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Die Ministerpräsidentenfrage und der Nahost-Fahrplan: Das Ende einer Illusion?

Der erste Ministerpräsident der Palästinenser Mahmud Abbas verkörperte das Dilemma zwischen dem realpolitischen Ansatz, einen konsequenten Verhandlungskurs einzuschlagen und dem ohnmächtigen Versuch, einen komatösen Friedensprozess zu reanimieren. Sein Rücktritt, der nicht unerwartet kam, entblößte noch einmal die unwägbaren politischen Realitäten nicht nur im israelisch-palästinensischen Konflikt, sondern auch mit Blick auf die Machtverhältnisse in Palästina.

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Der Rücktritt eines Hoffnungsträgers

Nach gerade einmal hundert Tagen im Amt reichte der palästinensische Premier Mahmud Abbas seinen Rücktritt ein. Er selbst begründete seinen Entschluss mit der mangelnden Bereitschaft Israels, den Friedensplan umzusetzen, der fehlenden Neutralität der USA und der Agitation von Seiten palästinensischer Kreise gegen seine Regierung. Schließlich hielt sich auch das Parlament mit der von ihm geforderten Rückendeckung für seinen Reformkurs und im Konflikt mit Arafat zurück. Die Öffentlichkeit sah in Mahmud Abbas die Marionette der USA und Israels, zumal das Amt des Ministerpräsidenten unter internationalem Druck, insbesondere auf Betreiben der USA zur besseren Umsetzung der Road Map eingerichtet worden war. Dass Abbas seinem Volk auch keine Friedensdividende vorweisen konnte, schwächte ihn zusätzlich.

In den vier Monaten seiner Amtszeit musste Abbas einen erbitterten Machtkampf gegen Arafat austragen. Im Kern ging es um die Kontrolle über die Sicherheitskräfte, von der sich der Premier eine bessere Verhandlungsposition gegenüber den radikalislamischen Gruppen versprach. Die Bündelung der Kontrolle über die Sicherheitskräfte hätte ein klares Mandat für ein überzeugendes Einschreiten gegen Gewalt bedeutet, auch wenn Abbas die radikalen Gruppen zwar nicht zerschlagen, aber zur Waffenruhe zwingen wollte. Arafat wiederum torpedierte erfolgreich die Konsolidierung aller palästinensischen Sicherheitskräfte unter Kontrolle von Regierungschef Mahmud Abbas, indem er sich weigerte, die Fäden zu den wichtigsten Zweigen des Sicherheitsapparates aus der Hand zu geben.

An diesem Konflikt manifestiert sich das grundsätzliche Problem in der palästinensischen Exekutive, nämlich ihre Doppelköpfigkeit: Dem palästinensischen Nicht-Staat stehen ein Präsident und ein Premier mit sich überschneidenden Kompetenzen vor. Zugleich offenbart sich am Trotzverhalten Arafats das Bestreben sein politisches Überleben zu sichern. Ein Mann, der international isoliert und irrelevant erklärt worden ist, kann nur durch die Sicherung seiner Machtposition im Innern seine Relevanz unter Beweis stellen. Schließlich hätte die Ausweitung der Kompetenzen des Ministerpräsidenten die endgültige Entmachtung Arafats auch innerhalb der Palästinensischen Autonomiebehörde bedeutet.

Ahmed Qurei als neuer Amtsträger

Vor diesem Hintergrund überrascht die Nominierung des bisherigen palästinensischen Parlamentspräsidenten Ahmed Qurei als künftigen Ministerpräsidenten durch Arafat und den verschiedenen PLO-Gremien wenig. Qurei gilt als gemäßigter Pragmatiker und Arafat-nah. Er vertrat die palästinensische Seite in den Geheimverhandlungen, die zum Friedensabkommen von Oslo führten. Seit 1996 ist er Parlamentspräsident und die Nummer drei in der Fateh hinter Arafat und Abbas.

