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Länderberichte

Schwedens EU Ratspräsidentschaft

von Charlotte Storch, Julian Tucker

Stabiles Navigieren im Krisenmodus.

Schweden hat seit Beginn des Jahres die Europäische Ratspräsidentschaft inne. Die Prioritäten der Ratspräsidentschaft sind Sicherheit und Einigkeit, Wohlstand und grüne Transformation, Resilienz und Wettbewerbsfähigkeit sowie demokratische Werte und Rechtsstaatlichkeit. Dieser Artikel ist eine erste Auswertung des bisherigen Agierens der neuen liberal-konservativen Regierung. Schwedens größter bisheriger Erfolg in seiner Vorsitzrolle ist die Aufrechterhaltung der sicherheitspolitischen Einigkeit und die Unterstützung der Ukraine in auch ökonomisch turbulenten Zeiten.

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Schweden ist seit 1995 Mitglied der Europäischen Union. Als dieses hat es für die erste Jahreshälfte 2023 zum dritten Mal die EU-Ratspräsidentschaft inne. Im Europäischen Rat legen die Staats- und Regierungschefs der EU-Mitgliedsländer die politische Agenda der EU fest.  Dies beinhaltet, dass Schweden derzeit die Treffen des Europäischen Rates leitet und den Rat auch nach außen repräsentiert. Zum einen bedeutet es, dass Schweden die Agenda, also die Themenschwerpunkte der EU zurzeit bestimmt zum anderen hat das Land eine Vermittlerrolle und die Aufgabe Kompromisse im Gesetzgebungsprozess zwischen den EU-Mitgliedsstaaten auszuarbeiten. Praktisch in Zahlen leitet Schweden ca. 2000 formelle EU-Treffen  35 davon sind Treffen des Rates. Dazu kommen ca. 150 informelle Zusammenkünfte von Akteuren in ganz Schweden.

 

Schweden hat seit Herbst eine liberal-konservative drei-Parteien Minderheitsregierung, die sich auf die rechtspopulistischen Schwedendemokraten stützt. Diese Form der Regierungszusammenarbeit ist ein Novum. Eine neue Situation ist auch der politische Kontext der schwedischen Präsidentschaft, nämlich die sicherheitspolitische Lage. Schweden hat nach dem russischen Angriff auf die Ukraine mit seinem Antrag auf NATO-Mitgliedschaft eine sicherheitspolitische Kehrtwende vorgenommen. Die schwedische Ratspräsidentschaft ist geprägt von politisch turbulenten Zeiten und Herausforderungen.

                               

Der schwedische Regierungschef Ulf Kristersson fasste das Ziel seiner Ratspräsidentschaft wie folgt zusammen: „grüner, sicherer und freier“. Schweden möchte die sicherheitspolitische Rolle der EU und deren Einigkeit in Hinblick auf die Ukraine stärken. Das Land will außerdem die grüne Umstellung der Wirtschaft beschleunigen, die Wettbewerbsfähigkeit der EU stärken und die demokratischen Werte von Europa schützen. Diese Themen waren noch gemeinsam mit der Vorgängerregierung beschlossen worden. Da die schwedische EU-Ratspräsidentschaft sich dem Ende nähert, stellt sich somit die Frage, wie das Agieren Schwedens in diesen vier Bereichen und in seiner Vorsitzrolle zu bewerten ist.

 

Die Sicherheit Europas und der Ukraine im Blick

Der Angriffskrieg gegen die Ukraine hat in Europa vielerorts ein Umdenken hervorgerufen – in Deutschland führte er zur Zeitenwende, in Finnland und Schweden zum Ende der Bündnisfreiheit und in Dänemark zu einem Ende des Vorbehalts gegenüber der Teilnahme an der EU-Verteidigungszusammenarbeit. Schweden hat während seines  Ratsvorsitzes sich sehr dafür eingesetzt, die Ukraine weiter wirtschaftlich und militärisch zu unterstützen und den weiteren Weg der Ukraine in die EU zu ebnen.

Innenpolitisch ist die Haltung der Regierung gegenüber der Ukraine sehr populär.  Schweden teilt seine Position mit den Baltischen Staaten und Polen, dass ein Sieg der Ukraine, die Befreiung der Krim und der besetzten Gebiete sowie die Aufnahme des Landes in die EU nicht nur wünschenswert, sondern ausschlaggebend für die künftige Sicherheit Europas sind.

Stockholm kombiniert dabei seine Anstrengungen auf nationaler und europäischer Ebene, auch um die Grundlagen für den Wiederaufbau und weitere Reformen auf dem Weg zur EU-Integration zu legen. Schweden ist es gelungen, dass die EU weiterhin geschlossen hinter der Ukraine steht, das zehnte Sanktionspaket gegen Russland wurde verabschiedet und eine historische Maßnahme zur gemeinsamen, europäischen Beschaffung von Munition wurde auf den Weg gebracht. Dies ist ein wichtiger Punkt, da mit dem Ende der schwedischen EU-Präsidentschaft die Frage im Raum steht, inwiefern die sicherheitspolitischen Prioritäten fortbestehen bzw. inwiefern die Grundlagen für ein effektives, langfristiges Unterstützungsregime für Kiew erhalten bleiben können.

