Ausgabe: 4/2024
Myanmars Situation im vierten Jahr nach dem Militärputsch
Am 1. Februar 2021 putschte in Myanmar das Militär (Tatmadaw) gegen die demokratisch gewählte Regierung von Staatsrätin Aung San Suu Kyi (ASSK), deren Partei, die National League for Democracy (NLD), bei der Wahl im November 2020 einen überwältigenden Sieg eingefahren hatte. Am Tag der konstituierenden Sitzung des Parlaments wurden Staatsrätin ASSK, Staatspräsident Win Myint sowie hochrangige Parlamentarier verhaftet, der Ausnahmezustand verhängt und das Internet abgestellt. Kurz darauf bildete das Militär den Staatsverwaltungsrat (State Administration Council, SAC), um „Frieden und Ordnung“ wiederherzustellen.
Die Machtübernahme durch die Armee führte zunächst zu weitverbreiteten friedlichen Protesten („Bewegung des zivilen Ungehorsams“) auf den Straßen Myanmars, die von den Sicherheitskräften mit zunehmender Brutalität unterdrückt wurden. Die Militärjunta beging Massentötungen, willkürliche Verhaftungen, Folter, sexuelle Gewalt und andere Misshandlungen: allesamt Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Zudem wurde nach mehr als 30 Jahren wieder die Todesstrafe an vier Männern vollstreckt, die nach kurzen Scheinprozessen verurteilt worden waren. Der Leiter des UN-Menschenrechtsrats, Nicholas Koumjian, erklärte im August 2024, dass das „Militär von Myanmar Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit in alarmierendem Ausmaß“ begehe. Fotos und Berichte über niedergebrannte Dörfer sind keine Seltenheit. Es gibt auch immer wieder Berichte über Luftschläge und Angriffe auf die Zivilbevölkerung, insbesondere im Staat Kachin im Oktober 2022, als bei einer Kundgebung mehr als 100 Zivilisten getötet wurden (Massaker von Hpakant). Laut Koumjian haben die Luftangriffe im Laufe des vergangenen Jahres erheblich zugenommen. Der unabhängige Untersuchungsmechanismus der Vereinten Nationen für Myanmar (Independent Investigative Mechanism for Myanmar, IIMM) berichtete, dass allein in den vergangenen sechs Monaten schätzungsweise mehr als drei Millionen Menschen gezwungen waren, aus ihrer Heimat zu fliehen. Der UN-Menschenrechtskommissar Volker Türk bezeichnete die Situation in Myanmar als „nie endenden Albtraum“. Die unabhängige Hilfsorganisation Assistance Association for Political Prisoners schätzt die Zahl der vom Militär getöteten Menschen (Stand: 23. Oktober 2024) auf 5.871, außerdem wurden weitere 27.569 Menschen verhaftet, wobei andere Schätzungen noch weitaus höher liegen.
Hinzu kommt, dass die Menschen unter dem Anfang Februar 2024 vom SAC in Kraft gesetzten Wehrpflichtgesetz (Männer: 18 bis 35 Jahre; Frauen 18 bis 27 Jahre) leiden, das die Abwanderung von Fachkräften und talentierten Jugendlichen aus ganz Myanmar in die Nachbarländer weiter verstärkt hat. Die wirtschaftliche Lage wird sich in naher Zukunft weiter verschlechtern, wie ein aktueller Bericht der Weltbank feststellt. Ein Großteil der Fortschritte, die während der Phase der Öffnung des Landes, insbesondere unter der Zivilregierung der NLD ab dem Jahr 2015, erzielt worden waren, wurden zunichtegemacht; die Hälfte der Bevölkerung lebt inzwischen unterhalb der Armutsgrenze.
Jahrzehnte unter Militärherrschaft
Es ist bei Weitem nicht das erste Mal, dass die Bevölkerung Myanmars und insbesondere die verschiedenen ethnischen Minderheiten in den Grenzregionen unter der Herrschaft und den Gräueltaten des Militärs leiden. Nach einem Militärputsch im Jahr 1962 übernahm General Ne Win die Macht und riegelte das Land für mehr als ein halbes Jahrhundert vollständig ab. Alle nachfolgenden Militärdiktatoren regierten das Land mit eiserner Hand. Friedliche Proteste für mehr Mitsprache, Demokratisierung und Transparenz, wie 1988 und 2007, wurden blutig niedergeschlagen, massive Wahlniederlagen der vom Militär gestützten Parteien, wie beim Sieg der NLD 1990, wurden nicht eingestanden und Oppositionelle wie ASSK wurden schon damals unter Hausarrest gestellt.
