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Auslandsinformationen

Neuer Blick nach Norden

von Knut Abraham

Risiken und Handlungsoptionen für die deutsche Arktispolitik

Absichtserklärungen in Sachen Umweltschutz und Multi­lateralismus prägten bislang die deutsche Arktispolitik. Das muss sich ändern. Denn Russland nimmt auch in der Arktis eine zunehmend konfrontative Haltung ein und rüstet militärisch auf. Gleichzeitig tritt auch China dort immer ambitionierter auf. Sicherheit muss daher in Deutschlands Überlegungen zum hohen Norden künftig eine größere Rolle spielen.

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Eisbären, Polarlichter und endlose weiße Weiten: Das sind die Assoziationen, die die meisten Menschen haben, wenn sie an die Arktis denken. Politisch hat die nördlichste Region der Welt in Deutschland bisher wenig Aufmerksamkeit genossen. Mithilfe des Arktischen Rates versuchten die Arktisanrainerstaaten seit 1996, die Region aus geopolitischen Spannungen herauszuhalten und unterschiedliche Interessen zwischen den Staaten friedlich in Einklang zu bringen.

Während des Kalten Krieges hatte die Arktis hingegen eine wichtige militärische Rolle inne, da die kürzeste Flugdistanz für strategische Interkontinentalraketen und -bomber zwischen der Sowjetunion und Nordamerika über den Nordpol führt. Außerdem verbarg die Sowjetunion U-Boote mit atomarer Zweitschlagfähigkeit unter dem arktischen Eis. Riesige Radare dienten der Frühwarnung vor anfliegenden Raketen und Bombern. Hoffnung kam auf, als sich Michail Gorbatschow im Kontext seiner Reformbemühungen im Jahr 1987 bei einer Reise zur Kola-Halbinsel dafür aussprach, die Arktis in eine „Zone des Friedens“ zu verwandeln. Daraus ging 1996 der Arktische Rat hervor.

Dieser ist ein zwischenstaatliches Forum, das die acht Arktisanrainer Dänemark (mit Grönland), Finnland, Island, Kanada, Norwegen, die Russische Föderation, Schweden und die USA (mit Alaska), mehrere Beobachterstaaten, darunter Deutschland, und -organisationen sowie sechs Vertretungen indigener Völker zusammenbrachte. Gemeinsame Arbeitsgruppen behandelten bislang Themen wie Umweltschutz, nachhaltige Entwicklung und Katastrophenmanagement in der Arktis. Im Sinne des sogenannten arktischen Exzeptionalismus, der auch die Zusammenarbeit mit Russland gewährleisten sollte, wurde das Thema Sicherheit gezielt nicht diskutiert. Dies reflektiert bisher auch die Arktispolitik der EU.

Die regionale Stabilität ist auch auf ein Geflecht von Abkommen zurückzuführen, das Schifffahrt und Ressourcenmanagement regelt. Der wichtigste Vertrag ist das Seerechtsübereinkommen (SRÜ) der Vereinten Nationen von 1982, welches die Nutzungs- und Kontrollansprüche für den Arktischen Ozean sowie die angrenzenden Gewässer bestimmt und bis heute viele Auseinandersetzungen in dieser Region abwenden konnte. Neue Probleme entstehen jetzt durch die im Sommer immer weiter freischmelzenden Schifffahrtswege wie die Nordwestpassage durch den kanadischen Archipel oder die Nördliche Seeroute entlang der russischen Küste. Die partielle Öffnung dieser Routen hat dazu geführt, dass Akteure wie China ihre Präsenz in der Region in den vergangenen Jahren verstärkt und dort kontinuierlich Investitionen getätigt haben. Zuletzt entdeckte die US-amerikanische Küstenwache wiederholt chinesische und russische Kriegsschiffe in der Ausschließlichen Wirtschaftszone (AWZ) der USA vor Alaska, die dort auch zusammen operierten.

