Ausgabe: 1/2020
China auf der Überholspur? Vom Imitator zum Innovator
Blickt man in die jüngere Vergangenheit, ist die heutige Systemkonkurrenz eigentlich erstaunlich. Noch weit in die 2010er Jahre hinein wurde seitens des Westens angenommen, dass moderne Informationstechnologie die Verbreitung liberaler Werte und Ordnungsvorstellungen beschleunigt. Experten sowie Entscheidungsträger waren sich damals sicher, dass illiberale Regime nicht in der Lage zu sein würden, die demokratisierende Wucht des Internets einzudämmen und eine Flut globaler Daten- und Kommunikationsströme zu zensieren. Zwar erkannte man im Westen frühzeitig die Bestrebungen Chinas, des freien Internets Herr zu werden. Wie Bill Clintons Aussage aus dem Jahr 2000 zeigt, wurden diese Bemühungen allerdings als wenig aussichtsreich eingestuft: „In the new century, liberty will spread by cell phone and cable modem. […] We know how much the Internet has changed America, and we are already an open society. Imagine how much it could change China. Now there’s no question China has been trying to crack down on the Internet. Good luck! That’s sort of like trying to nail Jell-O to the wall.“ Darüber hinaus ist der Systemwettbewerb erstaunlich, da China zwar seit Längerem ein beeindruckendes wirtschaftliches Wachstum aufweisen kann, gleichzeitig aber als innovationsträge galt. Vielfach wurde China dabei attestiert, dass es westliche Innovationen zwar kopieren und adaptieren könne, allerdings nicht in der Lage sei, bedeutende Innovationen eigenständig hervorzubringen. Noch bis 2014 kamen Experten vor diesem Hintergrund zu dem Urteil, dass der Aufstieg Chinas für den Westen und die USA keine ernsthafte Bedrohung darstellt. Ist die Technologieführerschaft doch das eigentliche Fundament der Machtverteilung zwischen Staaten. Selbst langfristig könne sich der Westen in Sicherheit wiegen, da für Innovationen im Hochtechnologiesektor komplexe Kompetenzen und ein offenes, vielfältiges Innovationsökosystem vorhanden sein müssen. Gerade diese Kompetenzen und Offenheit lassen sich weder einfach importieren noch kopieren, sodass der Aufstieg Chinas vom Imitator zum Innovator ein langwieriger Prozess wäre. Dass wir heute trotz all dieser Prognosen über eine neue Systemkonkurrenz und die Innovationskraft Chinas debattieren, ist wesentlich auf die Industriestrategie „Made in China 2025“ und damit verbundene Maßnahmen zurückzuführen.
„Made in China 2025“: Katalysator für marktgetriebene, offene Innovationen
Mit der Industriestrategie „Made in China 2025“ legte China 2015 ein Strategiedokument vor, das letztlich bis heute den Rahmen für die Entwicklung des chinesischen Industrie- und Hochtechnologiesektors bildet. Mit der Strategie zielt das Land darauf ab, weite Teile der Wirtschaft zu digitalisieren und seine eigenständige Innovationskraft zu stärken, sodass mittelfristig neue Stufen in der industriellen Wertschöpfungskette unabhängig erklommen werden können (Innovationsauto-nomie). Langfristig strebt China den Aufstieg zur global führenden Innovations- und Industriesupermacht an. Gleichzeitig soll die wirtschaftliche Transformation dazu beitragen, wirtschaftliches Wachstum und Wohlstandzuwächse zu verstetigen. Somit soll China einerseits mittelfristig zu einem high income country aufsteigen und andererseits nicht in die Falle der Stagnation des wirtschaftlichen Wachstums (middle-income-trap) geraten. Diese Ziele sind entscheidend, da wirtschaftliches Wachstum und Wohlstandszuwachs tragende Säulen der politischen Stabilität des Landes darstellen.
Um diese Ziele zu erreichen, setzt die Strategie auf die Nutzung von Marktkräften, offene und eigenständige Innovationen, leap-frogging, gezielte staatliche Förderung und die Verschränkung zivil-militärischer Innovationssysteme. Darüber hinaus erfolgt eine klare Schwerpunktsetzung zugunsten von Sektoren und Technologiefeldern, die aus Sicht der chinesischen Regierung von strategischer Bedeutung sind. Zusätzlich führt die Strategie ein breites Portfolio an Handlungsfeldern für konkrete Maßnahmen an. Zu diesen zählen
- die Förderung von Forschung und Entwicklung,
- der Schutz des einheimischen Marktes gegenüber ausländischen Hochtechnologieunternehmen,
- die Förderung von Unternehmen bei deren Entwicklung zu nationalen und internationalen Champions,
- die Unterstützung von Wissens- und Technologietransfers,
- der Aufbau sektorspezifischer Innovations-zentren auf lokaler Ebene sowie
- die stetige und pragmatische Anpassung der Strategie inklusive klarer Zielvorgaben und der Übersetzung der Rahmenstrategie in regionale und sektorale Teilstrategien.
