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Länderberichte

Regierungsarbeit unter Einbindung rechtsnationaler Parteien

von Gabriele Baumann, Lukas Mugele

Aktuelle Erfahrungen aus Schweden und Finnland

Seit Herbst 2022 hat Schweden eine konservative Minderheitsregierung aus Moderaten, Christdemokraten und Liberalen, gestützt durch ein Kooperationsabkommen mit den rechtsnationalen Schwedendemokraten (SD), das sogenannte „Tidöavtalet“. Auch wenn die Zusammenarbeit bei der Kriminalitätsbekämpfung, dem Ausbau von Atomkraft sowie bei Wirtschafts- und Budgetfragen zu funktionieren scheint, nimmt die Schärfe an Rhetorik der SD zu Schwedens Rolle in der EU, zur Migration und dem Islam zu. Obwohl die Schwedendemokraten offiziell den NATO-Beitritt nach Russlands Angriffskrieg befürworten, erschwert das Agieren der Partei gerade im Hinblick auf die Koranverbrennungen die Ratifizierung des NATO-Beitritts durch die Türkei und trägt zur Destabilisierung der Inneren Sicherheit von Schweden bei.

Seit Juni 2023 hat auch Finnland eine konservative Regierung, in welcher – anders als in Schweden – die rechtsnationalen Basisfinnen (PS) Koalitionspartner sind und ihnen die Leitung von acht Ministerien übertragen wurde. Bereits wenige Tage nach der Regierungsbildung zeigten sich erste Risse – der Wirtschaftsminister der PS musste aufgrund seiner „Verbindungen in die Neonaziszene“ zurücktreten, zwei weitere Minister der PS entschuldigten sich öffentlich für „rassistische Äußerungen“ Auch die Finanzministerin und Parteivorsitzende der PS steht aufgrund von früheren gewaltvollen, ausländerfeindlichen Blogeinträgen unter Druck. Der Vorsitzende der konservativen Sammlungspartei und Ministerpräsident Orpo hat nun direkt nach der Sommerpause die Parteivorsitzenden der Regierungsparteien zu einer „Klausurdebatte“ gegen Rassismus und Diskriminierung eingeladen. Man ist im Ergebnis zuversichtlich, gemeinsam in der Regierungsarbeit voranzukommen. Dies war sehr wichtig für ein Fortbestehen der Koalition, da die sich häufenden Skandale um rechte PS Politiker oder deren Äußerungen die drei anderen Koalitionsmitglieder stark unter Druck gesetzt hat.

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Umgang mit rechtsnationalen Parteien im Norden Europas – Tendenz zur Einbindung statt Ausgrenzung

Für die Einbindung rechtsnationaler Parteien insbesondere in konservativen Regierungen gab es in Finnland, aber auch in Norwegen schon einige Beispiele. Man erhofft sich dadurch ein Schrumpfen dieser Parteien und ein Auffangen ihrer Wählerschaft, was auch teilweise in der Vergangenheit funktioniert hat. In Dänemark hatten sich die Sozialdemokraten unter Frederiksen schon früh die Anti-Migrationsprogrammatik der rechtsnationalen Dänischen Volkspartei zu eigen gemacht und diese dadurch auf derzeit fünf Mandate gedrückt. In Schweden gab es diese Erfahrung bislang nicht. Der „bürgerliche Block“ aus drei Parteien berief sich aber auf die nordische Tradition der Konsensbildung und wagte den Versuch einer Minderheitsregierung mit Stützung durch die Schwedendemokraten. Eine große Koalition zwischen Sozialdemokraten und Konservativen war bereits am Wahlabend ausgeschlossen worden.

