Entfremdung zwischen Europa und den Vereinigten Staaten
„Eine Großmacht, die sich keinen Respekt verschafft, ist schon dekadent.“ – Als Raymond Aron diese Worte schrieb, war er empört. Der Leitartikel, aus dem sie stammen, erschien am 18. August 1956 unter dem Titel „Das Gewicht der amerikanischen Diplomatie“ in Le Figaro und war einer von mehr als 20 Kommentaren, mit denen der französische Soziologe und Journalist die Suezkrise begleitete. Empört war Aron, weil die Vereinigten Staaten aus seiner Sicht ihre Nato-Verbündeten Frankreich und Großbritannien schmählich im Stich gelassen hatten, ein Verrat, der, wie er zehn Tage vorher geschrieben hatte, zur Vertreibung der Amerikaner aus Europa durch die Sowjetunion führen könne.
Arons Urteile in diesen Wochen schwankten zwischen solch dramatischen Beschwörungen einerseits und Analysen andererseits, in denen sich die „eisige Klarheit“ zeigte, für die er bekannt war. Immer aber war er sich sicher, dass das Verhältnis zwischen den Vereinigten Staaten und Europa ernsthaft angegriffen sei, dass man sich in einer tiefgreifenden, die Welt verändernden Krise befinde. Aron stand mit dieser Auffassung nicht allein, vielmehr entsprach sie dem allgemeinen Empfinden in Westeuropa, nicht nur in Großbritannien und Frankreich, sondern auch in der Bundesrepublik Deutschland. Ein Blick auf die damaligen Reaktionen ist aufschlussreich, wenn es um die Beurteilung der heutigen Krise im transatlantischen Verhältnis geht. Andreas Rüesch hat am 14. März in einem gedankenreichen Artikel in der Neuen Zürcher Zeitung geschrieben, die „jetzige Entfremdung“ zwischen den Vereinigten Staaten und ihren europäischen Verbündeten reiche tiefer als frühere Störungen im transatlantischen Verhältnis wie die Suezkrise.
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Doch an welchen Maßstäben misst man das? Das Empfinden der Mitlebenden unterscheidet sich oft von der Einsicht späterer Historiker. In der aktuellen Krise der amerikanisch-europäischen Beziehungen, ja der weltpolitischen Ordnung, können wir nur auf unser Empfinden und die Augenblicksanalysen politischer, wissenschaftlicher oder journalistischer Beobachter zurückgreifen. Die Historiker werden erst später ihre Sicht der Dinge darlegen. Wer die derzeitige Situation im Vergleich mit früheren Krisen beurteilen will, kann nur auf zeitgenössische Einschätzungen zurückgreifen. Alles andere liegt im Nebel der Zukunft.
Das, was als das Besondere an der aktuellen Lage gesehen wird, schwindet aber zum Teil, wenn man es mit dem vergleicht, was europäische Politiker und Journalisten während der Suezkrise dachten. Damals drohte kein erratisch handelnder amerikanischer Präsident damit, Westeuropa nicht gegen die Sowjets zu verteidigen. An der Spitze der Vereinigten Staaten stand kein Provokateur, der durch tägliche Meinungswechsel, Drohungen und Zölle Verwirrung stiftete und Angst schürte, sondern mit Dwight D. Eisenhower ein ehemaliger General, der – mit dem Titel seiner Kriegserinnerungen – einen „Kreuzzug in Europa“ für die Freiheit geführt hatte. Noch dazu war Eisenhower ein moderater Republikaner, der sich innen- wie außenpolitisch auf den sogenannten „liberalen Konsens“ beider Parteien stützen konnte – paradiesische Zustände, könnte man sagen.
