Die COVID-19-Pandemie wirft drängende Fragen zu Konfliktsituationen an der Grenze zwischen Lebensrettung und Sterbenlassen auf: Wie ist zu entscheiden, wenn die Kapazitäten der Intensivmedizin nicht mehr für alle behandlungsbedürftigen Patientinnen und Patienten reichen? Wer wird in sogenannten Triage-Situationen intensivmedizinisch versorgt – und wer nicht? Welche Maßstäbe und Kriterien gelten für die Patientinnen-/Patientenauswahl? Brauchen wir ein Triage-Gesetz?
In einem interdisziplinären Online-Werkstattgespräch suchten mehr als 40 namhafte Fachleute aus den Bereichen Medizin und Pflege, Ethik, Recht und Moraltheologie sowie Vertreterinnen und Vertreter vulnerabler Personengruppen nach Antworten. Die Gespräche fanden im Zeichen der sich zuspitzenden Lage in den deutschen Krankenhäusern statt, über die Professor Uwe Janssens, Präsident der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin, und Professor Christian Karagiannidis, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Internistische Intensivmedizin und Notfallmedizin, eingangs informierten.
Einig waren sich die Fachleute darin, dass über die Bewältigung von Triage-Situationen, aber auch über Priorisierungsentscheidungen im Vorfeld intensivmedizinischer Behandlung ein gesellschaftlicher Dialog stattfinden müsse; auch die Politik sei hier gefordert. Unklar und umstritten bleibt jedoch, was konkret auf welcher Ebene mit welchem Inhalt geregelt werden solle. Ein Weg, der für Medizinerinnen und Mediziner sowie die verschiedenen Patientengruppen erträglich und aus rechtlicher, ethischer und moraltheologischer Sicht vertretbar ist, zeichnet sich noch nicht ab. Besonders kompliziert und kontrovers ist die Frage, wie vulnerable Personengruppen, etwa alte und behinderte Menschen, vor Diskriminierung bei der Vergabe intensivmedizinischer Ressourcen geschützt werden können. Sollte die zeitliche Reihenfolge der Einlieferung ins Krankenhaus oder ein Losverfahren entscheiden? Oder wäre das keine verantwortungsbewusste Lösung, wie die Gegenseite argumentierte?
Besonders umstritten war auch die Frage, wie in Triage-Situationen zu entscheiden ist, in denen neue Patientinnen und Patienten nur noch auf Kosten von Patientinnen und Patienten, die bereits intensivmedizinisch behandelt werden, versorgt werden können. Sollten Ärztinnen und Ärzte die Möglichkeit haben, Behandlungen von Erkrankten mit sehr schlechter Perspektive zu beenden, um neue Patientinnen und Patienten mit besserer klinischer Erfolgsaussicht retten zu können? Einig war man sich, dass Medizinerinnen und Mediziner, Patientinnen und Patienten sowie Angehörige Rechtssicherheit benötigen. Was zum Behandlungsabbruch in Triage-Situationen gelten sollte, war aber wiederum umstritten: Während die einen sagen, der Behandlungsabbruch in dieser Konfliktlage sei rechtswidrig und solle es auch bleiben, fordern andere Rechtssicherheit dahingehend, dass Ärztinnen und Ärzte keine strafrechtlichen Konsequenzen befürchten müssen, sollten sie das Beatmungsgerät einer neuen Patientin oder einem neuen Patienten zuteilen und damit den Tod der exturbierten Patientin bzw. des extubierten Patienten in Kauf nehmen .
Auch im Ausland gibt es intensive Debatten zur Bewältigung von Triage-Situationen. Einblicke in die französische Diskussion zur Verteilung knapper intensivmedizinischer Ressourcen gab Professor Bertrand Guidet, Direktor der Abteilung für Internistische Intensivmedizin und Ärztlicher Direktor des Universitätsklinikums Saint Antoine in Paris. Er warnte unter anderem davor, im Kampf gegen die COVID-19-Pandemie nicht andere schwerkranke Menschen, die nicht zu den Corona-Patientinnen/Patienten gehörten, zu vergessen. Auch das Problem der Altersdiskriminierung bei Priorisierungsentscheidungen verdiene besondere Aufmerksamkeit. Über die Triage-Debatte in Israel informierte Frau Professorin Sigal Sviri, Direktorin der internistischen Intensivstation und der COVID-19-Intensivstation des Klinikums der Hebräischen Universität in Jerusalem. Zu den Fragen, die besonders intensiv diskutiert würden, gehöre, ob das derzeit bestehende Verbot des Behandlungsabbruchs angesichts der Knappheit intensivmedizinischer Ressourcen in der COVID-19-Pandemie weiter fortbestehen solle. Schwierige Probleme werfe auch der Engpass bei speziell für den Einsatz auf Intensivstationen geschultem Pflegepersonal auf.
Da es bislang weder auf nationaler Ebene, geschweige denn grenzüberschreitend einvernehmliche Empfehlungen für Priorisierungsentscheidungen im Fall knapper intensivmedizinischer Ressourcen gibt, komme es umso mehr darauf an, den interdisziplinären Dialog zu verstärken, lautete ein Fazit der Fachtagung. Nicht nur beim Thema Triage gebe es noch viel zu tun, um ein besseres Verständnis für die Perspektive anderer in dem schwierigen Beziehungsgeflecht an der Schnittstelle von Medizin, Ethik und Recht zu entwickeln.
Triage-Werkstattgespräch - Programm und Präsentationen (PDF)
Themenbezogene Publikationen der Teilnehmerinnen und Teilnehmer (PDF)
Informationen zu den Teilnehmerinnen und Teilnehmern des Triage-Werkstattgesprächs (PDF)
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