Während Innovationen im strategischen Denken chinesischer Regierungen bereits seit Langem eine führende Rolle spielen, besteht eine zentrale Neuerung dieser Strategie in einem veränderten innovationspolitischen Ansatz. Dieser bewegt sich weg vom Staat als Planer von Innovationen, hin zum Staat als hybrider Innovationskatalysator, der zugunsten marktgetriebener, offener Innovationen förderliche Rahmenbedingungen setzt und gleichzeitig die Skalierung von Innovationen massiv fördert. Während in der öffentlichen Debatte zumeist die drastische Zunahme der staatlichen Förderung von Forschung und Entwicklung (F&E) durch den chinesischen Staat im Vordergrund steht, wird diese strukturelle Veränderung – die sich an das Aufstiegsmodell der asiatischen Tigerstaaten anlehnt – zumeist übersehen. Dies ist problematisch, da gerade die Verschmelzung von freiheitlicheren Marktkräften mit autokratischen Strukturen ein neues, staatskapitalistisches Innovationsmodell bildet.
Innovation und Systemkonkurrenz
Hightech im Dienste der Kommunistischen Partei (KP)
Mit der angestrebten Transformation Chinas entsteht für den Westen aber nicht nur ein wirtschaftlich potenter Herausforderer. Es entsteht ein durch digitale Innovationen ermächtigter Systemkonkurrent. China instrumentalisiert Innovationen sowohl zur Absicherung des machtpolitischen Aufstiegs wie zur Festigung seiner illiberalen inneren Ordnung: „Advanced technology is the sharp weapon of the modern state.“ (Xi Jinping). Wie digitale Innovationen und Hochtechnologie eingesetzt werden, verdeutlicht zum einen der Aufbau eines Social Scoring Systems (SSS). Ursprünglich entwickelt, um ein Vertrauensdefizit bei der Vergabe von Krediten zu adressieren, dient es mittlerweile einer umfassenden staatlichen Überwachung und Disziplinierung. Durch das SSS werden die sozialen und politischen Tätigkeiten sowohl von Bürgern, als auch von Unternehmen und NGOs erfasst und nach Vorgaben der KP bewertet. Das automatisch erfasste und bewertete Verhalten fließt wiederum in ein Gesamtpunktesystem ein. Personen mit einem negativen Ranking werden dann höhere Steuern auferlegt, Karrieren in staatlichen und staatsnahen Organisationen verwehrt oder in ihren Reisemöglichkeiten eingeschränkt. Welche Möglichkeiten solch ein Überwachungssystem einem Staatsapparat bietet, zeigt aktuell die Situation der uigurischen Minderheit in China. Das Arsenal hochentwickelter Informationstechnologie, dass für das Social Scoring System zum Einsatz kommt, umfasst unter anderem modernste Telefon- und Videoüberwachung inklusive KI-gestützter Gesichts- und Spracherkennung wie auch Systeme zur Analyse digitaler Kommunikationsflüsse und des Onlineverhaltens von Nutzern. Darüber hinaus wird das System in manchen Regionen sogar um eine DNA-Datenbank ergänzt.
Zusätzlich zum Social Scoring System wird modernste Informationstechnologie in China bereits seit 2012 intensiv für den Aufbau und die Überwachung des „chinesischen Internets“ eingesetzt. Während der Westen für ein offenes und freies Internet eintritt, steht China für ein staatliches und zensiertes Ordnungsmodell des digitalen Raums. Hierbei sind die Idee einer nationalen Cybersouveränität und ein stark politisch aufgeladenes Cybersicherheitsverständnis von zentraler Bedeutung. Zugleich sind dies ordnungspolitische Mittel, um ein aus chinesischer Sicht „sauberes und gerechtes Internet“ auf nationaler Ebene aufzubauen. Dank der Great Firewall werden im chinesischen Teil-Internet ausgewählte westliche Plattformen und Suchmaschinen geblockt, Datenströme gefiltert und Inhalte zensiert sowie Zugänge zum Internet gedrosselt oder gar ganz abgeschaltet. Hochmoderne Informationstechnologien – wie KI oder deep packet inspections – sind hierbei entscheidend, da sie die zentralen Werkzeuge liefern, die es China ermöglichen, den Internet-Pudding an die Wand zu nageln.
