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Palästina: Neue Regierung – Alte Probleme

Ahmad Qurei, alias Abu Ala, stellte am 12. November 2003 in Ramallah seine neue Regierung vor und ließ sich sogleich vom Palästinensischen Legislativrat (PLC) mit 48 zu 13 Stimmen bei 5 Enthaltungen das Vertrauen aussprechen. Das neue Kabinett wird mit Qurei zusammen aus 26 Ministern bestehen. Die meisten Minister sind altbekannt, fast alle gelten als loyale Gefolgsleute von Präsident Yasser Arafat.

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Nach dem Rücktritt von Mahmoud Abbas, dem ersten Premier Palästinas, war Ahmad Qurei, der von 1996 bis zum November 2003 das Amt des Parlamentspräsidenten inne hatte, Anfang September 2003 von Arafat mit der Bildung einer neuen Regierung beauftragt worden. Die Regierungsbildung erwies sich jedoch als schwieriges Unterfangen. Erst nach mehreren Wochen des Tauziehens zwischen Arafat und dem neuen Premier Qurei konnte die Regierung verkündet werden. Es waren wieder einmal Differenzen mit Arafat bezüglich der Kontrolle über die Sicherheitsdienste, die für die wochenlange Verzögerung bei der Vorstellung des Kabinetts verantwortlich waren.

Mehr als zwei Monate zog sich die Regierungskrise hin. Erst blieben die Palästinenser wochenlang führungslos, dann bekamen sie unter Missachtung der Verfassung per Präsidialdekret ein Notkabinett vorgesetzt. Am 6. Oktober 2003 rief Arafat per Präsidentendekret den Notstand über die Palästinensischen Autonomiegebiete aus. Offiziell wurde diese Entscheidung mit dem Selbstmordanschlag in Haifa am 5.10.2003 begründet, bei dem 19 Menschen ums Leben kamen. Kritischen Beobachtern zufolge ging es aber Arafat im wesentlichen um die Verhinderung der drohenden Ausweisung durch das israelische Militär und vor allem um Wiedererlangung der Macht. Es wurde eine Übergangsregierung unter Qurei eingesetzt, die innerhalb einer 30-tägigen Frist die Minimalverwaltung aufrecht erhalten sollte. Während dieser Zeit sollte dann eine neue Regierung gebildet werden.

Qurei drohte zu Beginn der Frist seinen Rücktritt an, da ihm der fehlende Rückhalt im Parlament und der Streit mit Arafat um die Machtbefugnisse des Innenministeriums eine konstruktive Regierungsarbeit scheinbar unmöglich machten. Der Konflikt mit Arafat spitzte sich schließlich zu, als General Nasser Youssef, Qureis Wunschkandidat für das Amt des Innenministers, nicht bereit war, den Posten ohne die Gesamtkontrolle der Sicherheitskräfte anzutreten. Ohne die vorherige Vertrauenszusage des Parlamentes lehnte der General zudem eine Vereidigung unter Arafat ab. Dadurch entsagte sich Youssuf, der zuvor als Arafat-Vertrauter galt, dessen Wohlwollen und gesellte sich somit zu den Reformern der Fatah-Organisation.

Wie am Ende jeden Machtkampfes setzte sich Präsident durch. Personell und organisatorisch: Neuer Innenminister wurde Hakam Balawi, ehemaliger PLO-Botschafter in Tunesien und Vertrauter Arafats. Ihm obliegt damit die Umsetzung der Sicherheitspolitik, die vom Nationalen Sicherheitsrat bestimmt wird. Dem Sicherheitsrat steht Arafat vor und sein Vertrauter, Innenminister Balawi, stellt den Generalsekretär, darüber hinaus gehören dem Rat auch General Nasser Youssef, Premier Qurei, Finanzminister Fayyad und der Ex-Geheimdienstchef Jibril Rajoub an. Die Kompetenzaufteilung wurde konkret wie folgt geregelt: dem Innenminister allein obliegt die Kontrolle der Zivilen Verteidigung, des Präventiven Sicherheitdienstes und der Polizei. Die Geheimdienste sowie die Nationalgarde werden vom Sicherheitsrat unter dem Vorsitz von Arafat beaufsichtigt.

Das wichtigste Kennzeichen der Qurei-Regierung ist der immense Einfluss Arafats auf Struktur und Zusammensetzung. Als politischer Pragmatiker versuchte Qurei, die Fehler seines Vorgängers Mahmoud Abbas zu vermeiden. Abbas war zwar Wunschkandidat der Israelis und der Amerikaner, bei den Verhandlungen jedoch konnte er wenig konkrete Ergebnisse erzielen. Ahmad Qurei achtet mehr darauf, innerhalb der palästinensischen Machtstrukturen Balance zu halten, um Recht und Ordnung in den Autonomiegebieten wiederherzustellen.