Im Jahr 2005 verlegte die Militärregierung die Hauptstadt von Yangon nach Naypyidaw und drei Jahre später änderte sie die Verfassung, wodurch das Militär die Kontrolle über drei Ministerien erhielt: Verteidigung, Grenz- und Innenpolitik. Die Tatmadaw hat außerdem einen festen Anteil von 25 Prozent der Parlamentssitze im Ober- und Unterhaus, was gleichzeitig eine Sperrminorität für Verfassungsänderungen darstellt. Die Verfassung von Myanmar aus dem Jahr 2008 schränkt die Beteiligung der vielen ethnischen Minderheiten am politischen Geschehen stark ein und entfremdet sie von Institutionen wie dem Parlament und den Ministerien.
Die größte ethnische Gruppe Myanmars sind die Bamar. Sie stellen etwa 69 Prozent der Bevölkerung und leben hauptsächlich im Kernland, während ethnische Minderheiten wie die Chin, Mon, Shan, Kachin und Karen hauptsächlich in den Grenzgebieten zu Bangladesch, Indien, China und Thailand leben. In diesem Zusammenhang wird oft von „ethnischen Staaten“ gesprochen, die jeweils von einer ethnischen Gruppe dominiert werden, die im nationalen Maßstab eine Minderheit ist.
Mit der Ernennung von Thein Sein (der selbst eine lange Militärvergangenheit hat) zum nominell zivilen Präsidenten im Jahr 2011 begann eine allmähliche Öffnung des Landes, die 2015 zu freien und fairen Wahlen und einem Wahlsieg der NLD führte. Unter der von der NLD geführten Regierung der Staatsrätin ASSK wurde der nationalen Aussöhnung im Rahmen der Panglong-Friedenskonferenzen Priorität eingeräumt. Ziel war es, bewaffnete Organisationen der ethnischen Minderheiten und die Tatmadaw an den Verhandlungstisch zu bringen, sie zur Unterzeichnung eines landesweiten Waffenstillstandsabkommens zu bewegen und die Aussicht auf ein stärker dezentralisiertes und gerechteres Myanmar zu erörtern. Diese Ziele spielen auch in aktuellen Diskussionen wieder eine Rolle.
Schon seit der Unabhängigkeit des Landes haben sich ethnische Minderheiten gegen das Militär aufgelehnt, um sich und ihre Identität gegen die aufeinanderfolgenden Diktatoren zu verteidigen, die eine Politik der „Burmanisierung“, einer erzwungenen Assimilation, verfolgten. Diese reichte von einem Verbot des Unterrichts der Geschichte, Sprache und Kultur der jeweiligen Ethnie bis hin zu militärischen Angriffen, Menschenrechtsverletzungen und Gräueltaten an Zivilisten. Die Tatmadaw ignorierte die Bestrebungen der ethnischen Minderheiten nach Selbstbestimmung oder gar Abspaltung und versuchte, die nationale „Einheit“ durch militärische Gewalt zu erzwingen. Das Militär betrachtet sich immer noch als „Hüter der Einheit“ mit dem Auftrag, das Land vor dem Auseinanderbrechen zu bewahren.
Breite Anti-Militär-Koalition
Kurz nach dem erneuten Staatsstreich von 2021 wurde durch das Komitee zur Vertretung der Pyidaungsu Hluttaw (Committee Representing Pyidaungsu Hluttaw, CRPH) die vorläufige Regierung der Nationalen Einheit (National Unity Government, NUG) von Myanmar gebildet, deren Autorität sich aus dem Wählervotum von 2020 ableitet. Die NUG setzt sich aus NLD-Abgeordneten und weiteren Parlamentariern zusammen, die durch den Putsch entmachtet wurden und jetzt die Exilregierung bilden. Auf der politischen Ebene arbeitet sie eng mit den Organisationen der ethnischen Minderheiten, wie der Kachin Independence Organization (KIO), der Karen National Union (KNU), der Karenni National Progressive Party (KNPP) und der Chin National Front (CNF), auch als K3C bezeichnet, und weiteren ethnischen politischen Gruppierungen zusammen. Diese Zusammenarbeit erstreckt sich zunehmend auch auf die militärische Ebene, wo die People’s Defense Force (PDF) als militärischer Arm der NUG agiert.
