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Unterzeichnung des "Zwei-plus-Vier-Vertrages" in Moskau

von Christopher Beckmann
Er gilt inzwischen als „Meisterwerk der Diplomatie“, wurde 2011 seitens der UNESCO in das Programm „Memory oft he World“ aufgenommen und zählt damit zum „Weltdokumentenerbe“: Der am 12. September 1990 in Moskau unterzeichnete Vertrag über die abschließende Regelung in Bezug auf Deutschland. In die Geschichte eingegangen ist er als „Zwei-plus-Vier-Vertrag“.

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Unterzeichnung des Zwei-Plus-Vier-Vertrages in Moskau Bundesarchiv Bild B 145 00047633/Engelbert-Reineke
Unterzeichnung des Zwei-Plus-Vier-Vertrages in Moskau

Erste Weichenstellungen

Die im Februar 1990 erfolgte Festlegung auf die von den USA, aber auch seitens der Bundesregierung favorisierte Vorgehensweise, die außen- und sicherheitspolitischen Aspekte der Vereinigung der beiden deutschen Staaten in sog. Zwei-plus-Vier-Gesprächen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR sowie den vier Siegermächten des Zweiten Weltkriegs – USA, Sowjetunion, Großbritannien und Frankreich – zu regeln, impliziert bereits zwei wichtige Weichenstellungen: Zum einen werden der innere und der äußere Prozess der Vereinigung entkoppelt und ersterer zu einer Angelegenheit der beiden deutschen Staaten erklärt. Die Klärung der innerdeutschen Fragen erfolgt in der Folge in den zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR geschlossenen Staatsverträgen: dem am 18. Mai 1990 unterzeichneten „Vertrag über die Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion“ sowie dem als „Einigungsvertrag“ bekannt gewordenen „Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik über die Herstellung der deutschen Einheit“ vom 31. August. Zum anderen werden die Verhandlungen auf die beiden deutschen Staaten und die vier für Deutschland als Ganzes verantwortlichen Hauptsiegermächte des Zweiten Weltkrieges begrenzt und somit erleichtert und sicherlich auch verkürzt. Zugleich wird die Gefahr gebannt, dass eine Viermächte-Konferenz ohne direkte deutsche Beteiligung zur Lösung der deutschen Frage anberaumt wird. Vielmehr räumt die Formel „Zwei-plus-Vier“ den Deutschen gar eine gewisse Priorität ein. Umstritten ist die Beschränkung der Verhandlungsteilnehmer v. a. mit Blick auf Polen, das ein vitales Interesse an der endgültigen völkerrechtlichen Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze hat. Die polnische Regierung wird daher als einzige über die „Zwei-plus-Vier“ hinaus an einer der Verhandlungsrunden beteiligt, ohne einen gleichberechtigten Status zu erhalten.

Einigkeit kann auch dahingehend erzielt werden, dass der auszuhandelnde Vertrag einen formellen Friedensvertrag ersetzen wird. Von dessen Aushandlung wird abgesehen, wofür verschiedene Gründe sprechen. So müssten daran theoretisch alle 65 Staaten beteiligt werden, mit denen sich Deutschland zur Zeit der Kapitulation 1945 im Kriegszustand befand. Je mehr Beteiligte aber, desto höher die Wahrscheinlichkeit von Komplikationen und Verzögerungen, die die angestrebte rasche Vereinigung verhindern können. Zudem haben die vier Mächte USA, UdSSR, Großbritannien und Frankreich seit dem Potsdamer Abkommen von 1945 die ausschließliche Kompetenz über Deutschland als Ganzes inne. Die Bundesregierung hat ferner „kein Interesse daran, früheren Kriegsgegnern eine Grundlage für Reparationsansprüche zu verschaffen“ und will eine „Singularisierung und Diskriminierung“ Deutschlands ausschließen (Hanns Jürgen Küsters). Als letzte der Vier Mächte erklärt sich auch die Sowjetunion bereit, auf einen Friedensvertrag zu verzichten. Die Regelung könne auch, so heißt es aus Moskau, in einem „anderen adäquaten Dokument“ als Ergebnis der „Zwei-plus-Vier“-Verhandlungen erfolgen.

 

