Ausgabe: 4/2022
Seit Wladimir Putins Angriffskrieg gegen die Ukraine steht Deutschland vor den Trümmern seiner Russlandpolitik. Von Naivität, Blauäugigkeit und der misslungenen Einhegung Russlands durch enge Wirtschaftsbeziehungen ist die Rede. Gleichzeitig haben Chinas ambivalente Haltung zum Krieg in Europa sowie Drohungen einer militärischen Einverleibung Taiwans in Medien und Politik eine neue Debatte zum Umgang Deutschlands mit der Volksrepublik entfacht. Unter Federführung des Auswärtigen Amts erarbeitet die Bundesregierung zurzeit erstmals eine Chinastrategie. Welche Lehren kann man dafür aus dem russischen Angriffskrieg und dessen Folgen ziehen? Um diese Frage zu beantworten, wird der Fokus auf die wachsende Partnerschaft zwischen Peking und Moskau sowie auf Chinas internationale Rolle und Ambitionen gerichtet. Anschließend wird die Frage erörtert, welche Schlussfolgerungen sich daraus für den künftigen Umgang mit der Volksrepublik ergeben. Zunächst aber wird der Entstehungskontext des angekündigten Chinapapiers der Bundesregierung skizziert.
Neue Chinastrategie: Vorsicht, Falle!
„Die Erfahrungen der vergangenen Monate haben Deutschland gelehrt, wie gefährlich es ist, von einzelnen Handelspartnern abhängig zu sein. Und auch wenn sich dieser Tage alles darum dreht, wie möglichst schnell möglichst viel Ersatz für russisches Gas beschafft werden kann – es steht immer auch die Frage im Raum, ob Deutschland nicht an anderer Stelle viel verwundbarer ist. Das Land, aus dem Deutschland mit Abstand die meisten Waren importiert, ist China“, analysierte unlängst die Wirtschaftskorrespondentin Julia Löhr für die Frankfurter Allgemeine Zeitung. Und so stehen auch zwei angekündigte Strategiepapiere des Auswärtigen Amts, die derzeit erarbeitet werden, ganz im Zeichen wachsender internationaler Spannungen und ökonomischer Abhängigkeiten. So soll auf eine „umfassende Nationale Sicherheitsstrategie“ im Frühjahr 2023 die Veröffentlichung einer Chinastrategie folgen. Derweil mehren sich die Anzeichen, dass sich die Bundesregierung mit beiden Papieren auf ein Zeitalter der verstärkten systemischen Rivalität vorbereitet. „Just in time hat ausgedient. Unser Leitbild sollte just in case sein“, fasst die Parlamentarische Staatssekretärin im Bundeswirtschaftsministerium, Franziska Brantner, den Ansatz zusammen. Im Klartext: Unvorbereitet, wie im Falle Russlands, möchte man keinesfalls in einen möglichen Konflikt mit China hineingeraten.
Dass die Bundesregierung erstmals eine Chinastrategie verabschieden wird, ist bereits im Koalitionsvertrag vom Dezember 2021 festgelegt worden. Die Zerschlagung der Demokratiebewegung in Hongkong, Berichte über Men-schenrechtsverletzungen, Folter und Zwangsinternierungen in Xinjiang sowie die offene Drohung einer militärischen Einverleibung Taiwans – all diese Faktoren mehren die Befürchtungen einer zunehmenden Rivalität zwischen Peking und dem Westen. Chinas Unwille, den völkerrechtswidrigen Krieg Russlands gegen die Ukraine als solchen zu verurteilen, und die ungefilterte Verbreitung russischer Propaganda durch chinesische Diplomaten sowie die Staatsmedien haben die Spannungen zuletzt weiter verschärft.
China und Russland – Vereint gegen den Westen?
