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„Der Machtanspruch der SED war grenzenlos. Um ihr utopisches Projekt einer völlig neuen Gesellschaft mit neuen Menschen zu verwirklichen, wollte die Partei alle Bereiche gesellschaftlichen Lebens kontrollieren und bestimmen.“ Mit diesen Worten begann Kirstin Wappler ihren Vortrag, in dem sie sich mit einem Bereich auseinander setzte, in dem der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands bei ihrem Streben nach allumfassender Macht regionalbedingt Grenzen gesetzt worden sind – dem Erziehungswesen. Mag es sich bei diesen Grenzen um Formen des stillen Protests, des zivilen Ungehorsams, der Dissidenz, ja sogar des offensiven Widerstands gehandelt haben: Vor allem im Eichsfeld vermochte die DDR-Staatspartei ihren diktatorischen Anspruch nicht völlig durchzusetzen.
Der ostdeutsche Teil des Eichsfelds, eine durch die deutsch-deutsche Grenze einst geteilte Region im Norden Thüringens sowie im Südosten Niedersachsens war das größte geschlossene katholische Gebiet in der DDR. Während die SED in nahezu allen Teilen der – zunächst überwiegend protestantischen – SBZ/DDR ihren „Kirchenkampf“ erfolgreich bestritt und die Menschen von Christen in „sozialistische Persönlichkeiten“ marxistisch-leninistischen „Glaubens“ umzuwandeln versuchte, gelang ihr dies im Eichsfeld nur bedingt. Trotz intensiver Erweiterung industrieller Zweige mit entsprechendem Zuzug von Arbeitern aus dem ganzen Staatsgebiet blieb die Bevölkerungsmehrheit im Eichsfeld katholisch. Ähnliche Tendenzen gab es im Gebiet der Sorben sowie im protestantisch geprägten [sowie im protestantisch geprägten [owie im protestantisch geprägten [wie im protestantisch geprägten [ie im protestantisch geprägten [e im protestantisch geprägten [ im protestantisch geprägten [im protestantisch geprägten [m protestantisch geprägten [ protestantisch geprägten [protestantisch geprägten [rotestantisch geprägten [otestantisch geprägten [testantisch geprägten [estantisch geprägten [stantisch geprägten [tantisch geprägten [antisch geprägten [ntisch geprägten [tisch geprägten [isch geprägten [sch geprägten [ch geprägten [h geprägten [ geprägten [geprägten [eprägten [prägten [rägten [ägten [gten [ten [en [n [ [[Erzgebirge|http://www.erzgebirge.de/, dort freilich nicht auf die gesamte Region bezogen, sondern punktuell auf verschiedene Ortschaften.
In diesem Sinne ist Wapplers politikwissenschaftlich-historische Untersuchung vergleichend angelegt: In ihrer Dissertation, die sie an der Technischen Universität Chemnitz verfasst, stellt die in Dresden lebende Wissenschaftlerin Entwicklungen im Eichsfeld neben jenen im Erzgebirge. Zu den Arbeitstechniken der Referentin gehört das Gespräch mit Zeitzeugen, so dass sich viele Auszüge aus Interviews in der Arbeit wiederfinden. Auszüge aus ihrer Studie präsentierte Kirstin Wappler im Zuge einer Vortragsreise durch Thüringen, die sie auf Einladung des Bildungswerks Erfurt der Konrad-Adenauer-Stiftung im Mai 2003 ins Eichsfeld führte: ans Staatliche Gymnasium „Marie Curie“ Worbis, ans Gottfried-Wilhelm-Leibniz-Gymnasium Leinefelde sowie im Rahmen des halbjährlich stattfindenden Heiligenstädter Gesprächs in den Sitz des Eichsfeldkreises – nach Heilbad Heiligenstadt.
