 14. und 15. Oktober nach Israel, um den vom Terrorakt betroffenen Familien die Unterstützung Frankreichs zuzusichern. Premierministerin Elisabeth Borne verurteilte in einer Debatte in der Nationalversammlung das „vorsätzliche Handeln [der Hamas], das darauf abzielt, Israel und seine Bevölkerung im Herzen zu treffen".

Bei seinem Besuch in Israel am 24. Oktober sicherte Staatspräsident Emmanuel Macron Israel die Unterstützung Frankreichs zu. Nach Gesprächen mit dem israelischen Regierungschef Benjamin Netanjahu und Israels Präsidenten Isaac Herzog warb er für den Aufbau einer internationalen Allianz für den Kampf gegen die Hamas. Frankreich sei bereit, „eine regionale und internationale Koalition zu bilden, um die terroristischen Gruppen zu bekämpfen, die uns alle bedrohen“. In Frankreich wird dieser Vorschlag als Testballon gewertet, der Frankreich eine führende Rolle als Mittler garantieren soll, allerdings ist nicht klar, ob eine solche Rolle Frankreichs von den Konfliktparteien akzeptiert würde. Das französische Außenministerium schien im Vorfeld nicht in den Plan eingeweiht worden zu sein. Der Elysée-Palast präzisierte in einem Kommuniqué, es gehe vor allem darum, sich von den Erfahrungen der internationalen Allianz gegen den IS inspirieren zu lassen und zu prüfen, welche Elemente davon sich gegen die Hamas anwenden ließen. Dementiert wurde in diesem Kontext auch, Frankreich habe einen Einsatz französischer Bodentruppen in Gaza angedacht. Vielmehr handele es sich um einen Austausch geheimdienstlicher Informationen oder Sanktionen gegen Hamas-Führer, die sich in der Türkei oder in Katar aufhalten. Bedauerlich ist, dass es sich erneut um eine einseitige außenpolitische Initiative handelt, bei der sich weder mit Deutschland noch mit anderen europäischen Partnern abgestimmt wurde: Man habe die Idee zur Kenntnis genommen, aber noch keine Gelegenheit gehabt, mit Macron darüber zu diskutieren, erklärte der deutsche Regierungssprecher Steffen Hebestreit am 25. Oktober.

Bei seinem anschließenden Treffen mit Palästinenserpräsident Mahmud Abbas im Westjordanland betonte Macron im Rahmen dieser Reise, dass der Großangriff der im Gazastreifen herrschenden Radikalislamisten auf Israel „auch eine Katastrophe für die Palästinenser“ sei. Emmanuel Macron kündigte die Entsendung eines Marineschiffs an, das Krankenhäuser im Gazastreifen „unterstützen“ soll. Das Schiff werde „in den nächsten 48 Stunden“ (25. Oktober) den Hafen von Toulon verlassen, sagt Macron nach einem Treffen mit seinem ägyptischen Kollegen Abdel Fattah al Sisi in Kairo. Zudem kündigte er ein Flugzeug mit medizinischem Material für den Gazastreifen in Ägypten an.

Am 27. Oktober stimmte Frankreich anders als Deutschland für eine nicht bindende UN-Resolution, die zu einem „humanitären Waffenstillstand“ aufruft. Der französische UN-Botschafter betonte jedoch, dass Frankreich an der Resolution kritisiere, dass sie nicht eindeutig die Terroranschläge der Hamas verurteile, das Recht Israels auf Selbstverteidigung unterstreiche und die sofortige Freilassung der Geiseln einfordere. Auch Staatspräsident Emmanuel Macron sprach sich im Rahmen der Pressekonferenz des Europäischen Rates vom 27. Oktober für den humanitären Waffenstillstand aus, um den „Schutz der Zivilbevölkerung im Gazastreifen“ sicherzustellen.

 

Gesellschafts- und parteipolitische Auswirkungen in Frankreich

Der Besuch Macrons in Israel fand vor aufgeheizter innenpolitischer Lage statt, denn 35 Franzosen kamen bei den Anschlägen in Israel ums Leben. Frankreich hat somit mehr Opfer als jedes andere europäische Land in Israel zu beklagen. Das Land hat zudem die größte jüdische Gemeinschaft in Europa (ca. 550.000 Menschen) und eine sehr große muslimische Gemeinschaft (10 % der Bevölkerung). Frankreich wurde in den letzten Monaten bereits durch Krawalle und Ausschreitungen rund um die Rentenreform in Atem gehalten und nun fürchtet man, dass dieser Konflikt des Nahen Ostens sich auch auf die Stimmung im Land hin zu einem wachsenden Antisemitismus und Konflikten mit muslimisch geprägten Bevölkerungsgruppen übertragen könnte. Laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts IFOP[2] fürchten heute 7 von 10 Franzosen, dass ein ähnlicher Terroranschlag wie in Israel in Frankreich ausgeübt werden könnte. Fast 37 % der Befragten hegen Sympathien für Israel, während 20 % die Palästinensische Autonomiebehörde unterstützen. Diese Zahl sinkt auf 5 % für die Hamas. Die Unterstützung für Israel scheint jedoch je nach politischer Zugehörigkeit der Befragten stark zu variieren. Bei den Anhängern der bürgerlich-konservativen Partei Les Républicains sind es 60 %, die Solidarität mit dem jüdischen Staat bekunden. Im Gegensatz dazu liegt diese Zahl auf Seiten der linkspopulistische Partei La France insoumise (27 %) deutlich unter dem französischen Durchschnitt.