 

Schweden

Die Schwedendemokraten sind drittgrößte Partei in Schweden

Seit 2010 ist die SD im nationalen Parlament vertreten. Heute liegt sie nach aktuellen Umfragen bei 18,1% (siehe Grafik unten). Ihr Wahlerfolg stieg im vergangenen Jahrzehnt kontinuierlich an, bei den Wahlen im September 2022 lag sie an zweiter Stelle sogar noch vor der künftigen Regierungspartei, den Moderaten. Die SD prägte die Debatten über Migration und Islam in Schweden. Sie positioniert sich bis heute als Verteidigerin des schwedischen Wohlfahrtsstaats für schwedische Menschen und als Gegnerin der Einwanderung.

 

Partei Wahlergebnis 2022

Kantar Public/
SVT Umfrage 03. Aug 2023

Sozialdemokraten 30,33% 38,0%
Schwedendemokraten 20,54% 18,1%
Moderate 19,10% 19,2%
Linkspartei 6,75% 7,6%
Zentrum 6,71% 4,3%
Christdemokraten 5,34% 3,2%
Grüne 5,08% 4,8%
Liberale 4,61% 3,2%

 

Dennoch hat die Partei in dieser Periode auch extreme politische Positionen zurückgenommen, um neue Wähler in der politischen Mitte anzusprechen und „kompatibel“ mit bürgerlichen Parteien zu sein. Grundsätzlich sind die Schwedendemokraten „EU-skeptisch“. Die SD befürwortet den Beitritt zur NATO und sieht Russland als Bedrohung.  Das für die SD wichtigste Thema ist Migration. Die Partei hat dazu beigetragen, dass sowohl die Sozialdemokraten in der Vorgängerregierung als auch die jetzige Regierung hin zu einer sehr viel strikteren Migrations- und Integrationspolitik umgeschwenkt sind.

 

Neues Migrationsgesetz tritt im Oktober in Kraft

Noch im November 2022 hat die neue Regierung in Schweden ein Gesetz verabschiedet, durch welches das Mindesteinkommen für eine Arbeitserlaubnis von 13.000 auf 26.560 Kronen (ca. 2.500 Euro) erhöht wurde, was 80 Prozent des aktuellen schwedischen Gehaltsdurchschnitts entspricht. Das Gesetz soll ab Oktober 2023 gelten und kann als Versuch gewertet werden, verstärkt auf die Einwanderung hochqualifizierter Arbeitskräfte zu setzen. Im April 2024 soll zudem eine Regelung in Kraft treten, nach der Asylsuchende (ausgenommen sind unbegleitete Minderjährige) in staatlichen Unterkünften untergebracht und Geldzahlungen davon abhängig gemacht werden. Ergänzend wurde auch die Einrichtung von Rückführzentren beschlossen, in denen sich abgelehnte Asylbewerber bis zu ihrer Abschiebung aufhalten sollen. Im Juli wurde der sogenannte „Rechtsrat“ damit beauftragt, sich mit einer Verschärfung der Regeln zur Familienzusammenführung zu beschäftigen. Die Erlangung der schwedischen Staatsbürgerschaft soll stärker eingeschränkt werden und ein längerer vorheriger Aufenthalt von möglicherweise 8 Jahren dafür erforderlich sein.

 

Vorgeschmack auf die Wahl 2024 zum Europaparlament? Die Schwedendemokraten kritisieren die aktuelle Rolle Schwedens in der EU

Die Schwedendemokraten attackierten in den letzten Wochen die Einigung des Europäischen Rats zu wichtigen Asyl- und Migrationsgesetzen vom Juni dieses Jahres. Eine Einigung dazu gelang während des schwedischen Vorsitzes der Ratspräsidentschaft. Åkesson, der Vorsitzende der SD, meldete sich bereits im Mai zu Wort und bezeichnete die EU als Zwangsjacke für Schweden. Generell fordert er neben mehr nationaler Entscheidungsbefugnis das restriktive australische Modell der Asylpolitik. Die EU-freundliche konservative Regierung unter Kristersson wird durch die regelmäßige Kritik seitens der SD unter Druck gesetzt. Beobachter sehen dadurch ihre Manövrierfähigkeit in Bezug auf ihr Agieren in der EU eingeschränkt.