Seit einigen Jahren inszenieren, ja zelebrieren Russland und China eine Annäherung in den bilateralen Beziehungen. So kam es bereits zu annähernd 40 Treffen zwischen dem chinesischen Präsidenten Xi und Wladimir Putin. Anfang Februar 2022 reiste Russlands Präsident zur Eröffnung der Olympischen Winterspiele nach Peking. Die Gespräche mit Xi mündeten in einer mehr als 5.000 Wörter umfassenden Erklärung. In dem Text erläuterten beide Seiten, dass man „eine weitere Ausdehnung der NATO“ ablehne. Moskau revanchierte sich, indem es Taiwan zum „unveräußerlichen Teil Chinas“ erklärte. Zudem äußerten beide Parteien deutliche Kritik an der Sicherheitspartnerschaft der USA mit Australien und Großbritannien (AUKUS) im Indopazifik, die Mitte September 2021 geschlossen wurde. Umstritten ist, ob Moskau sogar seine Kriegspläne gegen die Ukraine vor dem Angriff mit Peking abgesprochen hat. Fest steht: Experten fürchten schon seit geraumer Zeit einen immer engeren Schulterschluss zwischen dem bevölkerungsreichsten Land und dem größten Flächenstaat der Welt.
Dieser zeichnet sich etwa im militärischen Bereich ab. 2016 und 2017 hielten Russland und China gemeinsame Raketenabwehrübungen in Form von Computersimulationen ab und 2019 enthüllte Moskau, dass Russland die Volksrepublik beim Aufbau eines Raketenangriff-Frühwarnsystems unterstützt. Bereits seit 2005 führen beide Staaten gemeinsame Militärmanöver durch. Aufmerksamkeit erregte etwa ein gemeinsames Kampfjetmanöver Ende Mai 2022. Bei der provokanten Aktion drangen chinesische und russische Kampfjets in die südkoreanische Luftverteidigungszone ein und kamen dem japanischen Luftraum nahe. Sicherheitsexperten wie Brian G. Carlson sehen derweil auch Belege für eine zunehmende chinesisch-russische Kooperation im Bereich der nuklearen Abschreckung.
Zur Annäherung beigetragen haben dabei gemeinsame Interessen, allen voran die Ablehnung der westlichen Ordnung und eines unipolaren US-amerikanischen Führungsanspruchs. So gründeten beide Staaten gemeinsam zwei multinationale Entwicklungsbanken, die als Gegengewicht zur Weltbank und zum Internationalen Währungsfonds fungieren sollen. Zum Ärger Washingtons traten 103 Länder, darunter auch Deutschland, der von Peking initiierten Asiatischen Infrastrukturinvestmentbank bei. Die Schaffung solcher Parallelstrukturen ist ein Dorn im Auge der Vereinigten Staaten. China drängt mit diesen Mitteln auf eine Rolle, die spätestens seit dem Ende des Kalten Krieges den USA vorbehalten schien, und untermauert seine globalen Führungsansprüche. Für China und Russland sind derlei Institutionen ein bedeutsames Vehikel. So präsentieren sich die Autokratien als seriöse Alternativen zum Westen im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit und der Infrastrukturentwicklung.
Um ein formelles Bündnis zwischen den beiden Autokratien handelt es sich jedoch zum jetzigen Zeitpunkt – noch – nicht. So betont Peking, dass es sich bei den Beziehungen zu Moskau um eine Partnerschaft, aber eben kein Bündnis handle. Zweifellos versucht China, die aktuelle Situation bestmöglich für sich auszunutzen: So hat das Land die Bundesrepublik Deutschland im Juni 2022 als größter Importeur russischer Energieträger überholt. Aber nahezu gleichzeitig verkündeten offizielle Quellen aus den USA laut Tagesspiegel, dass es bislang „keine Hinweise darauf (gibt), dass China Russland direkte militärische Unterstützung im Ukraine-Krieg gibt oder dabei hilft, Sanktionen zu umgehen. “China scheint bemüht, sich alle Optionen offenzuhalten. Für diese Politik spricht aus chinesischer Sicht auch, dass es sich zwischen Peking und Moskau keineswegs um eine Partnerschaft auf Augenhöhe handelt. Demzufolge glaubt China, die zweitgrößte Wirtschaftsmacht der Welt, sich nicht eindeutig positionieren zu müssen. Dass es sich dabei um einen Trugschluss handelt, scheint keineswegs ausgemacht: Denn trotz aller Warnungen aus der Politik wuchsen die deutschen Investitionen in China zuletzt weiter kräftig. Allein im ersten Halbjahr 2022 wurde ein Anstieg um 26 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum verzeichnet. Und zahlreiche deutsche Firmen erarbeiten neue Großprojekte. So investiert allein BASF derzeit zehn Milliarden Euro in den neuen Verbundstandort Zhanjiang in der südchinesischen Provinz Guangdong. Der Autozulieferer Hella plant, seine Fertigungskapazitäten mit einem neuen Lichtwerk in Changzhou auszubauen. Zugleich verkündete der Discounter Aldi seine Absicht, Hunderte neue Geschäfte in China zu eröffnen.
