Länderberichte
Am 9. November 2008 wurden in Nicaragua in 146 der 153 Gemeinden die Kommunalwahlen durchgeführt. Im Vorfeld gab es bereits viele Unregelmäßigkeiten, so dass schon vor den Wahlen das Wort „Wahlbetrug“ in aller Munde war (siehe vorheriger Artikel). Leider hat die
Durchführung der Wahlen diesen Eindruck weiter erhärtet.
Nach den Wahlen kam es am Montag und Dienstag zu handgreiflichen Auseinandersetzungen zwischen Anhängern der liberalen Partei PLC und der sandinistischen Partei FSLN. Dabei kamen drei Personen, unter ihnen ein achtjähriges Mädchen, ums Leben. Diese tragischen Geschehnisse haben aber keineswegs die Gewaltwelle beendet. Nach wie vor werden Oppositionskandidaten und deren Familienangehörige bedroht und einzuschüchtern versucht. In Jinotega steht der Oppositionskandidat, der laut Ergebnis als Sieger aus den Wahlen herausgeht, samt seiner Familie unter Polizeischutz. In Managua bewegen sich der Bürgermeisterkandidat der PLC, Eduardo Montealegre, sowie der Kandidat fürs Vize-Bürgermeisteramt nur noch im Schutz ihrer Anhänger, um Angriffe von Seiten der Bürgerräte – Consejos del Poder Ciudadano (CPC) – abzuwehren.
Das vorläufige Wahlergebnis wurde vom Obersten Wahlgerichtshof (Consejo Supremo Electoral – CSE) am Freitag, 14. November, bekannt gegeben. Unter anderem wird der Wahlgerichtshof dafür kritisiert, dass die Ergebnisse weder transparent noch vollständig sind. Bei der Darstellung der Zahlen fehlen die Angaben über ungültige Stimmen sowie Enthaltungen. Auch ist ungewiss, wie die Wahlbeteiligung ausgefallen ist.
Der Wahlgerichtshof, der aus liberalen und sandinistischen Richtern besteht, die vom Parlament ernannt wurden, wird auch beschuldigt, die Manipulation der Wahlergebnisse erleichtert bzw. sogar gefördert zu haben. Insbesondere im Bezirk Managuas war das Bürgermeisteramt stark umkämpft. Der Bürgermeister der Hauptstadt Nicaraguas ist nach dem Präsidenten der zweitmächtigste Mann bei politischen Entscheidungen. Für die PLC trat Eduardo Montealegre gegen Alexis Argüello, den Kandidaten der FSLN, an. Montealegre stellt für viele die einzige Möglichkeit einer Opposition gegen Daniel Ortega und seine sandinistische Partei dar, nachdem den beiden wichtigsten Oppositionsparteien MRS und Partido Conservador die Rechtspersönlichkeit entzogen worden war und sie nicht an den Wahlen teilnehmen konnten. So hatten diese beiden Parteien zur Stimmabgabe für Montealegre aufgerufen. Dadurch - und durch seine eigene große Popularität in der Hauptstadt - schien ein Wahlsieg Montealegres so gut wie gesichert. Die Alianza „Vamos con Eduardo“ hatte am 11. November bei der Organización de Estados de Americanos (OEA) bereits Dokumente eingereicht, die den Montealegres in Managua belegen sollen. Laut ihren Angaben hatte Montealegre mit 51,6% gegen den Kandidaten der FSLN (46,4%) gewonnen. Offizielle Angaben des Wahlgerichtes sprechen aber davon, dass der FSLN-Kandidat in der Hauptstadt mit 51,3% gegen Montealegre mit 46,45% gesiegt habe. Diesem Ergebnis lagen am Dienstag die ausgezählten Stimmen von 69,34% der Wahlurnen in der Hauptstadt zugrunde. Die offiziellen vorläufigen Wahlergebnisse von Freitag sprechen von 223.389 Stimmen für die FSLN gegen 202.752 Stimmen, die für die PLC und damit für Montealegre abgegeben worden sein sollen.
