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Essay

Der Deutsch-Sowjetische Krieg – Geschichte und Erinnerung

von Dr. Andreas Hilger

Mit dem Überfall auf die Sowjetunion am 22. Juni 1941 eröffnete das Deutsche Reich einen mit äußerster Brutalität geführten Angriffskrieg, dem Millionen Menschen zum Opfer fielen.

Der Angriff fußte auf den ideologischen und rassenbiologischen Überzeugungen Hitlers und verband sich von Anfang an mit dem Ziel, die jüdische Bevölkerung in den eroberten Gebieten zu ermorden. Den deutschen Angriff beantwortete die sowjetische Führung mit einer Totalmobilisierung, die auch brutale Repressionen gegenüber der eigenen Bevölkerung einschloss. Heute wird das Gedenken an den Krieg von unterschiedlichen nationalen und internationalen Interessen bestimmt, eine Annährung der Erinnerungskulturen ist nicht in Sicht.

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Als die deutsche Wehrmacht am 22. Juni 1941 die UdSSR überfiel, ging auch das kurze, doch bedeutsame deutsch-sowjetische Bündnis in die Brüche. Der Nichtangriffspakt und das geheime Zusatzprotokoll, in dem sich Berlin und Moskau am 23. August 1939 über die Aufteilung Ihrer Interessensphären in Osteuropa geeinigt hatten, hatte Hitler freie Hand für den Angriff auf Polen und die folgenden Kämpfe in West- und Südosteuropa gegeben. Hitler verlor sein großes Ziel jedoch nie aus den Augen. Mit dem Unternehmen „Barbarossa“ machte er sich daran, seine zentralen Ideen, die er Mitte der 1920er Jahre in Mein Kampf beschrieben hatte, in die Tat umzusetzen. Nach Hitlers Dafürhalten gingen die Gewinnung von „Lebensraum“ in „Russland“ und den „ihm untertanen Randstaaten“ und der Kampf gegen die „jüdische Weltbolschewisierung“ im Gewand der UdSSR Hand in Hand.

Stalin hatte 1939 gehofft, seinen Staat für längere Zeit aus der deutschen Schusslinie zu bringen. Dass Hitlers Krieg in Europa zugleich die im Kreml‘ ungeliebte kapitalistische Weltordnung ins Wanken brachte, konnte Moskau nur recht sein. Zudem bot der Pakt der UdSSR die Gelegenheit, sich insbesondere ostpolnische Gebiete und die baltischen Republiken einzuverleiben. Der Winterkrieg gegen Finnland brachte weitere Gebietsgewinne, zeigte aber auch die Schwächen der Roten Armee auf. Einen elaborierten Masterplan kann man aus Stalins Politik der Jahre 1939 bis 1941 nicht herauslesen, jedoch ein hohes Maß an Opportunismus, Zynismus sowie Realitätsverweigerung. Eindeutige Warnungen vor dem deutschen Angriff, selbst Alarmmeldungen der ersten Kriegsstunden schlug der sowjetische Alleinherrscher in den Wind.

 

Kriegsverlauf

An Deutschlands Seite standen rumänische, slowakische, ungarische und finnische Verbündete mit eigenen territorialen Zielen. Italien entsandte ein Expeditionskorps. Dazu gesellten sich bis Ende 1941 rund 40.000 Freiwillige unter anderem aus Skandinavien, Frankreich, Spanien, Kroatien und Belgien. Die deutsche Propaganda nutzte die Unterstützung, um den Krieg als europäischen Kreuzzug gegen den Bolschewismus darzustellen. Das politische Heft wollte Hitler allein in der Hand behalten. Der UdSSR hielt die japanische Neutralität zumindest den Rücken im Osten frei. Die frische britisch-sowjetische Allianz gewann durch die USA an Schlagkraft.

