Lebensstationen
Franz Böhm wurde am 16. Februar 1895 in Konstanz geboren. Er wuchs in einem liberalen, protestantischen und bildungsbürgerlichen Umfeld auf. Sein gleichnamiger Vater war Staatsanwalt und später in Karlsruhe Minister für Kultus und Unterricht des Großherzogtums Baden. Am Ersten Weltkrieg nahm Böhm von Anfang bis Ende teil. 1919 nahm er in Freiburg das Studium der Rechtswissenschaften auf, das er 1922 bzw. 1924 mit den beiden Staatsprüfungen abschloss. 1925 zog er nach Berlin, wo er in der Kartellabteilung des Reichswirtschaftsministeriums unter Paul Josten arbeitete. Auch traf er dort seine zukünftige Frau Marietta Ceconi und deren Mutter, Ricardo Huch, eine der bekanntesten Schriftstellerinnen und Intellektuellen ihrer Zeit.
1931 kehrte er nach Freiburg zurück, um seine Promotion und sodann seine Habilitation bei Hans-Großmann-Doerth 1933 abzuschließen. Kurz darauf fand das erste „wirtschaftsrechtliche und wirtschaftspolitische” Gemeinschaftsseminar der Juristen Böhm und Großmann-Doerth mit dem Ökonomen Walter Eucken statt. Dies kann als Geburtsstunde der „Freiburger Schule” von Juristen und Ökonomen gelten, die den Grundstein des „Ordo-Liberalismus” und wiederum darauf aufbauend in der Nachkriegszeit die gedankliche Basis der Sozialen Marktwirtschaft bilden sollte.
Doch bis 1948 war von Sozialer Marktwirtschaft noch nicht die Rede und nichts zu ahnen. Die Zeiten waren dunkel, auch für Böhm. Er konnte noch bis 1936 als Privatdozent in Freiburg lehren und erhielt im selben Jahr den Ruf auf eine Vertretungsdozentur an der Universität Jena. Doch gleichzeitig wurden regimekritische Äußerungen etwa zur Judenpolitik von ihm und Ricarda Huch bekannt, die in den folgenden Jahren zu Vorladungen bei der Gestapo, zum Lehrverbot in Jena und später in Freiburg sowie zur Entlassung führten. Franz Böhm war ein tief im christlichen Glauben verankerter Mensch und wie Eucken Mitglied der Bekennenden Kirche innerhalb der von Gleichschaltung durch die Nationalsozialisten bedrohten Deutschen Evangelischen Kirche. An dem 1938 anlässlich der Pogromnacht ins Leben gerufenen ökumenisch orientierten „Freiburger Konzil” nahmen Böhm wie andere Mitglieder der Freiburger Schule regen Anteil, ebenso an anderen Widerstandskreisen wie dem Bonhoeffer-Kreis.
Nach Kriegsende kam es in hektischer Folge von oft nur Wochen zu Ernennungen zum Prorektor der Universität Freiburg, zum Berater der amerikanischen Befreier für die Dekartellisierung in Deutschland und im November 1945 zum Kultusminister in Hessen. Doch auch dieses Amt übte Böhm nur wenige Monate aus, da amerikanische Stellen seinen Plänen einer christlichen Gemeinschaftsschule misstrauten. Nun nahm er 1946 den Ruf auf den Lehrstuhl für Bürgerliches Recht der Universität Frankfurt an. Er arbeitete dabei weiter vor allem an wettbewerbspolitischen Entwürfen, nicht zuletzt am, indes erst 1957 verwirklichten, ersten deutschen Kartellgesetz (GWB). Schon bald wurde er zudem für die christlich-jüdische Zusammenarbeit tätig und folgerichtig auch von Konrad Adenauer zum Leiter der Delegation für „Wiedergutmachung” mit Israel beauftragt. Beide zentrale Anliegen vertrat Franz Böhm auch als Abgeordneter im Bundestag, dem er von 1953 bis 1965 in drei Legislaturperioden angehörte.
Franz Böhm, der 1977 im Alter von 83 Jahren starb, war stets beides: Akademiker und Politiker – ein seltener Fall in der deutschen Nachkriegsgeschichte. Dennoch sollen die beiden Sphären nun ein wenig getrennt behandelt werden.
Wissenschaftliche Wirkung
Es war, wie Böhm selbst schrieb, wohl ein „Glückfall“, dass er in Freiburg in den schwierigen 1930er Jahren auf Gleichgesinnte traf, mit denen eine „Forschungs- und Lehrgemeinschaft“ von Juristen und Ökonomen gedeihen konnte, die zentrale Konzepte wie „Wettbewerbsordnung“ oder „Wirtschaftsverfassung“ gemeinsam entwickeln konnten. Gemeinsam stellen sie den regelbasierten Wettbewerb als zentrales Ordnungsprinzip einer (verfassungs-) rechtlich garantierten „funktionsfähigen und menschenwürdigen Wirtschaftsordnung“ heraus, die sich nicht von selbst herstellt und bewahrt, sondern rechtlicher Gestaltung bedarf.