Vorbild Hightech-Autokratie – Eine Gefahr für die Zukunft der Demokratie
Warum der digitale Autoritarismus eine Gefahr für die Zukunft der Demokratie darstellt, ist auf drei Aspekte zurückzuführen.
1. Dank des Einsatzes modernster Informationstechnologie ist es illiberalen Regimen zu relativ geringen Kosten möglich, ein neues Maß an sozialer Überwachung und Kontrolle der öffentlichen Meinung zu erlangen, sodass illiberale Strukturen nach innen stabilisiert werden können. Zum anderen eröffnet gerade KI zentralistischen Systemen neue Potenziale zur politischen Steuerung aller Gesellschaftsbereiche, im Lichte derer die Steuerungsversuche sozialistischer Systeme der Vergangenheit bestenfalls grobschlächtig wirken.
2. Ein Unterschied zwischen dem digitalen Autoritarismus und seinem Vorgänger ist die Verschmelzung von autoritärer politischer Steuerung mit freien Marktkräften. Diese führt nicht nur dazu, dass China gesamtwirtschaftlich eine beachtlichere Bilanz vorzuweisen hat als vorangegangene Systemkonkurrenten. Zugleich hat China in den letzten Jahren ein eigenes staatskapitalistisches Innovationsmodell entwickelt, das Erfolge vorweisen kann. Auch wenn diese Erfolge sachlich eingeordnet werden sollten, werfen die Entwicklungen Chinas im Innovationsbereich die Frage auf: Kann das hybride Innovationsmodell Chinas die Innovationskraft freiheitlicher Gesellschaften perspektivisch überflügeln?
3. Der digitale Autoritarismus ist bedrohlich, da China zusammen mit Russland anderen un- oder nur eingeschränkt freien Staaten als Vorbild dient. China und Russland haben es eben nicht nur geschafft, Hochtechnologie für ihre Strukturen nutzbar zu machen. Sie haben hierfür auch einen entsprechenden ordnungspolitischen Rahmen entwickelt. Sei es dabei das Konzept der Cybersouveränität, welches für die nationale Abschottung des Internets bedeutend ist, oder entsprechende Cybersicherheitsgesetzgebungen, die massive Überwachungseingriffe ermöglichen. Darüber hinaus exportieren Staaten wie China und Russland technisches Know-how gepaart mit dem entsprechenden Ordnungsmodell und tragen so auch aktiv zu einer weiteren Ausbreitung des digitalen Autoritarismus bei. Zu den Abnehmern zählen dabei Staaten wie Äthiopien, Ecuador, Südafrika, Bolivien, Ägypten, Ruanda, Venezuela und Saudi-Arabien. Erst kürzlich warnte die Politikwissenschaftlerin Anne-Marie Slaughter: „Dictators are creating and sharing tools for greater population control than ever before.“
Was heißt das nun?
Während außer Zweifel steht, dass der Westen der Herausforderung des digitalen Autoritarismus Chinas entschlossen entgegentreten muss, ist die Wahl der richtigen Mittel weitaus komplizierter. Es handelt sich bei China um einen Herausforderer, der integraler Bestandteil jener globalisierten Wirtschafts-, Forschungs- und Innovationskreisläufe ist, von denen der Westen profitiert. Anders als zu Zeiten des Kalten Krieges bestehen in dem Systemwettbewerb jenseits der zwischenstaatlichen Ebene enge Verflechtungen und gegenseitige Abhängigkeiten, die angesichts der Systemkonkurrenz klug organisiert werden sollten.