Xis Ambitionen
Die Bilder gingen um die Welt: Offenbar gegen seinen Willen wurde Chinas ehemaliger Staatspräsident Hu Jintao beim 20. Parteitag der Kommunistischen Partei Chinas in Peking Mitte Oktober aus dem Saal eskortiert. Seinen Nachfolger Xi Jinping ließ der beispiellose Vorgang anscheinend regungslos in seinem Sessel zurück. Eine Machtdemonstration vor den Augen der Weltöffentlichkeit? Von „Xina“ sprach die Tagesschau und der Spiegel schrieb vom „Allmächtigen“. Spätestens seit Beendigung des Parteitags hat Xi seine Alleinherrschaft innerhalb der Kommunistischen Partei Chinas dauerhaft zementiert und die innerparteiliche Opposition aus deren Machtzentren, dem Politbüro und dessen Ständigem Ausschuss, entfernt. Doch wohin steuert Xi sein Land und inwieweit ergibt sich daraus Konfliktpotenzial mit den westlichen Staaten und ihren Partnern im Indopazifik?
Keine Frage: Unter Xi ist China in den vergangenen zehn Jahren wohlhabender und autoritärer, selbstbewusster und aggressiver geworden. Die Unterdrückung der Uiguren in der Provinz Xinjiang und die Niederschlagung der letzten demokratischen Freiheiten in Hongkong sind zu Symbolen einer wachsenden Aggression Pekings geworden. Zudem hat die Rückendeckung für Putins Angriffskrieg gegen die Ukraine dem Ansehen Chinas nicht nur in Europa immensen Schaden zugefügt. Drohungen gegenüber Taiwan haben zusätzliche Ängste vor einem offenen Systemkonflikt geschürt. Gebietsansprüche erhebt Peking auch in der direkten Nachbarschaft. So erkennt China einen Spruch des Ständigen Schiedshofs in Den Haag aus dem Jahr 2016 nicht an: Im Südchinesischen Meer beansprucht China – im Widerspruch zum Urteil des Schiedshofs – weiterhin praktisch das gesamte Gebiet für sich, erschafft künstliche Inseln und errichtet militärische Infrastruktur.
Wohin Xi sein Land steuert, hat er früh dargelegt: Die chinesische Journalistin Gao Yu leakte nur wenige Monate nach seinem Amtsantritt das sogenannte Dokument Nummer 9. In dem Schreiben warnt die Parteispitze ihre Kader vor „antichinesischen Kräften“ aus dem Westen, vor dem Glauben an „universelle Werte“, „Zivilgesellschaft“ sowie der „westlichen Vorstellung von Journalismus“. Unter Chinafachleuten gilt das Dokument als politische Roadmap Xis. So verdeutlicht das Schreiben, dass China seine Rivalen im Westen verortet, mit Washington als Garanten einer Weltordnung, deren Untergrabung und Überwindung erklärtes Ziel Pekings ist. Mithilfe multilateraler Organisationen, etwa der Schanghaier Organisation für Zusammenarbeit und des Schwellenländerclubs BRICS, ist die Volksrepublik darum bemüht, ihrer Stimme in der Welt Gewicht zu verleihen und die etablierten Institutionen des Westens auszuhöhlen. Und das durchaus mit Erfolg: So verurteilten die BRICS-Staaten, denen auch Brasilien, Indien und Südafrika angehören, Putins Angriffskrieg bei ihrem 14. Gipfeltreffen nicht. Unter Punkt 22 sprachen sich die Staatschefs in ihrer Abschlusserklärung im Juli lediglich für „Gespräche zwischen Russland und der Ukraine“ aus. Ein ungeheurer Vorgang, der ohne den politischen und wirtschaftlichen Druck Pekings wohl kaum denkbar wäre.