Dabei ist es von entscheidender Bedeutung, dass der Widerstand breite Teile der Gesellschaft umfasst, sowohl die Bamar als auch die ethnischen Minderheiten. „Die weitverbreitete Anti-Junta-Bewegung hat sich von der Forderung, die Wahlergebnisse von 2020 wiederherzustellen, […] zu einer radikalen und intersektionalen Frühlingsrevolution entwickelt, die darauf abzielt, die Beziehungen zwischen Staat und Gesellschaft in Myanmar grundlegend zu verändern.“ Beinahe alle Widerstandsgruppen sind sich einig, dass das Militär eine Bedrohung für die Menschen in Myanmar darstellt und einer besseren Zukunft für das Land im Weg steht. Das Militär in Myanmar ist zutiefst unbeliebt und wird – außer von seinen Kumpanen und den ihm verbundenen Familien und Unternehmen – von der überwältigenden Mehrheit als Feind des Staates angesehen.
Die Lage des Militärs im Jahr 2024 – der „Feind des Staates“
Der bewaffnete Widerstand aus den Reihen der Organisationen der ethnischen Minderheiten und der PDF hat sich zuletzt professionalisiert. Insbesondere nachdem die mächtige Three Brotherhood Alliance (bestehend aus drei bewaffneten ethnischen Organisationen) im Oktober 2023 eine umfassende und sehr erfolgreiche Offensive (Operation 1027) im nördlichen Staat Shan gestartet hat, wächst der Druck auf das Militär. Die an der Grenze zu China gelegene Stadt Laukkaing, die für Glücksspiel, Prostitution und Online-Betrug bekannt ist und die Militärjunta zuvor mit wichtigen Devisen versorgt hatte, wurde eingenommen.
Im April 2024 griffen Drohnen zum ersten Mal in der Geschichte die Militärhochburg und Hauptstadt Myanmars, Naypyidaw, an. Im August 2024 eroberte die Myanmar National Democratic Alliance Army (MNDAA), die Teil der Three Brotherhood Alliance ist, die ebenfalls in Shan gelegene nördliche Stadt Lashio. Dort befindet sich ein regionales Kommandozentrum des myanmarischen Militärs. Die Stadt liegt an einer wichtigen Handelsroute nach China. Im Oktober 2024 waren 53 Städte in den Staaten Chin, Karenni, Shan, Rakhine, Kachin und Karen unter der Kontrolle der Oppositionskräfte. Diese Erfolge gegen das Militär sind beispiellos in der Geschichte Myanmars. Der Verlust der Kontrolle über die Grenzgebiete bedeutet auch, dass das Militär keinen oder nur noch begrenzten Zugang zu den wichtigen Handels- und Kommunikationsverbindungen nach Indien, China und Thailand hat. In diesen Gebieten, insbesondere im Nordosten, florieren der Drogenanbau und der illegale Handel mit Holz, Jadesteinen und Waffen.
Die Junta übt zwar weiterhin die Kontrolle über das bevölkerungsreiche und wirtschaftlich wichtige Kernland aus, zu dem auch Großstädte wie Yangon und Mandalay gehören, doch sie steht vor ganz neuen Herausforderungen. Berichte bezeugen Überläufer aus den Reihen des Militärs und Kapitulationen. Im August 2024 kursierten Gerüchte, dass der Armeechef von seinen Generälen gestürzt worden sei, was die schlechte Moral des Militärs unterstreicht, die sich Berichten zufolge auf einem historischen Tiefstand befindet. Diese Entwicklung hat dazu geführt, dass junge Menschen zwangsweise zu den Streitkräften eingezogen werden. Die personellen Kapazitäten des Militärs sind erschöpft, sodass es nicht in der Lage ist, Truppen zu rotieren oder zu verlegen oder nach dreieinhalb Jahren Kampf an verschiedenen Fronten verlorenen Boden zurückzugewinnen.
