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Gesetzgebung, Religion und soziale Spaltung in Asien: Zusammenhänge und Herausforderungen

von Dian A. H. Shah
Wie wirken Religion, Gesetzgebung und politisches Kalkül in ihrer Gesamtheit zusammen, um die Religionspolitik und den Religionsdiskurs in Asien zu definieren? Dies zu beschreiben ist Ziel des vorliegenden Artikels. Des Weiteren wird gezeigt, wie insbesondere religiös-populistische Elemente Politik beeinflussen.

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Ein kleines Mädchen steht zwischen seinen Eltern, die an einer Wahlstation ihre Stimmen für die indonesische Präsidentenwahl im Jahre 2014 abgeben.

Einleitung

Die ersten sechs Monate des Jahres 2017 waren für ein harmonisches Verhältnis zwischen den verschiedenen Religionen in Indonesien eine schwierige Zeit, die von zwei Ereignissen besonders geprägt wurde: Zunächst ist die die Nation spaltende, religiös aufgeheizte Gouverneurswahl in Jakarta zu nennen, die der aktuelle Amtsinhaber Basuki Tjahaja Purnama (Ahok) verlor. Der einst so beliebte Gouverneur war für seine entschiedene Haltung gegen die Korruption und seine übereifrigen Bemühungen, Jakarta umzukrempeln und den öffentlichen Dienst effizienter zu gestalten, bekannt. Die letzten Dienstmonate Ahoks wurden jedoch von einem Strafrechtsverfahren überschattet, in dem er der Lästerung des Islam bezichtigt wurde. Nur einen Monat, nachdem er seinen „DKI 1“-Sitz verloren hatte, beschuldigte das Oberste Verwaltungsgericht Nord-Jakartas Ahok der Gotteslästerung und verurteilte ihn zu zwei Jahren Haft. Beide Ereignisse zeigten die Grenzen eines harmonischen Verhältnisses zwischen den Religionen in Indonesien auf, waren aber auch aus zwei Gründen überaus bedeutsam: Auf der einen Seite warfen sie Fragen nach der Stärke und der Entwicklung des Rechtsstaats auf. Auf der anderen Seite gaben die massive soziale Mobilisierung (angeblich zur „Verteidigung des Islam“), zu der es im Vorfeld der Wahlen gekommen war, sowie Ahoks Urteil selbst die tief sitzende soziale Spaltung zu erkennen, die nicht nur auf die Religionsfrage, sondern auch auf wirtschaftliche, politische und die Klassenzugehörigkeit betreffende Unterschiede zurückzuführen ist.

Zur selben Zeit hatten auch andere Länder der Region mit ihren eigenen Kontroversen zu kämpfen. In Sri Lanka zum Beispiel kam es im Mai zu regelrechten Ausbrüchen von hassmotivierter, krimineller Gewalt gegen Minderheiten, nachdem es aufgrund des politischen Wandels im Januar 2015 für einige Zeit etwas ruhiger um die Hardliner-Organisationen geworden war. Ähnliche, durch eine populistische Politik motivierte Vorfälle führten in Indien zu religiösen und konfessionellen Spannungen. In der Zwischenzeit löste in Malaysia die Vorlage eines Gesetzesentwurfs mit dem Ziel, dem Scharia-Gericht mehr Strafvollmacht zu verleihen, eine Debatte darüber aus, ob „islamische“ strafrechtliche Sanktionen (einschließlich Hudud „im Koran bestimmte Strafen für Straftaten, die als gegen die Rechte Gottes verstoßend angesehen werden“) letztlich im Land verhängt werden dürften. Die Angelegenheit verschärfte sich noch, als keine Einigung über die staatlichen Richtlinien in der Frage erzielt werden konnte, wie mit einer einseitgen Konversion von Kindern im Streit liegender muslimischer und nicht-muslimischer Elternteile umzugehen sei. Als sollte der religiöse Streit noch angeheizt und die Komplexität des religiösen Diskurses noch gesteigert werden, wurde per Ministerialerlass ein Buch verboten, das eine Sammlung akademischer Essays enthielt, welche die Rolle des Islam im Kontext der rechtsstaatlichen Demokratie Malaysias untersuchten. Grund hierfür war der Vorwurf, das Buch propagiere mit dem Liberalismus und Pluralismus verbundene Ideen und stelle eine Bedrohung der öffentlichen Ordnung dar.