Erstmals hat er Vertreter der "jungen Garde" der Fatah ins Kabinett geholt, unter ihnen Kadura Fares, einen Vertrauten des inhaftierten Intifada-Vordenkers Marwan Barghuti sowie Jamal Shubaki als Minister für Kommunalverwaltung. Zugleich behielt er den international wegen seiner Integrität und Kompetenz geschätzten Finanzminister Salam Fayyad an seiner Seite. Ohne Fayyad als obersten Buchhalter in Ramallah müsste er befürchten, dass die internationalen Geberländer kaum in die Autonomiegebiete investieren würden. Eingerichtet wurde auch ein neues Ministerium, das sich den Frauenangelegenheiten annehmen soll. Diesem steht logischerweise eine Frau – Zuhira Kamal, ehem. Direktorin der KAS Partnerorganisation Women Affairs Technical Comitee – vor. Damit sind mir ihr zwei Frauen im Kabinett vertreten.

Qurei will Berichten zufolge in der nächsten Woche mit seiner Regierung über die Bekämpfung der Gewalt militanter Gruppen beraten. Er will nach eigenen Aussagen die Extremistengruppen zu einer vollständigen Einstellung aller Angriffe auf Israelis bringen und dann eine umfassende Waffenruhe mit Israel vereinbaren. Damit versucht Qurei dem Druck der Amerikaner auszuweichen, für die eine palästinensische Regierung einen Kernauftrag, nämlich die “Bekämpfung des Terrorismus“ zu erfüllen hat.

Premierminister Qurei steht insbesondere auch vor der schwierigen Aufgabe, die Friedensverhandlungen mit Israel wiederzubeleben. Qurei hatte vor der PLC-Abstimmung die Bekämpfung der Gewalt und die Rückkehr zum Nahost-Friedensprozess zur Hauptzielen seiner Politik deklariert. In seiner Antrittsrede vom 12. November sagte er daher, er wolle Gesetz und Ordnung in den Autonomiegebieten wieder herstellen und das "Chaos der Waffen" stoppen. Er reiche Israel die Hand, um zu einem "umfassenden Waffenstillstand" zu gelangen. Der größte Teil der Regierungserklärung war der Bekämpfung der Gewalt gewidmet: Er sagte, dass Palästinenser alle Errungenschaften der vergangenen Jahre verlieren könnten, wenn sie "die Fehler der Vergangenheit" nicht korrigierten. Zugleich forderte der Premier Israel auf, sich aus dem besetzten Gebieten zurückzuziehen, damit in Palästina freie Wahlen stattfinden können.

Die israelische Regierung hat inzwischen signalisiert, dass sie dem seit Zeiten der Osloer Friedensverhandlungen als moderat und kompromissfähig angesehenen Qurei eine Chance geben will. Zugleich gaben die Israelis zu verstehen, dass dies in Ermangelung einer besseren Alternative geschieht. Angekündigt hat Israel auch Zugeständnisse. Um einen Zusammenbruch der Autonomiebehörde zu vermeiden, werde Israel "Erleichterungen" für das palästinensische Volk zustimmen, sagte der israelische Ministerpräsident Ariel Sharon. Dazu gehört zwar laut Sharon die Lockerung der Blockade in den Gebieten, derartige Versprechen wurden allerdings bereits des Öfteren angekündigt, allerdings nicht umgesetzt. Zudem wolle Israel Zölle und Steuern auf Waren zurückerstatten, die in den Gazastreifen und in das Westjordanland importiert werden. Ein Teil der Gelder wurde bisher von Israel zurückgehalten. Nach Berichten der israelischen Zeitung Haaretz erklärte ein Sharon-Vertrauter, dass Israel zu den Maßnahmen gezwungen sei, weil es im Fall eines Zusammenbruchs der Autonomiebehörde für die Verwaltung von 3,7 Millionen Palästinensern aufkommen müsste.

Kritische Stimmen aus der politischen und militärischen Führungsschicht des Landes fordern seit längerem Erleichterungen für die Palästinenser und machen die eigene Regierung verantwortlich für die unwägbare politische und wirtschaftliche Situation in den palästinensischen Gebieten. Aufsehen erregte die Kritik des israelischen Generalstabchefs Moshe Ya´alon, der Sharon für den Zusammenbruch der Mahmoud Abbas-Regierung verantwortlich machte, weil dem palästinensischen Premier nicht einmal kleine Zugeständnisse mit Blick auf die hoffnungslosen Lebensbedingungen der Palästinenser gemacht worden sind.