Innerhalb der politischen Linke in Frankreich kam es aufgrund des Konflikts zu einem Zerwürfnis innerhalb des linken Bündnisses NUPES, nachdem Jean-Luc Mélechon, der Vorsitzende von La France insoumise und einige seiner Gefolgsleute sich geweigert hatten die Hamas nach dem Anriff auf Israel als Terroristen zu bezeichnen. Daraufhin entschied sich die Sozialistische Partei, ihre Beteiligung an dem linken Parteienbündnis NUPES (Neue Ökologische Soziale Volksunion) auszusetzen.

Die rechtspopulistische Partei Rassemblement National (RN) betonte hingegen ihre Unterstützung für die Militäraktion Israels in Gaza als Reaktion auf die Terrorakte der Hamas. RN (früher Front National), eine Partei, die 1972 von Rechtsextremen, Kollaborateuren und Antisemiten gegründet wurde, versteht es sehr geschickt, sich als „Schutzschild“ in Szene zu setzen, um in Frankreich die Franzosen jüdischen Glaubens gegen die „islamistische Ideologie“ zu verteidigen, wie es der Vorsitzende der Partei, Jordan Bardella, formulierte. Die klare pro-israelische Positionierung ist vor dem Hintergrund zu verstehen, dass die Partei sich ein anderes, weniger rechtsextremes, Image zu geben versucht - einen Kurs, den die Partei nach dem Ausschluss von Jean-Marie Le Pen eingeschlagen hat. In ihrer Argumentation konzentriert sich die RN heute auf „die Zunahme eines mit dem Islamismus verbundenen Antisemitismus“. Marine Le Pen zog im Rahmen der Parlamentsdebatte zu den Anschlägen in Israel eine Analogie zwischen dem Angriff der Hamas und der Ermordung des Lehrers Dominique Bernard in Arras durch einen radikalisierten jungen Mann. Diese Strategie scheint in der Öffentlichkeit Früchte zu tragen. Allerdings kommt es auch immer wieder zu antisemitischen Entgleisungen von Parteivertreter, so dass RN 2022 daran scheiterte, den Vorsitz einer Studiengruppe zum Antisemitismus in der Nationalversammlung zu übernehmen, ebenso wie den Vorsitz der Freundschaftsgruppe Frankreich-Israel. Von einer parteiübergreifenden Reise nach Israel unter Parlamentspräsidentin Yaël Braun-Pivet wurde die Partei ebenfalls ausgeschlossen. Vorgänge, die zeigen, dass man in den anderen Parteien von einem Wandel innerhalb des Rassemblement National nicht wirklich überzeugt ist.

 

Fazit

Die kommenden Wochen werden zeigen, wie sich der Konflikt weiter auf Frankreich auswirkt, ob es durch Antisemitismus und Rassismus zu weiteren Unruhen kommt, vor allem dann, wenn die militärischen Reaktionen Israels auf den Angriff der Hamas zunehmen. Die Terrorwarnstufe und die verstärkte Präsenz von schwer bewaffneter Polizei in den Straßen hinterlassen ein mulmiges Gefühl, aber Frankreich lebt mit diesen Anti-Terrorwarnungen seit den Anschlägen vom 11. September 2001 bzw. seit den Terrorakten in Frankreich des Jahres 2015. Es bleibt zu hoffen, dass die Entwicklungen in Nahost nicht für weiteren Sprengstoff neben dem innenpolitisch bereits aufgeheizten Klima in Frankreich sorgen. Konflikte und eine weitere Spaltung der französischen Gesellschaft hätten schwerwiegende Folgen für Frankreichs innere Sicherheit und könnten mit Blick auf die Europawahlen gefährliche Konstellationen nach sich ziehen.

 

[1] Vgl. hierzu die Seite des französischen Außenministeriums

[2] Israël-Hamas : plus de 7 Français sur 10 craignent qu’une attaque terroriste similaire se produise dans l’Hexagone (lefigaro.fr)

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Anja Czymmeck

Leiterin des Auslandsbüros Frankreich

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