Diese Fälle sind lediglich einige Beispiele dafür, wie Religion nach Autorität im öffentlichen Raum strebt und wie sie im soziopolitischen Kontext von Ländern wie Malaysia und Indonesien instrumentalisiert und umkämpft wird. Um die aktuellen religiösen und politischen Entwicklungen in den zwei benachbarten Ländern und die Gründe für eben diese Tendenzen jedoch verstehen zu können, müssen wir zunächst die Bedingungen kennen, die zu diesen Ereignissen geführt oder sie ermöglicht haben. Im vorliegenden Artikel wird dargelegt, wie Religion, Recht, politisches Kalkül und Kompromisse zusammenwirken, um die Religionspolitik und den Religionsdiskurs in beiden Ländern zu definieren. Darüber hinaus wird gezeigt, in welchem Ausmaß religiöse populistische Elemente die die Rechte und Interessen der Bürger betreffenden Entwicklungen und Handlungsweisen in der Politik beeinflusst haben.

Neue Kontroversen, alte Geschichten?

Im April 2017 legte der Anführer der PAS, einer islamischen Oppositionspartei, einen Gesetzentwurf zur Ausweitung der Strafvollmachten der Scharia-Gerichte in Malaysia vor. Zu Debatten und sorgenvollen Äußerungen über den Entwurf war es bereits zwei Jahre zuvor gekommen, als die Versammlung des Staates Kelantan das staatliche Strafgesetzbuch der Scharia abänderte. Die Änderung sah eine Reihe an Strafsanktionen für Muslime im Staat Kelantan vor, die jedoch nicht verhängt werden durften, da ein Bundesgesetz den Scharia-Gerichten allenfalls die Verhängung bestimmter Sanktionen gestattet.

Mit dem Ziel, alle Gesetze des Strafgesetzbuchs der Scharia in Kelantan anwenden zu können, verpflichtete sich die PAS zur Vorlage eines Abgeordnetenentwurfs, um das Bundesgesetz zu ändern.

Die malaiische Gesellschaft ist durch Polarisierung und religiöse Spannungen geprägt.

In Zeiten, in denen die religiöse Lage aufgrund der „Allah“-Saga immer noch angespannt war, polarisierte der eingebrachte Entwurf die Gesellschaft noch weiter. Der „Allah“-Fall beinhaltete das per Ministerialerlass verhängte Verbot für die katholische Kirche, in ihrer wöchentlichen, in malaiischer Sprache verfassten Publikation das Wort „Allah“ zu verwenden. Auch das Berufungsgericht sprach sich für das Verbot aus und eine Berufungsklage seitens der Kirche wurde schließlich vom Bundesgericht abgewiesen. Insbesondere für die christliche Gemeinschaft waren diese Ereignisse besorgniserregend. Der Entwurf der PAS war zwar als Initiative verpackt, um den Scharia-Gerichten mehr Entscheidungsbefugnisse zu verleihen, ihr Profil zu schärfen und eine moralische Degradierung der Muslime zu verhindern. Teile der Gesellschaft, insbesondere Nicht-Muslime, hatten jedoch ihre Bedenken hinsichtlich der Motivation und der Folgen des Entwurfs. Natürlich ist die muslimische Gemeinde mit Blick auf dieses Thema ebenfalls gespalten. Der Aufruf, geschlossen hinter dem Entwurf zu stehen, appellierte jedoch an ihr religiöses Empfinden. So wurde zum Beispiel hervorgehoben, dass Muslime die Pflicht hätten, die Würde des Islam als Religion der Föderation zu schützen, und dass muslimischen Richtern in den Scharia-Gerichten der gleiche Rang (und somit die gleiche Vergütung) wie ihrem Amtskollegen in den Zivilgerichten zukäme. Von Oktober bis November 2016 wurde der Entwurf zwei Mal vorgelegt, jedoch nie debattiert. Obwohl sich die führende Partei in der Regierungskoalition für die Unterstützung des Entwurfs aussprach, bleiben dessen Fortschritt und Ausgang weiter ungewiss. Wie es scheint, gibt es sich überschneidende soziale, politische und wirtschaftliche Überlegungen bezüglich dieser Gesetzesinitiative.

Es gibt noch weitere Beispiele dafür, dass religionsbezogene Gesetze (oder Gesetzesvorschläge) das Potenzial zur Verschärfung der gesellschaftlichen Spaltung haben. In Sri Lanka wurde 2004 der Entwurf für ein Anti-Konversionsgesetz vom Obersten Gerichtshof für verfassungswidrig erklärt. Der Entwurf habe die Freiheit, die eigene Religion auszuüben und zu praktizieren, eingeschränkt, da er eine normalerweise mit religiösen Minderheiten in Verbindung gebrachten Propaganda diene und Proselytismus fördere. Trotz der Feststellung der Verfassungswidrigkeit bemerkte der Gerichtshof, die Kriminalisierung von „unangemessenem Proselytismus“ sei laut Verfassung eine zulässige Einschränkung.

