Ausgabe: 2/2022
Unbemerkt von weiten Teilen der Öffentlichkeit feiert 2022 mit der Gemeinsamen Agrarpolitik eines der wichtigsten Politikfelder der Europäischen Union seinen 60. Geburtstag. Gestartet 1962 mit den ersten Marktordnungen für landwirtschaftliche Produkte, prägt sie bis heute die Landwirtschaftspolitik der Mitgliedstaaten. Die GAP beansprucht rund 40 Prozent des EU-Haushalts und ist das einzige Politikfeld der EU, das nahezu ausschließlich aus dem gemeinsamen Haushalt finanziert wird.
Das Jubiläum steht nun allerdings unter ganz anderen Vorzeichen als noch bis vor Kurzem erwartet. Nachdem über die vergangenen Jahre und Jahrzehnte der Umwelt- und Klimaschutz immer mehr Bedeutung innerhalb der GAP erlangt hat, rückt mit dem russischen Angriff auf die Ukraine am 24. Februar 2022 nun wieder das Ziel in den Vordergrund, zu dem die Gemeinsame Agrarpolitik in Europa einmal ins Leben gerufen wurde: die Versorgungssicherheit. Nach den Zerstörungen des Zweiten Weltkrieges und der damit verbundenen Unterversorgung der Bevölkerung sollte die GAP zunächst einmal die Lebensmittelversorgung der Menschen in Europa gewährleisten und den Landwirtinnen und Landwirten einen angemessenen Lebensstandard ermöglichen.
Noch während die Europäische Kommission zu Beginn des laufenden Jahres die nationalen Pläne ihrer Mitgliedstaaten für mehr Klima- und Umweltschutz in der Landwirtschaft prüfte – das jüngste Instrument, das die EU in ihrem Streben nach einem nachhaltigen Agrarsektor konzipiert hatte –, kam es zu dem Ereignis, das nun alle Politikfelder überlagert: Durch den Krieg in der Ukraine wird die Europäische Union zu tiefgreifenden Richtungsentscheidungen gezwungen und fest verankerte politische Leitlinien werden öffentlich zur Disposition gestellt. Die bisherige Verteidigungspolitik wird hinterfragt und die europäische Energiepolitik, die durch eine Abhängigkeit von russischem Gas gekennzeichnet ist, neu ausgerichtet. Der Agrarsektor rückt ebenfalls in den Fokus, da viele landwirtschaftliche Erzeugnisse aus Russland und der Ukraine stammen: So entfallen rund ein Drittel der weltweiten Weizenexporte, 19 Prozent der Maisexporte und 80 Prozent der Sonnenblumenölexporte auf die beiden Staaten. Der Krieg und die damit einhergehende Zerstörung von landwirtschaftlicher Infrastruktur sowie die Blockade wichtiger Handelsverbindungen führen dazu, dass essenzielle Lieferketten unterbrochen werden. Welche Auswirkungen auf die Lebensmittelversorgung in Europa sind vor diesem Hintergrund zu erwarten?
Eine Versorgungskrise wird es in Europa aufgrund des hohen Selbstversorgungsgrads voraussichtlich nicht geben. Dennoch führen unterbrochene Lieferketten zu Preisanstiegen und erhöhter Preisvolatilität auf den internationalen Märkten, die sich in steigenden Lebensmittelpreisen niederschlagen können. Die Folgen von erhöhten Preisen sind auch in wohlhabenden Industriestaaten wie Deutschland nicht zu unterschätzen, da sie insbesondere Menschen mit geringem Einkommen treffen und die gesellschaftliche Spaltung forcieren. Folglich ist es von großer Bedeutung, dass die Regierung nicht nur Maßnahmen gegen die hohen Energiepreise initiiert, sondern auch alle vorhandenen Hebel in Bewegung setzt, um die erhöhten Ausgaben für Grundnahrungsmittel zu kompensieren.