Die Junta bemüht sich verzweifelt um internationale Anerkennung, um das Land offiziell und als einziger Akteur nach außen vertreten zu können. Abgesehen von Nordkorea, Russland und China ist das Land weiterhin international fast vollständig isoliert. Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine bindet auch russisches Kriegsmaterial, was wiederum bedeutet, dass insgesamt weniger militärische Ausrüstung nach Myanmar geliefert werden kann. Allerdings wurden die Vorstöße der Rebellen laut einem kürzlich erschienenen Artikel der Washington Post zuletzt immer häufiger aufgehalten, da das Militär überlegene, von Russland gelieferte Drohnen einsetzt. Angesichts des Mangels an Alternativen und Devisen sowie der strengen internationalen Sanktionen wenden sich die Generäle Myanmars nun an Nordkorea, um Waffen zu kaufen. Ungeachtet dieser Entwicklungen sind Prognosen über einen bevorstehenden Zusammenbruch der Junta verfrüht und irreführend, da die Tatmadaw immer noch viele Soldaten in ihren Reihen hat, militärtechnisch überlegen ist und ein Klima der Angst herrscht, das sich entlang der Hierarchie durchzieht.
Regionale Lösungen für Myanmar?
Einige Monate nach dem Putsch, im April 2021, einigten sich der Verband Südostasiatischer Nationen (ASEAN) und die Junta von Myanmar auf einen sogenannten Fünf-Punkte-Konsens. Myanmar ist einer der zehn Mitgliedstaaten der ASEAN und daher haben die EU, die USA und die Nachbarländer ihre Erwartung zum Ausdruck gebracht, dass die ASEAN im Mittelpunkt der Konfliktlösung steht und diese leitet.
Der „Konsens“ beinhaltete ein sofortiges Ende der Gewalt im Land, einen Dialog zwischen allen Parteien, die Ernennung eines Sondergesandten, humanitäre Hilfe der ASEAN und einen Besuch des Sondergesandten in Myanmar, um Gespräche mit allen Parteien zu führen. Nach nur zwei Tagen erklärte das Militär jedoch, dass „die Vorschläge der ASEAN in Betracht gezogen werden, wenn sich die Lage stabilisiert hat“ und dass „die Wiederherstellung von Recht und Ordnung“ Vorrang haben werde. Im Oktober 2021 verweigerte die Junta dem ASEAN-Sondergesandten für Myanmar den Besuch von ASSK und anderen inhaftierten Mitgliedern der demokratisch legitimierten Regierung. Dies war eine Vorbedingung für seinen Besuch, der daraufhin abgesagt wurde.
Auf dem mit Spannung erwarteten ASEAN-Gipfel im September 2023 unter indonesischem Vorsitz wurde eine Einigung über einen Abschnitt in der Abschlusserklärung erzielt. Dennoch hat die ASEAN seit dem Staatsstreich keine wirklichen Fortschritte im Umgang mit Myanmar erzielen können.
Da 2024 Laos den Vorsitz innehat, waren die Erwartungen an eine Lösung unter regionaler Führung zuletzt gering, denn das Land kopierte vor allem die Vorgehensweise Kambodschas, mit den Generälen nach dem Prinzip der stillen Diplomatie zu verhandeln. Zum ersten Mal, seit die ASEAN Myanmar im Jahr 2021 die Entsendung von politischen Vertretern untersagt hatte, hat Laos im Rahmen seines Vorsitzes einen hochrangigen Vertreter des Außenministeriums Myanmars eingeladen, das mit dem Militär verbunden ist.
Die Staats- und Regierungschefs der ASEAN sind sich nach wie vor uneins, wie sie mit der Krise in Myanmar umgehen sollen, vor allem aufgrund der unterschiedlichen politischen Systeme innerhalb der ASEAN, die von Demokratien wie Indonesien über Autokratien wie Kambodscha bis hin zu konservativen Monarchien wie Brunei reichen, oder wegen historischer Verflechtungen mit den Generälen in Naypyidaw. So besuchte der ehemalige kambodschanische Premierminister Hun Sen 2021 das Militärregime und Thailands ehemaliger Premierminister Prayut Chan-o-cha (der 2014 ebenfalls durch einen Staatsstreich an die Macht kam) unterhielt Kontakte zur Militärregierung, was von Indonesien und Malaysia heftig kritisiert wurde, die eine strengere und entschiedenere Haltung gegenüber der Junta forderten. Mit dem Amtsantritt von Paetongtarn Shinawatra in Thailand im August 2024 und dem Führungswechsel in Singapur, wo Premierminister Lawrence Wong im Mai das Amt übernahm, wurden insgeheim neue Impulse erhofft, was sich jedoch nicht erfüllte.