 

Grüne Transformation und Wettbewerbsfähigkeit

Nach einem Winter mit rekordhohen Strom- und Heizkosten hat Schweden noch mehr Anreize, die Energiekrise mit fossilfreien Antworten möglichst effektiv, zeitnah, langfristig und grün zu lösen. Gleich zu Beginn der Ratspräsidentschaft, als Schweden die EU-Kommission nach Kiruna in Nordschweden einlud, setzte Schweden ein Zeichen, dass die grüne Transformation nicht nur möglich ist, sondern im Norden bereits auf gutem Wege ist. Der schwedische Fund von Seltenen Erden, welche für die Energiewende essenziell notwendig sind, wurde vom Bergbauunternehmen LKAB und der Regierung während dieses Treffens im Januar verkündet. Schwedens Ratspräsidentschaft möchte dem eigenen Image eines Vorreiters in der Klimapolitik gerecht werden. Deswegen und damit Europa die Klimaziele erreicht, hat Schweden das Gesetzespaket Fit for 55 weiterverhandelt und konnte dabei durchaus einige Erfolge verbuchen. Der ETS-Emissionshandel wird ausgeweitet z.B. auf die Schifffahrt, das gemeinsame Ziel von 11,7% Energieersparnis und 42,5% Erneuerbare Energien bis 2030 wurde gesteckt und der Neuverkauf von Vebrennungsmotoren wird nach 2035 nicht mehr möglich sein. Letzteres ist vor allem dank Schwedens Verhandlungsgeschick zustande gekommen. Schweden ist es bei der grünen Transformation wichtig, die Wirtschaft als zentralen Teil der Lösung miteinzubinden. Das Treffen der EU-Mitgliedstaaten und EU-Kommission unter schwedischer Leitung in Stockholm Anfang Februar zeigte zum Beispiel deutlich, dass die schwedische EU-Ratspräsidentschaft die grüne Transformation und die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit zusammendenkt. Ein Beispiel dafür ist der European Chips Act, der sowohl wichtig für die Umsetzung des Green Deals ist als auch die europäische Wettbewerbsfähigkeit steigert. Europas Stärke, Resilienz und globales Ansehen sind eng an die Wirtschaftsleistung Europas gebunden. Handel und Wettbewerbsfähigkeit sind somit sehr wichtig, gerade in Hinsicht auf den amerikanischen Inflation Reduction Act, dem umfassenden Förderprogramm für den erneuerbaren Energie- und Transportsektor. Deswegen hat Schweden sich auch für das gelungene Zustandekommen der neuen Wettbewerbsstrategie der Kommission bemüht.

 

Demokratische Werte und Rechtsstaatlichkeit

Schweden war bisher sehr aufmerksam und kritisch, wenn es um die Aushöhlung rechtsstaatlicher Prinzipien wie z.B. der Gewaltenteilung und Unabhängigkeit der Medien in anderen EU-Mitgliedstaaten ging. Dies ist ein Grund, warum Schweden dieses Thema auf die Agenda gesetzt hat. Interessant ist, inwieweit Schweden in einen Rollenkonflikt gekommen ist, zwischen der neutralen Rolle des Vorsitzes, der Rechtsstaatlichkeit priorisiert, und nationalen Interessen, die insbesondere beim NATO-Beitritt auf Ungarn angewiesen sind. Demokratische Werte nach Innen, also innerhalb der Mitgliedsstaaten, sind dementsprechend die eine Seite, während demokratische Werte nach Außen die andere Dimension bilden. Hier geht es vor allem um Schwedens Engagement für die Ukraine und damit auch für Demokratie, Menschenrechte und Frieden.

 

Fazit:  Schwedens Einsatz für europäische Einigkeit in schwierigen Zeiten

Die EU-Zustimmungswerte sind zwar in diesem Jahr in der schwedischen Bevölkerung gestiegen, doch wird die Präsidentschaft als etwas in Brüssel und nicht in Schweden Stattfindendes wahrgenommen. Mutmaßlicher Grund hierfür ist, die Präsidentschaft weitgehend entfernt von den Schwedendemokraten zu halten, um zum einem den tatsächlichen Einfluss von diesen auf die Präsidentschaft zu begrenzen, aber auch internationale Debatten und Kritik bezüglich der Regierungszusammenarbeit verstummen zu lassen. Schwedens Agieren als EU-Ratspräsidentschaftsland steht im Zeichen des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine, der sich auf alle Bereiche auswirkt, für welche Schweden sich einsetzt, nämlich Klimapolitik, Wettbewerbsfähigkeit und Europäische Werte. Schwedens größter bisheriger Erfolg in seiner Vorsitzrolle ist die Aufrechterhaltung der sicherheitspolitischen Einigkeit und die Unterstützung der Ukraine in auch ökonomisch turbulenten Zeiten. Eine finale Auswertung der Präsidentschaft wird erst im Hochsommer möglich sein, wesentlicher Indikator wird dabei das Maß an Fortschritt bei weiteren klimapolitischen Gesetzen sein. Schwedens Agieren wird als professionell und positiv, aber auch als tendenziell zu wenig politisch eingeschätzt.  Die schwedische EU-Expertin Ylva Nilsson fasste die EU-Ratspräsidentschaft mit „stabil aber langweilig“ zusammen. Vor diesem Urteil stellt sich jedoch die Frage, ob ein unaufgeregtes Navigieren von einem verlässlichen, zögerlichen Steuer das ist, was diese Zeiten erfordern.

 

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Gabriele Baumann

Leiterin des Projekts Nordische Länder

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Über diese Reihe

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