Die Zweifel an fairen Wahlen waren von Beginn an durch das Fehlen unbeteiligter Wahlbeobachter genährt worden. Die Organisation „Ética y Transparencia“, die in den vergangenen Jahren als Wahlbeobachter akkreditiert war, hatte dieses Mal keine Erlaubnis bekommen, direkt in den Wahllokalen die Wahlen zu beobachten. Dennoch stellte die Organisation rund 30.000 Freiwillige im Land auf, die außerhalb der Wahllokale als Beobachter fungierten. Nach ihren Zählungen hat der Kandidat der PLC, Eduardo Montealegre, mit ca. 2 bis 5 Prozentpunkten Vorsprung in der Hauptstadt das Bürgermeisteramt gewonnen.
Auch sind im Land etliche Unregelmäßigkeiten und Verstöße gegen den Wahlprozess gemeldet worden. So wurden zum Teil Wahllokale bereits vor dem offiziellen Ende der Wahl geschlossen. Auch sind in vielen Wahllokalen, sowohl in der Hauptstadt als auch in anderen Städten, Wahlhelfer der liberalen Partei aus dem Wahllokal geschmissen worden oder sie wurden, nachdem sie kurz nach draußen gegangen waren, nicht wieder hereingelassen, so dass sie bei der Zählung nicht anwesend waren. Auch ist es vorgekommen, dass liberalen Wahlhelfern bei der Zählung die Wahlunterlagen aus der Hand gerissen worden sind. In einer Gemeinde wurden auch Kisten mit Wahlzetteln außerhalb des Wahllokales gefunden, die alle die Stimmenabgabe für die PLC enthielten.
Die einzige als Wahlbeobachter eingeschriebene Organisation, Consejo de Expertos Electorales de Latinoamérica (CEELA), wollte sich bis zum jetzigen Zeitpunkt nicht zu den Vorwürfen des Wahlbetruges äußern, da ihrer Meinung nach der Wahlzählungsprozess noch nicht abgeschlossen sei und ihnen daher das Recht zur Meinungsäußerung nicht zustünde. CEELA hatte mit 24 Beobachtern an der Wahl teilgenommen. CEELA ist allerdings als Organisation wenig bekannt und es wurden bereits Spekulationen angestellt, dass sie von Hugo Chavez, dem Präsidenten Venezuelas, 2004 ins Leben gerufen worden war. Auch war der erste Präsident der Organisation der jetzige Präsident des Wahlgerichtshofes von Nicaragua, Roberto Rivas, was nicht unbedingt die Glaubwürdigkeit einer unabhängigen und objektiven Beobachtung stützt.
Obwohl das Wahlgericht am Mittwoch einer zweiten Auszählung der Stimmen in Managua stattgegeben hatte, erkennt Eduardo Montealegre das Ergebnis nicht an. Es sei rechnerisch völlig unrealistisch, dass das Wahlgericht die Revision der Ergebnisse der 2107 Wahllokale in Managua in weniger als 24 Stunden durchgeführt habe. Der Meinung Montealegres schlossen sich die übrigen Kandidaten der Allianz PLC-PLI-VCE (Vamos con Eduardo) landesweit an. Es wird für Dienstag zu einer großen Demonstration gegen den Wahlbetrug aufgerufen. Diese soll friedlich ablaufen, doch ist es nicht auszuschließen, dass es trotz allem zu weiteren Ausschreitungen kommen wird.
Es waren bereits Stimmen zu hören, die nach Neuwahlen rufen. Doch die meisten setzen sich für eine ehrliche und von international und national anerkannten Beobachtern begleitete Neuauszählung der Stimmen ein. Zu den Befürwortern dieses Vorgehens gehören private Unternehmer und vor allem auch die katholische Kirche. Die gesamte Stimmung im Land ist aufgeheizt und es sieht nicht so aus, als ob sich die Lage in absehbarer Zeit beruhigen wird. Montealegre und seine Parteianhänger haben klar gemacht, dass sie sich den Wahlsieg in vielen Gemeinden nicht ohne Gegenwehr „stehlen“ lassen werden.