In Indonesien gilt ein Blasphemiegesetz, das gleichwohl keine neue Erfindung ist. Es wurde 1965 per Präsidialdekret erlassen und bot die Grundlage für die Kriminalisierung von Gotteslästerung gemäß dem Indonesischen Strafgesetzbuch. Das Gesetz wurzelt in dem Wunsch des Staates, die öffentliche Ordnung und die nationale Einheit zu schützen. Das Wachstum von Gruppen, welche den „etablierten“ religiösen Prinzipien widersprechende Ansichten oder Doktrinen lehren, wurde als Gefahr für die nationale Einheit sowie für bestehende religiöse Gruppen im Land angesehen. Ein die Schmähung oder Entweihung von Religion unterbindendes Gesetz würde – so glaubte man – das harmonische Verhältnis der Religionen untereinander fördern und den Indonesiern die freie Ausübung ihrer Religion garantieren.

Ironischerweise haben strafrechtliche Verfolgungen wegen Gotteslästerung erst seit dem Fall des autoritären Suharto-Regimes 1998 drastisch zugenommen: Von 97 Vorfällen mit gotteslästerlichem Hintergrund sind 89 in der Post-Reformasi-Ära zu registrieren. Ahok ist wahrscheinlich die erste hochrangige Persönlichkeit des öffentlichen Lebens, die wegen Gotteslästerung verurteilt wurde, doch das öffentliche Aufsehen seines Falls und das diesen prägende vergiftete Klima haben zu einer Stärkung der tolerenzfeindlichen Kräfte geführt. Eine Ärztin aus West-Sumatra, die in den sozialen Medien die Integrität und Glaubwürdigkeit von Rizieq Shihab (Anführer der Front Pembela Islam, einer der führenden Köpfe hinter der Mobilisierung gegen Ahok) hinterfragte, wurde von Mitgliedern der FPI verfolgt und eingeschüchtert, bis sie sich gezwungen sah, vorübergehend Zuflucht in Jakarta zu suchen. Sie habe den Islam und die ulama (islamische theologische Gelehrte und Rechtsgelehrte) beleidigt. Gegen Rizieq selbst wird wegen einer Reihe von Straftaten einschließlich Gotteslästerung und Verletzung des Anti-Pornografie-Gesetzes ermittelt. Er wartet noch auf sein Urteil, seine Unterstützer haben jedoch schon in mehreren Städten dafür demonstriert, die ulama vor einer von ihnen als staatlich initiierte Hexenjagd bezeichneten Situation zu „schützen“.

Der historische Kontext: Religion in der Verfassung, in Konflikten und Kompromissen

Die Bedeutung von Religion in rechtlichen, sozialen und politischen Belangen in asiatischen Ländern wie Malaysia, Indonesien, Sri Lanka und Indien ist keine neue Entwicklung. Der Grad dieser Bedeutung hat sich zwar in verschiedenen Phasen und Kontexten weiterentwickelt, die Präsenz und der Kampf der Religion um Vorherrschaft waren jedoch stets deutlich spürbar.

In Indonesien war Nasakom (eine Abkürzung für Nasionalisme „Nationalismus“, Agama „Religion“ und Komunisme „Kommunismus“) ein beliebtes Schlagwort unter der Regierung Sukarno. Sukarno prägte das Konzept in den späten fünfziger Jahren in der Absicht, den in der Gesellschaft brodelnden ideologischen Konflikt zu schlichten, er wurde dann aber zur Basis seiner politischen Programme. So verband Sukarno beispielsweise seine Politik im Hinblick auf die Pressefreiheit mit Nasakom, wodurch letztlich die Presse kontrolliert und Teil der Propaganda-Maschinerie des Staates wurde.