Vorgeschichte und Verlauf der Suezkrise 1956
Und doch demütigte Eisenhower Großbritannien und Frankreich in einer Weise, die bis zu jenem Zeitpunkt unvorstellbar war. Die Tragweite dieses Vorgangs kann im heutigen Europa kaum jemand nachvollziehen, weil sich die Nationen der Alten Welt schon vor langer Zeit mit dem Status der Protegierten arrangiert haben. Was war passiert? Am 26. Juli 1956 hatte der ägyptische Staatspräsident Gamal Abdel Nasser angekündigt, die vor allem in französischem und britischem Eigentum befindliche Suezkanalgesellschaft zu verstaatlichen. Dieser Schritt war eine Reaktion auf die Entscheidung Eisenhowers vom 21. Juli desselben Jahres, die technische und finanzielle Hilfe zurückzuziehen, die er Nasser für den Bau des Assuan-Staudamms zugesagt hatte, weil der Tyrann die Regierung der Volksrepublik China anerkannt und Waffen in der Tschechoslowakei gekauft hatte.
In London und Paris löste die Erklärung Nassers Entrüstung aus. Schon am 27. Juli erklärte der britische Premierminister Sir Anthony Eden in einem Telegramm an Eisenhower, der Westen könne diese Provokation Nassers nicht dulden und müsse notfalls auch Gewalt anwenden. Präsident Eisenhower hingegen war der Ansicht, niemand könne Nasser daran hindern, auf seinem eigenen Territorium Privateigentum zu verstaatlichen. Auf diese Auffassung reagierte Aron mit den eingangs zitierten Worten, und in dem ihn innerlich zerreißenden Konflikt zwischen französischem Patriotismus und der nüchternen Analyse der Machtverhältnisse siegte zunächst der Patriotismus. Damit befand er sich im Einklang mit den Regierungen in London und Paris, die gar nicht daran dachten klein beizugeben.
Am 29. Oktober intervenierte Israel, das mit verstärkten ägyptischen Angriffen und der Sperrung des Suezkanals für israelische Schiffe zu kämpfen hatte, in Absprache mit Frankreich und Großbritannien im ägyptisch besetzten Gazastreifen und auf der Sinai-Halbinsel in Richtung der Kanalzone. Die Briten und Franzosen griffen erst in die Kampfhandlungen ein, nachdem sie am 30. Oktober Ägypten und Israel aufgefordert hatten, ihre Truppen vom Suezkanal zurückzuziehen, damit sie selbst für Ordnung in der Kanalzone sorgen könnten. Als Reaktion stellte sich Eisenhower in einer Rede demonstrativ gegen die beiden Verbündeten und erklärte, für Starke und Schwache, für Gegner und Freunde Amerikas könne es nicht zwei Arten von Recht geben. Am selben Tag brachten die Vereinigten Staaten eine Resolution in die Vollversammlung der Vereinten Nationen ein, die einen sofortigen Waffenstillstand und den Rückzug aller ausländischen Truppen forderte. Am 2. November nahm die Vollversammlung die Resolution mit einer Mehrheit von 64 zu fünf an. Es kümmerte Eisenhower nicht, dass er auf diese Weise mit der Sowjetunion gegen zwei Nato-Staaten stimmte, um einen Klientelstaat der Sowjets zu schützen. Unter der Überschrift „Tragischer Bankrott“ bemerkte Aron dazu am 6. November in Le Figaro, die Vereinten Nationen seien eine „Kriegsmaschinerie gegen Europa“ geworden, errichtet „von der Sowjetunion mit Hilfe der Staaten des Ostens“ und „unter Billigung der Vereinigten Staaten“.