Zunächst war der deutsche Vormarsch trotz vielfach heftiger Gegenwehr der Roten Armee nicht aufzuhalten. Kesselschlachten unter anderem bei Białystok und Minsk, Smolensk, Vjaz’ma und Brjansk, die Eroberung von Kiev und Rostov sowie die Abriegelung Leningrads markierten 1941 den Siegeszug. Dennoch scheiterte die deutsche Blitzkriegsstrategie vor Moskau. 1942 stand die Mitte der Front um Ržev und Vjaz‘ma im Zeichen blutiger Kämpfe, in denen die Wehrmacht ihre Stellung weitgehend zu halten wusste. Im Norden hielt die sowjetische Abwehr überlebenswichtige Versorgungslinien nach Leningrad offen. Im Süden jedoch rückten die Wehrmacht und ihre Verbündeten in blitzkriegsartigen Kampagnen vor. Sie eroberten die Krim, die – zerstörten – Ölfelder von Majkop in Südrussland und erreichten den Kaukasus sowie Stalingrad.

Mit den Schlachten von Stalingrad und Kursk riss die Rote Armee endgültig die Initiative an sich. Char‘kov war im August 1943 befreit, Smolensk im September, Kiev im November. Bis März 1944 war Leningrad aus der deutschen Umklammerung gelöst. Im Sommer 1944 zerschlug die Rote Armee die Heeresgruppe Mitte. Im Herbst 1944 erreichte sie deutsches Reichsgebiet. Mit einem letzten Kraftakt eroberte sie im April/Mai 1945 Berlin. Im Ganzen trug die Rote Armee entscheidend zum Sieg der Alliierten bei.

 

Nationalsozialistischer Vernichtungskrieg und stalinistische Kriegführung

Auf ihrem Weg nach Berlin hatte die Rote Armee unter anderem im Sommer 1944 bei Minsk das Vernichtungslager Malyj Trostenec erobert. Wenige Tage vor Ankunft der Rotarmisten ermordeten Sicherheitspolizei und SD noch mehrere Tausend Häftlinge. Das Geschehen zeigte erneut, wie eng der Krieg gegen die UdSSR mit Hitlers rassenideologischen Mordzielen verwoben war. So setzte mit dem Unternehmen „Barbarossa“ die systematische Ermordung der europäischen Juden ein. Die berüchtigten Einsatzgruppen wurden bereits ab Mai 1941 aufgestellt. Die Einsatzgruppe C beispielsweise ermordete in dem Massaker von Babij Jar bei Kiev in nur zwei Tagen über 33.000 jüdische Männer, Frauen und Kinder. Insgesamt fielen dem Holocaust in der UdSSR fast 2,5 Millionen Menschen zum Opfer. Die geschätzten 1,1 Millionen Toten der Belagerung von Leningrad und exzessive Gewaltaktionen gegen tatsächliche oder angebliche Partisanen und großflächige „Partisanengebiete“ zeugten von der deutschen Gnadenlosigkeit gegen die slawische Zivilbevölkerung. Hunderttausende wurden während der angeblichen Straf-, Säuberungs- und Vergeltungsaktionen erschossen. Roma oder Patienten psychiatrischer Anstalten wurden ermordet, wo immer man ihrer habhaft wurde, von kommunistischen Funktionären ganz zu schweigen. Die Versorgung der übrigen Bevölkerung in den besetzten Gebieten war aus deutscher Sicht sekundär, absoluten Vorrang hatten Bedürfnisse von Militär und Zivilbevölkerung des Reichs. Rund drei Millionen Einwohner der UdSSR kamen als Zwangsarbeiter nach Deutschland, weitere Millionen standen für Besatzungsapparate und die Wehrmacht im Zwangseinsatz. Ihre Arbeitsbedingungen auch bei der Wehrmacht erinnerten vielfach an Sklaverei. Das deutsche Militär war integraler Bestandteil der deutschen Vernichtungs- und Ausbeutungspolitik. Am deutlichsten wurde dies am Umgang der Wehrmacht mit sowjetischen Kriegsgefangenen. Von ca. 5,7 Millionen Gefangenen verhungerten rund drei Millionen oder wurden ermordet: Weit über Hunderttausend Gefangene fielen dem berüchtigten Kommissarbefehl und den sogenannten Aussonderungen in Gefangenenlagern zum Opfer. Die „verbrannte Erde“, die die Wehrmacht beim Rückzug hinterließ, trug mit dazu bei, dass die UdSSR durch den Krieg wirtschaftlich um acht bis zehn Jahre zurückgeworfen wurde.