Natürlich war die Affinität zur Religion in Recht und Politik bereits vor der Einführung von Nasakom eine Realität. Während des Verfassungsprozesses vor der Unabhängigkeit traten in der Debatte um die Gründung des Staates zahlreiche Fragen über Rolle und Position der Religion auf (dasar negara). Eine Fraktion des Ausschusses zur Verfassungsentwicklung (Untersuchungsausschuss zur Vorbereitung der indonesischen Unabhängigkeit, genannt BPUPKI) bestand auf der Gründung eines islamischen Staates. Jedoch gab es auch andere – Muslime sowie Nicht-Muslime –, die sich einen säkularen Staat wünschten. Sie favorisierten unter anderem die Vorstellung eines „integralistischen“ Staates, der sich nicht mit einer bestimmten religiösen oder ethnischen Gruppe identifiziert. Für sie war die Unterstützung der Einheit in einer Nation wichtig, die sich bereits fragil und gespalten zeigte. Sukarno, der dies für einen annehmbaren Kompromiss hielt, führte die Pancasila als philosophische Grundlage des Staates mit ihren fünf Grundsätzen ein: indonesischer Nationalismus (kebangsaan Indonesia), Humanität (peri-kemanusiaan), repräsentative Demokratie (demokrasi mufakat), soziale Gerechtigkeit (kesejateraan sosial) und der Glaube an Gott (ketuhanan). Für die auf einem islamischen Staat bestehende Fraktion war dies indes nicht ausreichend. Führende Köpfe dieser Fraktion hielten einen solchen Staat für die naheliegendste Lösung für ein Land, dessen Bevölkerung zum weitaus größten Teil aus Muslimen bestünde und dessen antikoloniales Bewusstsein maßgeblich durch die auf Einheit abzielende Kraft des Islam beeinflusst würde.

Was wir heute in der Pancasila und in der religiösen Zusatzklausel „der Glaube an den einen und einzigen Gott“ erkennen, ist das Ergebnis einer komplexen Serie politischer Kompromisse. Noch im Vorfeld der Einigung auf dieses Konzept war es unter den konkurrierenden Fraktionen zu einer Vereinbarung gekommen, der zufolge das bald als unabhängig zu erklärende Indonesien auf dem „Glauben an Gott mit der Pflicht für die Anhänger des Islam, die islamischen Rechtsbestimmungen umzusetzen“ basieren würde. Indes scheiterte diese Abmachung noch am Vorabend der Unabhängigkeitserklärung, da nicht-muslimische Nationalisten der ostindonesischen Inseln mit der Abspaltung drohten. Jener Satz, der eine vom Staat verhängte Syariah für Muslime bedeutet hätte, wurde entfernt, ebenso diverse andere Komponenten der Verfassung, die als den Islam begünstigend angesehen wurden. Ein eher mit heißer Nadel gestrickter Kompromiss führte letztlich dazu, dass die muslimische Fraktion den Abänderungen zustimmte – wenngleich nicht gänzlich ohne Bedingungen. Zunächst garantierten ihr Mohamad Hatta (Indonesiens erster Premierminister) und Sukarno das Recht, die eigenen Forderungen künftig weiterverfolgen und im Bedarfsfalle auch auf eine nachträgliche Verfassungsänderung pochen zu können. Sodann schlug die Fraktion die Verankerung des Zusatzes „der Glaube an den einen und einzigen Gott“ als ersten sila (Grundsatz) der Pancasila vor. Für manche ist diese Formulierung von Bedeutung, da sie den monotheistischen Grundsätzen des Islam entspricht. Sukarno und Hatta hatten mit diesem Kompromiss, so unvollkommen er auch sein mag, durchaus weiter greifende Ziele vor Augen – ging es doch darum, die nationale Einheit und Stabilität ebenso sicherzustellen wie die Fertigstellung der Verfassung sowie die Festlegung der Marschroute in Richtung einer Unabhängigkeit des Landes. Unter den gegebenen Umständen würde die getroffene Vereinbarung, so glaubten sie, die Interessen aller Gruppen am besten vertreten sowie Religionsfreiheit und Pluralität in Indonesien am ehesten schützen.

Vergleichbares ereignete sich kaum zehn Jahre später im benachbarten Malaya, als die Religion zu einem der größten Streitpunkte innerhalb der politischen Elite und der mit der Erarbeitung einer Verfassung für ein unabhängiges Malaya beauftragten Behörde wurde. Die aufkommenden Fragen ähnelten denen der i ndonesischen Kollegen: Sollte dem Islam als Mehrheitsreligion eine besondere Rolle in der verfassungsmäßigen Ordnung zukommen? Welche konkurrierenden Interessen bestehen in Bezug auf die Religion? Welche Folgen ergäben sich, würde man sich für den einen oder den anderen Weg entscheiden?