Adenauers „europäischer Nationalismus“
In einem Leitartikel vom 2. November bedauerte Aron zwar, dass Großbritannien und Frankreich die atlantische Solidarität beschädigt hätten. Auch ersparte er ihnen nicht den Vorwurf, die Verurteilung durch die Vereinten Nationen provoziert zu haben. Aber wichtiger war ihm, dass alle drei am Kanal intervenierenden Staaten gute Gründe für ihr Handeln gehabt hätten. So habe Israel angesichts der Drohungen Nassers, den jüdischen Staat zu vernichten, nur sein Recht auf Verteidigung in Anspruch genommen, das in manchen Situationen das Recht zum Angriff einschließe. Besonders erhellend ist, was Aron über Frankreich und Großbritannien zu sagen hatte: „Es scheint, als seien die Franzosen und Briten weniger von einem politischen Kalkül geleitet worden als von einer Revolte gegen die Erniedrigung und von dem Willen, die Welt daran zu erinnern, dass sie weder feige noch dekadent seien.“
Nicht nur Aron hielt das für ein legitimes Motiv, sondern auch Konrad Adenauer, der sogleich versuchte, sich die Lage Frankreichs und Großbritanniens für seine europapolitischen Pläne zunutze zu machen. Schon vor der Eskalation der Krise sagte er am 25. September 1956 in einer Rede vor den Grandes Conférences Catholiques in Brüssel, die europäischen Staaten müssten sich „auf ihre eigene Stärke und Verantwortung besinnen“, und begründete diese Forderung unter anderem mit der Suezkrise. Europa werde von der „Bühne des Weltgeschehens“ abtreten, wenn man jetzt nicht handele – eine für Adenauer unerträgliche Vorstellung. Hans-Peter Schwarz hat diese Seite an Adenauer mit einer paradoxen Formulierung als „europäischen Nationalismus“ bezeichnet. Jenen „Nationalismus“ führte der Kanzler einige Tage später, am 3. Oktober, auch den Ministern im Bundeskabinett vor Augen, als er forderte, Europa müsse zu einer „dritten Macht“ werden, um einer „pax atomica“ zwischen den Weltmächten entgegenzutreten. Diese Furcht vor einer nuklearen Einigung der Vereinigten Staaten und der Sowjetunion war nicht aus der Luft gegriffen, sie beruhte, wie sich bald zeigen sollte, auf einer realistischen Analyse der weltpolitischen Lage.
Zwischen Einschüchterung und Schadensbegrenzung
Am 5. November warnte der sowjetische Ministerpräsident Nikolai Bulganin Großbritannien, Frankreich und Israel, ihre Intervention in Ägypten könne sich zu einem dritten Weltkrieg ausweiten. Prophezeiungen, wenn nicht sogar Drohungen, dieser Art sind auch heute noch üblich, oder besser: wieder üblich. Bulganin ging jedoch weiter und drohte damit, London und Paris mit Nuklearraketen anzugreifen, wenn sich die Truppen nicht vom Suezkanal zurückzögen. Dazu war die Sowjetunion zu dieser Zeit technisch noch gar nicht in der Lage, so dass man dieser Einschüchterung hätte widerstehen können. Doch Eisenhower – und das war entscheidend – stellte sich abermals gegen seine Verbündeten und verweigerte den Briten die zur Fortsetzung der Kämpfe erforderliche wirtschaftliche Hilfe. So zwang er sie, die UN-Resolution und den Waffenstillstand zu akzeptieren. Dass ein amerikanischer Präsident einen Waffenstillstand erzwingen will, ist also nichts Neues. Freilich hatte Eisenhower dafür auch alle notwendigen Karten in der Hand. Am Morgen des 6. November erklärten die Regierungen in London und Paris, dass das Feuer in Ägypten am 7. November eingestellt werde. Sie waren auf der ganzen Linie gescheitert, und abgesehen davon, dass sie dieses Desaster durch ihr Handeln provoziert hatten, verdankten sie ihre Niederlage allein den Vereinigten Staaten.