Auf der anderen Seite der Front schonte die Totalmobilisierung des Kreml‘ die eigene Bevölkerung in keiner Weise. Die Propaganda zur Vaterlandsverteidigung verfing nicht bei allen Bürgern. Im Baltikum und im Westen der UdSSR begrüßten anfangs immer wieder Zivilisten die Wehrmacht als vermeintliche Befreier. Der Partisanenkrieg entfaltete erst ab 1942 seine Wirkung. Derweil hatte die Rote Armee zahlreiche Deserteure zu verzeichnen. Gegen tatsächliche und potenzielle Auflösungserscheinungen behalf sich Stalin mit brutalen Repressionen. Sowjetische Militärtribunale verurteilten fast 160.000 Rotarmisten wegen Fahnenflucht und ähnlichen Vorwürfen zum Tode. Sperreinheiten des NKVD setzten auf Gewalt, damit die Rotarmisten selbst aussichtslose Stellungen hielten. Sowjetische Kriegsgefangene wurden von der eigenen Führung als Verräter und Feiglinge diffamiert. Kommandeure schickten ihre Truppen rücksichtslos mitunter ins sichere Verderben, zumindest in verlustreiche Kämpfe.

Im zivilen Bereich sorgte ein drakonisches Regime für Arbeitsdisziplin. Deportationen ganzer Völkerschaften sowie Todesurteile gegen echte und vermeintliche Kollaborateure schienen dem Kreml‘ ein probates Mittel, um die Heimatfront und das eigene Regime stabil zu halten. Insgesamt wurden von Spätsommer 1941 bis 1944 rund drei Millionen Angehörige von nationalen Minderheiten deportiert, darunter über eine Million „Volgadeutsche“, weit über 400.000 Tschetschenen und Inguschen aus dem Kaukasus sowie Krimtararen und Griechen von der Krim. Nach der Rückeroberung der baltischen Gebiete 1944 führte die sowjetische Macht dort ihre Säuberungen fort, die der deutsche Angriff 1941 unterbrochen hatte. Hier und in anderen Gebieten der erweiterten UdSSR oder des zukünftigen Ostblocks betrachteten zahlreiche Einwohner die einrückende Rote Armee weniger als Befreierin denn als neue Besatzungsmacht.

Gegenüber dem deutschen Gegner ließen derweil sowjetische Hasspropaganda und Befehlslage keinen Raum für Milde. Ermordungen und Misshandlungen von deutschen Kriegsgefangenen waren eine Folge, Vergewaltigungen von deutschen – und anderen – Frauen durch die sowjetischen Sieger eine andere. Ab 1944 wurden Volksdeutsche aus Südost- und Osteuropa sowie Reichsdeutsche zur Zwangsarbeit in die UdSSR verbracht. Sowjetische Statistiken nennen rund 300.000 Betroffene, deutsche Schätzungen liegen wesentlich höher. Die Sterblichkeit unter deutschen Kriegsgefangenen, Zivilverschleppten und den ab Frühling 1945 120.000 bis 180.000 Internierten in sowjetischen Speziallagern in Deutschland lag bei rund einem Drittel. Sie war indes keinem ideologisch-politischen Vernichtungswillen der sowjetischen Politik geschuldet.

Diese betrachtete vielmehr deutsche zivile Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene als Arbeitskräfte für den Wiederaufbau des Landes. Generell ging es dem Kreml‘ darum, sich bereits im Krieg gegen Deutschland und im Bündnis mit den Westalliierten auf eine neue Nachkriegsordnung vorzubereiten. In dieser sollte der eigene Staat gegen Interventionen und Überfälle geschützt sein. Die in Stalins Augen unvermeidliche letzte Auseinandersetzung mit kapitalistischen Mächten war zumindest bis zu einem Zeitpunkt hinauszuschieben, an dem die UdSSR gewappnet wäre.