China ist wie erwähnt schon heute die zweitgrößte Wirtschaftsmacht der Welt. Bereits 2017 war China der Haupthandelspartner für 120 Länder. Die Volksrepublik ist wichtigster bilateraler Geldgeber für Entwicklungsländer und hält rund 21 Prozent der Schulden aller afrikanischen Länder. Seit 2013 verfolgt China systematisch das Ziel, mit der Seidenstraßen-Initiative Handelswege nach Europa, Südostasien, Afrika und Lateinamerika zu erschließen. Mehr als 100 Länder haben Kooperationsverträge mit der Volksrepublik für den Bau von Bahnlinien, Straßen, Häfen und Flughäfen unterzeichnet. Rund eine Billion US-Dollar hat die Führung in Peking bis 2025 für dieses umfassende Programm eingeplant und einen Großteil dieser Summe bereits investiert.
Auch aufgrund anhaltender US-Sanktionen ist China wirtschaftlich darum bemüht, unabhängiger vom Westen zu werden. Dabei zielt die „Dual-Circulation“-Strategie, die das Zentralkomitee Ende Oktober 2020 verkündete, insbesondere auf eine Förderung des Binnenmarkts sowie auf eine technologische Entkopplung. Dass China bereit ist, seine Wirtschaftsmacht politisch zu instrumentalisieren, hat Xi mehrfach unter Beweis gestellt. So blockiert China seit einem Jahr nahezu sämtliche Einfuhren aus Litauen. Auslöser war die Einrichtung eines „Taiwanbüros“ in der litauischen Hauptstadt Vilnius. Die Reaktion Pekings erfolgte prompt.
Derweil sind sich Beobachter einig, dass das größte militärische Konfliktpotenzial zwischen China und dem Westen der von China angestrebten „Wiedervereinigung“ mit Taiwan innewohnt. So hält der australische Ex-Premier und Sinologe Kevin Rudd ein militärisches Eingreifen der USA im Konfliktfall für wahrscheinlich: „Wenn die Vereinigten Staaten Taiwan nicht mit militärischen Mitteln verteidigen würden, dann würde nach dem Kalkül der USA die eigene Glaubwürdigkeit Risse bekommen, ein guter Verbündeter Japans, Südkoreas und anderer Länder in Asien zu sein.“ Somit stellen Xis Ambitionen den Westen vor immense Herausforderungen, denen zu begegnen auch Aufgabe Deutschlands und der EU ist.
Ein neuer Blick auf China
„Wie kommen wir von China los?“, titelte Mitte August die Wochenzeitung Die Zeit. Und gerade vor dem Hintergrund des Krieges in der Ukraine scheint momentan kaum eine andere Frage die Chinastrategen im Auswärtigen Amt und im Bundeswirtschaftsministerium stärker umzutreiben. So zeigt ein Blick auf die Statistik, wie wichtig China als Handelspartner für Deutschland ist: Das Gesamtvolumen des Außenhandels mit China lag im Jahr 2021 bei knapp 246 Milliarden Euro – jenes mit Russland bei weniger als 60 Milliarden. Damit nicht genug: Die Abhängigkeit Deutschlands ist im Falle Chinas viel komplexer als im Falle Russlands. „Sie betrifft wichtige Rohstoffe (etwa Seltene Erden und die Grundstoffe für den Bau von Batterien), neue Technologien (wie künstliche Intelligenz und 5G-Funktechnik) und schließlich den riesigen chinesischen Markt, an dem vor allem deutsche Großkonzerne hängen.“