Was macht den Wettbewerb so wertvoll und gar „menschenwürdig“? Im Gegensatz zu den damals wie heute gängigen ökonomischen Theorien ging es Böhm und den (damaligen) „Freiburgern“ nicht in erster Linie um (Allokations-) Effizienz, sondern um (Leistungs-) Gerechtigkeit und vor allem: um Machtkontrolle. Das Gegenteil von (Leistungs-) Wettbewerb ist nicht Kooperation oder Solidarität, sondern Monopol und Kartell.
Diese wettbewerbsfeindlichen Strukturen verfestigen nicht nur Ineffizienzen, z.B. geringe Anreize zu Preissenkungen und Innovation, sondern vor allem ökonomische Macht – auf Kosten der Schwachen. Monopole oder Kartelle schaden den Arbeitnehmern und den Konsumenten, die keine oder kaum Wahlmöglichkeiten haben; auch hindern sie die Entwicklung von, heute würde man sagen: KMUs oder „start-ups“, die neue Wahloptionen schaffen könnten.
Hinzu kommt: wirtschaftliche und politische Macht sind interdependent, sie verstärken sich gegenseitig. Franz Böhm hat dies ausführlich als „Vergesellschaftung des Staates und Verstaatlichung der Gesellschaft“ analysiert. Damit hat er auch die heute etablierte polit-ökonomische Theorie des „rent-seeking“ (der Suche von Unternehmen und Interessengruppen nach staatlichen Privilegien, Schutz vor Wettbewerb) und des gemeinwohlschädlichen Interventionismus zum gegenseitigen Machterhalt vorweggenommen.
Der schon in der Weimarer Republik und noch verstärkt unter der nationalsozialistischen oder kommunistischen Planwirtschaft vorherrschenden Praxis der staatlich geschützten Monopole, Kartelle (Preisabsprachen) oder politisch festgelegten Preise stellte Böhm schon in den 1930er Jahren das Prinzip des offenen und regelbasierten Leistungswettbewerbs entgegen als „das genialste Entmachtungsinstrument der Geschichte“.
Das war die Grundidee der „Freiburger Schule“, die sich als „Ordo-Liberalismus“ schon im Widerstand gegen die NS-Diktatur programmatisch positionierte und damit die Chance hatte, sich nach 1945 – durchaus auch im Widerspruch zu damals gängigen Theorien und politischen Meinungen in den Besatzungsländern – zu behaupten. Vor allem Ludwig Erhard und seinem Staatssekretär Alfred Müller-Armack ist es gelungen, die Lehren der „Freiburger Schule“ als politische Konzeption der Sozialen Marktwirtschaft in Politik und öffentlicher Meinung zu verankern.
Ganz grob kann der „Freiburger“ Beitrag zu dieser Konzeption anhand der von Walter Eucken formulierten „Grundsätze der Wirtschaftspolitik“ illustriert werden; vor allem der „konstitutionellen Prinzipien“. Als (wirtschafts-) politische Prinzipien erläutert Eucken: Geldwertstabilität, offene Märkte, konstante Wirtschaftspolitik. Damit hatte Franz Böhm, der schon früh ökonomisches Denken wie wohl kaum ein Jurist seiner (und unserer) Zeit verstand, sicher auch keine Probleme. Als eher eigenen Beitrag, wenn auch in weit überlappenden Kontexten, kann man seine Arbeiten den Beitrag zu den (privat-) rechtlichen Prinzipien zählen: Privateigentum, Vertragsfreiheit, Haftung.
Alle sechs Prinzipen bilden zusammen und in wechselseitiger Bedingtheit die Wirtschaftsverfassung einer Wettbewerbsordnung. Franz Böhm gebührt dabei das Verdienst, gerade die Grundprinzipien der von ihm so ausführlich wie prägnant ausgeführten „Privatrechtsgesellschaft“ dargestellt zu haben. Veröffentlicht wurde der wichtige Artikel „Privatrechtsgesellschaft und Marktwirtschaft“ 1962 in der Zeitschrift ORDO. Dieses Jahrbuch wurde 1948 von Eucken und Böhm gegründet. Es ist bis heute der zentrale Ort wissenschaftlicher Diskussion des Ordoliberalismus.