Betrachtet man die potenziellen Auswirkungen, die der Krieg auf die Versorgungssicherheit außerhalb Europas hat, so deuten sich bereits zukünftige Konfliktherde an: Viele Staaten in Nordafrika, im Nahen und Mittleren Osten sowie in Subsahara-Afrika decken ihren Getreidebedarf durch Importe aus Russland und der Ukraine. Besonders betroffen ist Ägypten, das rund 80 Prozent seiner Weizenimporte aus den beiden Ländern bezieht. Der Krieg hat dazu geführt, dass binnen drei Wochen die Brotpreise um die Hälfte gestiegen sind und mittlerweile rund zwei Drittel der Bevölkerung subventioniertes Brot erhalten. Steigende Lebensmittelpreise und Versorgungsengpässe können konfliktverschärfend wirken und die gesamte Region destabilisieren. Im Arabischen Frühling 2011 hat die Weizenknappheit die Menschen auf die Straße getrieben und zur Eskalation beigetragen. Manche Beobachter halten es sogar für möglich, dass sich die Versorgungsengpässe zu einem „Arabischen Frühling 2.0“ entwickeln. In Subsahara-Afrika lassen sich ebenfalls besorgniserregende Entwicklungen beobachten: Seit Beginn des Krieges sind die Weizenpreise in Kenia um ein Drittel gestiegen. Gleichzeitig ist auch in weiteren Staaten die Nahrungsmittelsicherheit gefährdet und erneute Konflikte können nicht ausgeschlossen werden.
Unweigerlich stellt sich nun die fundamentale Frage, ob die großen Zielsetzungen der Gemeinsamen Agrarpolitik in Bezug auf den Umwelt- und Klimaschutz, die hier zunächst in ihrer historischen Entwicklung dargestellt und bewertet werden sollen, vor diesem Hintergrund überhaupt erreicht werden können.
Ein kurzer Blick zurück
In der Gemeinsamen Agrarpolitik spiegelt sich eine der größten politischen Achsenverschiebungen innerhalb der Europäischen Union wider: Der Klima- und Umweltschutz wurde aus seinem Schattendasein befreit und zur Top-Priorität aufgewertet. Bereits die MacSharry-Reform von 1992, die eine am Markt orientierte Agrarpolitik einführte, stellt einen Meilenstein für die Implementierung von Klima- und Umweltschutz in der GAP dar, weil den Landwirtinnen und Landwirten dadurch „die Verantwortung für die Erhaltung des ländlichen Raums und seiner biologischen Vielfalt sowie für die umsichtige Nutzung unserer natürlichen Ressourcen Boden, Luft und Wasser“ übertragen wurde.
In den folgenden Förderperioden wurde der Klima- und Umweltschutz im Rahmen der GAP weiter ausgebaut. Heute besteht die Gemeinsame Agrarpolitik aus zwei Säulen: Die erste Säule bilden die Direktzahlungen an die Landwirtinnen und Landwirte, die je Hektar landwirtschaftlicher Fläche gewährt werden, während die zweite Säule gezielte Förderprogramme beinhaltet, um die ländliche Entwicklung sowie eine nachhaltige und umweltschonende Bewirtschaftung zu unterstützen. Seit 2005 müssen Landwirtinnen und Landwirte ordnungsrechtliche Standards (Cross Compliance-Regelungen) in den Bereichen Umweltschutz, Lebens- und Futtermittelsicherheit, Pflanzen- und Tiergesundheit sowie Tierschutz einhalten, um Agrarzahlungen zu erhalten. Das Instrument des Greening, das in der Förderperiode von 2014 bis 2020 eingeführt wurde, verpflichtete Betriebe mit mehr als 15 Hektar Fläche dazu, Dauergrünland zu erhalten, Fruchtartenvielfalt auf dem Acker zu gewährleisten sowie fünf Prozent an sogenannten ökologischen Vorrangflächen (etwa Landschaftselemente, Stilllegungsflächen oder Pufferstreifen) nachzuweisen. Mit dem russischen Angriff wird indes zunehmend hinterfragt, inwieweit derlei Vorgaben noch zu halten sind, wie im Folgenden noch zu thematisieren sein wird.