Die Erlebnisse in Malaya schienen vor allem – wenngleich nicht ausschließlich – von konkurrierenden politischen Interessen und Ansichten geprägt zu sein. Die Allianz-Partei, eine politische Koalition aus die malaiischen, chinesischen und indischen Gemeinden vertretenden Parteien, sah sich mit Forderungen aus dem malaiisch-muslimischen Lager nach einer besonderen verfassungsmäßigen Anerkennung des Islam konfrontiert. Aufgrund der tief verwurzelten Geschichte des Islam in der malaiischen Gesellschaft und Regierung (insbesondere im Sultanat) glaubte man, eine solche Anerkennung wäre nur angemessen. Das die Verfassung bildende, aus fünf bekannten Commonwealth-Juristen bestehende Organ (der Reid-Ausschuss) stand einer Idee des Islam als Staatsreligion weitgehend ablehnend gegenüber. Und es gab noch die malaiischen Machthaber – die neun Sultane der neun malaiischen Staaten – welche die alleinige Kontrolle über den Islam in ihren jeweiligen Staaten innehatten. Sie widersetzten sich der Idee, den Islam zur Religion der Föderation Malaya zu erheben, da sie fürchteten, der Staat würde in ihren Hoheitsgebieten zu stark in ihre jahrhundertelange Autorität betreffs der Islam-Frage eingreifen. Nicht-Malaiier sorgten sich ebenso um die Folgen einer Staatsreligion. So fürchteten sie etwa, ihre Bürgerrechte könnten irgendwann von einer Konversion zum Islam abhängig sein. Schwerere Bedenken hegten sie allerdings gegen den Verfassungsprozess als solchen – mit Blick auf den Erhalt der ius soli-Staatsbürgerschaft und das Festhalten an Sprach- und Bildungsrechten in ihrer Muttersprache.

Die Vereinbarung eines Mittelwegs hat sich als gangbarer Weg zur Gewährleistung interreligiöser Stabilität erwiesen.

Wie bereits in Indonesien, waren auch hier im Endeffekt eine ganze Reihe verschiedener Kompromisse erforderlich, um eine Einigung zu erzielen: unter den multiethnischen Führern der Allianz, zwischen der Allianz und den Machthabern sowie zwischen der Allianz und dem Reid-Ausschuss. Innerhalb der Allianz-Partei wurde vereinbart, dass der Islam die Religion der Föderation werde; den Nicht-Muslimen wurde im Gegenzug ein Recht auf Religionsfreiheit zugesichert. Des Weiteren wurde vereinbart, dass die Nicht-Malaiier die Staatsbürgerschaft erhalten sowie ihr Recht auf Bildung in ihrer Muttersprache behalten dürften. Die Allianz versicherte den malaiischen Machthabern ferner, dass das föderale System zur Verwaltung des Islam bestehen und die Autorität der Machthaber unangetastet blieben und dass selbst wenn eine staatliche Religionsabteilung eingerichtet würde, diese lediglich die Aufgabe der Koordination der einzelnen Bundesstaaten übernähme. Dem Reid-Ausschuss versprach die Allianz, die Vereinbarung würde weder eine Gottesherrschaft darstellen noch den säkularen Charakter des Landes verändern. Wichtiger noch ist, dass die Verfassung selbst vor allem die Bedingung beinhaltet, dass die Einführung des Islam keine anderen verfassungsmäßigen Bedingungen und Schutzrechte beeinträchtigen dürfe.

Dank der Verhandlungen und erzielten Kompromisse zwischen den verschiedenen politischen Akteuren fand sich ein Mittelweg zwischen den Befürwortern einer stärkeren Rolle des Islam im Staat und den Vertretern einer vollständigen Ausgliederung der Religion aus dem Staat. Diese Vereinbarungen haben sich in mancherlei Hinsicht als gangbarer Weg zur Gewährleistung einer interreligiösen Stabilität erwiesen. Sie haben sichergestellt, dass Religion bis zu einem gewissen Grad ins öffentliche Leben integriert wird. Als Forderungen nach einer Ausweitung des Geltungsbereichs religiöser Gesetze über Fragen des Personenrechts hinaus laut wurden, schritt das indonesische Verfassungsgericht ein und bestätigte die verpflichtende Bindung nationaler Gesetze an die Pancasila, die die Grundlage für religiöse Toleranz in Indonesien bot. Als darüber hinaus die Behauptung aufgestellt wurde, die Todesstrafe für Drogendelikte sei verfassungswidrig, da sie die islamischen Gesetze und Grundsätze nicht widerspiegeln würde, hob das Oberste Gericht Malaysias die eingeschränkte Rolle des Islam in der verfassungsmäßigen Ordnung erneut hervor.