Auffallend war auch die wohlwollende Haltung der SD zu den Koranverbrennungen der letzten Monate. Ende Juli bezeichnete der Vorsitzende des Rechtsausschusses Jomshof (SD) den Propheten Mohammed als „Warlord, Massenmörder, Sklavenhändler und Bandit“. Aufforderungen der Opposition, nach diesen Äußerungen zurückzutreten, hat der Abgeordnete bislang nicht entsprechen wollen. Anfang August eskalierte die SD auch in ihrer Ablehnung der gleichgeschlechtlichen Ehe, als der Abgeordnete Söder mit seiner Meinung an die Öffentlichkeit trat, das jährliche Stockholmer Pride Festival legitimiere Pädophilie. Der Ministerpräsident maßregelte dessen Äußerungen zwar als „grotesk“ und der Außenminister als „verächtlich, unwürdig und falsch“, die Attacken der SD nehmen aber weiter ihren Lauf.

 

Finnland

Strengere Einwanderungspolitik, Wohlfahrtschauvinismus und Kritik an der EU kennzeichnen die „Basisfinnen“

Die Basisfinnen (PS) haben in den letzten Jahren ihr Profil als ethnonationalistische Partei geschärft. Kernthema ist eine strengere Einwanderungspolitik, die einhergeht mit einem ausgeprägten Wohlfahrtschauvinismus: Der Sozialstaat solle primär den finnischen Staatsbürgern bzw. den gebürtigen Finnen und „wahren“ Leistungsträgern der Gesellschaft zugutekommen. Die PS ist sehr EU-kritisch  und war im Wahlkampf sogar mit einer Forderung nach einem Austritt Finnlands aus der EU aufgefallen.

Der Wechsel im Vorsitz der Partei zu Purra, einer Frau an der Spitze, hat die Partei nach einer Phase der Radikalisierung unter Halla-Aho, der wegen Volksverhetzung verurteilt worden war, etwas zur Mitte geöffnet. Sie liegt trotz der Skandale im Sommer weiter im oberen Drittel gleichauf mit den Konservativen und Sozialdemokraten, auch wenn alle vier Parteien der Regierungskoalition in den Umfragen von Anfang August in der Wählergunst leicht verloren haben (siehe Grafik unten).

 

Partei Wahlergebnis 2023 Yle-Umfrage 03. Aug 2023
Konservative (NCP) 20,8% 19,8%
Basisfinnen (PS) 20,1% 19,2%
Sozialdemokraten (SDP) 19,9% 22,8%
Zentrum 11,3% 10,7%
Linke 7,1% 8,5%
Grüne 7,0% 8,0%
Schwedische Volkspartei 4,3% 3,9%
Christdemokraten 4,2% 4,0%

 

Im Regierungsprogramm ist die Handschrift der Basisfinnen besonders in EU- und Migrationsfragen sichtbar: Finnland werde keine Reformen akzeptieren, welche die Anreize der Mitgliedstaaten zur Sanierung der eigenen Finanzen reduziere und Schulden auf die gesamte EU abwälze. Das Rettungsprogramm der EU zur Bekämpfung der Auswirkungen der Corona-Pandemie sei ein Sonderfall gewesen und dürfe keinen Präzedenzfall schaffen. Finnische Interessen sollen wieder verstärkt gegenüber der EU verteidigt und durchgesetzt werden, wozu auch die Sicherung der Außengrenzen des Schengen-Raums gehöre.