Die Förderinstrumente der Gemeinsamen Agrarpolitik sind nicht mehr nur auf die Lebensmittelversorgung und die Einkommenssicherung der Landwirtinnen und Landwirte begrenzt, sondern haben sich im Laufe ihrer Geschichte dahingehend weiterentwickelt, dass die Belange des Klima- und Umweltschutzes adressiert wurden. Dieser Paradigmenwechsel zeigt sich auch in den Zielvorgaben, die von der Europäischen Union für die GAP definiert wurden. So soll diese „zur Bekämpfung des Klimawandels und zu einer nachhaltigen Bewirtschaftung der natürlichen Ressourcen beitragen“.
Überschaubare Wirkungen auf den Umwelt- und Klimaschutz
Die Förderperiode von 2014 bis 2020, die mit großen Erwartungen in Bezug auf den Klima- und Umweltschutz verbunden war, zeichnete sich allerdings durch eine ausgeprägte Dysfunktionalität aus und konnte folglich kaum Erfolge erzielen. Kritikerinnen und Kritiker fokussierten sich in ihren Analysen vor allem auf das Instrument des Greening, das den Treibhausgasemissionen sowie dem Biodiversitätsverlust kaum entgegenwirken konnte. So wies das Umweltbundesamt bereits 2017 am Beispiel der Mitgliedstaaten Frankreich, Niederlande, Dänemark und Österreich nach, dass die Umsetzung des Greening aus Sicht des Umwelt- und Naturschutzes wenig ambitioniert sei, da meist nur ökologische Vorrangflächen mit geringem Effekt ausgesucht wurden. Die Studie kommt folglich zu der Bewertung, dass „das Greening zur Umsetzung von Natur- und Umweltschutz nur einen geringen Beitrag leistet und Zielsetzungen des Natur- und Umweltschutzes vielfach weiterhin in erster Linie durch die zweite Säule umzusetzen [seien]“
Im Gegensatz dazu kommt der im Dezember 2021 veröffentlichte Abschlussbericht der Europäischen Kommission zur Förderperiode von 2014 bis 2020 zu einer weniger negativen Einschätzung: Die Gemeinsame Agrarpolitik biete „ein hohes ‚grundlegendes Schutzniveau‘ für die Umwelt“, unter anderem, da 84 Prozent der Agrarflächen in der Europäischen Union von den Cross Compliance-Regelungen abgedeckt werden. Die Greening-Prämie, die rund 30 Prozent der Zahlungen in der ersten Säule ausmachte, verhindere – laut Einschätzung der Kommission – zwar eine weitere Schädigung der Umwelt, könne aber ihr Potenzial nicht entfalten, da die Förderinstrumente nicht genügend Anreize für alle Betriebe geboten hätten. Um die Einschätzung entsprechend einzuordnen, betonte die Europäische Kommission in ihrem Bericht, dass die Umwelt von verschiedenen Faktoren beeinflusst werde und sich die Nettoeffekte der GAP nur schwer beurteilen ließen. Die Analysen deuten somit darauf hin, dass die Grundidee des Greening einen richtigen Schritt darstellt, es in der konkreten Umsetzung aber Schwierigkeiten gab. Hinsichtlich des Klimaschutzes konstatierte der Abschlussbericht der Kommission, dass diesem und der Anpassung an den Klimawandel in den Mitgliedstaaten nur eine geringe Priorität beigemessen und wenig Mittel dafür ausgegeben wurden. Obwohl vielfältige Instrumente zur nachhaltigen Bewirtschaftung der natürlichen Ressourcen und zum Klimaschutz innerhalb der GAP zur Verfügung standen, wurden nicht alle diese Angebote von den Mitgliedstaaten angenommen.