Religiöser Populismus und Religionspolitik

In Ländern, in denen Religion noch eine große Bedeutung hat, mussten sich politische Entscheidungsträger und Eliten mit ein und derselben Frage auseinandersetzen: Inwieweit soll der Staat in religiöse Angelegenheiten eingreifen sowie diese verwalten und regeln? Erhellend mag hier zunächst ein Blick auf Länder wie Malaysia, Indonesien, Sri Lanka und Indien sein sowie die Frage, wie sie im Government Regulation of Religion Index (GRI) des Pew-Forschungszentrums, abgeschnitten haben. Von 2010 bis 2013 verzeichneten Malaysia und Indonesien dauerhaft „sehr hohe“ GRI-Werte, während Indien und Sri Lanka fortlaufend „hohe“ GRI-Werte aufwiesen. Zu den Richtlinien gehören Einschränkungen öffentlicher Predigten, Beschränkungen für Bekehrungen und Konversionen, Bestimmungen über das Tragen religiöser Symbole und staatlich durchgesetzte Verbote bestimmter religiöser Gruppen.

Auf die Einhaltung dieser Richtlinien wird unter dem Vorwand bestanden, die öffentliche Ordnung und ein harmonisches Verhältnis der Religionen untereinander bewahren zu wollen. Konkurrierende Forderungen in Religionsfragen – unabhängig davon, ob sie von verschiedenen religiösen Gruppen oder innerhalb derselben Religionsgruppe gestellt werden – werden als potenziell destabilisierend erachtet. Derlei Bedenken sind gewiss nicht zu unterschätzen, insbesondere da beide Länder bereits mehrfach in ihrer Geschichte ethnische und / oder religiöse Konflikte erlebt haben.

Dennoch und vor allem weil Religion eng mit der lokalen Politik verbunden ist, haben die konkurrierenden religiösen Forderungen sowie die Art, in der diese Forderungen letztlich beantwortet wurden, nicht nur die soziale Spaltung gefördert. Sie haben auch den zentralen, den verfassungsmäßigen Abmachungen hinsichtlich der Religionsfrage zugrundeliegenden Kompromiss aufgekündigt. In Malaysia wird die Einführung des Islam heutzutage meist dahingehend verstanden, dass der Staat verpflichtet ist, die Interessen der Hauptreligion und ihrer Anhänger zu priorisieren. In Indonesien wird der „Glaube an den einen und einzigen Gott“ aus der Pancasila so interpretiert, dass der Staat Handlungen oder Ausdrücke gesetzlich zu verbieten habe, die als Beleidigung einer bestimmten Religion oder als Abweichung von religiösen Doktrinen aufgefasst werden könnten.

Vielen dieser Fälle und die Religion betreffenden Konflikte liegt ein starkes Misstrauen gegenüber den „anderen“ sowie die Angst zugrunde, die Mehrheitsgruppe könne – obwohl demografisch und politisch dominant – einer existentiellen Bedrohung ausgesetzt sein. In Malaysia und Indonesien glauben gewisse Kreise der Gesellschaft etwa, es gäbe eine größere „Christianisierungs-Agenda“, die hauptsächlich auf die Missionierung von Muslimen abziele. Ähnliche Ängste haben zu Spannungen zwischen Mehrheiten und Minderheiten in Sri Lanka geführt. Bisweilen wird diese Wahrnehmung von Staatsbeamten gefördert, die mithilfe unterschiedlicher Initiativen der Öffentlichkeitsarbeit versucht haben, vor einer als solche wahrgenommenen Ausbreitung muslimischer und / oder christlicher Gruppen zu warnen. Ähnliche Äußerungen gab es auch gegenüber muslimischen Minderheiten wie etwa den Schiiten, von denen manchmal nicht nur behauptet wird, sie seien Ketzer, sondern auch, sie hätten den Missionsauftrag zur Untergrabung der sunnitischen Mehrheit.

Vielen interreligiösen und interethnischen Konflikten liegt ein starkes Misstrauen gegenüber dem Anderen zugrunde.

Es wäre ein Fehler, eine solche Mobilisierung populistischer Empfindungen als reine Übung politischer Rhetorik abzutun. Es gibt Beweise dafür, dass die Mobilisierung der Bevölkerung auf religiöser (und ethnischer) Ebene einen erheblichen Einfluss auf die Rechtsstaatlichkeit haben kann. Ein deutliches Beispiel dafür ist die Klage wegen Gotteslästerung gegen Ahok, den ehemaligen Gouverneur von Jakarta. Nach dessen angeblich blasphemischer Rede kam es zu Massenprotesten in der indonesischen Hauptstadt mit dem Ziel, Druck auf die Regierung auszuüben, damit diese Ahok strafrechtlich verfolge und verurteile. Das Tempo, in dem Ahoks Fall abgehandelt wurde – von der Untersuchung über das Verfahren bis schließlich zum Urteil im Mai 2017 –, zeigt, dass die Regierung die wachsende Abneigung der Öffentlichkeit gegen Ahok kaum ignorieren konnte. Indes gingen die hinter der Anti-Ahok-Kampagne Stehenden noch einen Schritt weiter: Noch vor dem Gerichtsurteil wandten sie sich an die Richter und das Gericht, und setzten diese durch öffentliche Statements unter Druck, Gerechtigkeit walten zu lassen, als Gericht unabhängig von der – als Unterstützer Ahoks angesehenen – Regierung zu handeln und Ahok schuldig zu sprechen. Die Art und Weise, in der diese Massenmobilisierung Druck auf das indonesische Justizsystem ausübte, wirft Bedenken hinsichtlich der Ausrichtung und an der Stärke des Rechtsstaatsprinzips im dem Land auf.

