Auf einen Blick:
- Am 15. Juni 1949 verkündeten die elf westdeutschen Ministerpräsidenten das Wahlgesetz für die erste Bundestagswahl. Um dem künftigen Bundesgesetzgeber nicht vorzugreifen, blieb – anders als in der Weimarer Verfassung, welche die Verhältniswahl festgelegt hatte – im Grundgesetz die Entscheidung für das konkrete Wahlsystem offen.
- Das Wahlsystem sollte die Fehler der Weimarer Republik nicht wiederholen. Während CDU und CSU die Radikalisierung und Zersplitterung des Parteiensystems auf das Verhältniswahlsystem zurückführten und daher für ein relatives Mehrheitswahlsystem eintraten, sollten nach Ansicht der SPD Positionen und Interessen durch eine Verhältniswahl möglichst gerecht repräsentiert sein. Am Ende erzielte ein Kompromissvorschlag die Mehrheit, nach welchem 60 Prozent der Mandate nach Stimmenmehrheit in den Wahlkreisen und 40 Prozent den Parteien proportional nach ihrem jeweiligen Stimmengewicht zugeteilt wurden.
- Die Mehrheitswahl blieb zumindest im wissenschaftlichen Diskurs eine vielfach verfolgte Alternative. Für die FDP hätte ein Mehrheitswahlrecht jedoch deren Ende bedeutet. Die Diskussionen wurden schließlich aufgegeben, erschien eine Reform Anfang der 1970er Jahre auch nicht mehr notwendig, da sich das System bewährt hatte und die befürchtete Zersplitterung nicht eingetreten war.
- Die zunehmende Dekonzentration des Parteiensystems seit den 1980er Jahren (Einzug der Grünen, der PDS und der AfD in den Bundestag) warf Probleme bei der Mandatszuteilung auf: Die Zahl der Überhangmandate, die zur Hochzeit der Konzentration kaum vorgekommen waren, trat in Konflikt mit dem Gleichheitsgrundsatz des Wahlrechts. Die Wahlrechtsreform aus dem Jahr 2013, mit der Ausgleichsmandate rigide nach Proporz gewährt werden sollten, schuf dabei ein neues Problem: Der Ausgleich führte nun aufgrund der Differenzierung des Parteiensystems zu einer deutlichen Erhöhung der Abgeordnetenzahl. 2021 zählte der Bundestag 736 Abgeordnete.
- Die Reform der Ampel-Parteien SPD, Bündnis90/Die Grünen und FDP von 2023 hat die Reduzierung der Mandate zum Ziel, erzeugt jedoch ein schwerwiegendes Problem: Denn sie verändert bislang unstrittige Repräsentationsideen, entwertet insbesondere das als legitimationsfördernd gedachte Element der Personalisierung und unterminiert zusätzlich die Chancen von speziell an Regionen oder Ideen orientierten kleineren Parteien. Aus dem personalisierten Verhältniswahlsystem wird eine reine Verhältniswahl. In den Wahlkreisen wird zwar noch kandidiert und gewählt. Die Stimme für einen Wahlkreissieger führt aber keineswegs mehr verlässlich zu dessen Sitz im Bundestag.
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Wie die Bundesrepublik Deutschland und das Grundgesetz entstanden
Nach der Kapitulation des Deutschen Reichs und dem Ende des Zweiten Weltkriegs in Europa übernahmen die vier Siegermächte die Kontrolle über Deutschland. Doch während die Sowjetdiktatur unter Stalin ihren Einfluss nach Deutschland ausdehnen wollte, hatten die westlichen Demokratien das Ziel, eine liberale Demokratie in Deutschland zu errichten und den Rückfall in den Totalitarismus zu verhindern. Der Film erläutert auf anschauliche und verständliche Weise, welche Schritte es bis zur Grundgesetz- Verkündung und der Gründung der Bundesrepublik am 23. Mai 1949 brauchte.
Themen
Über diese Reihe
Nicht selten bedürfen aktuelle Debatten zeitgeschichtlicher Fundierung. Das Wissen um die Ursprünge und Hintergründe von Konflikten ermöglicht auch ein besseres Abwägen und Entscheiden. Vor diesem Hintergrund besteht gerade in der Politik ein großer Bedarf an Orientierung. Dabei möchte die Abteilung Zeitgeschichte unterstützen. Mit der Publikationsreihe „Zeitgeschichte AKTUELL“ werden aktuelle Diskurse identifiziert und die historischen Hintergründe und Zusammenhänge erläutert.
Prof. Dr. Matthias Oppermann
Stv. Leiter Wissenschaftliche Dienste / Archiv für Christlich-Demokratische Politik, Leiter Zeitgeschichte
Dr. Kathrin Zehender
Referentin Zeitgeschichte