Die Erklärung für Eisenhowers Entscheidungen hatte Aron 1951 in seinem Buch Les Guerres en chaîne mit Blick auf den Koreakrieg vorweggenommen: Die Weltmächte hatten ein gemeinsames Interesse daran, einen Konflikt in einem sensiblen Gebiet zu begrenzen, um einen allgemeinen Krieg zu verhindern. In Paix et guerre entre les nations von 1962 schrieb Aron später, die Vereinigten Staaten und die Sowjetunion hätten durch den Koreakrieg gelernt, dass ihr gemeinsames Interesse, sich nicht gegenseitig zu zerstören, wichtiger sei als ihr weltpolitischer und ideologischer Gegensatz. Es gebe so etwas wie eine Solidarität „feindlicher Brüder“ gegen den totalen Krieg. Diese Solidarität wurde aus Arons Sicht 1956 besonders augenfällig, weil sich die Vereinigten Staaten weigerten, im zeitgleich stattfindenden Ungarnaufstand Stellung gegen die sowjetische Intervention zu beziehen. 1957 resümierte er die Vorgänge des Vorjahres ebenso unsentimental wie klar: „Wegen der Existenz von Atomwaffen sind die Vereinigten Staaten mit der Sowjetunion in Sachen des Friedens ebenso verbündet wie mit den Europäern in Sachen der Freiheit.“
Zwei Strategien für Europa
Das war nicht das Ende des Atlantizismus oder der Nato, im Gegenteil: Die Doppelkrise von 1956 endete in einer Festigung der amerikanischen Hegemonie in Westeuropa. Es wäre unnatürlich gewesen, wenn die beiden westeuropäischen Großmächte diese Entwicklung leichten Herzens akzeptiert hätten, aber am Ende blieb ihnen nichts anderes übrig. Sie reagierten mit unterschiedlichen Strategien auf die neue Lage. Zwei Jahre sollte es noch dauern, bis die dysfunktionale Vierte Französische Republik unter der Last des Algerienkriegs zusammenbrach. Charles de Gaulle kehrte zurück, schuf die Fünfte Republik und leitete die Politik der „nationalen Unabhängigkeit“ ein, die zwar 1966 zum Austritt aus der militärischen Organisation der Nato führte, an der Vorherrschaft der Vereinigten Staaten aber nichts ändern konnte.
Die Briten taten sich leichter mit der neuen Lage. In London zog Harold Macmillan als Nachfolger des in Suez gescheiterten Anthony Eden andere Schlüsse aus der Krise. Schon während des Zweiten Weltkriegs war Macmillan zu der Überzeugung gelangt, dass die Zeit des Britischen Empire abgelaufen sei und dass den Briten im neuen amerikanischen Imperium nur noch die Rolle bleibe, die die Griechen im römischen gespielt hätten. In den Amerikanern sah er „große, vulgäre und umtriebige Kerle, die aber kräftiger sind als wir und zugleich auch verbummelter.“ Wie die Griechen das Hauptquartier des Kaisers Augustus geführt hatten, sollten die Briten nun die Amerikaner leiten. Nach dem Rücktritt Edens sah er seine Chance, diese Vorstellungen umzusetzen. Sie waren nur bedingt realistisch, hatten aber den Vorteil, dass sie von der Einsicht in das Unvermeidliche ausgingen. So reparierte Macmillan gemeinsam mit Eisenhower das amerikanisch-britische Verhältnis, und als Kennedy Anfang der 1960er Jahre von einer „atlantic partnership“ sprach, schwebte Macmillan für Großbritannien die Rolle eines Maklers zwischen Europa und Amerika vor. „Ship me somewhere east of Suez“, heißt es in Rudyard Kiplings Gedicht Manderly von 1890. Macmillan erkannte als erster britischer Premierminister, dass der Schwerpunkt der britischen Außenpolitik nicht mehr in Asien lag, nicht mehr in dem sich auflösenden Empire, sondern „west of Suez“, nämlich in der Pflege des transatlantischen Verhältnisses, in der Verteidigung Westeuropas gegen die Sowjetunion im Rahmen der Nato und unter Führung der Amerikaner. Er beschleunigte die Dekolonisierung des Empire und baute mit Hilfe der Vereinigten Staaten eine britische Nuklearstreitmacht auf.
Europäische Einigung: Aufrüstung und Amerikas Beistand
Das war eine Entwicklung, die Adenauer nur begrüßen konnte, wenngleich ihn die Deklassierung der einstigen Großmächte Großbritannien und Frankreich betroffen machte. Er führte, wie er es immer getan hatte, beide Strategien zu einer zusammen, schwankte mitunter zwischen ihnen und glaubte, sich nicht für Washington oder Paris entscheiden zu müssen. Die Einigung Europas erschien ihm nun aber wichtiger denn je. „Europa wird ihre Rache sein“, sagte Adenauer dem französischen Ministerratsvorsitzenden Guy Mollet mit Blick auf das gescheiterte Suez-Abenteuer am 6. November 1956 in Paris.