Der „Allah“-Fall in Malaysia wies ein durchweg ähnliches Muster auf. Der öffentliche Druck und die Demonstrationen mit ihrer Forderung, die Verwendung des Namens „Allah“ ausschließlich Muslimen zu gestatten, gaben der nachfolgenden Reaktion der Regierung zu dieser Frage wohl ihre Form. Somit wurde deutlich, dass der Fall nicht allein objektiv und aus akademischer Perspektive begründet und behandelt werden konnte. Auf dem Spiel stand die weitere politische Unterstützung der malaiisch-muslimischen Gemeinde, die davon abhing, ob sich die Regierung dazu bereit erklären würde, deren Sorgen und Interessen zu berücksichtigen. Auch als die Streitfrage an die obersten Gerichte des Landes verwiesen wurde, war der Druck der Mehrheit deutlich spürbar. Mehrere Aktivisten und zivilgesellschaftliche Organisationen versammelten sich auf dem Gerichtsgelände, um das Gericht an seine Pflicht zum Schutz des Islam zu erinnern. Angesichts der gerichtlich geäußerten Sorge um die öffentliche Ordnung sowie der zunehmenden Empfindlichkeit der Mehrheit in der Religionsfrage ist es nicht auszuschließen, dass der damit verbundene Druck sich – in einer wie auch immer gearteten Form – auf die Urteilsfindung des Gerichts niedergeschlagen haben könnte.

In manchen Fällen reagierten die politischen Akteure zügig, um Unsicherheit zu ihren Gunsten zu nutzen und religiöse Feindseligkeit zu schüren. Religiöse Kampagnen – häufig geprägt durch die jeweilige Eigendarstellung als Sieger oder Verteidiger der Mehrheitsinteressen bzw. durch die Verteufelung der religiös „Anderen“ – sind ein leicht gangbarer Weg, um an das Bewusstsein der Wähler zu appellieren. Etwa wird so die Diskussion von drängenden Problemen wie der Korruption oder der systemisch bedingten Regierungsprobleme abgelenkt. Eine Studie über lokale (Bürgermeister-) Wahlen in zwei indonesischen Städten zeigte beispielsweise, dass sich religiöse Kampagnen und eine Anti-Minderheiten-Rhetorik auszahlen würden – in beiden Fällen hatten die Sieger mit Kampagnen Erfolg, in denen muslimische Wähler davon überzeugt wurden, dass die Wahl eines nicht-muslimischen Anführers ein religiöses Verbot darstellen würde. Auf diese Weise konnten auch andere Skandale um die Sieger selbst ausgeblendet werden. Der Einfluss politischer religiöser Mobilisierungen war auch in den jüngsten Gouverneurswahlen in Jakarta auffällig. Letztlich verlor Ahok die Wahl – ein von vielen Seiten erwartetes Ergebnis. Auffällig ist hierbei, dass sich Ahoks prognostiziert hohes Wahlergebnis während des Höhepunkts dieser Massenproteste in Jakarta von Oktober bis Dezember zunehmend verschlechterte – einer Meinungsumfrage zum Trotz, die darauf hindeutete, dass die Wähler „ehrlich“ und „nicht korrupt“ als wichtige Eigenschaften eines Gouverneurskandidaten erachteten und sich 59 Prozent der Befragten mit Ahoks Leistung als Gouverneur zufrieden zeigten.

Religiöse Ansichten sind nicht der einzige entscheidende Faktor für Wahlergebnisse.