Während das Thema Myanmar bei den ASEAN-Gipfeln oder -Außenministertreffen immer wieder in den Mittelpunkt gerückt wird, um „Einigkeit“ zu demonstrieren und zu fördern, scheint ein Durchbruch innerhalb der ASEAN höchst unrealistisch. Das gemeinsame Kommuniqué während des indonesischen Vorsitzes im Jahr 2023 deutete bereits an, dass die ASEAN nicht in der Lage ist, diese „interne Krise“ in Myanmar zu lösen, und räumte ein, dass es an der Zeit sei, externe Akteure einzuladen. Dies wird nun durch Thailands Vorstoß für informelle Konsultationen auf ASEAN-Ministerebene zu Myanmar Mitte Dezember konkreter, wobei das Forum möglicherweise für benachbarte Akteure wie Indien und China geöffnet wird. Aufgrund seiner langjährigen Beziehungen zu ethnischen Gruppierungen entlang der Grenze und zu den Generälen in der Hauptstadt hat China erheblichen Einfluss auf die Innenpolitik Myanmars.
Malaysia wird 2025 das fünfte Land sein, das sich als Inhaber des ASEAN-Vorsitzes seit dem Staatsstreich 2021 mit der Krise in Myanmar auseinandersetzen muss. Es wird erwartet, dass der malaysische Premierminister Anwar Ibrahim, der sich bisher sehr stark auf außenpolitische Aspekte konzentriert hat, den Konflikt in Myanmar erneut ansprechen wird, obwohl ein einzelner Mitgliedstaat wegen des Einstimmigkeitsprinzips nicht viel ausrichten kann.
Wie kann es weitergehen?
Angesichts der bereits erwähnten militärischen Siege in den von ethnischen Minderheiten bewohnten Staaten und des Ausbleibens von Gesprächen zwischen den Konfliktparteien versuchen die meisten oppositionellen ethnischen Gruppierungen, in den von ihnen kontrollierten Gebieten De-facto-Staaten einzurichten, und haben bereits damit begonnen, Übergangsregelungen zu treffen. Wie bereits dargestellt, haben einige Staaten im Norden, Nordosten und Osten des Landes seit der Unabhängigkeit Myanmars erbitterten Widerstand gegen die Militärherrschaft geleistet und für Selbstbestimmung und mehr Autonomie gekämpft. Das Ziel, de facto unabhängig zu werden, scheint nun realistischer denn je. Die betreffenden Staaten erbringen in den von ihnen kontrollierten Gebieten grundlegende staatliche Dienstleistungen wie Sicherheit, Bildung und Gesundheit. Im Staat Shan und in der Selbstverwaltungszone Kokang beispielsweise haben sich im Laufe der Jahre Parallelstrukturen herausgebildet. Das Gebiet der Karen National Union hat sich seit dem Militärputsch stark vergrößert. Wenn sich die zahlreichen bewaffneten ethnischen Gruppierungen weiterhin an der Seite der PDF dem bewaffneten Widerstand anschließen und ihre zum Teil strittigen und widersprüchlichen Ansprüche aufgeben, könnten sie wesentlich zur Beendigung der Militärherrschaft in Myanmar beitragen.
Einige ethnische Minderheitengruppen in Myanmar streben inzwischen nach größerer Autonomie, Demokratisierung und Föderalismus, einschließlich einer möglichen Abspaltung von Myanmar in einem eigenen souveränen Staat, während andere Gruppen vor allem ihr Territorium und ihren Einflussbereich ausweiten wollen.
Es ist wichtig zu erkennen, dass bereits Debatten über einen „Nachkriegsstaat“ oder ein „Myanmar nach der Junta“ geführt werden, die auf eine Zeit ausgerichtet sind, in der das Militär besiegt oder nicht mehr in einer einflussreichen Position ist. Die Akteure fordern eine größere Kontrolle über die Ressourcen des Landes, eine gerechtere Vertretung im Parlament und ein echtes föderales System, das den Staaten mit ethnischen Minderheiten mehr Entscheidungsbefugnisse einräumt. Diese und ähnliche Forderungen wurden bereits während der Verhandlungen nach der Unabhängigkeit Myanmars erhoben – bei der Bildung und Diskussion der Union of Burma (früherer Landesname) auf der Grundlage des Panglong-Abkommens. Sie wurden in den Panglong-Friedenskonferenzen unter der Führung von Aung San Suu Kyi und ihrer NLD ab 2016 wieder aufgegriffen und werden nun erneut erhoben.