Die jährliche Obergrenze für die Aufnahme von der UN anerkannten Flüchtlinge soll um die Hälfte auf 500 pro Jahr sinken. Ukrainer zählen nicht zu dieser Quote und sollen weiterhin durch gezielte Trainings in den finnischen Arbeitsmarkt integriert werden. Des Weiteren soll die Aufenthaltsgenehmigung bei akzeptiertem Asylantrag nur noch drei Jahre betragen und der Schutzstatus sofort enden, sollte der ursprüngliche Asylgrund erloschen sein. Ähnlich wie in Schweden soll auch der Familiennachzug eingeschränkt werden und sich nur noch auf Ehepartner und Kinder beziehen. Personen unter 21 Jahren müssen zudem einen finanziellen Bürgen vorweisen. Eine dauerhafte Aufenthaltsgenehmigung soll künftig frühestens nach vier Jahren möglich sein, sofern ein Jahreseinkommen von 40.000 Euro gegeben ist oder ein Masterabschluss und mindestens zwei Jahre Arbeitserfahrung in Finnland ohne Rückgriffe auf Sozialleistungen vorliegen. Erstmalig wird zur Erlangung der Staatsangehörigkeit ein Test eingeführt. Bislang musste man nur ausreichende Kenntnisse in Finnisch oder Schwedisch nachweisen, in Finnland seit mindestens fünf Jahren wohnen und für seinen Lebensunterhalt selbst aufkommen können.

 

Fazit

Versuche mit rechtsnationalen Parteien als Koalitionspartner bürgerlicher Regierungen sind im Norden nicht unüblich, da deren politische Kultur auf einem größtmöglichen Konsens aller Parteien beruht. Sowohl in Schweden als auch in Finnland ist man daher bemüht, die Zusammenarbeit auf Sachfragen zu fokussieren und in ein möglichst ruhiges Fahrwasser zu lenken. Dennoch ist sie in beiden Fällen herausfordernd und führt zu teils hohen Reibungsverlusten. Einige Äußerungen und Verbindungen finnischer Minister der PS in rechtsextreme Strukturen haben kurz nach der Regierungsbildung im In- und Ausland für große Empörung gesorgt und bereits zu einem Rücktritt geführt. Ministerpräsident Orpo will im September einen Plan vorlegen, wie die Regierung Gleichstellung und Anti-Diskriminierung fördern und weitere Skandale vermeiden kann. Er und die gesamte Regierung „verabscheuten jegliche Form von Rassismus und strebten eine gleiche und sichere Gesellschaft für alle an“. Zunächst sieht es so aus, als sei die Krise beigelegt. Ansonsten wäre eine weitere Entlassung aus einem Ministeramt nicht auszuschließen. Eine Petition für Purras Rücktritt als Finanzministerin hatte in wenigen Tagen 121.000 Unterschriften bekommen.

Vor den Wahlen zum Europaparlament dürfte die Kritik insbesondere der Schwedendemokraten an dem Agieren Schwedens in der EU weiter zunehmen, die Regierungsarbeit wird dadurch auf eine harte Probe gestellt. Die Kritik beschränkt sich allerdings auf die Politikfelder EU und Migration. Die SD befindet sich in einer sehr vorteilhaften Lage: sie hat durch ihre Nähe zur Regierung großen Einfluss auf deren Entscheidungen, kann aber gleichermaßen wie eine Oppositionspartei agieren, da sie aufgrund ihres fehlenden Koalitionsstatus keine Verantwortung für die Regierungsarbeit trägt. Im Endeffekt ist den Schwedendemokraten auch daran gelegen, sich bei der Regierung nicht allzu unbeliebt zu machen, um in der nächsten Legislaturperiode möglicherweise auch Partner in einer Koalitionsregierung werden zu können.

 


 

Coverbild: Die finnische Regierung, die Koalition unter dem Vorsitz des Ministerpräsidenten Petteri Orpo (2. v. r.) und der Vorsitzenden der Finnenpartei, Finanzministerin Riikka Purra (2. v. l.), die Vorsitzende der Schwedischen Volkspartei, Bildungsministerin Anna-Maja Henriksson (r.), und die Vorsitzende der Christdemokraten, Land- und Forstwirtschaftsministerin Sari Essayah (v. l.).

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Gabriele Baumann

Gabriele Baumann

Leiterin des Projekts Nordische Länder

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REUTERS / Reuters Staff
3. April 2023
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