Die immer noch wirtschaftlich unbedeutende und selten genutzte Nördliche Seeroute verkürzt die Reise für Handelsschiffe zwischen Europa und Asien und könnte die Treibstoffkosten um etwa 20 Prozent senken. Die Gesamtkosten samt Bürokratieaufwand sind jedoch deutlich höher als etwa die der Suezkanalroute. Die Arktisklausel des Seerechtsübereinkommens, die eigentlich dem Umweltschutz und der Sicherheit dienen soll, wird von Russland und Kanada angeführt, um ihre Hoheitsrechte auf die nur noch zeitweise eisbedeckten Gewässer auszuweiten. Die Arktisklausel im Artikel 234 des Seerechtsübereinkommens erlaubt aber nur nichtdiskriminierende Gesetze und Vorschriften zur Überwachung, Reduktion und Verhütung von Meeresverschmutzung durch Schiffe in eisbedeckten Gebieten innerhalb der Ausschließlichen Wirtschaftszone.

Neue Erkenntnisse über die Kontinentalplatten könnten dazu führen, dass vereinbarte Gebietsabgrenzungen wieder infrage gestellt werden.

Russland hat aber im März 2019 ein Gesetz erlassen, nach dem ausländische Regierungen die Befahrung der Nordostpassage 45 Tage im Voraus anmelden müssen. Dies schränkt die Freiheit der Schifffahrt ein und folgt dem Ansatz Russlands, die Route hauptsächlich selbst zu nutzen. Die USA, die EU und China stufen Gewässer außerhalb der Zwölf-Meilen-Zone im eisfreien Zustand als internationale Gewässer ein. Kanada und die USA haben sich schon 1988 in einem Arctic Cooperation Agreement darauf geeinigt, dass US-Schiffe Gewässer, die Kanada für sich beansprucht, nur mit Anmeldung bei der kanadischen Küstenwache befahren. Für Meerengen und eisfreie internationale Gewässer gelten klare Regeln, deren Durchsetzung für die internationale Schifffahrt und daher auch für Deutschland wichtig ist. Die USA unternehmen in widerrechtlich beanspruchten Gewässern wie etwa dem Südchinesischen Meer immer wieder sogenannte Freedom-of-Navigation - Operationen, um exzessiven Ansprüchen auf Seegebiete zu widersprechen. Damit sich auch deutsche Schiffe in internationalen Gewässern frei bewegen können, könnte es notwendig werden, in Zukunft auf diesem Recht zu bestehen.

Russland exploriert seit Jahrzehnten den Lomonossow-Rücken im arktischen Meer. 2001 hat Russland eine Fläche von 1,2 Millionen Quadratkilometern, die den Lomonossow-Rücken und den Nordpol einbezieht, als erweiterten Festlandsockel angemeldet. Ein erweiterter Festlandsockel darf jedoch nicht weiter als 350 Seemeilen von der Basislinie des Küstenstaats verlaufen und nicht weiter als 100 Seemeilen über die 2.500-Meter-Wassertiefenlinie hinausgehen. Einen 2.000 Kilometer langen unterseeischen Gebirgsrücken als Festlandrand anzugeben und den 4.300 Meter tiefen Nordpol einzubeziehen, führt den Begriff des Festlandsockels ad absurdum. Die Festlandsockelgrenzkommission der UN kann in solchen Fällen nur eine Empfehlung aussprechen, auf deren Grundlage dann eine politische Einigung gefunden werden muss. Neue, durch das Abschmelzen der Eiskappen ermöglichte Erkenntnisse über die Kontinentalplatten sowie Inseln könnten auch dazu führen, dass zuvor vereinbarte Gebietsabgrenzungen wieder infrage gestellt werden. In der Erklärung von Ilulissat haben sich die Polarstaaten im Mai 2008 verpflichtet, sich bei der Lösung ihrer sich überschneidenden Ansprüche in der Region an die Grundsätze des Seerechtsübereinkommens zu halten. Aufgrund der Seerechtsverletzungen Chinas im Südchinesischen Meer und Russlands Angriffskrieg in der Ukraine wird das Vertrauen in internationale Vereinbarungen wahrscheinlich in Zukunft nicht ausreichen, um Konflikte aufgrund gegensätzlicher Interessen zu verhindern.