Sachliche Analyse statt Panik
Um dies zu ermöglichen, ist es zunächst wichtig, Chinas Entwicklung im Innovations- und Hochtechnologiebereich richtig einzuordnen. Das Land hat zwar immense Fortschritte vorzuweisen und besitzt in ausgewählten Bereichen des Hochtechnologiesektors international konkurrenzfähige sowie innovative Unternehmen. In der Breite aber ist China gegenwärtig weder eine global führende Innovationsmacht noch ist es im Innovationsbereich autonom. Die Volksrepublik führt im Global Innovation Index die Gruppe der middle-income-countries an. Im weltweiten Vergleich mit hochentwickelten Industrieländern fällt das Land hingegen auf Platz 14 zurück. Im Bereich Patentanmeldungen zeigt sich ebenso, dass noch immer erheblich mehr westliche Innovationen in China angemeldet werden und chinesische Patente weitaus stärker in emerging countries und Entwicklungsländer diffundieren. Darüber hinaus hat zwar die Quantität chinesischer Patente in den letzten Jahren enorm zugenommen, die Qualität derer hinkt westlichen Patenten aber noch immer hinterher. Im Bereich der privaten Forschungsausgaben von Unternehmen – die an weltweiten F&E-Ausgaben einen wesentlich größeren Anteil haben als die staatliche Förderung – ist China in der weltweiten Top 2.500 zwar erheblich stärker präsent als in der Vergangenheit. In der Gruppe der 50 Unternehmen, die 2018 die höchsten F&E-Ausgaben vorweisen können, ist mit Huawei aber nur ein einziges chinesisches Unternehmen vertreten. Im Start-up-Bereich hat China im Jahr 2018 einerseits mehr Unicorns als die USA hervorgebracht und auch mehr Risikokapital akquiriert. Andererseits ist das chinesische Innovationsökosystem gesamtheitlich noch immer in einer frühen Phase und dabei massiv auf Basisinnovationen und auch Know-how aus dem Ausland angewiesen. Selbst in dem von China als strategischen Kernbereich identifizierten Feld Künstliche Intelligenz stellt das Land aktuell lediglich sechs der 100 erfolgreichsten KI-Start-ups weltweit.
Blickt man auf die Forschungslandschaft, gehört China in einigen Hochtechnologiefeldern – unter anderem bei KI, Quantencomputern und Batterietechnologie – zur weltweiten Spitze. Selbst im Nature-Index steht China heute direkt hinter den USA auf Rang zwei bei den Naturwissenschaften. Ein genauerer Blick zeigt allerdings, dass die einflussreichsten Publikationen (Naturwissenschaften) noch überwiegend aus dem Westen stammen. Auch der Großteil der führenden Wissenschaftsinstitutionen (Naturwissenschaften) sind westliche Universitäten. Würde man außerdem die Leistung der europäischen Staaten im „Nature-Index“ addieren, läge China hinter den USA und Europa nur auf Rang drei. Blickt man auch hier auf den KI-Bereich, zeigt sich Ähnliches. In einem aussagekräftigen Ranking – basierend auf den Forschungsbeiträgen zu den weltweit führenden KI-Konferenzen – sind nicht nur lediglich zwei chinesische Universitäten (Platz 15 und 22) in den Top 40 Global AI Organizations. Als KI-Forschungsstandort fällt China auch klar hinter die USA und Europa (aggregiert) zurück.
Das oben gezeichnete Bild setzt sich im Hochtechnologiesektor fort. China ist einerseits zum weltweit größten Exporteur aufgestiegen und kann in ausgewählten Industriezweigen international hervorragend positionierte Unternehmen aufweisen. Ein eingehender Blick auf die Exporte zeigt andererseits, dass ein erheblicher Teil der Hochtechnologieprodukte in China lediglich gefertigt wird, sodass die Gewinne an westliche Technologieunternehmen zurückfließen. Trotz aller Erfolge weist Chinas Hochtechnologiesektor bis heute Schwächen in der Grundlagenforschung und bei enabling technologies – insbesondere dem Halbleitersektor – auf. Zu guter Letzt zeigt ein Blick auf Chinas Innovationsökosystem, dass trotz aller Impulse für Veränderungen hinsichtlich innovationsfördernder Strukturen weiterhin erhebliche Defizite existieren, deren Behebung eher eines langen Marsches als eines kurzen Sprungs bedarf.
Für den Westen bedeutet dies, dass man China als Innovationswettbewerber ernst nehmen muss, ohne die Innovationskraft zu verklären. Noch immer ist China mit Blick auf Innovationen in der Breite stärker vom Westen abhängig als umgekehrt. Diese Asymmetrie könnte für den Westen ein Instrument darstellen, um Interessen durchzusetzen. Statt in Fatalismus zu verfallen, sind die Fortschritte Chinas außerdem eher ein Signal an den Westen, seine Innovationssysteme zu stärken und zu vernetzen, um den Innovationsvorsprung zu erhalten. Gleichzeitig gehört China in manchen Bereichen zur internationalen Spitze im Innovationsbereich, sodass Kooperationsformen mit chinesischen Innovationssystemen für den Westen Chancen bieten. Um diese zu realisieren, müssen China und der Westen auf einem levelled playing field agieren und illegitime Technologietransfers sowie die Nichtachtung geistiger Eigentumsrechte unterbunden werden. Kooperation mit China muss regelbasiert sein und auf Reziprozität aufbauen.