Klima- und Umweltschutz genießt hohe Priorität in Europa
Mit dem European Green Deal, den Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen am 11. Dezember 2019 vorgestellt hat, wird das ambitionierte Ziel verfolgt, Europa zum ersten klimaneutralen Kontinent zu machen. Bei den vielfältigen Initiativen, die der Deal umfasst, wird auch die Landwirtschaft in den Fokus genommen, beispielsweise im Rahmen der Biodiversitätsstrategie oder der Strategie „Vom Hof auf den Tisch“ (Farm to Fork Strategy). Beide Strategien verfolgen nicht nur das Ziel, die Ernährungssicherheit zu gewährleisten, sondern gleichzeitig auch den ökologischen und klimatischen Fußabdruck der Lebensmittelproduktion in Europa zu verringern. Konkret wird beispielsweise angestrebt, bis 2030 mindestens 25 Prozent der landwirtschaftlichen Flächen in der EU ökologisch zu bewirtschaften und den Einsatz von Dünge- und Pflanzenschutzmitteln drastisch zu reduzieren. Allerdings stellen die Strategien noch kein unmittelbar geltendes Recht dar. Dass der Fokus auf die Landwirtschaft gerichtet wird, ist dabei wenig überraschend, denn der Agrarsektor ist für rund 10,5 Prozent der Treibhausgasemissionen in der Europäischen Union verantwortlich. Zudem lassen sich auch besorgniserregende Biodiversitätsverluste in Agrarlandschaften verzeichnen, da den Tier- und Pflanzenarten die Nahrungsgrundlage sowie die Brut- und Rückzugsmöglichkeiten fehlen. Der 2019 veröffentlichte Sonderbericht des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) über Klimawandel und Landsysteme (SRCCL) verweist darauf, dass der Klimawandel den Druck auf die Landsysteme, also die Nutzung von Land durch den Menschen, verstärke und die Existenzgrundlage vieler Menschen gefährde. Diese Entwicklungen stellten die bisherige Klima- und Umweltpolitik der Mitgliedstaaten infrage. In dieser Gemengelage fand die Ausarbeitung der Gemeinsamen Agrarpolitik für die neue Förderperiode statt. Zweifelsohne war der Klima- und Umweltschutz verstärkt zu adressieren.
Weitreichende Reformen in der GAP ab 2023
Die neue Förderperiode der Gemeinsamen Agrarpolitik, die am 1. Januar 2023 beginnen wird, zeichnet sich durch ihre „Grüne Architektur“ aus und sieht vielfältige Veränderungen vor. Die damalige Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner beschrieb die Reformen 2021 dahingehend, dass es „einen Systemwechsel in der GAP geben [wird], der ein Mehr an Umwelt- und Klimaschutz mit wirtschaftlichen Perspektiven für die Landwirte und die ländlichen Räume verbindet“ Wie sehen die Reformen konkret aus?
Mit der Einführung einer „erweiterten Konditionalität“ wird ein Instrument geschaffen, das die bisherige Greening-Prämie sowie die Cross Compliance-Regelungen zusammenfügt und durch zusätzliche Standards erweitert. Landwirtinnen und Landwirte erhalten nur dann Einkommensstützung, wenn sie sich an die „erweiterte Konditionalität“ halten. Die bisherigen Cross Compliance-Regelungen werden folglich verschärft. In die Praxis übertragen bedeutet die „erweiterte Konditionalität“ beispielsweise, dass vier Prozent der Ackerflächen stillgelegt werden müssen.
Die größte Neuerung stellt die Einführung von Eco Schemes (Öko-Regelungen) dar. Hierbei handelt es sich um freiwillige, einjährige Umweltmaßnahmen, mit deren Umsetzung die Landwirtinnen und Landwirte zusätzlich zur Einkommensstützung weitere Gelder abrufen können. Streitpunkt war lange Zeit die Frage, wie viel Geld für die Eco Schemes in der ersten Säule zur Verfügung gestellt werden sollte. Nach vielen Verhandlungsrunden konnte man sich am Ende auf 25 Prozent einigen. In der zweiten Säule werden weiterhin Umwelt- und Klimaschutz sowie andere Bewirtschaftungsmethoden gefördert. So müssen die Mitgliedstaaten beispielsweise Maßnahmen zur Unterstützung des ökologischen Landbaus oder zum Erhalt der Wälder anbieten. Zudem müssen 40 Prozent des gesamten GAP-Budgets für den Klima- und Umweltschutz verwendet werden. Diese Entscheidung steht in Zusammenhang mit dem Bekenntnis der EU, bis zum Ende der jetzigen Haushaltsperiode zehn Prozent ihres Budgets für den Erhalt der Biodiversität zu verwenden.