Politische Wirkung
Franz Böhm war als Wissenschaftler immer auch ein politischer Mensch, dem es um die Umsetzung von Überzeugungen mithilfe von Reformen ging; er war als Politiker aber auch immer ein der Wahrheit verpflichteter Mensch, der seine Überzeugungen keiner Parteidisziplin unterwarf. Als CDU-Mitglied und Abgeordneter dreier Legislaturperioden (von 1953 bis 1965) war Böhm öfters mit Kanzler Adenauer uneins und stimmte auch gelegentlich mit der Opposition. Auch bei der SPD wurden seine Argumente mitunter goutiert; die Anerkennung der Marktwirtschaft in ihrem Godesberger Programm 1959 geht wohl auch auf Gespräche mit Böhm zurück.
Wie schon angedeutet, waren es vor allem zwei Angelegenheiten, die Böhm als Politiker sehr am Herzen lagen: die Kartellgesetzgebung und die Aussöhnung mit Israel.
Gegen die ersten Entwürfe des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB), von Ludwig Erhard als „Grundgesetz der Sozialen Marktwirtschaft“ bezeichnet, gab es großen Widerstand, vor allem seitens der Industrieverbände, aber auch innerhalb der CDU. Am Ende eines „Siebenjährigen Krieges“ (so der Spiegel damals) wurde 1957 das GWB zwar verabschiedet; Erhard und Böhm mussten dabei aber auch einige Kompromisse eingehen; ein striktes Kartellverbot ließ sich nicht durchsetzen.
Gleichwohl war das deutsche Wettbewerbsrecht, gerade weil seine Umsetzung weitgehend an unabhängige Behörden (Kartellamt, Monopolkommission) delegiert und damit entpolitisiert wurde, lange Zeit sehr erfolgreich und hat wohl auch zum anhaltenden „Wirtschaftswunder“ durch Leistungswettbewerb beigetragen. Auch wurde es zum Modell für das europäische Wettbewerbsrecht, dem die Mitgliedsländer der Europäischen Gemeinschaft etwa die Entflechtung der Postmonopole zu verdanken haben.
Auch in den Debatten zur Arbeitnehmer-Mitbestimmung in Unternehmen während der 1950er und 1960er Jahre erhob Böhm als Professor (bis 1962) und Abgeordneter (bis 1965) fundierte Einsprüche. Er warnte vor einem Mischsystem „Dritter Wege“ („Wirtschaftsdemokratie“), bei dem die Prinzipien von Privateigentum und Haftung verwässert würden. Die „soziale Frage“, die Böhm durchaus ernst nahm, müsse vorrangig mithilfe der Wettbewerbsordnung als Entmachtungsinstrument angegangen werden.
Auch bei Fragen der Wiedergutmachung oder der Aufnahme formaler Beziehungen mit Israel war Böhm als Verhandlungsleiter sowie Stellvertretender Vorsitzender des Bundestagsausschusses) nicht immer mit Kanzleramt und Auswärtigem Amt einig. Gleichwohl hat er auch hier historisch Wertvolles geleistet. 1970 erhielt Böhm den Leo Baeck Preis, die höchste Auszeichnung des Zentralrats der Juden in Deutschland als „Vater der Wiedergutmachung“. Dass die Sicherheit Israels später als unverzichtbarer Bestandteil deutscher Staatsraison bezeichnet wurde, hätte Böhm sicher gefreut.
Gesamtwürdigung
Helmut Kohl würdigte Franz Böhm in einem Nachruf als einen der wichtigsten CDU-Politiker der ersten Stunde, als „Anwalt von Menschlichkeit und Recht“ sowie als „bleibendes Vorbild freiheitlicher Gesinnung und demokratischer Tugend“. Die Soziale Marktwirtschaft hätte sich ohne die interdisziplinäre, wertgeleitete und gleichwohl politiktaugliche Vorarbeit der „Freiburger Schule“ in Deutschland nach 1945 wohl kaum umsetzen lassen. Diese wiederum verdankt sich in erster Linie den Arbeiten und dem Zusammenarbeiten von Walter Eucken und Franz Böhm während der 1930er Jahre, die weitgehend im Untergrund stattfand. Franz Böhm hat den ökonomischen Analysen seines Freundes Eucken vor allem die rechtlichen Aspekte hinzugefügt. So konnte sich ein kohärentes Konzept der „Wirtschaftsverfassung“ bilden, das als Soziale Marktwirtschaft auch politisch umsetzbar wurde.
Prof. Dr. Michael Wohlgemuth ist u.a. Forschungsbeauftragter der Stiftung für Staatsrecht und Ordnungspolitik in Liechtenstein und Professor beim Promotionskolleg Soziale Marktwirtschaft der Konrad-Adenauer-Stiftung.