 

Zerfall der Anti-Hitler-Koalition und Beginn des Kalten Krieges

Die Großen Drei – also die USA, die Sowjetunion und Großbritannien – wurden im Krieg durch den gemeinsamen Gegner und von der Hoffnung zusammengehalten, dass man trotz aller ideologischen Diskrepanzen gemeinsam eine Nachkriegsordnung errichten könnte. Diese würde eigene Kerninteressen und damit Friede, Sicherheit und Fortschritt längerfristig sichern. Die Gründung der Vereinten Nationen, neue weltwirtschaftliche Institutionen und die Kriegsverbrecherprozesse von Nürnberg und Tokio zeigten Potenziale einer solchen Zusammenarbeit. Parallel traten in der Kooperation jedoch Streitpunkte hervor, die das Verhältnis nachhaltig belasteten. Für Moskau war es beispielsweise ein Unding, dass die zweite Front in Europa erst 1944 zustande kam. Aus Moskauer Sicht nahmen auch die Unterstützungslieferungen für die UdSSR nur verdächtig langsam substanzielle Ausmaße an. Nachhaltiger wirkten sich Meinungsverschiedenheiten in Reparationsfragen aus. Die UdSSR formulierte weitaus höhere Forderungen, als Washington und London, die den Bedarf anderer geschädigter Nationen und die Überlebensfähigkeit der deutschen Volkswirtschaft im Blick hatten, zugestehen wollten. Die sowjetische repressive Politik gegenüber Repatrianten und in Gebieten unter sowjetischer Dominanz entsprach dem sowjetischen Sicherheitsbedürfnis, lief aber dem westlichen Verständnis von Demokratie und Selbstbestimmung zuwider. Die grundsätzlichen Spannungen würden bald nach Kriegsende auch eine gemeinsame Deutschlandpolitik unmöglich machen. Die Gegensätze verbanden sich mit Differenzen in weiteren europäischen Angelegenheiten, in der Japan- und Nuklearpolitik, im Iran, am Bosporus und in China zum Kalten Krieg.

In der globalen Auseinandersetzung der Systeme wurden Interpretationen der jüngsten Vergangenheit zum Kampfmittel. So veröffentlichten die USA bereits Anfang 1948 die geheimen Dokumente von 1939, um Doppelzüngigkeit, Expansionismus und Gefährlichkeit der UdSSR zu beweisen. Stalins Gegendarstellungen spekulierten über vermeintliche Vorkriegspläne der Westmächte, Hitler auf Osteuropa zu hetzen. An der angeblichen Mitverantwortung der kapitalistischen Großmächte für den Zweiten Weltkrieg hielt die UdSSR bis zum Ende der Sowjetunion fest.

 

Weitgehendes Schweigen über das Leid der Osteuropäer in der deutschen Erinnerungskultur

Deutsch-deutsche Auseinandersetzungen über die eigene Vergangenheit spiegelten ebenfalls die politische Blockbildung wider. In der Bundesrepublik konzentrierten sich Politik und Gesellschaft auf deutsche Opfer und Verluste in Krieg und Diktatur. Sie formulierten den Anspruch, aufgrund derartiger Erfahrungen ein besonders waches Gespür für die Gefahren der kommunistischen Variante eines Totalitarismus zu haben. Die DDR positionierte sich dagegen als das bessere Deutschland, da man mit dem Sozialismus konsequente antifaschistische Lehren aus NS-Regime und Krieg gezogen habe.

In den deutschen Diskursen verblassten Opfer und Leid der Völker in Osteuropa und in der Sowjetunion gänzlich oder wurden nur noch formelhaft und selektiv erwähnt. Die Selbstgewissheit geriet in beiden Teilen Deutschlands nur langsam ins Wanken. Die erbitterten Debatten über die Wehrmachtausstellung führten in den 1990er Jahren schlaglichtartig vor Augen, wie gebrochen das gesamtdeutsche Verhältnis auch zur deutsch-sowjetischen Vergangenheit war. Bis heute scheinen in der deutschen Erinnerungskultur deutsche Verbrechen an Staat und Gesellschaft der ehemaligen UdSSR und das sowjetische Leid nur begrenzt präsent zu sein. Zum Teil wird die Erinnerung weiterhin von traditionellen deutschen Opferdiskursen dominiert, zum Teil verstellen Bewertungen des heutigen Russlands sowie seiner Innen-, Außen- und Geschichtspolitik den Blick.