Es ist wenig überraschend, dass die Junta andere Pläne hat: Sie wird versuchen, im Jahr 2025 vor den für November geplanten Wahlen eine Volkszählung durchzuführen, um sich zu legitimieren. Abgesehen von der Tatsache, dass das Militär derzeit weniger als die Hälfte des Landes kontrolliert, ist die Mehrheit der Menschen dazu übergegangen, eine Zukunft ohne Militär und eine vollständige Umstrukturierung des Gemeinwesens zu planen. Eine unter dem Militärregime durchgeführte Wahl wäre alles andere als fair und frei. Die internationale Gemeinschaft sollte jedoch gewarnt sein, da einige Länder (auch in der ASEAN) dies als willkommene Option zur Normalisierung ihrer Beziehungen zu Myanmar sehen könnten.
Unterdessen beseitigt das Militär systematisch die Spitzenfunktionäre der NLD, indem es ihnen medizinische Versorgung während ihrer Gefangenschaft vorenthält. Vier der älteren Führer sind bereits gestorben, drei weitere wurden inhaftiert. U Nyan Win, ein hochrangiger Berater der abgesetzten Regierungschefin ASSK, starb im Insein-Gefängnis von Yangon an einer COVID-19-Infektion. Monya Aung Shin, ein hochrangiger Führer und Sprecher, starb einen Monat nach seiner Entlassung aus der Untersuchungshaft in Yangon an einem Herzinfarkt. Zaw Myint Maung, stellvertretender NLD-Vorsitzender und ehemaliger Ministerpräsident der Region Mandalay, erlag einer Leukämieerkrankung, nachdem ihm eine angemessene medizinische Behandlung verweigert worden war. Die 79-jährige Staatsrätin ASSK, der 71-jährige Präsident Win Myint und der 83-jährige NLD-Schirmherr Win Htein befinden sich weiterhin in Haft, was in der Bevölkerung Besorgnis über ihren Gesundheitszustand auslöst. Bei der Beerdigung von Zaw Myint Maung versammelten sich trotz des Drucks des Militärs etwa 10.000 Menschen, um ihm die letzte Ehre zu erweisen.
Gemeinsam mit seinen europäischen und internationalen Partnern begleitete und unterstützte Deutschland den allmählichen politischen Wandel und die Öffnung des Landes durch Entwicklungszusammenarbeit und förderte insbesondere auch die Panglong-Friedenskonferenzen auf der Grundlage des landesweiten Waffenstillstandsabkommens, die im Idealfall zu einer nationalen Aussöhnung beitragen sollten.
Es ist beeindruckend zu sehen, wie die kurze Zeit der Öffnung unter der NLD dazu beigetragen hat, dass die Bevölkerung demokratische und freiheitliche Prinzipien übernommen hat. Das war nach dem Militärputsch von 2021 zu spüren und rief Reaktionen hervor, die von einer anfänglichen Bewegung des zivilen Ungehorsams und weitverbreiteten friedlichen Protesten auf den Straßen bis hin zur Gründung der PDF und der Bildung von Bündnissen zwischen den bewaffneten ethnischen Gruppierungen führten.
Eine Lösung des Konflikts muss in erster Linie von den Nachbarländern vorangetrieben werden, aber auch die internationale Gemeinschaft hat die Aufgabe, das Bewusstsein für diesen zunehmend übersehenen Konflikt zu schärfen. Je mehr der Putsch in die Vergangenheit rückt, desto mehr besteht die Gefahr, dass Myanmar zu einem „stillen Konflikt“ wird, der weit entfernt ist von der Aufmerksamkeit, die dem Gazastreifen und der Ukraine zuteilwird, und der dennoch unermessliches Leid für die gesamte Bevölkerung, sowohl für die Bamar als auch für die ethnischen Minderheiten, mit sich bringt, deren Zukunft durch die Kompromisslosigkeit der Junta verbaut wird.
– übersetzt aus dem Englischen –
Moritz Fink ist Trainee im Regionalprogramm Politikdialog Asien der Konrad-Adenauer-Stiftung in Singapur. Im Jahr 2017 lebte und arbeitete er in Myanmar.
Saw Kyaw Zin Khay ist Research Fellow bei der Konrad-Adenauer-Stiftung in der Abteilung Asien und Pazifik.
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