Verhandlungsschwerpunkte

Nach der endgültigen Festlegung auf den Verhandlungsmodus am Rande der „Open-Skies“-Konferenz von NATO und Warschauer Pakt am 13. Februar 1990 finden vier Verhandlungsrunden der Außenminister statt: Am 5. Mai in Bonn, am 22. Juni in Ost-Berlin, am 17. Juli (unter Beteiligung der Republik Polen) in Paris und schließlich am 12. September 1990 in Moskau, wo der Vertrag auch paraphiert wird. Hinzu kommen Zwei-plus-Vier-Gespräche auf Beamtenebene sowie zahllose bi-, tri- und multilaterale Verhandlungen, darunter die mittlerweile legendären sowjetisch-deutschen Verhandlungen in Moskau und im Kaukasus am 15./16. Juli 1990. Zu regeln sind der militärische und sicherheitspolitische Status des vereinigten Deutschland, die Regelung seiner Ostgrenze, die Beendigung der Rechte und Verantwortlichkeiten der Vier Mächte in Bezug auf Deutschland als Ganzes sowie die Erlangung der vollen Souveränität. Die Verhandlungen sind kompliziert, da die Sowjetunion sich schwertut, die durch den Zweiten Weltkrieg errungene Position in Europa aufzugeben und eine Mitgliedschaft des vereinigten Deutschland in der NATO zu akzeptieren. Dies ist aber aus Sicht der USA für ihre Zustimmung unabdingbar und auch für Bundeskanzler Helmut Kohl ist die NATO-Mitgliedschaft „kein Preis, den er für die deutsche Einheit bezahlen“ will. Auch Großbritannien und Frankreich haben z. T. erhebliche Vorbehalte, betrachten die Perspektive eines größeren Deutschland mit Sorge und nutzen u. a. den Dissens darüber, ob die endgültige Anerkennung der polnischen Westgrenze vor oder – wie von der bundesdeutschen Seite vertreten – nach der Vereinigung solle, um die Verhandlungen zu verkomplizieren. Die Regierung Kohl will den mit der Grenzanerkennung verbundenen „Territorialverzicht Deutschlands freiwillig und nicht unter dem Diktat der Alliierten leisten“ (Küsters).

Letztlich akzeptiert die sowjetische Regierung trotz mancher Bedenken und gegen den Widerstand konservativer Kräfte im eigenen Land die anfangs strikt abgelehnte Mitgliedschaft des vereinten Deutschland in der NATO. Ausschlaggebend für diesen Sinneswandel ist die Aussicht auf dringend benötigte deutsche Finanz- und Wirtschaftshilfe. Zudem erkennt der sowjetische Staats-und Parteichef Michail Gorbatschow offenbar in der Präsenz amerikanischer Truppen in Europa ein nützliches Gegengewicht zu einem neuen und mächtigeren Deutschland. Auch der sich abzeichnende Verfall ihres Bündnisses lässt das Interesse der Sowjetunion an einer direkten Verständigung mit Deutschland steigen. Und schließlich sagt die deutsche Seite eine deutliche Begrenzung ihrer Streitkräfte sowie großzügige finanzielle Hilfen für den Abzug der auf dem Gebiet der DDR stationierten sowjetischen Truppen und deren Unterbringung in der Heimat vor. Auch Polen akzeptiert schließlich auf dem dritten Treffen der Außenminister der Zwei-plus-Vier in Paris, dass der Abschluss eines deutsch-polnischen Grenzvertrages erst nach der deutschen Vereinigung erfolgt, sofern über dessen Inhalt bereits Klarheit besteht. Voraussetzung für den Erfolg ist die enge deutsch-amerikanische Abstimmung und deren weitgehende Interessenkonvergenz.

 

Ergebnisse

Am 12. September 1990 kann Bundeskanzler Helmut Kohl vor dem Kabinett feststellen, mit der am selben Tag in Moskau erfolgten Unterzeichnung des Zwei-plus-Vier-Vertrages sei die deutsche Einheit im Einvernehmen mit allen Nachbarn erreicht worden. In der Übereinkunft werden das Staatsgebiet des vereinten Deutschland definiert und dessen Grenzen endgültig festgeschrieben. Deutschland verzichtet auf den Besitz von ABC-Waffen und reduziert und begrenzt seine Truppenstärke auf 370.000 Mann. Die sowjetischen Truppen werden das Territorium der ehemaligen DDR bis zum 31. Dezember 1994 verlassen, die Stationierung von Kernwaffen oder ausländischen Truppen dort wird ausgeschlossen. Entscheidend ist aus deutscher Sicht, dass die Viermächte-Verantwortung in Bezug auf Berlin und Deutschland als Ganzes beendet wird. Die Hauptsiegermächte verzichten auf noch bestehende Rechte aus dem Potsdamer Abkommen von 1945 und übertragen diese auf die Bundesrepublik. Das Ergebnis ist die Wiedererlangung der vollen Souveränität Deutschlands über seine inneren und äußeren Angelegenheiten. Als der Vertrag nach der Ratifikation durch alle beteiligten Staaten am 15. März 1991 in Kraft treten kann, wird die Nachkriegsordnung mit abschließender Gültigkeit beseitigt. Die Nachkriegszeit ist zu Ende.

 

Literatur:

  • Helmut Kohl: Erinnerungen 1982–1990. München 2005; Erinnerungen 1990–1994. München 2007.
  • Hanns Jürgen Küsters: Das Ringen um die deutsche Einheit. Die Regierung Helmut Kohl im Brennpunkt der Entscheidung 1989/90. Freiburg i. Br. 2009.
  • Andreas Rödder: Deutschland einig Vaterland. Die Geschichte der Wiedervereinigung. München 2009.
  • Werner Weidenfeld: Außenpolitik für die deutsche Einheit. Die Entscheidungsjahre 1989/90 (Geschichte der deutsche Einheit 4). Stuttgart 1998.

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