Ausgehend von der These, dass die SED die jungen Menschen nicht nur „bilden“, sondern zu „sozialistischen Persönlichkeiten“ fern von jedem religiösen Einfluss und quasi zum eigenen Parteinachwuchs erziehen wollte, erörterte die Referentin, welche Formen von äußeren Grenzen sich jenem Machtanspruch entgegen stellten. Zu nennen seien hier die Westgrenze, die im Eichsfeld aufgrund der widernatürlichen Trennung des Landstriches eine besonders grausame Nähe aufwies, zumal die Menschen jenen Eisernen Vorhang stets unmittelbar vor Augen hatten. Dennoch konnte diese Grenze doppelte Loyalitäten nicht überwinden, so dass die Ostdeutschen ebenso für die westdeutsche Fußballnationalmannschaft oder für Vereine mitfieberte wie die Einwohner Hamburgs, Kölns oder Münchens. Von einer „Schubkraft der nationalen Emotion“, auf die nationalistische Diktatoren wie Hitler oder Stalin setzten, konnte die SED somit nicht profitieren, zumal westliche Medien die Überlegenheit des Deutschlands jenseits der Mauer täglich auf die Fernsehschirme oder über die Rundfunkgeräte flattern ließen.
Zudem mangelte es den Einheits-Sozialisten an Legitimation ihres Systems, dass sie den Bewohnern der sowjetisch besetzten Zone in der Nachkriegszeit überstülpten. Dabei errang die DDR nie ihre staatliche Unabhängigkeit, sondern hing als Marionette stets an den Fäden des Puppenspielers in Moskau. Jeder Kurswechsel, den die Stalins, Chruschtschows oder Breschnews in der kommunistischen Weltmetropole vollzogen, fand seine Parallele bei den Satelliten in Ost-Berlin. Überdies war die Sowjetmacht spätestens seit dem 17. Juni 1953 in weiten Teilen der DDR-Bevölkerung verhasst, nachdem die Besatzungstruppen den Volksaufstand gegen das SED-Regime niederschlugen. Eine deutsch-sowjetische Freundschaft, wie sie von den Parteibonzen stets beschrieben wurde, bestand nur auf dem Papier, kaum aber in den Herzen.
Zum einzigen Legitimitätsfaktor für die SED wuchs die soziale Absicherung an: Die Menschen in der DDR sahen bei sich einen höheren Lebensstandard als in manch anderen Ostblock-Staaten; spätestens seit dem Machtantritt Erich Honeckers subventionierte der Staat soziale Maßnahmen wie Kinderbetreuung oder die Errichtung von Wohnraum in Plattenbauten unter Beibehaltung niedriger Mieten. Grundnahrungsmittel lagen auf niedrigstem Preisniveau, doch erwirtschaftete der Staat diese Geldzuschüsse nicht, so dass die Waren zum einen stets knapp waren, zum anderen die DDR geradewegs in die Pleite marschierte. Kirstin Wappler wies an dieser Stelle darauf hin, dass die SED in ihrer Gier nach rettenden Devisen valutafinanzierte Bauvorhaben der Kirchen fortan bevorzugt behandelt, während es unter Honeckers Vorgänger Walter Ulbricht noch Zerstörungsaktionen wie die Sprengung der Leipziger Universitätskirche (1968) gab.
In den Institutionen Kirche und Familie sowie der Eigensinn der Bevölkerung sieht die Referentin innere Grenzen, die sich dem Machtanspruch der Staatspartei in den Weg stellten. Genannter Eigensinn half vielen Menschen vor allem dort, sich Freiräume vor dem SED-Einfluss zu bewahren, wo Kirche und Familie besonders stark blieben. Besonders stark forcierte die SED ihren Kampf gegen die Kirche im Bereich der Jugendarbeit. Die Machthaber stellten alles Religiöse als „unwissenschaftlich“ hin, christliche Kinder wurden in den Schulen als dumm und ungebildet angeprangert. Überdies kam es zu Entlassungen von Lehrern und (Ober-)Schülern, die sich zu ihrer Religion bekannten. Um die Zulassung zum Abitur oder zum Studium nicht verweigert zu bekommen, mussten Christen um so bessere Leistungen in der Schule erbringen; dennoch blieb vielen von ihnen ein weiterer Bildungsweg verschlossen. Auch waren alle Jugendlichen der DDR faktisch gezwungen, die Jugendweihe zu absolvieren, um sich den Bildungsweg nicht zu verbauen. Innere Konflikte lösten die Christen oftmals dadurch, dass sie die Konfirmation im Jahr nach der Jugendweihe feierten.