 

Instrumentalisierung des Kriegsgedenkens in der UdSSR

Für Moskauer Führungen war das Gedenken an den Großen Vaterländischen Krieg jahrzehntelang ein vielfältig verwendbares politisches Instrument. Unter Stalin diente es als Mittel von Machterhalt und -erweiterung. Zugleich begrenzte Stalin die offizielle Erinnerung auf selektive Halbwahrheiten und Verzerrungen, um nach außen keine Schwäche zu zeigen und im Innern keine Debatten über die Verantwortung des Kreml‘ für Niederlagen und Verluste aufkommen zu lassen. Chruščev nutzte Erinnerungen an Stalins Fehler vor und nach 1941, um sich in Machtkämpfen gegen die Konkurrenz zu behaupten. Indem Moskau osteuropäische Ängste vor westdeutschem Revanchismus und Faschismus schürte, disziplinierte Moskau die Staaten des Ostblocks. Brežnev setzte auf die innere Integrationskraft einer geglätteten Erinnerung an den angeblich gemeinsamen, siegreichen Kampf sowie an die internationale Legitimationskraft des Siegs für sowjetische Politik und Ansprüche.

Positive Deutungsangebote der sowjetischen Erinnerungspolitik fanden in der Gesellschaft einigen Widerhall. Angesichts der enormen Opfer und Leistungen, mit denen man den unbarmherzigen Aggressor überlebt und besiegt hatte, prägten Leid und Stolz individuelle, familiäre und gesellschaftliche Erinnerungen sehr unmittelbar und äußerst nachhaltig. Nach dem Zerfall der UdSSR wusste dann wieder Putin derlei Grundstimmungen zu nutzen, wie die offizielle Vereinnahmung der gesellschaftlichen Initiative „Unsterbliches Regiment“ zeigte.

 

Europäische und globale Erinnerungsgräben in der Gegenwart

Das offizielle Gedenken in Russland pflegte nach der Jahrtausendwende zunehmend eine unkritisch-selektive und heroisch-offensive Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg. Die skizzierten dunklen Seiten wurden vielfach ignoriert. Die Interpretationen dienten der inneren Konsolidierung. Zugleich unterfütterten sie russische Ansprüche auf besonderen Einfluss in anderen postsowjetischen Republiken und auf signifikante Mitsprache in internationalen Angelegenheiten. Folgerichtig nutzte Russland 2015 die Feierlichkeiten zum 70. Jahrestag der deutschen Kapitulation, um mit Paraden auf der Krim die Angliederung der Halbinsel an Russland zu legitimieren und zu forcieren.

Diese Feste sowie das parallele Großereignis in Moskau wurden von den Regierungen aus NATO und EU, die an früheren Jahrestagen prominent vertreten waren, größtenteils gemieden. Ihr Fernbleiben drückte nicht nur Kritik an der russischen Krim- und Ukrainepolitik aus, sondern symbolisierte europäische und globale Erinnerungsgräben. So bewertet Moskau etwa das Drängen baltischer und osteuropäischer Staaten, in der europäischen Erinnerung neben Verbrechen des Nationalsozialismus die Übeltaten der sowjetischen Politik und die vorübergehende unselige Kooperation der Diktatoren in den Vordergrund zu rücken, als rein politisch motivierten Missbrauch der Vergangenheit. Die öffentlichkeitswirksame kritische Bewertung sowjetischer Repressionen und dominanter Narrative der Sowjetzeit in diesen Staaten erscheint zahlreichen russischen Beobachtern als Versuch, mit der gesamten sowjetischen Vergangenheit gleich auch die russische Gegenwart zu delegitimieren. Die russische Antwort besteht einstweilen darin, das einseitig geschönte Bild der Vergangenheit offensiv zu vertreten und zahlreiche wichtige andere nationale Perspektiven auf die zerklüftete Vergangenheit zu ignorieren und zu verdammen. So werden die Erinnerungskriege auf beiden Seiten befeuert. In dieser Auseinandersetzung wird es keine Sieger geben.

 

PD Dr. Andreas Hilger ist stellvertretender Direktor des Deutschen Historischen Instituts Moskau.

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picture alliance / Newscom | DEBBIE HILL
25. Januar 2021
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