All dies bedeutet keineswegs, dass Religion oder religiöse Ansichten stets der einzige entscheidende Faktor für Wahlergebnisse oder nachfolgende politische Entscheidungen sind. Oft wirken zahleiche unterschiedliche Faktoren und Determinanten im Verbund. In Indonesien spielen der Charakter und die Grundsätze des Kandidaten eine wichtige Rolle. Bei den jüngsten Wahlen in Jakarta etwa geben verschiedene Meinungsumfragen und Analysen zu erkennen, dass ein Teil der Wähler Ahoks Bemühungen, Jakarta umzukrempeln und die Korruption auszurotten, zwar schätzten, seine direkte Ausdrucksweise und seine „arrogante“ Art jedoch nicht tolerierten. Im konservativen Bezirk Tebet machte ein Vorsitzender der Gemeinde sogar deutlich, dass sich einige Wähler dieses Bezirks aufgrund von Ahoks Charakter in beiden Wahlrunden von ihm abgewandt hätten.

Eine Rolle bei der Bestimmung politischer Entscheidungen und Ergebnisse spielt auch das politische Kalkül. Der Fall Malaysia ist ein weiteres Beispiel. Der Wunsch malaiisch-muslimische Stimmen zu er- und die politische Macht zu behalten, hat Regierungskoalitionen – zu verschiedenen Zeitpunkten – dazu gebracht, sich mit der Behandlung politisch religiöser Themen der Mehrheit anzunähern. Dies wurde vor allem im Vorfeld und während der Wahlen 2013 deutlich. Um ihre Mitstreiter – zu jener Zeit die PAS – auszuschalten und malaiisch-muslimische Stimmen abzuwerben, bediente sich die von der UMNO angeführte Koalition einer bestimmten politischen Rhetorik und folgte bestimmten Grundsätzen, um ihre religiöse Glaubwürdigkeit zu unterstreichen. Insbesondere die Art und Weise, wie der „Allah“-Fall gehandhabt wurde, steht symptomatisch für die Verfolgung dieser pragmatischen Politik. Auch wenn es zunächst undenkbar war, dass die UMNO alleine eine stark malaiisch ausgerichtete Regierung bilden würde, so scheint das Ergebnis der Wahlen 2013 den Glauben daran gestärkt zu haben, dass die Macht der regierenden Partei von der Frage abhängt, inwieweit sich die Gemüter der Mehrheit besänftigen ließen. Die Vorlage eines Gesetzesentwurfs zur Ausweitung der Strafbefugnisse für die Scharia-Gerichte, Gespräche über eine politische Allianz zwischen UMNO und PAS sowie bisweilen die stillschweigende Akzeptanz von die Bigotterie fördernden Organisationen sind insgesamt Anzeichen dafür, wie das bei Wahlen eingesetzte, auf Mehrheiten abzielende Kalkül einem Politikverständnis Vorschub leistet, dessen Opfer letztli ch die Minderheiten sind.

Schlussfolgerung

Die Verschmelzung von Gesetz, Religion und Politik – in ihrer schlimmsten Form – kann durchaus den gewaltsamen Konflikt schüren. Es gibt viele Anzeichen, dass die Behauptung stimmt, religiöser Populismus untergrabe das Rechtsstaatsprinzip, fördere eine auf die Ausgrenzung von Minderheiten abzielende Politik, vertiefe die soziale Spaltung und fördere religiöse Intoleranz. Politik wird von pragmatischen Überlegungen angetrieben; ihre negativen Folgen verschärfen sich jedoch in Ländern wie Indonesien, Malaysia und Sri Lanka aufgrund der Art und Weise, in welcher eben dieser Pragmatismus betrieben wird. Diese Strategie hat Parteien dazu gebracht, offen oder versteckt rechte Bewegungen zu umwerben oder zu unterstützen. Bei den lokalen Wahlen in Indonesien gab es Fälle, in denen Kandidaten Vereinbarungen mit Hardliner-Organisationen trafen und spezifische „religiöse“ Grundsätze verfolgten, um Wahlunterstützung zu erhalten.

Wie dem auch sei, es wäre ein Fehler anzunehmen, dass Religion (d. h. Doktrinen), religiöser Extremismus oder eine teilweise als „Islamisierung“ bezeichnete Entwicklung – die einzige treibende Kraft hinter den jüngsten Gesetzes- und Religionsfragen wären. Religiöse Affinität und Religionszugehörigkeit haben ihre Bedeutung für die Gesellschaft, doch die sich entfaltenden Muster und Entwicklungen sind im Zusammenhang mit komplexeren politischen, wirtschaftlichen und sogar psychologischen Unsicherheiten in beiden Ländern zu verstehen und in Angriff zu nehmen. Und eben dies ist die wahre Herausforderung.

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Dian A. H. Shah ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Centre for Asian Legal Studies (CALS), Faculty of Law, National University of Singapore.

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