Ähnlich wie Mahmud Abbas, genießt auch Ahmed Qurei kein hohes Ansehen innerhalb der palästinensischen Bevölkerung. Laut Umfragen liegt seine Popularität bei 1%. Hinzu kommt, dass Qurei Korruptionsvorwürfen ausgesetzt ist. Vor allem während seiner Tätigkeit als Chef der SAMED (Palästinensische Gesellschaft für Märtyrerarbeit), einer Gesellschaft, die Märtyrerfamilien (Zu diesen „Märtyrerfamilien gehören auch die Angehörigen von Selbstmordattentätern) durch einkommensschaffende Projekte unterstützt, wurde ihm Korruption vorgeworfen. SAMED besitzt zahlreiche Unternehmen in arabischen und afrikanischen Ländern.

Qurei hat die Übernahme des Amtes als Ministerpräsident akzeptiert aber zugleich an eine Unterstützung durch die USA und die Europäische Union geknüpft. Zugleich forderte er eine Wende in der israelischen Politik zugunsten der Implementierung der Road Map. Als Ziel verkündete er die Verbesserung der Lebensbedingungen für die Palästinenser sowie die Aushandlung eines Waffenstillstands mit Israel. Bis hierhin unterscheiden sich seine Ambitionen kaum von denen seines Vorgängers. Allerdings legte Qurei eindeutig klar, dass er ohne Unterstützung Arafats nicht regieren werden könne.

Wie das Kabinett von Qurei aussehen wird, ist noch unklar. Zunächst war daran gedacht, ein 8-köpfiges Krisenkabinett überwiegend mit Sicherheitsleuten wie Nasser Youssef, Jibril Rojoub und Mohammad Dahlan einzuberufen. International geachtete Politiker wie Finanzminister Salam Fayyadh oder Außenminister Nabil Sha´th sollten ihre Positionen behalten. Die Kabinettsbildung wurde allerdings vor dem Hintergrund der jüngsten Ereignisse vorerst verschoben. Nach der Entscheidung des israelischen Sicherheitskabinetts Arafat auszuweisen, hat die palästinensische politische Elite entschieden, mit der Kabinettsbildung zunächst noch zu warten. Derzeit blockieren die USA, dass die israelische Entscheidung auch in die Tat umgesetzt wird.

Solange Arafat die Fäden in der Hand hält, wird ein neues Kabinett keine politische Veränderung mit sich bringen außer einem Namenswechsel im Ministerpräsidentenamt. Den Erfolg des neuen Regierungschefs werden an erster Stelle die USA und Israel beurteilen. Ihre Meßlatte wird das effektive Vorgehen der Regierung gegen die Hamas und andere militante Organisationen sein. Die Frage ist nur, warum sollte dies Qurei besser gelingen als Abbas. Desweiteren wird der Erfolg des neuen Ministerpräsidenten von der palästinensischen Öffentlichkeit beurteilt werden, die die Verbesserungen ihrer Lebensbedingungen insbesondere durch Erleichterungen durch die israelischen Sicherheitskräfte erwartet. Auch hier stellt sich die Frage, warum Israel Qurei mehr Zugeständnisse einräumen sollte, als Abbas, der das Vertrauen Israels genoss. Die USA und die Europäische Union haben zwar ihre Bereitschaft signalisiert, den möglichen neuen palästinensischen Regierungschef Ahmed Qurei zu unterstützen. Allerdings erscheint es zweifelhaft, dass die israelische Regierung Qurei wegen seiner Nähe zu Arafat als gleichberechtigten Verhandlungspartner akzeptieren wird.

Nie zuvor hatten die USA, Europa, Russland, aber regionale Akteure wie Ägypten so einmütig auf einen Politiker gesetzt wie auf Abbas. Sein Rücktritt macht in dieser Situation die Krisenregion zu einem potenziellen Pulverfass. Israel erklärte bereits, der jüdische Staat keine Situation hinnehmen werde, in der die palästinensische Autonomiebehörde einem Arafat treu ergebenen Ministerpräsidenten geführt werde.