Bereits im Mai führte Bundesaußenministerin Annalena Baerbock im Auswärtigen Amt Gespräche mit Siemens-Chef Roland Busch und BASF-CEO Martin Brudermüller, um auszuloten, ob die Unternehmen notfalls in der Lage wären, sich innerhalb weniger Jahre vom Chinageschäft unabhängig zu machen. Laut Medienberichten fielen die Reaktionen verhalten aus. Denn vielen Unternehmen ist der chinesische Markt mit seinen potenziellen 1,4 Milliarden Kunden schlichtweg zu wichtig. So verkaufte allein Volkswagen 2021 rund 3,3 Millionen Fahrzeuge in China und erzielte einen Gewinn von zwölf Milliarden Euro. 28 Prozent seines Umsatzes erzielt Puma in China, Infineon 27 Prozent und auch bei Airbus waren es zuletzt 19 Prozent. Doch reicht das Problem viel tiefer: Fast die Hälfte aller Unternehmen des verarbeitenden Gewerbes in Deutschland sind einer Befragung des ifo Instituts zufolge auf Vorleistungen aus China angewiesen und „(d)ie Abhängigkeit von chinesischen Rohstoffen ist in vielen Fällen sogar noch höher als bei Industrieprodukten“. So werden für Elektromotoren etwa 65 Prozent der Rohstoffe aus China importiert; bei Seltenen Erden ist Deutschland sogar zu mehr als 93 Prozent auf Lieferungen aus China angewiesen.
Der russische Angriff auf die Ukraine hat gezeigt, dass Deutschland und Europa die Spielregeln im Umgang mit autoritären Staaten grundsätzlich überdenken sollten. Es gilt, die Lieferketten und Abhängigkeiten systematisch zu überprüfen. In einem Positionspapier wirbt das ifo Institut insbesondere dafür, dass Deutschland und die EU sich verstärkt um Freihandelsabkommen bemühen, um die Diversifizierungsbestrebungen deutscher Unternehmen politisch wirkungsvoll zu unterstützen. Das Ende Juni geschlossene EU-Abkommen mit Neuseeland kann da nur der Anfang sein. Strategische Partnerschaften und Freihandelsabkommen mit gleichgesinnten Nationen wie den USA zu schließen, sollte Ziel deutscher und europäischer Bemühungen sein. Darüber hinaus gilt es, die Allianzen mit unseren Wertepartnern zu stärken, etwa den demokratischen Mitgliedern der BRICS-Gruppe – Brasilien, Indien und Südafrika. Zudem sollte der Westen seine Partner und potenziellen Verbündeten weltweit stärker in den Blick nehmen. Das im April 2022 überraschend zustande gekommene Sicherheitsabkommen zwischen China und den Salomonen im Südpazifik sollte dem Westen als Beispiel dafür dienen, dass der Wettbewerb um strategische Allianzen bereits in vollem Gange ist.
Die größte Herausforderung besteht jedoch darin, die China-Abhängigkeit einzelner deutscher Großkonzerne zu reduzieren. Die Folgen eines Totalausfalls – etwa im Falle einer militärischen Auseinandersetzung um Taiwan – wären verheerend. Deshalb ist die starke Fokussierung einzelner Großkonzerne auf den chinesischen Markt nicht nur ein unternehmerisches Risiko. Die Politik hat das Problem offensichtlich erkannt, aber ihre Mittel sind begrenzt. So verweigerte das Bundeswirtschaftsministerium im Juni erstmals dem Automobilhersteller Volkswagen Hermes-Bürgschaften für die Teilerneuerung seiner Werke in Xinjiang. „Die Begrenzung von Investitionsgarantien, wie sie im Wirtschaftsministerium diskutiert wird, ist ein erstes Signal, dürfte aber Großkonzerne nicht davon abhalten, weiter zu investieren“, so die ehemalige China-Korrespondentin des Handelsblatts, Dana Heide. Dementsprechend wird über die Frage der ökonomischen Abhängigkeiten von der Volksrepublik wohl auch künftig vor allem in den Vorstandsetagen der Unternehmen entschieden werden.