Die Gemeinsame Agrarpolitik ab 2023 stellt auch deswegen einen Systemwechsel dar, weil sie sich auf ein neues Umsetzungsmodell stützt: Erstmalig müssen alle Mitgliedstaaten einen Nationalen Strategieplan für die erste und zweite Säule auf Basis einer SWOT- (Stärken/Schwächen/Chancen/Risiken) und Bedarfsanalyse erstellen und zur Genehmigung bei der Europäischen Kommission einreichen. Nach dem Eingang der Strategiepläne hat die Europäische Kommission drei Monate Zeit, um Stellung zu beziehen. Im Anschluss erfolgt die Überarbeitung und Neueinreichung durch die Mitgliedstaaten. Der Zeitplan ist ambitioniert, denn die reformierte GAP soll bereits im Januar 2023 in Kraft treten. Die Einführung von Nationalen Strategieplänen ist dahingehend positiv zu bewerten, dass die heterogenen landwirtschaftlichen Strukturen in Europa besser berücksichtigt werden und die Mitgliedstaaten beispielsweise diejenigen Maßnahmen für die Eco Schemes auswählen können, die für die Bedürfnisse ihrer Landwirtinnen und Landwirte am besten geeignet erscheinen. Ein weiterer Vorteil dieses Umsetzungsmodells besteht darin, dass die Strategiepläne jährlich angepasst werden können. Folglich ist eine regelmäßige Evaluierung der Maßnahmen möglich, sodass die Mitgliedstaaten flexibel reagieren können, wenn sie feststellen sollten, dass die Wirkung von Maßnahmen unzureichend ist. Wissenschaftliche Erkenntnisse können ebenfalls zeitnah eingearbeitet werden. Die Nationalen Strategiepläne haben somit das Potenzial, zum Dreh- und Angelpunkt einer effektiveren Förderung des Klima- und Umweltschutzes in den Mitgliedstaaten im Rahmen der GAP zu werden.
Mitten in diese sinnvollen Reformpläne platzt nun der Krieg in der Ukraine. Ergibt sich dadurch ein unauflösbarer Zielkonflikt mit dem Streben nach Versorgungssicherheit?
Der Ukrainekrieg schärft den Blick für das Kerngeschäft
Die Gemeinsame Agrarpolitik steht einerseits in der Verantwortung, den Klima- und Umweltschutz noch entschiedener voranzutreiben, damit die langfristige Transformation hin zu einer nachhaltigen Landwirtschaft erreicht werden kann. Dieser Handlungsauftrag darf jedoch den Blick auf die eigentliche Kernaufgabe der Landwirtschaft nicht verschleiern: Landwirtinnen und Landwirte produzieren gesunde und nachhaltige Lebensmittel, womit sie unsere Ernährungssicherheit gewährleisten. Die damalige Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner hat dieses Selbstverständnis treffend zusammengefasst: „Eine nachhaltige Landwirtschaft muss Umweltbelange stärker beachten, aber sie darf dabei die Ernährungssicherung nicht aus dem Blick verlieren.“ Wenig überraschend ist diese Kernaufgabe auch in den Zielen der Gemeinsamen Agrarpolitik verankert, die „Landwirtinnen und Landwirte unterstützen und die Produktivität in der Landwirtschaft verbessern [soll], um eine sichere Versorgung mit bezahlbaren Nahrungsmitteln zu gewährleisten“Der Ukrainekrieg hat – wie schon die Coronapandemie – unterstrichen, dass insbesondere eine regionale Wertschöpfungskette zu fördern ist, um Nahrungsmittelengpässe zu verhindern.