 

Das Ende des arktischen Exzeptionalismus und die militärischen Anstrengungen Russlands

Die Zeit des weitgehend friedlichen Miteinanders seit Ende des Kalten Krieges ist vorbei. Der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine seit Februar 2022, dem Ultimaten an die USA und die NATO vorausgingen, hat die Regierungen der westlichen Welt aufgeschreckt. Die Hoffnung, die Beziehungen auch mit autoritären Staaten wie Russland und China regelbasiert und ausschließlich mit Mitteln der Diplomatie zu regeln, ist enttäuscht worden. Die Sanktionsdrohungen haben Russland nicht abgeschreckt. Im März 2022 wurde die Zusammenarbeit mit Russland, das dem Arktischen Rat vorstand, beendet. Die kooperative Forschung in der Arktis wurde eingestellt, sodass die arktische Zone der Russischen Föderation nicht mehr als gemeinsames Forschungsgebiet genutzt werden kann. Trotzdem entschieden sich im Juni 2022 Schweden, Dänemark, Finnland, Island, Kanada, Norwegen und die USA, die Projektarbeit ohne Russland wiederaufzunehmen.

Schon seit 2014 hat Russland auch in der Arktis eine konfrontativere Haltung eingenommen.

Es gab viele Anzeichen, dass Präsident Putin seine Großmachtambitionen und sein Streben nach imperialer Expansion ernst meinte. Schon seit 2014 hat Russland auch in der Arktis eine konfrontativere Haltung eingenommen und seine militärischen Fähigkeiten dort massiv ausgebaut. Die Region ist infrastrukturell nach wie vor schlecht entwickelt, die Finanzmittel Russlands sind begrenzt und der Bevölkerungsrückgang verschärft sich, jedoch zeigt das Verhalten des russischen Regimes in der Ukraine, dass Großmachtambitionen und imperiale Expansion im staatlichen Handeln Russlands wichtiger sind als das Wohlergehen der Bevölkerung und insbesondere der nationalen Minderheiten.

Russland hat in der Arktis vorrangig drei Ziele: Das wichtigste ist die Sicherstellung der atomaren Zweitschlagfähigkeit durch die russische U-Bootflotte auf der Halbinsel Kola. Das zweite Ziel ist der Zugang zum Nordatlantik und den europäischen Arktisgewässern. Das dritte ist die militärische Deckung der russischen Wirtschaftsinteressen und Investitionsvorhaben auch zur Absicherung der kommerziellen Nutzung der künftigen eisfreien Arktisroute zwischen Asien und Europa.

Das wichtigste Mittel Moskaus ist dabei die Nordmeerflotte. Außerdem gibt es neu aufgestellte Kampfverbände mit insgesamt 6.000 Mann, moderne Flugabwehrsysteme an den nördlichen Küsten sowie Transport-, Aufklärungs-, Kommunikations- und Kommandosysteme. Mehrere der seltenen, für die Arktis entwickelten Systeme wurden schon in der Ukraine gesichtet und zerstört. Atomar angetriebene Eisbrecher werden gebaut und ermöglichen auch dem Militär den Zugang zu entlegenen Regionen. Alte Militärbasen und -flughäfen etwa auf der Insel Nowaja Semlja und den Neusibirischen Inseln wurden reaktiviert und modernisiert. 2007 setzte eine U-Boot-Expedition eine russische Fahne auf den Meeresboden am Nordpol – als Symbol für russische Hoheitsansprüche.