Fairer Handel und regelbasierte Kooperation
Genau dies ist gegenwärtig kaum gegeben und wird von den USA im aktuellen Handelsstreit zu Recht eingefordert. Betrachtet man kritisch Chinas innovationspolitischen Ansatz stechen drei Punkte hervor. Zuerst sei der gezielte Technologietransfer und die unzureichende Achtung geistiger Eigentumsrechte genannt. Bereits seit Jahren werden aus China heraus strategische Investitionen in westliche Hochtechnologieunternehmen getätigt und die gewonnene Expertise anschließend nach China transferiert. Ebenso werden ausländische Unternehmen beim Markteintritt in Joint Ventures gezwungen, so dass Know-how nach China abfließt. Damit verbunden ist der Vorwurf, dass China Forschungskooperationen und akademischen Austausch gezielt nutzt, um Wissens- und Technologietransfers zu forcieren. Weiterhin geht China im Inneren nicht adäquat gegen die Verletzung geistiger Eigentumsrechte vor. Manche Experten werfen dem chinesischen Staat sogar vor, sich aktiv an Industriespionage zu beteiligen. Der andere Ansatzpunkt betrifft die Abschottung des chinesischen Marktes gegenüber dem internationalen Wettbewerb insbesondere in der Digitalwirtschaft und im IT-Sektor. Auch wenn China seit dem Beitritt zur Welthandelsorganisation (WTO) den Zugang für ausländische Unternehmen und Investoren zum chinesischen Markt erleichtert hat, unterliegen diese Bereiche erheblichen Restriktionen. Selbst vor dem kompletten Ausschluss bestimmter ausländischer Plattformunternehmen, sozialer Netzwerke und Suchmaschinen schreckt China nicht zurück.
Die letzte Praxis betrifft die wettbewerbsverzerrende Förderung chinesischer Unternehmen im In- und Ausland. Durch verschiedene Maßnahmen – z. B. industriepolitische Eingriffe – fördert der Staat die Entwicklung chinesischer Unternehmen in Zukunftsindustrien zu nationalen Champions. In einem zweiten Schritt forciert China die Internationalisierung dieser Firmen – auch entlang der Neuen Seidenstraße –, so dass chinesische Unternehmen weiter skalieren oder Überkapazitäten im Ausland abbauen können. Letztlich genießen chinesische Unternehmen in wesentlichen Zukunftsbereichen dank staatlicher Unterstützung regelwidrige Wettbewerbsvorteile, die sie – auch dank niedriger Preise – befähigen, Unternehmen im Ausland zu verdrängen.
Um diesen Praktiken entschlossen entgegenzutreten, ist der Westen in einem ersten Schritt angehalten, weitaus entschlossener gegen den von China gezielt geförderten Technologietransfer vorzugehen. Aktuell haben mehrere westliche Staaten und die EU bereits verschärfte Regularien zur Überwachung ausländischer Direktinvestitionen im Hochtechnologiesektor erlassen und Maßnahmen zur Verhinderung des Aufkaufs westlicher Technologieführer durch chinesische Investoren eingeleitet. Auch die europäische Unterstützung der US-amerikanischen WTO-Klage gegen China ist in diesem Kontext zu begrüßen.
Eine Möglichkeit, diese Maßnahmen zu stärken, wäre der Aufbau eines transatlantischen Investment-Screenings bzw. ein Austausch der Ergebnisse zwischen westlichen Staaten. Wichtig ist dabei aber, nur jene chinesischen Investitionen und Aufkäufe zu unterbinden, welche eine ernsthafte Bedrohung für die digitale Souveränität westlicher Staaten darstellen. Zusätzlich gilt es auch, die an vielen Stellen bereits begonnene Debatte über akademische Austauschprogramme und Forschungskooperationen mit China innerhalb des Westens zu intensivieren. Langfristig muss dabei das Ziel sein, dass sich China – zur Not auch durch den Einsatz politischer Druckmittel – an die Normen eines fairen Freihandels anpasst. Damit dies gelingen kann, ist der Westen auch angehalten, die Welthandelsorganisation wieder zu befähigen, Antworten auf Herausforderungen der chinesischen Innovationspolitik zu finden und diese durchzusetzen.