Dabei wollte der Kanzler Europa keineswegs von den Vereinigten Staaten unabhängig machen, sondern lediglich die Europäer auf die Eventualität vorbereiten, dass die Amerikaner den Alten Kontinent sich selbst überlassen könnten. Anders als später de Gaulle wollte Adenauer den Rückzug der Vereinigten Staaten nicht, aber er fürchtete ihn, und das nicht erst seit Suez. Schon vor der Krise war der Radford-Plan bekannt geworden, der eine Abrüstung der amerikanischen Streitkräfte in Westeuropa um nahezu 800.000 Mann, gleichzeitig aber eine Stärkung der nuklearen Abschreckung vorsah. Adenauer interpretierte ihn als den Versuch, eine „Festung Amerika“ zu errichten, die sich „mit nuklearen Waffen“ ohne Rücksicht auf die Europäer verteidigen werde. Auch deshalb drängte er auf größere militärische Anstrengungen der Europäer. Auf die Freundschaft der Amerikaner legte er aber weiterhin den größten Wert, denn er wusste sehr gut, dass ein europäisches Sicherheitssystem ohne sie nicht denkbar gewesen wäre. Die Nato stand für ihn niemals zur Debatte.
Warum die NATO gegründet wurde – und Deutschland Mitglied geworden ist
Die nordatlantische Verteidigungsallianz, die NATO, wird angesichts aktueller Bedrohungen mehr denn je benötigt, um Stabilität und Sicherheit zu gewährleisten. Doch warum wurde das Verteidigungsbündnis 1949 gegründet, wer bedrohte die westliche Gemeinschaft – und wieso ist die Bundesrepublik Deutschland der NATO 1955 beigetreten?
Das Gefühl der Deklassierung in London und Paris, ihr Entsetzen darüber, dass sie nicht mehr ohne Einverständnis der Vereinigten Staaten über Krieg und Frieden entscheiden konnten, die Furcht des deutschen Bundeskanzlers vor einer „Festung Amerika“, die zwischen patriotischem Aufbäumen und nüchterner Akzeptanz der Wirklichkeit schwankenden Analysen Raymond Arons – das sind nur Beispiele dafür, wie aufgewühlt die Stimmung in Westeuropa im Jahr 1956 war. Sie sprechen nicht dafür, dass die Suezkrise für die Zeitgenossen weniger verstörend war als das aktuelle transatlantische Zerwürfnis für uns, zumal man sich nicht vom Stil der jeweiligen amerikanischen Regierung über ihre Absichten täuschen lassen darf. Das alles in allem freundliche Auftreten Eisenhowers änderte nichts daran, dass die Vereinigten Staaten in erster Linie ihre eigenen Interessen verfolgten. Auch darin hat sich nichts geändert.
Gerade darum aber sind die Schlüsse richtig, die Rüesch in seinem Artikel aus der derzeitigen Krise zieht. Es sind dieselben, die aus der Suezkrise gezogen wurden: Es gilt, im Sinne Macmillans und Adenauers alles dafür zu tun, dass sich Amerika und Europa nicht entkoppeln, gleichzeitig aber die europäischen Nationen unabhängig von neuen Strukturen, die man erst schaffen müsste, aufzurüsten, und gelassen auf eine Veränderung der amerikanischen Politik nach Trump oder sogar noch während seiner Amtszeit zu warten. Wer hingegen glaubt, die „Unabhängigkeit von den Vereinigten Staaten“ schaffen zu können, macht sich und anderen etwas vor und täuscht sich über die Gemütslage der Europäer, die es, wie Aron festgestellt hat, recht bequem auf dem „Balkon der Geschichte“ finden. Obwohl er die westeuropäischen Staaten immer wieder ermahnte, sich den Herausforderungen der Staatenwelt zu stellen und ihre Geschicke selbst in die Hand zu nehmen, glaubte er doch, dass sie ohne den Beistand der „imperialen Republik“ nicht auskommen könnten. Das war die nüchterne Einsicht eines Vernunftatlantikers, der sich in das Unvermeidliche fügte.