 

Der Klimawandel und die wirtschaftliche Bedeutung der Region

Die Meereisausdehnung der Arktis hat sich durch den Klimawandel in den vergangenen vier Jahrzehnten in etwa halbiert. Einst unzugängliche Rohstoffvorkommen können leichter erschlossen und neue Wirtschaftszweige in der Arktis etabliert werden. Moderne Technologien machen es sogar möglich, Rohstoffe unter dem Eis besser zu fördern. Relevante Wirtschaftssektoren in der Arktis sind die Energiewirtschaft, nichtenergetische Bodenressourcen, der Schiffsgüterverkehr, die Fischerei, der Tourismus sowie Land- und Viehwirtschaft. Es ist zu vermuten, dass unter dem Eis noch viele unentdeckte Rohstoffe liegen, die Begehrlichkeiten wecken könnten.

Russland hat eine ganz besondere Abhängigkeit von Einnahmen aus dem Rohstoffsektor, da dieser in einer von Oligarchen dominierten Kleptokratie besondere Vorteile bietet, die von der herrschenden Klasse ausgenutzt werden und der Stabilität des Regimes dienen. Der Export dieser Ressourcen dient aber nicht nur der Bereicherung Einzelner, sondern generiert auch die Gelder, die für die steigenden Militärausgaben benötigt werden. China hingegen benötigt die Ressourcen zusätzlich für die wirtschaftliche Produktion und den privaten Verbrauch. So haben Russland wie auch China besonders starke, mit staatlichen Mitteln hinterlegte Interessen, ihre Einflussbereiche in der Arktis auszudehnen und die reichhaltigen Naturressourcen wie Öl, Gas, Metalle und Fisch auszubeuten. Diese staatlichen Interessen treffen auf weitgehend privatwirtschaftliche Interessen aus den westlichen Industriestaaten, für die auch nicht immer die Erhaltung wertvoller Ökosysteme oder die Interessen indigener Bevölkerungen im Mittelpunkt stehen. Daher sind auch in Zukunft durchsetzbare internationale Abkommen wichtig.

Die deutsche Arktispolitik sollte um den Aspekt der Sicherheit ergänzt werden.

Darüber hinaus ist zu erwarten, dass die Isolierung der Russischen Föderation dazu führt, dass Moskau im Laufe der Zeit wirtschaftlich und technisch immer stärker von Peking abhängig wird, was Chinas Einfluss auf die russische Arktiszone stärken und zum intensivierten Ausbau polarer Infrastrukturprojekte im Rahmen der chinesischen Seidenstraßen führen könnte. Die Sperrung von EU-Häfen für russische Schiffe als Folge der Sanktionen ist in dieser Hinsicht weiterhin von Bedeutung. Die Arktisroute könnte daher zu einer wichtigen Verbindung zwischen Russland und Asien werden, wie jüngste Öllieferungen von Russland nach China verdeutlichen.

 

Handlungsempfehlungen für die Bundesregierung

Aufgrund der russischen und chinesischen Expansionspolitik und der Klimaveränderungen sollte die deutsche Arktispolitik angepasst und um den Aspekt der Sicherheit ergänzt werden. Bisher gibt es hauptsächlich Absichtserklärungen in den Bereichen Umweltschutz und Multilateralismus, aber wenig Veränderung.

Im Vergleich zu seinen Partnern betreibt Deutschland bis jetzt vornehmlich Wissenschaft und Forschung in der Arktis. Durch den offiziellen Beobachterstatus im Arktischen Rat ist es jedoch auch an den Sitzungen in Arbeitsgruppen beteiligt und hat zudem als Signatar des Spitzbergen-Abkommens ein Recht auf wirtschaftliche Nutzung des norwegischen Archipels in der Arktis. Aufgrund seines großen Handelsvolumens ist Deutschland auf einen offenen Zugang zum Meer und sichere Seewege angewiesen. Ein erheblicher Teil der deutschen Energie wird über das Meer bezogen, 60 Prozent des deutschen Handels werden über Schiffe abgewickelt. Dieser Handel erfordert den Respekt Russlands und Chinas für internationale Abkommen oder Entscheidungen der internationalen Gerichtsbarkeit – der jedoch nimmt ab. Beide haben wiederholt einseitig und ohne Ankündigung internationales Recht gebrochen. Vertragstreue ist von Russland unter dem jetzigen Regime nicht zu erwarten. Selbiges gilt für China, sodass sich beispielsweise die Lage im Südchinesischen Meer oder um Taiwan zuspitzen und in einem weiteren Krieg enden könnte.