Illiberale digitale Massenüberwachung regulieren
Darüber hinaus sollte der Westen die Anwendungen digitaler Schlüsseltechnologien, die die Freiheit einschränken und keiner rechtsstaatlichen Kontrolle unterliegen, versuchen einzudämmen. Hierzu sollte die Debatte über Regulierungsmöglichkeiten von hochmoderner Überwachungstechnologie stärker auf die internationale Agenda gesetzt werden. Naheliegend wäre ein Fokus auf den Bereich der Gesichtserkennung – ist diese doch für heutige Systeme der Massenüberwachung von besonderer Bedeutung. Gleichzeitig ist bereits eine Fachdebatte in Gang, an die man anknüpfen könnte. Anzudenken wäre außerdem, das Anliegen in den internationalen Menschenrechtsrahmen einzufügen. Anders als die KI-Ethik-Diskussion sind in diesem Rahmen Instrumente, Mechanismen und Strukturen etabliert, um auf illiberale Staaten politischen Druck aufzubauen. Es existiert innerhalb dieses Rahmens eben nicht nur eine Reihe internationaler Organisationen, die sich aktiv für den Schutz der Menschenrechte weltweit einsetzen. Zudem gibt es zahlreiche zivilgesellschaftliche Akteure, die eben diesen Druck im Falle des Missbrauchs von Überwachungstechnologie aufbauen können. Darüber hinaus sollte diskutiert werden, wie die Verbreitung solcher Technologien im Sinne des Westens eingedämmt werden kann. Ein Ansatzpunkt auf internationaler Ebene wäre, Systeme der digitalen Massenüberwachung in die Debatte über Rüstungskontrolle im Cyber- und Informationsraum zu integrieren. Ein anderer Ansatz läge darin, solche Systeme direkt in bereits bestehende Regime der Exportkontrolle – auf nationaler wie internationaler Ebene – einzubinden.
Eine freiheitliche Ordnungsidee für den digitalen Raum gemeinsam fortschreiben
An der Schwelle in ein neues Zeitalter wird es auch darauf ankommen, dass der Westen auf Basis seiner Werte und Prinzipien eine freiheitliche Ordnungsidee für den digitalen Raum entwickelt. Diese muss sich nicht nur von freiheitsfeindlichen Ideologien abgrenzen, sie muss auch Antworten auf die Herausforderungen unserer Zeit liefern – seien dies dabei der Schutz der Privatsphäre, gesellschaftliche Polarisierung und Fake News oder auch der Umgang mit Big Tech-Unternehmen. Soll am Ende eine überzeugende freiheitliche Ordnung stehen, bedarf es sowohl eines Westens, der geschlossenen für seine Werte einsteht, wie auch der Zusammenarbeit mit nichtstaatlichen Kräften, die für ein freiheitliches digitales Zeitalter einstehen.
Fazit
Auch wenn die neue Systemkonkurrenz im Hochtechnologiesektor gegenwärtig in aller Munde ist, zeigt der vorliegende Beitrag, dass China weder die Rolle der global führenden Innovationsmacht ausfüllt noch in der Lage ist, aus eigener Kraft bahnbrechende Innovationen hervorzubringen. Auch wenn die Volksrepublik beachtliche Fortschritte im Innovationsbereich bei digitalen Schlüsseltechnologien und Industriesektoren der Zukunft vorweisen kann, ist der Westen in der Breite und Tiefe seiner Innovationskraft dem Systemkonkurrenten noch immer voraus. Angesichts der Dynamik der Entwicklung Chinas ist aber auch klar, dass sich der Westen nicht auf dem Erreichten ausruhen darf. Will der Westen sich jedoch in dem neuen Systemkonflikt langfristig behaupten, muss er nicht nur ohne Hysterie und Fatalismus seine eigenen Innovationssysteme stärken und für seine Werte im Hochtechnologiebereich einstehen. Er muss auch für Reziprozität und klare Regeln in den Beziehungen mit China eintreten. Damit all dies gelingen kann, wird es wichtig sein, geschlossen zu handeln und Interdependenzen klug zu nutzen anstatt auf Entflechtung und Protektionismus zu setzen. Nimmt der Westen das Heft des Handelns entschlossen und geschlossen in die Hand, wird ihm auch das nächste Kapitel der Geschichte einen guten Ausgang bescheren.
Sebastian Weise ist Referent für Innovationspolitik der Konrad-Adenauer-Stiftung.
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