Viel härter klingt die jüngste Stellungnahme der vier früheren Leiter des Inlandsgeheimdienstes Schin Bet – Jaakov Perry, Ami Ajalon, Avraham Schalom und Carmi Gillon, die Schin Bet zwischen 1980 und dem Jahr 2000 führten. In ungewöhnlich scharfer Form haben sie die israelische Regierung angegriffen und einen sofortigen Teilrückzug aus den besetzten Gebieten gefordert. Wenn Israel die bisherige Politik fortsetze, drohe es selbst in einen “Abgrund“ zu stürzen. “Wir sind auf dem Weg in den Abgrund, da alle Schritte, die wir bisher unternommen haben, Schritte sind, die sich gegen den Frieden richten“, sagte Ex-Geheimdienstchef Avraham Shalom. Perry forderte die israelische Regierung auf, einseitige Schritte zu unternehmen, wie den Rückzug aus dem Gazastreifen. So erleichtere man den Palästinensern den Schritt zu Friedensgesprächen und helfe gleichzeitig der Not leidenden israelischen Wirtschaft. Außerdem müsse Sharon alle rund 100 ungenehmigten Siedlungen im Westjordanland räumen.

Nach Meinung der vier könnte Israel bis zu 90 Prozent aller jüdischen Siedler in den besetzten Gebieten ohne Gewaltanwendung nach Israel zurückbringen. “Es gibt etwa 10 bis 12 Prozent radikale Siedler, mit denen es Zusammenstöße geben wird. Ich glaube, Ariel Sharon ist der Einzige, der dies tun kann“, meinte Jaakov Perry. Ex-Schin-Bet-Chef Carmi Gillon warnte, die Regierung begehe einen Fehler, weil sie die Bekämpfung des palästinensischen Terrors zur Vorbedingung für politische Schritte mache. Sein Kollege Ami Ajalon, Mitverfasser des kürzlich von prominenten Israelis und Palästinensern veröffentlichten privaten “Genfer Abkommens“ zur Beendigung des Konflikts, sagte, in Israel müsse sich eine “Bewegung von außen“ bilden, um die Regierungen zum Handeln zu zwingen.

Die israelische Regierung muss einsehen: die Bemühungen, Arafat zu isolieren und zu demütigen, haben diesen nur noch mehr animiert, Macht zu demonstrieren. Das Ziel, den palästinensischen Premier zu stärken, kann nicht durch kontinuierliche Schwächung Arafats, sondern durch Stärkung Qureis erreicht werden. Schließlich ist der Erfolg Qureis im Interesse der Israelis und der Palästinenser. Daher sollte die neue Regierung als eine neue Chance für einen Neubeginn gesehen werden. Gewiss hat Qurei keine “Traumregierung“ aufstellen können. Sie ist aber die Alternative zum Zusammenbruch der Zentralmacht in den palästinensischen Autonomiegebieten.

Das neue Palästinensische Kabinett (November 2003)

  • Ahmad Qurei (Abu Ala) Premierminister, Minister für religiöse Angelegenheiten und Informationsminister
  • Nabil ShaathAußenminister
  • Salam FayyadFinanzminister
  • Saeb ErekatMinister für Verhandlungsangelegenheiten
  • Naim Abu Al HummusBildungsminister
  • Hakam BalawiInnenminister
  • Jamal ShobakiMinister für Lokalverwaltung
  • Jamil TarifiMinister für Zivilangelegenheiten
  • Abdul Rahman HamadMinister für Infrastruktur
  • Jawad TibiGesundheitsminister
  • Nahedh Al RayyesJustizminister
  • Maher Al MasriWirtschafts- und Handelsminister
  • Nabil KassisPlanungsminister
  • Ghassan KhatibArbeitsminister
  • Mitri Abu 'AitaMinister für Tourismus- und Kulturerbe
  • Rawhi FattowhLandwirtschaftsminister
  • Hekmat ZayydVerkehrsminister
  • Yahia YakhlofMinister für Kultur
  • Intisar al WazeerMinister für Soziales
  • Hisham Abdul RazeqMinister für Angelegenheiten von Gefangenen
  • Azzam al AhmadMinister für Telekommunikation und Technologie
  • Zuhira KamalMinisterin für Frauenangelegenheiten
  • Salah Ta’mariMinister für Jugend und Sport
  • Qaddura Faresohne Ressort
  • Sulaiman Abu Sneinehohne Ressort
  • Dr. Hassan Abu Libdeh''. Hassan Abu Libdeh''Hassan Abu Libdeh''ssan Abu Libdeh''an Abu Libdeh'' Abu Libdeh''bu Libdeh'' Libdeh''ibdeh''deh''h'''Generalsekretär des Kabinetts und Direktor des Stabs des Premierministers

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Dr. Annette Ranko

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17. September 2003
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