Daher ist die Eindämmung russischer und chinesischer Macht auch in der Arktis von Interesse. Beide Mächte müssen von unilateralen oder gemeinsamen Veränderungen des Status quo abgehalten werden. So wie im Fall von Dänemark und den USA auf Grönland sollte durch strategische Investitionen des Westens verhindert werden, dass China durch Infrastrukturinvestitionen neue Stützpunkte bauen und wirtschaftliche Abhängigkeiten schaffen kann. Wo man China verantwortungsvoll einbinden kann, sollte dies geschehen, damit die freie Welt die Regeln setzt und nicht die Kommunistische Partei Chinas. Dazu braucht es den politischen Willen, Einigkeit gegenüber China und Russland sowie Instrumente militärischer Abschreckung.

Die NATO hält regelmäßig Übungen im hohen Norden ab, an denen Deutschland teilnimmt. Sie plant nach Aussagen von Generalsekretär Jens Stoltenberg ein stärkeres Engagement in der Arktis und wird die Präsenz dort erhöhen. Nachdem der NATO-Russland-Rat, der seit 2002 als Forum für Arktisthemen diente, seine Arbeit eingestellt hat, muss Sicherheit in der Arktis vermehrt gegen Russland organisiert werden. Dazu dienen auch der Arctic Security Forces Roundtable und die Nordische Verteidigungskooperation (NORDEFCO), in der die fünf nordeuropäischen Arktisstaaten Dänemark, Finnland, Island, Norwegen und Schweden zusammenarbeiten.

Der kürzlich erfolgte beziehungsweise bevorstehende NATO-Beitritt Finnlands und Schwedens, die beide über schlagkräftige Streitkräfte verfügen, wird die Nordflanke der NATO sicherer machen. Russland hat an der Grenze zu Finnland und Norwegen arktistaugliche Streitkräfte abgezogen, die inzwischen in der Ukraine unter schwersten Verlusten eingesetzt wurden: Der Abzug zeigt, dass Russland seine Grenzen zur NATO nicht für gefährdet hält und widerlegt die Bedrohungsrhetorik des Kremls.

Um die Situation in der Arktis beurteilen zu können, braucht die NATO ein Lagebild der Situation in der Luft, im Meer, unter Wasser und auf dem Seeboden, besonders rund um Einrichtungen der kritischen Infrastruktur. Dafür benötigt sie die entsprechenden Sensoren und eine Kommunikationsinfrastruktur. Da es in der Arktis sehr spezieller Fähigkeiten bedarf, wäre es wichtig, diese Spezialfähigkeiten potenzieller Gegner, wie etwa russische oder chinesische Spezial-U-Boote, aufzuklären, die Operationen für die Öffentlichkeit sichtbar zu machen und sie gegebenenfalls an ihrer Mission zu hindern. Die NATO muss über Fähigkeiten verfügen, in der Arktis zu operieren und zu intervenieren, falls dies notwendig wird.

Der Schutz kritischer Infrastrukturen an den Küsten, im Meer und auf dem Meeresboden ist vordringlich. Dafür benötigt die NATO eine entsprechende Ausstattung: Eisbrecher, U-Boote mit Spezialfähigkeiten für Operationen auf dem Meeresboden, sehr ausdauernde Unterwasser-Drohnen, arktistaugliche Schiffe und Seefernaufklärer sowie Spezialeinheiten. Insgesamt wäre es sinnvoll, wenn sich die europäischen Staaten weniger abhängig von den militärischen Fähigkeiten der USA machen würden, ohne die heute kaum eine Operation möglich ist. Die Bundesregierung sollte anregen, im Rahmen der NATO und der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik der EU gemeinsame Fähigkeiten zu entwickeln, das entsprechende Material zu beschaffen und – wenn nötig – einzusetzen.

Jetzt ist auch Deutschland gefragt, einen militärischen Beitrag in der Arktis zu leisten.