Der Krieg und seine Auswirkungen haben die Versorgungssicherheit als traditionelle Kernaufgabe der Gemeinsamen Agrarpolitik wieder in den Fokus gerückt und dabei exemplarisch das Spannungsverhältnis zwischen Umweltschutz und Versorgungssicherheit aufgezeigt. Geplante Maßnahmen, beispielsweise jene, vier Prozent der Flächen für den Klima- und Umweltschutz stillzulegen, erscheinen vor dem Hintergrund drohender Versorgungsengpässe kontraproduktiv und müssen daher überdacht werden. In Deutschland fordern Politikerinnen und Politiker der Union folgerichtig, die nationale und internationale Agrarpolitik zu überprüfen, und stellen fest, dass auch eine zeitliche Verschiebung der anspruchsvolleren Klima- und Umweltziele der Gemeinsamen Agrarpolitik nicht auszuschließen sei.Ungeachtet dessen hält Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir an den verpflichtenden Stilllegungsflächen fest und vermeidet Forderungen nach einer Nachjustierung der Gemeinsamen Agrarpolitik.
Die Akzentverschiebung sollte in jedem Fall nicht als exkulpatorische Absicht verstanden werden, um auf den notwendigen Klima- und Umweltschutz zu verzichten. Ernährungssicherheit und eine wettbewerbsfähige Landwirtschaft auf der einen, Umwelt- und Klimaschutz auf der anderen Seite ergeben keine kontradiktorische Bedingung, sondern stehen untrennbar miteinander in Verbindung, da Landwirtinnen und Landwirte auf eine intakte Natur angewiesen und von den Auswirkungen des Klimawandels betroffen sind. Die aktuellen Entwicklungen zeigen aber auf, dass gefährdete Lieferketten nur dann stabilisiert werden können, wenn es in Europa auch weiterhin Landwirtinnen und Landwirte gibt, die eine produktive, resiliente und nachhaltige Lebensmittelversorgung sicherstellen. Die GAP darf folglich nicht nur auf die Erfüllung von Klima- und Umweltschutzzielen begrenzt werden, sondern muss – nicht nur vor dem Hintergrund des Ukrainekrieges – in all ihren Aufgaben und Facetten gedacht werden.
Fazit und Ausblick
Die Gemeinsame Agrarpolitik blickt auf eine lange Geschichte zurück und adressiert spätestens seit der MacSharry-Reform 1992 auch den Umwelt- und Klimaschutz. Vielfältige Instrumente wie das Greening wurden in der weiteren Entwicklung geschaffen, um die Treibhausgasemissionen zu reduzieren und die biologische Vielfalt zu schützen. Ihre Resultate blieben hinter den Erwartungen zurück, konnten aber einen Transformationsprozess einleiten, der sich in der Grünen Architektur der künftigen Förderperiode widerspiegelt. Dieser Prozess wurde mit dem Ukrainekrieg, der gravierende Auswirkungen auf die weltweite Ernährungssicherheit hat, abrupt zur Diskussion gestellt: Fortan stellt sich die Frage, wie die europäische Landwirtschaft die Versorgungssicherheit gewährleisten kann und wie eine optimale Unterstützung betroffener Schwellen- und Entwicklungsländer auszusehen hat. Vielfältige Maßnahmen der GAP, beispielsweise die Stilllegungsflächen, stehen folglich zur Disposition. Der Klima- und Umweltschutz tritt zugunsten eines Primats der Ernährungs- sicherheit in den Hintergrund. Dennoch bleiben Klimawandel und Biodiversitätsverlust auch weiterhin drängende Probleme, die von der Gemeinsamen Agrarpolitik adressiert werden müssen. Inwieweit sich der Krieg in der Ukraine langfristig auf die GAP auswirken wird, lässt sich zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht bestimmen. Fest steht aber, dass auch zukünftig ein agrarpolitischer Balanceakt höchster Akrobatik erforderlich sein wird, um die verschiedenen Interessen in Einklang zu bringen sowie das Spannungsverhältnis zwischen Klima- und Umweltschutz und Versorgungssicherheit aufzulösen.
André Algermißen ist Referent für Klima, Landwirtschaft und Umwelt in der Hauptabteilung Analyse und Beratung der Konrad-Adenauer-Stiftung.
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