Einordnung und Ausblick
Die Afrikareise des russischen Außenministers Sergej Lawrow Ende Juli hat abermals aufgezeigt, dass es sich bei dem Systemkonflikt Moskaus und Pekings mit dem Westen auch um einen Wettstreit um Partner und Narrative handelt. So haben chinesische Diplomaten und die Staatsmedien das russische Kriegsnarrativ übernommen, demzufolge die NATO-Osterweiterungen Hauptursache des Krieges in der Ukraine sind. Ein weltweiter Medienmonitor zum Krieg in der Ukraine, den die Konrad-Adenauer-Stiftung über Monate erstellt hat, verdeutlicht eindrucksvoll, dass das russisch-chinesische Kriegsnarrativ in Teilen Asiens, Afrikas und Lateinamerikas durchaus verfängt. So werden etwa vielerorts die westlichen Sanktionen für die sich verstärkende Nahrungsmittelkrise und steigende Preise verantwortlich gemacht. Im Rahmen des angekündigten Chinapapiers der Bundesregierung gilt es deshalb auch, eine Strategie zu erarbeiten, die deutsche und europäische Medien einbezieht, um dem westlichen Diskurs und der europäischen Perspektive auf weltweite Entwicklungen eine stärkere Stimme zu verleihen. Naheliegender Partner für die Erarbeitung einer solchen Strategie ist die Deutsche Welle. Doch auch hier gilt es, europäisch zu denken und voranzugehen.
Keine Frage: Ökonomische Abhängigkeiten und Klumpenrisiken in Bezug auf China zu reduzieren, ist ein richtiger und wichtiger Schritt zur Reduzierung deutscher und europäischer Verwundbarkeiten. Doch sollte die neue deutsche Chinastrategie den Mut aufbringen, mehr zu leisten. Es gilt, deutsche und europäische Interessen klar zu definieren und China die immensen Kosten aufzuzeigen, die im Konfliktfall folgen würden. Darüber hinaus sollte die Chinastrategie entschlüsseln, in welchen Bereichen China tatsächlich Rivale oder gar Gegner des Westens ist und in welchen Bereichen Wettbewerb besteht – der im Zweifel beiden Seiten nützt. Auch sollte der Frage nachgegangen werden, wo wir China als Partner brauchen, etwa beim globalen Kampf gegen den Klimawandel.
Zweifellos zielen China und Russland darauf ab, die westliche Ordnung zu untergraben. Die Drohungen Pekings gegenüber Taiwan müssen ernst genommen werden. Dennoch handelt es sich bei dem Verhältnis zwischen Peking und Moskau um kein formales Bündnis. Alle innewohnenden Chancen dieser Uneindeutigkeit auszuloten, sollte weiterhin Ziel deutscher und europäischer Bemühungen sein. Dass seine erste Asienreise Bundeskanzler Olaf Scholz nach Japan führte, ist als ein deutliches Signal verstanden worden – sowohl an China als auch an die Partner in der Region. Und so liegt es zweifellos vor allem in den Händen Pekings, einen Systemkonflikt mit den USA und dem Westen abzuwenden.
Dennoch: Der sogenannte „Kompromiss“ um den Einstieg des chinesischen Staatsunternehmens Cosco im Hamburger Hafen, den Scholz gegen das Ansinnen von sechs Bundesministerien durchgeboxt hat, ist in diesem Zusammenhang ein fatales Signal – eine Absage an die von ihm eigens verkündete Zeitenwende. Nebenbei hat er auch sämtliche Bemühungen um eine Reduzierung von Abhängigkeiten, die Kern des Chinapapiers des Auswärtigen Amts sein sollen, untergraben. Denn nur eine konsequente Haltung hätte auch gegenüber Peking deutlich gemacht, dass es ein „Weiter so“ in der deutschen Chinapolitik nicht geben wird. Statt die richtigen Lehren zu ziehen, steht die Bundesregierung strategisch mit leeren Händen dar. Dabei werden wir den Wettbewerb um unsere Werte nur mit weniger Naivität, noch mehr Dialog und einer gehörigen Portion Härte bestehen.
Johann Fuhrmann ist Leiter des Auslandsbüros China der Konrad-Adenauer-Stiftung mit Sitz in Peking.
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