Die Zukunft der Road Map

Israel besteht weiter darauf, dass die Regierung in Ramallah gewaltsam gegen Hamas- und Islamischer-Jihad-Extremisten vorgeht und deren Infrastruktur zerstört. Dies aber dürfte an erster Stelle daran scheitern, dass keine palästinensische Regierung einen Bürgerkrieg riskieren kann und daher auf Verhandlung mit den radikalen Gruppen setzen muss. Eine Verhandlungslösung mit Hamas und anderen militanten Gruppen wird aber dadurch erschwert, dass Israel an der Liquidierung der Führungsrige insbesondere der Hamas festhält. Ein eindeutiges Signal wurde mit dem Anschlag auf Scheich Yassin, dem geistlichen Führer der Hamas, gesetzt. Den Islamisten wurde die Botschaft gesandt, dass keiner aus ihrer Führungsriege vor israelischen Angriffen sicher ist. Dies jedoch kurbelt den Vergeltungsdrang der Hamas-Anhänger an. Insbesondere vor dem Hintergrund der neuen Selbstmordanschläge durch die Hamas, prophezeien Beobachter, das Israel das Westjordanland und den Gazastreifen vollständig wiederbesetzen wird. Nur ein Grund dürfte Israel davon abhalten: die Sorge, am Ende allein für die Verwaltung und Finanzierung der besetzten Gebiete verantwortlich zu sein.

Unter diesen Vorzeichen ist das endgültige Scheitern der Friedensbemühungen unter dem Begriff Road Map nicht zu übersehen, auch wenn diplomaten nach wie vor zumindest verbal an dem internationalen Friedensplan festhalten. Mit der Isolierung von Arafat ist die Politik der USA und Israels jedenfalls gescheitert. Wie zum Hohn hat Arafat den Nahost-Friedensplan für tot erklärt.

Nun geht es darum, die totale Konfrontation zu verhindern. Israel und Hamas bedrohen sich mit wechselseitiger Vernichtung. Arafat, den die Israelis marginalisieren wollten, ist wieder im Spiel. Daran ändert nichts, dass Israel und die USA ihn für irrelevant erklären. Es wird keinem Nachfolger von Abbas gelingen, sich gegen einen Mann zu behaupten, der trotzallem das Idol des palästinensischen Widerstandes bleibt. Um diese Spirale der Gewalt endlich zu stoppen, gebietet es die Vernunft, die palästinensische Regierung mit allen Kompetenzen auszustatten. Dazu scheint es notwendig zu sein, Arafat wieder als Partner anzuerkennen – sei es auch nur formell.

Als Erstes müssen die Amerikaner beide Seiten zwingen, beide Seiten dazu zwingen an den Verhandlungstisch zurückzukehren und Gewalthandlungen einzustellen. Dann kommt es darauf an, die palästinensische Führungskrise dauerhaft zu beenden. Dazu muss Arafat begreifen, dass der künftige Regierungschef die volle Entscheidungsmacht über den palästinensischen Sicherheitsapparat benötigt. Abbas Nachfolger Qurei muss zwei Herausforderungen begegnen: Bekämpfung der radikalen islamistischen Gruppen und Bewahrung seiner Unabhängigkeit von Arafat. Beides ist miteinander verflochten, weil die Kontrolle über die Sicherheitskräfte der Schlüssel für die Bekämpfung der genannten Organisationen bleibt. Der Machtkampf zwischen Präsident und Premier hat der palästinensischen Seite und dem gesamten Friedensprozess enorm geschadet. Dass Arafat aber auf absehbare Zeit die wichtigste Identifikationsfigur der Palästinenser bleiben wird, müssen auch Jerusalem und Washington akzeptieren. Eine Zwangsausweisung Arafats wird gewiss nicht helfen, den Friedensprozess wiederzubeleben.

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Dr. Annette Ranko

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24. März 2003
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