Während die SED erfolgreich die Kirchen zurück drängte, gestaltete sich die Offensive gegen die Familie als kleinste gesellschaftliche Institution äußerst schwierig. Nur selten reichten Augen und Ohren der Staatssicherheit an den Abendbrottisch, wo sich die Familienmitglieder über Missstände im Staat unterhielten, während im Hintergrund Westfernsehen lief. Die Kinder SED-kritischer Eltern wuchsen mit zwei Zungen auf – sie lernten, in der Schule eine andere Meinung zu äußern als in ihrer Familie. Die Partei versuchte indes alles, um die Kinder aus den Familien zu lösen, wobei sie auf die Sozialkarte setzte und Plätze in Kinderkrippen oder Kindergarten schuf, dies aber nicht nur zur Betreuung der Kinder während der Arbeitszeit der Eltern, sondern um maßgeblich im sozialistischen Sinne auf die Erziehung einzuwirken.
Vor allem in religiös geprägten Regionen wie dem Eichsfeld gelang es den Menschen, Kirche und Familie als Institutionen lebendig zu erhalten. Hier konnte die SED ihren Einfluss auf das Erziehungswesen nicht in dem Maße ausüben wie in anderen Teilen der DDR. Mit Blick auf den religiösen Hintergrund kam die Hierarchie der katholischen Kirche den Eichsfeldern entgegen: Bei den Gläubigen wuchs das Selbstbewusstsein, Teil einer Weltkirche zu sein, obwohl sie in der DDR eine Minderheit darstellten. Charismatische Persönlichkeiten wie der Erfurter Bischof Hugo Aufderbeck veröffentlichten Hirtenbriefe, wie sich die Katholiken verhalten könnten: „Die katholische Kirche gab ihren Mitgliedern dieses Gefühl von Sicherheit obendrein in Verbindung mit der erlösenden Botschaft Jesu Christi. Die staatliche Führung war für überzeugte Katholiken daher nicht relevant.“ Zudem verteidigte die Kirche ihre Kinder- und Jugendarbeit, indem sie Freizeitangebote schuf, etwa Tanzveranstaltungen mit – staatlicherseits verbotener - westlicher Popmusik durchführte.
Im Bereich des Erziehungswesen wies Kirstin Wappler auf das Engagement der Eichsfelder zum Erhalt der Kreuze in den Klassenzimmern hin. Manch SED-naher Schulleiter scheiterte bei seinen Versuchen, die christlichen Symbole abzuhängen. Ein Beispiel aus dem Ort Gernrode zeigt sogar, dass ein Direktor neue Kreuze kaufen musste, nachdem die alten Kreuze zerbrochen in seinem Zimmer gefunden wurden. Ferner fanden sich Methoden der Verharmlosung, wie die Referentin bestimmte Formen des passiven Widerstandes nennt: Christlich geprägte Pionierleiter sorgten sich bei Pioniernachmittagen mehr um touristische Ziele denn um ideologische Schulung; ein als Musiker aktiver christlicher Lehrer konnte gegenüber seinem Schulleiter eine relativ „freche“ Einstellung zeigen, denn Musiker waren selten zu finden. Selbst innerhalb FDJ, der trotz ihres katholischen Glaubens nahezu alle Eichsfelder Jugendlichen angehörten, gab es verbreitet Fälle von Verharmlosung: Man zog Pullover über das FDJ-Hemd, so dass nur noch die blauen Ecken herauslugten - oder man kaufte erst gar kein FDJ-Hemd, denn dies war satzungsmäßig nicht vorgeschrieben.
Viele Christen in der DDR wählten den Lehrerberuf, auch wenn dieses Studium tief von kommunistischer Ideologie durchsetzt war und der Beruf gesellschaftliches Engagement erforderte. Aber christliche Lehrer bedeuteten Unterstützung für christliche Kinder, so dass der SED-Herrschaftsanspruch auch hier seine Grenzen fand. Eine Eichsfelder Lehrerin umschrieb dies mit den Worten: „Wo ich stehe, kann kein Roter stehen.“ In ihrem Vortrag zeigte Kirstin Wappler, welche Grenzen der SED bei Ausbreitung ihres Machtanspruchs in religiös geprägten Regionen wie dem Eichsfeld gesetzt waren. Vor allem zeigte die Referentin anhand vieler Beispiele, „wie menschliches eigensinniges und verantwortungsvolles Handeln über den langen Zeitraum von vierzig Jahren DDR das Leben nicht nur erträglich, sondern lebenswert, menschlich, stellenweise erfreulich machten.“
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