Dänemark hat schon reagiert, seine Opt-out-Klausel von der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik der EU abgeschafft und sein Militärbudget zur Stärkung der Luft- und Seeüberwachung der wichtigen Seewege um Grönland stark erhöht. Auch Finnland betrachtet harte Sicherheit als Schlüsselkriterium für wirtschaftliches Wachstum und Stabilität in der Arktis und verfügt über sehr schlagkräftige Streitkräfte sowie eine resiliente Infrastruktur.

Jetzt ist auch Deutschland gefragt, einen militärischen Beitrag in der Arktis zu leisten. Die Marine fordert seit Jahren beispielsweise Fähigkeiten für Operationen unter Wasser und auf dem Meeresboden, wurde aber immer wieder vertröstet. Die deutsche U-Boot-Flotte ist mit sechs Booten bei einem Minimum angekommen, während Russland seine U-Boot-Flotte seit 2014 von 13 auf 60 Boote ausgebaut hat. Die schon angekündigten Kürzungen der Beschaffungen, die aus dem Sondervermögen bezahlt werden sollen, treffen hauptsächlich die Bundesmarine. Fähigkeiten wie der P-8-Poseidon-Seefernaufklärer oder das Schutzsystem Idas, mit dem vom U-Boot aus Flugzeuge, Hubschrauber und andere Schiffe bekämpft werden können, sollten nicht gekürzt werden, da sie auch in der Arktis sehr relevant sind. Bei einem sinkenden Verteidigungsetat und längst verplantem Sondervermögen wird sich die Lage mittelfristig nicht verbessern. Es ist höchste Zeit, dass Bundeskanzler Olaf Scholz seine „Zeitenwende“ auch umsetzt und Worten Taten folgen lässt.

Gleichzeitig sollte die EU im zivilen Bereich überlegen, ob man die Erforschung der Arktis verstärkt fördert, damit wichtige Ökosysteme geschützt werden können. Wichtig ist auch das Verständnis der Folgen der Klimaveränderungen, da sie in der Arktis besonders drastisch ausfallen.

Der Abbau oder die Förderung von Rohstoffen erfordert in der Arktis besondere Vorsicht, da sich die Ökosysteme etwa beim Austreten von Rohöl wesentlich langsamer regenerieren als in unseren Breitengraden. Der Schutz der besonders fragilen natürlichen Umwelt ist eminent wichtig. Sie wird auch durch Altlasten in Form von russischen U-Boot-Wracks auf dem Meeresboden der Arktis bedroht. Die Reaktion auf Kontamination durch Militär, fehlende Umweltstandards beziehungsweise deren mangelnde Umsetzung, Munitionsaltlasten auf dem Meeresboden und Verklappung giftiger Abfälle sollte auf der deutschen wie auch internationalen Agenda stehen, um unseren Kindern einen lebenswerten Planeten zu hinterlassen.

Bedingt durch die Energiewende und den fast kompletten Stopp von Energielieferungen aus Russland nach Europa sollte auch überlegt werden, wie die Ausbeutung fossiler Ressourcen in der Arktis beschränkt werden oder jedenfalls umweltgerecht stattfinden kann. Ähnliches gilt für den industriellen Fischfang und die Verhinderung neuer Kontaminationsquellen, wie etwa durch schwimmende Atomreaktoren. Es gibt also ausreichend kontroverse Themen, die man nach diesem Krieg mit einer russischen Regierung verhandeln muss, um weitreichende Umweltschäden zu verhindern oder zu beseitigen. Gleichzeitig bleibt es für Deutschland sinnvoll und notwendig, internationale Gremien auch ohne Russland zu stärken und an gemeinsamen Projekten mitzuarbeiten.

 


 

Knut Abraham (CDU) ist Bundestagsabgeordneter aus Brandenburg und Mitglied des Auswärtigen Ausschusses sowie des Ausschusses für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe und der Parlamentarischen Versammlung des Europarates in Straßburg.

 


 

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